Die Musik in der Romantik (ca. 1820 n.Chr. bis 1914 n.Chr.) Das 19. Jahrhundert – gesellschaftliche Hintergründe Industrialisierung – Industrielle Revolution Ausgehend von England im 18. Jahrhundert, bzw. im 19. Jahrhundert im übrigen Europa, setzte die sog. Industrialisierung zahlreiche Entwicklungen in Gang, die das Gesicht der Welt entscheidend veränderten. Schiffe und Eisenbahnen, die mithilfe der Dampfmaschine angetrieben wurden, ließen die Welt bedeutend enger zusammenrücken. Die Agrargesellschaft, in der die Bauern/Bäuerinnen den grössten Teil der Bevölkerung stellten, wandelte sich in eine Industriegesellschaft, in der die meisten Menschen (zu oft katastrophalen Bedingungen) Arbeit in den Fabriken verrichten mussten. Aus Kleinstädten und Dörfern entwickelten sich Städte durch Zuzug vom Land und rasant angestiegenen Geburtenraten. Durch mangelnde Investitionen der liberalen Regierungen in Wohnungen, Kanalisation und Strassenbau, mussten die ArbeiterInnen unter extrem gesundheitsschädlichen Bedingungen in Elendsquartieren leben. Die Lebenserwartung lag in manchen Industriestädten bei ca. 16 Jahren, Arbeitstage von bis zu 15 Stunden und mehr (auch für Kinder) waren keine Seltenheit. Frauen verdienten bei gleicher Arbeit ungefähr ein Viertel des Lohnes von männlichen Erwachsenen. Kinder verrichteten über 12 Stunden täglich Hilfsarbeiten unter schwierigsten und lebensgefährlichen Bedingungen. Demgegenüber standen reiche Unternehmerfamilien, die zunehmend in die Rolle schlüpften, die in den Jahrhunderten zuvor der Adel innegehabt hatte. Selbstbewusst (als Leistungsträger) ließen sie sich im Kreis ihrer Familien und ihrer Reichtümer porträtieren. Zahlreiche Industrielle wurden zu Förderern der Kunst. Bald waren alle Produktionsmittel (Grund und Boden, Fabriksgebäude, Maschinen, Rohstoffe und technisches Know-How) im Besitz weniger Großunternehmer. Die besitzlose IndustriearbeiterInnenschaft verfügte über keinerlei politischen Einfluss. Um auf ihr Elend aufmerksam zu machen, erhoben sie sich vermehrt zu Protestaktionen. Die staatliche Obrigkeit reagierte auf diese Verzweiflungstaten mit schärfsten Mitteln, ließ das Militär auf die „Tumultanten“ schießen, ließ sie auspeitschen, einsperren oder sogar hinrichten. Ursachen dieser Verhältnisse werden u.a. häufig in der protestantischen Prädestinationslehre gesucht: „Mit dem Bewusstsein, in Gottes voller Gnade zu stehen und von ihm sichtbar gesegnet zu werden, vermochte der bürgerliche Unternehmer, wenn er sich innerhalb der Schranken formaler Korrektheit hielt, sein sittlicher Wandel untadelig und der Gebrauch, den er von seinem Reichtum machte, kein anstössiger war, seinen Erwerbsinteressen zu folgen und sollte dies tun. Die Macht der religiösen Askese stellt ihm überdies nüchterne, gewissenhafte, ungemein arbeitsfähige und an der Arbeit als gottgewolltem Lebenszweck klebende Arbeiter zur Verfügung.“ (Max Weber) Auf das Proletariat ließ sich anwenden, was als Zitat von Calvin, einem protestantischen Reformator, häufig wiederholt wurde: dass nur, wenn das Volk arm erhalten wird, es Gott gehorsam bleibt. Imperialismus Im ausgehenden 19. Jahrhundert erreichte die Kolonisierung außereuropäischer Räume eine neue Qualitätsstufe. Das an sich nicht neue Interesse an territorialer Expansion erhält durch den Kapitalismus (bzw. der Industrialisierung) eine Reihe zusätzlicher gewalttätiger Facetten. Betroffene Länder in Asien, Afrika oder Lateinamerika wurden entweder mit direkten Mitteln der militärischen Eroberung oder indirekt, etwa mit politischer Gleichschaltung oder mit ökonomischem Zwang den technisch-wirtschaftlichen Bedürfnissen der imperialistischen Staaten nutzbar gemacht. Diese ökonomische, militärische und politische Unterdrückung geht Hand in Hand mit sozialer Entmachtung, Herabsetzung und Auslöschung der einheimischen Kultur (= sog. Kulturimperialismus). Das kulturelle Zentrum (Europa) lehrt als angenommene „Wiege der Kultur“ die Peripherie seine Kultur (in Form bestimmter Bildungssysteme, Wissenschaftstheorien, Lerninhalte, Wertekanons, Ästhetik, Idealisierungen als Kunstwerk, Belletristik, Film, Musik oder Lebensstil...), soweit die eigene Vormachtstellung damit gesichert wird. In weiterer Folge wird der „lernenden“ Peripherie auf ungleicher Basis ein legitimierendes Entwicklungs- und Partizipationsversprechen gegeben. Nationalismus Der Begriff Nationalismus ist ein Phänomen der Moderne und war noch im 18. Jahrhundert so gut wie unbekannt. Ein erster Nationenbegriff bildete sich in der Französischen Revolution heraus. Vorreiter waren auch hier die Philosophen des deutschen Idealismus (Herder, Fichte, Hegel), die aufgrund einer (oftmals gar nicht vorhandenen) sprachlichen, kulturellen oder historischen Gemeinschaft von Personen das Wirken eines „Volksgeistes“ erkennen wollten: „Der natürlichste Staat ist also auch ein Volk, mit einem Nationalcharakter. Jahrtausende lang erhält sich dieser in ihm und kann, wenn seinem mitgebornen Fürsten daran liegt, am natürlichsten ausgebildet werden: denn ein Volk ist sowohl eine Pflanze der Natur, als eine Familie.“ (Johann Gottlieb Herder, 1744-1803) Hier kommt auch der (im weiteren Verlauf der Romantik sehr entscheidende) Geniebegriff ins Spiel, wenn gesagt wird, dass die kulturellen Erzeugnisse aller Nationen durch den „besonderen Genius der Volksart und Sprache“ bedingt sind. Ziel des Nationalismus ist die Schaffung einer Volksgemeinschaft, in der sich die Menschen mit ihrer Nation identifizieren sollten, wobei die Loyalität zu dieser Nation über allen anderen Loyalitäten stehen soll. Damit wurde der Nationalismus zunächst in Frankreich (1789), dann in Deutschland (1848) ein sehr brauchbares Instrument des Bürgertums, das einerseits half, die alten Herrschaftsverhältnisse (Adel und Klerus) zu überwinden, andrerseits wurden unter Berufung auf ein neues nationales „Wir – Gefühl“ die eigenen Herrschaftsansprüche gegenüber unteren sozialen Schichten verschleiert. Speziell nach der bürgerlichen Revolution 1848 schlägt sich Nationalismus sehr deutlich auch in der Musik nieder. Länder (bzw. bürgerliche KomponistInnen dieser Länder) bemühen sich um ihre kulturelle Identität, was zu einer stärkeren Ausprägung der sog. Nationalstile führt. Elemente aus der Volksmusik werden verstärkt Grundlage ihrer Arbeit, andere verarbeiten (angeblich) nationale Stoffe für Opern und bedienen sich dabei auch der Ausgrenzung sozialer Randgruppen (vgl. Richard Wagner: „Das Judentum in der Musik“). Das Biedermeier Mit dem Begriff Biedermeier ist eine bürgerliche Kultur gemeint, die in der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts in den Ländern des sog. Deutschen Bundes entstand. In der Zeit zwischen dem Wiener Kongress und der Revolution von 1848 verhinderte ein allumspannendes Spitzelsystem, das die BürgerInnen offen politisch Stellung beziehen konnten. Als Folge davon wurde das unpolitische Privat- und Familienleben in neuem Ausmaß kultiviert. Nicht die Repräsentation stand im Vordergrund, sondern das häusliche Glück in den eigenen vier Wänden, die zum Rückzugsort wurden. Attribute wie Fleiß, Ehrlichkeit, Treue, Pflichtgefühl und Bescheidenheit werden vom Bürgertum als Unterscheidungsmerkmale im Sinne einer politischen Propaganda benützt, um sich vom Adel, aber auch von unteren sozialen Schichten abzugrenzen. Die bürgerliche Familienstruktur war patriarchalisch, der Mann das Oberhaupt der Familie. Die Wirkungsweise der Frau war der Haushalt. Das wohlhabende Bürgertum beschäftigte Personal, darunter eine Köchin, einen Kutscher, eine Kinderfrau, für Säuglinge auch eine Amme, mitunter einen Hauslehrer. Die wichtigsten weiblichen Freizeitbeschäftigungen waren Handarbeiten und das Klavierspiel, das jede Bürgertochter zu lernen hatte. Mit dem Biedermeier ging auch eine verträumte Rückbesinnung auf vergangene Zeiten einher: man entdeckte die Schönheit von Burgruinen in der Natur und beschäftigte sich mit der Erforschung des Mittelalters. Auch die Kunst vermittelte (weil ausschließlich bürgerlich) den Eindruck einer realitätsfernen heilen Welt, obwohl die sozialen Unterschiede zwischen dem begüterten Bürgertum und der entstehenden Arbeiterschaft enorm waren. Die Hausmusik erlangte große Bedeutung. In nahezu jedem Wohnzimmer stand nun ein Klavier. In den Städten wurden überall Musikgesellschaften und Gesangsvereine gegründet. Die Notenverlage gaben bei den KomponistInnen vor allem leichte, heitere Werke in Auftrag, denn der Geschmack der Kundinnen und Kunden war entscheidend für den Verkauf. Das Biedermeier ist auch die Zeit des Walzers, dessen Hochburg Wien war. Zu den Tanzveranstaltungen strömten die Massen, weil hier ausnahmsweise ausgelassene Fröhlichkeit ermöglicht wurde. Ansonsten wurde eine strenge Zensur für alle Veröffentlichungen eingeführt, inklusive der Musikwerke. LiteratInnen wie Heinrich Heine und Georg Büchner und Karl Marx flüchteten, andere passten sich an, manche (wie z.B. Johann Nestroy) mussten Gefängnisstrafen absitzen. Sozialismus Die Neuordnung der gesellschaftlichen Strukturen durch die Industrialisierung und andere Faktoren, wie die Landflucht, führte zur Entstehung der ArbeiterInnenklasse. Das wesentliche Merkmal dieser Klasse ist, dass den Menschen nur ihre Arbeitskraft blieb, um sich ein Auskommen zu sichern. Gab es früher noch traditionelle Sozialformen, die auch im Fall von Arbeitslosigkeit das Überleben sicherten, oder die Möglichkeit ein Stück Land zu bebauen, um für den Eigenbedarf Nahrungsmittel zu erzeugen, so ändern sich die Bedingungen für die Einzelnen im anfangenden Kapitalismus fundamental. Die erste Form von organisiertem Widerstand war die ArbeiterInnenbewegung, die nicht gegen technologische Entwicklungen ankämpfte, sondern für einen demokratischen Gebrauch gesellschaftlicher Güter, wie eben Maschinen und eine gerechte Verteilung von Reichtum. Grundsätzlich kann man zwei strategische Ausrichtungen der Bewegung beschreiben: die eine, für die im Zentrum der politischen Aktion Verbesserungen für die arbeitende Bevölkerung im bestehenden System stehen. Die zweite, die in der Überwindung des Kapitalismus die wichtigste Aufgabe sieht. In der Praxis sind diese zwei Ansätze schwer voneinander zu trennen, bzw. arbeiten sie oft Hand in Hand. Karl Marx und Friedrich Engels sind wohl die zwei bedeutendsten Theoretiker der revolutionären ArbeiterInnenbewegung. Karl Marx, der in Deutschland geboren wurde, nach London flüchtete, engagierte sich dort in den politischen Auseinandersetzungen. Er verfasste auch immer wieder Streitschriften, wie das Kommunistische Manifest, das vor allem die Funktion erfüllte, Menschen für Kämpfe zu mobilisieren. Sein großes wissenschaftliches Werk allerdings sind die drei Bände der Kritik der politischen Ökonomie. Dieses Werk blieb unvollendet, ließ dadurch auch Lücken offen für viele Interpretationen unterschiedlichster politischer Kräfte, die sich auf Marx beriefen und das noch immer tun. Die Philosophen haben die Welt nur verschieden interpretiert; es kommt darauf an sie zu verändern. Die europäische Philosophie vor Marx (mit Ausnahmen) drehte sich im Wesentlichen darum, die Welt in ein System zusammenzufassen, das letzten Endes auf einen Sinn hinausläuft. (Wie z.B. in der Religion letzten Endes alles „gottgewollt“ ist.) Hegel, der für Marx von großer Bedeutung war, nannte seine übernatürliche Ordnung den „Weltgeist“, der garantiert, dass alles was ist, so auch vernünftig ist. Dieser Zugang ist selbstverständlich nur dann zu verstehen, wenn man sich vergegenwärtigt, dass Philosophie in den allermeisten Fällen die Domäne von privilegierten Schichten war. Auch wenn man kein egoistisches Kalkül unterstellt, so ist einsichtig, dass die generellen historischen Tatsachen (wie etwa die Macht der Kirche und Religion, die Organisation der Menschen in ungleiche Stände, Sklaverei und Leibeigenschaft) schon ein entsprechendes Menschen- und Weltbild mitlieferten, das es in die philosophischen Überlegungen zu integrieren galt. Die Bruchlinie, die Marx zu diesen Philosophien aufgetan hat, ist das Bewusstsein, dass die Dinge (der sozialen Realität, also nicht Bäume, Sonne usw.) seiner Ansicht nach nicht existieren weil sie so besonders vernünftig wären, sondern weil Menschen sie gemacht haben, demnach können sie auch unvernünftig, falsch, etc. sein und vor allem: man kann sie ändern. Aus dieser Einsicht heraus entsteht dann auch die Notwendigkeit die eigenen Interessen wahrzunehmen. Historische Beispiele dafür sind die Erkämpfung des 8-Stunden Arbeitstags, das Wahlrecht für Frauen, Kinderarbeitsverbot, bezahlter Urlaub etc. Somit ist eine erste Annäherung zum philosophischen Materialismus getan. Es bleibt noch die Frage offen, wie genau die Menschen ihre Welt erschaffen, wie findet Veränderung statt? Marx meint (in Anlehnung an Hegel), dass das in dialektischen Prozessen, das heißt in Auseinandersetzungen sich widersprechender gesellschaftlicher Kräfte geschieht. Damit sind wohlgemerkt aber nicht Einzelpersonen (wie KönigInnen, HeldInnen oder MärtyrerInnen), sondern ganze Klassen (z.B. Sklaven - Sklavenhalter, Adelige – Bauern, Bürgertum - Proletariat) gemeint. Musikphilosophie der Romantik Alle bereits oben angesprochenen und teilweise widersprüchlichen gesellschaftlichen Interessen haben sich auch in der Kunst und Musik des 19. Jahrhunderts niedergeschlagen. Fortschritt und ängstliches Festhalten am Vergangenen, politisches Engagement und romantische Versenkung, Monumentalarchitektur und biedermeierliche Selbstbeschneidung sind gleichzeitige Erscheinungsformen im 19. Jahrhundert. Insofern ist das Bild eines einheitlichen romantischen 19. Jahrhunderts auch in der Musikgeschichte nicht haltbar und konnte nur aufgrund einer auf das Bürgertum und dessen Geniewahn ausgerichteten Geschichtsschreibung und Forschung zustande kommen. Wie auch andere Epochenbezeichnungen hatte das Wort „romantisch“ zunächst eine negative Bedeutung, die auf ihre Wirklichkeitsferne hinwies: romanhaft, unwirklich, phantastisch. Es bezeichnet zunächst auch nur eine Weise des Hörens, die sich sowohl auf Musik der Renaissance, als auch auf zeitgenössische Werke beziehen kann. Im Weltbild der Romantiker des frühen 19. Jh. nimmt die Romantisierung der Dinge, der Wirklichkeit und der Natur einen wichtigen Platz ein. Die Natur ist „beseelt“ von Bewegung und Klang: Quellen „plaudern“, Lüfte „pfeifen melodisch“, „Strom und Wälder musizieren“, ein „wunderbares Singen“ durchzieht das Kreisen der Sterne, ein „großer Klang“ erfüllt die Welt. Treibende Kraft der deutschen Romantik ist eine ins Unendliche gerichtete Sehnsucht nach dem „Naturzustand“, der Heilung der Welt. Symbolische Orte und Manifestationen dieser Sehnsucht sind nebelverhangene Waldtäler, mittelalterliche Kloster-Ruinen, alte Mythen und Märchen, die Natur etc. Das „Wahre“ (vgl. Idealismus) wird nicht im Intellektuellen gesehen, sondern in dem als natürlich und wahrhaftig angesehenen Verhalten des „einfachen Volkes“. Nicht der Verstand, nur das Gefühl kann diesem Naturzustand näherkommen, kann das eigentliche Geheimnis der Welt erahnen. Damit wendet sich die Romantik ab von Realität und Vernunft und bildet einen Gegenpol zu Rationalismus und Aufklärung. An die Musik der Früh- und Hochromantik wurde in diesem Zusammenhang oft die Aufgabe gestellt, den Menschen aus der irdischen Welt in eine „bessere zu entrücken“ (vgl. Biedermeier). Künstler, die jetzt als Genies Zugang zu einer „höheren Wahrheit“ haben, fühlen sich oft „nicht von dieser Welt“ und enden auch häufig in geistiger Umnachtung (u.a. Hölderlin, Lenau, Schumann, Wolf, van Gogh, Nietzsche.) vgl. dazu: „Die Künstler sind Propheten“ (Robert Schumann) „Gottes Wort offenbart sich in den Schöpfungen des Genius“ (Franz Liszt) Überblicksartiger Verlauf ➢ Frühromantik (1800-30): Die Romantik ist zunächst eine deutsche Erscheinung, beeinflusst vor allem von der literarischen Romantik (Wackenroder, Tieck, Novalis u.a.). Die erste typisch romantische Oper ist C. M. v. Webers „Freischütz“ (1821): Natur und Wald, gute und böse Mächte, Liebe, Sieg des Glaubens und des Guten, die „Erlösung“ eines schuldverstrickten Menschen. Auch die Lieder von F. Schubert und die späten Werke von Beethoven, der auch zur Romantik gezählt wird, sind charakteristisch für diese Zeit. ➢ Hochromantik (1830-50): Politisch eingeleitet von der Julirevolution 1830 weitet sich die Romantik zu einer europäischen Bewegung aus. Zentrum wird Paris (statt Wien) mit seinen vielfältigen Anregungen, besonders der französischen literarischen Romantik (Hugo, Dumas u.a.). Berlioz` „Symphonie fantastique“ (1830) spiegelt den Zeitgeist. Es ist auch die Blüte der sog. VirtuosInnen (z.B. N. Paganini auf der Violine, F. Liszt und F. Chopin am Klavier), die durch die meisterhafte Beherrschung ihres Instruments, bzw. ihrer Stimme das dem Geniekult huldigende bürgerliche Publikum befriedigten; die Klaviermusik des musikalischen Salons (F. Chopin, R. Schumann) wird in Paris, Berlin und Wien modern. ➢ Spätromantik (1850-90): Die Zäsur fällt politisch zusammen mit der Revolution von 1848. Nach dem Tod von F. Mendelssohn, F. Chopin, und R. Schumann beginnt eine neue Epoche mit F. Liszts „Symphonischen Dichtungen“, R. Wagners „Musikdramen“ und den Opern von G. Verdi. Zugleich tritt mit A. Bruckner und J. Brahms eine neue Generation hervor. Caecilianismus (Rückbesinnung auf die A - capella Polyphonie Palestrinas), Historismus (Nachahmung älterer Stile), Naturalismus (auf exakter Naturbeobachtung beruhend) und Nationalismus stehen nebeneinander und prägen die Musik der Spätromantik. ➢ Jahrhundertwende (1890-1914): Die Generation um G. Puccini, G. Mahler, C. Debussy, R. Strauss greift um 1890 mit neuen Werken ein, die die verschiedenen Tendenzen bis ins Extrem fortführen. Eine typische spätromantische Erscheinung ist der französische Impressionismus (Symbolismus). Das Ende der Romantik ist örtlich und zeitlich verschieden. Es zeichnet sich mit A. Schönbergs Übertritt in die Atonalität 1907/08 ab und fällt mit dem Kriegsausbruch 1914 zusammen. Formen und Gattungen der Romantik Das klavierbegleitete Sololied Das Lied mit Klavierbegleitung als Gefühlsdarstellung und als Stimmungsausdruck wird zu einer der wichtigsten Gattungen der romantischen Musik. Der Reichtum an lyrischen Gedichten (Goethe, Heine, Rückert u.a.), die Vervollkommnung des Hammerklaviers und das für musikalische Aufführungen zur Verfügung stehende bürgerliche Wohnzimmer boten den KomponistInnen alle äußeren Voraussetzungen für diese neue Musikgattung. Dichtung, Liedmelodie und Klavierbegleitung sind im romantischen Lied zu einer Einheit verbunden. Voraussetzung für das klavierbegleitete Sololied der Romantik ist die Wiener Klassik, die den Menschen in seiner Gegenwart (nicht wie im Barock stilisiert) dargestellt hat. Das Ziel der KomponistInnen ist es, den Ausdrucks- und Stimmungsgehalt eines Gedichtes mit musikalischen Mitteln auszudeuten. Das Klavier tritt als gleichberechtigter Faktor neben die Singstimme. Erster und wichtigster Vertreter dieser Gattung ist Franz Schubert (1797-1828), bei dem bereits die wichtigsten Liedtypen festgelegt werden, die spätere KomponistInnen lediglich weiter ausgestalten müssen (u.a. Robert Schumann, Johannes Brahms und Hugo Wolf). ✔ Das einfache Strophenlied: Die Melodie und die Begleitung ist in jeder Strophe gleich. ✔ Das variierte Strophenlied: Melodie und Begleitung ändern sich in bestimmten Strophen. ✔ Das durchkomponierte Lied: Melodie und Begleitung ändern sich immer und interpretieren den jeweiligen Inhalt. Franz Schubert, Der Erlkönig Aufgaben: ✗ Um welche Art von Lied handelt es sich? ✗ Welches musikalische Mittel wird angewandt, um Dramatik zu erzeugen, bzw. die Spannung zu steigern? ✗ Welche Absicht verfolgen die verschiedenen Charaktere und woran kann man das musikalisch erkennen? Romantische Klaviermusik Das Klavier wird zum wichtigsten Instrument des 19. Jahrhunderts, weil es sich (wie von der Romantik gefordert) hervorragend für den individuellen Gefühlsausdruck eignet. Mit der technischen Perfektionierung des Hammerklaviers ist einerseits der Grundstein für die Entwicklung neuer Spieltechniken und Ausdrucksmöglichkeiten gelegt, andrerseits erhält auch das häusliche Klavierspiel im Rahmen des Biedermeier einen großen Auftrieb. Fast jede bürgerliche Familie setzt ihren Ehrgeiz daran, die Kinder im Klavierspiel zu unterrichten zu lassen. Während die Virtuosen (Liszt, Chopin, der Geiger Paganini) das ganze bürgerliche Europa in ihren Bann ziehen und mit akrobatischen Leistungen das Publikum verblüffen, pflegt man beim häuslichen Klavierspiel vor allem Salonmusik. Besonders beliebt waren musikalische Kleinformen wie Impromtu, Prélude oder Moment musical. Zielt die Klassik noch auf einen Ausgleich der Gegensätze, so führen die Gefühlsimpulse der Romantik gewollt zu Extremen, sowohl zu dramatischer Erregung, als auch zu ausgedehnten lyrischen Passagen. Frédéric Chopin, Walzer Op. 69 No.2 Frédéric Chopin, Sonate in b – Moll, „Marche Funèbre“ Franz Liszt, Konzertetüde S.144 No.3 Die Sinfonie in der Romantik Die romantische Sinfonie kann in zwei Bereiche eingeteilt werden. Auf der einen Seite wird die klassische Sinfonie als absolute Musik in romantischer Tonsprache weitergeführt (z.B. Franz Schubert, Felix Mendelssohn Bartholdy, Robert Schumann, Johannes Brahms, Gustav Mahler). Auf der anderen Seite wird versucht, die Form der Sinfonie durch Einbindung eines außermusikalischen Programms aufzubrechen, was zur sog. Sinfonischen Dichtung führte. (z.B. Hector Berlioz, Franz Liszt und Richard Strauss). Diese zwei verschiedenen Auffassungen standen in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts in permanentem Konflikt miteinander – die erste Seite vertrat vor allem der in Wien lebende Musikkritiker Eduard Hanslick, der sich vor allem auf Werke von Brahms und Schumann berief. Die andere Seite, auch „Neudeutsche Schule“ genannt, wurde vor allem von Richard Wagner (mit einer gehörigen Portion Antisemitismus) vertreten. Die Gattung der Sinfonie löste sich im Lauf der Romantik zunehmend von der tradierten, viersätzigen Form der Klassik. Die Reihenfolge der Sätze wurde oft vertauscht, die Anzahl der Sätze variiert. Stattdessen werden oft Motive und Themen übergreifend in mehreren Sätzen eines Werkes verarbeitet. Anton Bruckner, 4. Sinfonie Es – Dur Bruckner selbst schwebte laut eigener Aussage bei der Komposition dieser Sinfonie „Waldromantik“ vor. Aus dem Tremolo – Nebel der Streicher klingt das Solohorn in „Urintervallen“ (Quinte, Quart, Oktav), das zweite Thema imitiert den Ruf der Waldmeise. Ein Hauptmerkmal von Bruckners Stil ist der sog. „Bruckner-Rhythmus“, ein Wechsel von Achtelnoten und Achteltriolen, der im Kontrast zu dem sehr übersichtlichen Periodenbau steht. Die Programmmusik Unter Programmmusik versteht man Instrumentalmusik mit außermusikalischem Inhalt, der durch einen Titel oder ein Programm mitgeteilt wird. Der Inhalt besteht meist aus einer Folge von Handlungen, Situationen, Bildern oder Gedanken. Der Programmmusik steht musikphilosophisch der Bereich der sog. absoluten Musik gegenüber, die (angeblich) frei von außermusikalischen Vorstellungen ist. Es gibt drei grundsätzliche Möglichkeiten, Außermusikalisches durch Musik darzustellen: • Wiedergabe von Höreindrücken (z.B. Vogelstimmen, Donner...). • Tonsymbolische Darstellung von visuellen Sinneseindrücken, auch Tonmalerei genannt (z.B. Bewegung: loslaufen und anhalten, langsam und schnell; auf und ab durch höhere und tiefere Töne; nähern und entfernen durch lauter und leiser werden usw.) (vgl. auch Figuren der Barockmusik). • Darstellung von Gefühlen und Stimmungen (besonders wichtig in der Romantik, man spricht in diesem Zusammenhang auch von „psychologisierender Musik“). Beispiele für Programmmusik: Barock: Die vier Jahreszeiten (A. Vivaldi) Wr. Klassik: Ein musikalischer Spaß (W. A. Mozart) Wellingtons Sieg (L. v. Beethoven) Romantik (oft in Form von sog. Sinfonischen Dichtungen): Als Begründer der modernen Programmmusik gilt Hector Berlioz (z.B. Symphonie fantastique), der u.a. großen Einfluss auf programmatische Werke von Franz Liszt (z.B. Hunnenschlacht) hatte. Ab der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts erreichte die Programmmusik in den romantischen nationalen Schulen ihren Höhepunkt. Einhergehend mit dem „nationalen Erwachen“ dieser Staaten wurde der Ruf nach einer eigenen nationalen Musikkultur laut, der zu zahlreichen Werken folkloristischen Einschlags führte und dabei vor allem bildungsbürgerliche Ideale bediente. In Russland waren das z.B. Modest Mussorgski (Bilder einer Ausstellung), Alexander Borodin (Eine Steppenskizze aus Mittelasien), Nicolai Rimski-Korsakow (Hummelflug). Zeitgleich schrieben in Böhmen Antonin Dvorák (u.a. Die Mittagshexe) und Friedrich Smetana (u.a. Die Moldau aus Mein Vaterland) im damaligen Österreich-Ungarn patriotische und romantischtonmalerisch eingefärbte Programmmusik. Bekannte Beispiele aus Skandinavien stammen z.B. von Edvard Grieg (Peer Gynt – Suite), aus Italien z.B. von Ottorino Respighi (Le fontane di Roma) und aus Frankreich z.B. von Claude Debussy (La mer). Im deutschen Sprachraum erneuerte vor allem Richard Strauss (u.a. Ein Heldenleben, Also sprach Zarathustra, Till Eulenspiegels lustige Streiche, eine Alpensinfonie) die Programmmusik. Richard Strauss, Till Eulenspiegels lustige Streiche, op. 28 Das Notenbeispiel zeigt die wichtigsten Themen und einige Hinweise, die der Komponist selbst dazu gab. Eine zeitgenössische Musikkritik des einflussreichen Kritikers Eduard Hanslick: sehr (usw.) Die Oper in der Romantik In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht die Oper noch weitgehend in der Tradition des Singspiels, zu dessen Kennzeichen der gesprochene Dialog gehört. Wichtige Werke sind Beethovens „Fidelio“, und Carl Maria von Weberns „Freischütz“. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts steht die Geschichte der Oper vor allem im Zeichen von Guiseppe Verdi (1813-1901) und Richard Wagner (1813-1883). Die italienische Oper Die italienische Oper des 19. Jahrhunderts blieb der italienischen Tradition des sog. Belcanto (eine spezielle Gesangstechnik, die in Italien ab dem 17. Jh. bevorzugt wurde) verbunden. Zu den meistgespielten Opern der ersten Jahrhunderthälfte zählen „der Barbier von Sevilla“ (Buffo – Oper) von Gioacchino Rossini (1792-1868), „Lucia di Lammermoor“ und „Don Pasquale“ (Buffo – Oper von Gaetano Donizetti (1797-1868) sowie „La Somnambula“ und „Norma“ von Vincenzo Bellini (1801-1835). Giuseppe Verdi (1813-1901) gelang es 1842 mit „Nabucco“, dem Wunsch vieler ItalienerInnen nach Befreiung von der österreichischen Herrschaft Ausdruck zu verleihen: die ItalienerInnen identifizierten sich angeblich mit den in Babylon gefangenen Juden und Jüdinnen, um die es in dieser Oper geht. Bald konnte man den Ausruf: „Viva Verdi“ hören, was wie eine Huldigung des Komponisten klingt und von der österreichischen Besatzung auch so verstanden wurde. In Wirklichkeit war es die Abkürzung für „Vittorio Emanuele Re d`Italia“ (Viktor Emanuel König von Italien) und damit die politische Forderung, dass Viktor Emanuel II. neuer König eines vereinigten Italien werden sollte. Verdi wählte meist historische, wenn auch nicht national-italienische Stoffe. Giuseppe Verdi, Va, pensiero aus „Nabucco“ Bekannteste Werke: „Rigoletto“ (1851, nach Victor Hugo), „Der Troubadour“ (1853), „La Traviata“ (1853, nach „Die Kameliendame“ von Alexandre Dumas), „Die Macht des Schicksals“ (1862) „Aida“ (1870); Musikalische Kennzeichen der italienischen Gesangsoper: • Der Text ist ganz klar der Musik untergeordnet („Prima la musica, dopo le parole“) • Das Orchester steht im Dienst des Gesangs und beschränkt sich auf Begleitung und Intensivierung dessen, was die Stimmen zum Ausdruck bringen. • Homophonie überwiegt, ebenso die Vorliebe für einprägsame Melodien und einfache harmonische Begleitungen. • Die Handlung steht nicht im Mittelpunkt des Interesses, sie dient lediglich als Mittel zur Motivation der Szenen und Situationen, in die die Personen geraten. • Hauptsache ist die Darstellung der durch das Geschehen erregten Gefühle. Verismo Gegen Ende des 19. Jahrhunderts hatte sich in der Literatur der Naturalismus als geistige Strömung durchgesetzt. Emile Zola und Gerhart Hauptmann erregten mit ihren Romanen Aufsehen, soziales Engagement verdrängte romantische Ideale und Empfindungen. Die Verbindung von literarischem und musikalischem Naturalismus bestand in der Wahl realistischer Stoffe. In Italien wurde der Naturalismus Verismo (ital. vero = wahr) genannt. Das Hauptwerk des musikalischen Verismo ist die Oper „Cavalleria rusticana“ (1890) von Pietro Mascagni. Ein weiterer wichtiger Vertreter der veristischen Oper ist Ruggero Leoncavallo mit „Der Bajazzo“ (1892). Dem Verismo nahestehend ist Giacomo Puccini (1858-1924). Ihm gelang die Verbindung italienischem Gesangsstils mit der Leitmotivtechnik Wagners und dem Klangbild des französischen Impressionismus. Seine wichtigsten Werke sind: „La Bohème“ (1896), „Tosca“ (1900), „Madame Butterfly“ (1904) und „Turandot“ (1926). Giacomo Puccini, Nessun Dorma aus „Turandot“ Das Musikdrama Mit Richard Wagner (1813-1883) ist es der deutschen Oper erstmals gelungen, einen eigenen Stil zu entwickeln. In seinen theoretischen Schriften „Das Kunstwerk der Zukunft“ (1849), bzw. „Oper und Drama“ (1851) formulierte er seine Ideen vom Musikdrama als Gesamtkunstwerk. Damit vollendet er die musikdramatischen Linie, die um 1600 mit dem „Dramma per musica“ von Monteverdi seinen Ausgang nahm. Grundsätzlich spricht Wagner jüdischen KünstlerInnen jede Form von Originalität ab. Sie mögen ihr Handwerk virtuos beherrschen, das Ergebnis wird aber immer „Täuschung, ja Lüge“ sein. Im Hinblick auf die Frage, inwieweit der Antisemitismus Wagners mentale Voraussetzungen des Holocaust im nationalsozialistischen Deutschland vorwegnimmt, ist der folgende Textabschnitt aufschlussreich: „Ob der Verfall unsrer Kultur durch eine gewaltsame Auswerfung des zersetzenden fremden Elements aufgehalten werden könne, vermag ich nicht zu beurteilen, weil hierzu Kräfte gehören müssten, deren Vorhandensein mir unbekannt ist. Soll dagegen dieses Element uns in der Weise assimiliert werden, dass es mit uns gemeinschaftlich der höheren Ausbildung unsrer edleren menschlichen Anlagen zureife, so ist es ersichtlich, dass nicht die Verdeckung der Schwierigkeiten dieser Assimilation, sondern nur die offenste Aufdeckung derselben hierzu förderlich sein kann.” Wichtige Werke: „Der fliegende Holländer“ (1841), „Tannhäuser“ (1845), „Lohengrin“ (1848), „Tristan und Isolde“ (1859), „Die Meistersinger von Nürnberg“ (1867), „Das Rheingold“ (1854), „Die Walküre“ (1856), „Siegfried“ (1871), „Götterdämmerung“ (1872). Die vier letztgenannten Werke bilden zusammen den „Ring des Nibelungen“, „Parsifal“ (1882); Kennzeichen des Musikdramas • Alle Elemente (Musik, Dichtung, Bühnenbild, Tanz, Effekte) werden von vornherein im Hinblick auf ein Gesamtkunstwerk erfunden. • Der Gesang wird im Musikdrama nicht als selbständiges Ausdrucksmittel, sondern als gesteigertes Sprechen aufgefasst. Der Text erhält eine Bedeutung, wie er sie vorher nie hatte. • Es gibt keinen fixen Ablauf festgelegter Formtypen (wie in der Nummernoper) mehr, sondern dramatische Erfordernisse bestimmen die musikalische Gestalt. • Die musikalische Einheit des Werkes wird durch sog. Leitmotive hergestellt. Das sind kurze Tonsymbole für Personen, ihre Gedanken und Gefühlszustände oder für bestimmte Situationen. Diese „Gefühlswegweiser“ begleiten das Bühnengeschehen, sie können Unausgesprochenes zu erkennen geben, sie können inhaltliche Zusammenhänge herstellen, voraus- oder zurückweisen. • Die Verknüpfung der Leitmotive im sinfonischen Orchester führt zu einem ständigen Fließen der Musik. Die Verbindung von gesungenen Melodien und Rezitativen wird zur sog. Unendlichen Melodie. (vgl. Filmmusik) • Wagner schreibt die Texte zu seinen Werken selbst. Der Inhalt ist großteils der mittelalterlichen Minnelyrik entnommen, die mit dem aufkeimendem Nationalismus der Romantik zu „deutschen Sagen“ umgedeutet wurden. • Im Zentrum aller Werke steht die christlich – romantische Idee der Erlösung, die sich im Tristan bis zur Lebensverneinung steigert. Richard Wagner, Tristan und Isolde (Vorspiel) Ähnlich wie die Helden der griechischen Tragödie werden auch Tristan und Isolde schuldlos schuldig. Der Liebestrank wurde bei Wagner Sinnbild der alle Schranken überspringenden Macht der Liebe, gegen die man sich nicht wehren kann. Der Held Tristan verlässt den festen Boden der bürgerlichen Moral. Parallel dazu lässt das Vorspiel keinen festen „Grund“ - keinen Grundton, keine Tonart erkennen. Charakteristisch dafür ist der sog. „Tristan – Akkord“ (s. Abb.), der mit seiner harmonischen Mehrdeutigkeit als wegweisend für die Harmonik der Romantik gilt. „Tristan - Akkord“ Winifred Wagner begrüßt Adolf Hitler Viel Prominenz in Bayreuth Festspielhaus in Bayreuth Der Wiener Walzer Schon in der Wiener Klassik ist im Bürgertum eine heftige Tanzleidenschaft aufgekommen, bei der das „Walzen“ immer beliebter wurde. Er war zunächst wegen Unzüchtigkeit, z.B. weil die Fußknöchel der Damen sichtbar waren, aber vor allem wegen der ständigen Berührung der Paare, verpönt. Offizielle Akzeptanz und Beliebtheit gewann er durch den Wiener Kongress 1814/15. Der Wiener Walzer war stets Symbol gehemmter politischer Umbruchsstimmungen und wurde z.B. als „Marseillaise des Herzens“ (Eduard Hanslick) bezeichnet und soll „Wien die Revolution erspart haben“. Zu einem musikalischen Weltereignis wurde der Walzer in Wien durch Johann Strauss (1804-1849) und seinem gleichnamigen Sohn, dem sog. Walzerkönig (1825-1899). Schon bei Strauss Vater hatte der Walzer seine klassische Gestalt erhalten mit Einleitung, Walzerkette (Folge von fünf Walzern, die in verwandten Tonarten stehen) und Coda. Wichtige Walzer: Johann Strauss Vater: „Radetzky – Marsch“ Johann Strauss Sohn: „An der schönen blauen Donau“ „G`schichten aus dem Wiener Wald“ „Wein, Weib und Gesang“ „Wiener Blut“ usw. Johann Strauss (Sohn) Johann Strauss Vater und Sohn nahmen in ihren Kompositionen vielfach zum Zeitgeschehen Stellung, wobei sie je nach „Bedarf“ kaisertreu oder revolutionär waren. Vater Strauss war im Herzen sicherlich ein „Schwarz-Gelber“ (vgl. Radetzky-Marsch), hat aber den Ereignissen von 1848 mit einem „Österreichischen National-Garde-Marsch“ und einem „Marsch der Studentenlegion“ seinen Tribut gezollt. Dem „Revolutions-Marsch“ von Strauss Sohn folgte bald nach Niederschlagung der Revolution ein „Kaiser-Franz-Joseph-Marsch“ und nach dem missglückten Attentat auf den Kaiser ein „Kaiser-Franz-Joseph-Rettungs-Jubel-Marsch“. Johann Strauss (Sohn), An der schönen blauen Donau Werke der sog. Strauss-Dynastie (Strauss Vater und Sohn, Eduard und Josef Strauss werden alljährlich beim sog. Neujahrskonzert der Wiener Philharmoniker in über siebzig Länder der Welt übertragen. Das erste Neujahrskonzert fand 1939 in Wien statt. Dass der Großvater jüdischer Herkunft war, stellte dabei kein Problem dar: „Es gibt wohl kaum noch eine andere Musik, die so deutsch und so volksnah ist, als die des großen Walzerkönigs.“ (aus: „Der Stürmer“, Nr.22) Die Operette Um 1850 entstanden in Paris parodistisch-heitere „Musiquettes“, mit Einflüssen von Volkstheater, Opéra Comique (u.a. „Carmen“ von Georges Bizet) und Varieté. 1856 verwendete Jacques Offenbach dafür erstmals die schon vorher existierende Bezeichnung „Operette“, was ursprünglich „kleine Oper“ bedeutete. Erfolgreichste Operette Offenbachs war „Orpheus in der Unterwelt“ (1858). Witzige Couplets (Theaterlieder) und spezielle Tanzrhythmen (Cancan, Galopp) begründeten den Erfolg. Goldene Wiener Operette: Nach dem Vorbild von Offenbach schrieb Franz von Suppé die ersten Wiener Operetten. Ab 1871 beschäftigte sich auch Johann Strauss mit der Operette. „Die Fledermaus“ (1874) und „Der Zigeunerbaron“ verhalfen der Wiener Operette zum Durchbruch. Silberne Wiener Operette: Den Höhepunkt der folgenden „silbernen“ Ära schuf Franz Lehár: „Die lustige Witwe“ (1905), bzw. „Das Land des Lächelns“ (1929). Jacques Offenbach, „Can Can“ aus Orpheus in der Unterwelt Der Impressionismus Die Bezeichnung Impressionismus ist zunächst ein Spottname für eine Strömung der Malerei, die sich um 1860/1870 in Frankreich entwickelt hat. Der Name geht auf das Bild Impression – soleil levant (Sonnenaufgang) von Claude Monet zurück. Nur die Augenblicklichkeit (Monet) einer Situation soll dargestellt werden. Der Begriff Impressionismus wurde auch auf die Musik und die Literatur übertragen. Stilmittel der impressionistischen Musik: ✔ Vermeidung von geschlossenen Melodien und Themen, oft Orientierung an außereuropäischer Musik. ✔ Der Rhythmus ist sehr kompliziert, aber bewusst im Hintergrund gehalten. Abkehr von stereotypen (gleichbleibenden) Rhythmusfiguren. ✔ Tendenz zur Auflösung der Kadenz. Die Harmonie wird als „Farbwert“ betrachtet. Aufnahme aussereuropäischer und alter Tonsysteme (Modi, Pentatonik), sowie Verwendung neuer Tonsysteme, wie z.B. der sog. Ganztonleiter: Die Vorliebe von impressionistischer Musik für die Ganztonleiter ergibt sich vor allem aus dem Umstand, dass diese keinen Grundton besitzt, was ihr einen „schwebenden“ Charakter verleiht. ✔ Farbeffekte werden nicht nur durch die neue Harmonik (Klangflächen), sondern auch besonders aus der Instrumentation gewonnen (Vorliebe für Harfe und Flöte). Der Begründer und zugleich bedeutendste Vertreter der impressionistischen Musik ist Claude Debussy (1862-1918). Eine ursprüngliche Verehrung Wagners wird durch den Besuch Bayreuths in eine starke Ablehnung umgewandelt. In der Folge sucht er dem „teutonischen Heldenpathos“ den Charme und Esprit der „gallischen Kunst“ entgegenzusetzen. Mit „Prélude à l´après-midi d´un faune“ und der Oper „Pelléas et Mélisande“ schuf Debussy das Hauptwerk des Impressionismus. Weitere Vertreter sind Maurice Ravel (1875-1937) („Bolero“) und Paul Dukas (1865-1935) („der Zauberlehrling“). Claude Debussy, La Cathédrale engloutie (Die versunkene Kathedrale) Das Bild der versunkenen Kathedrale, die aus den Fluten ist ein Motiv, das in bretonischen Legenden eine Rolle spielt. Es geht Debussy nicht darum, die Fluten naturalistisch nachzuzeichnen, sondern sozusagen die Vision in Klang umzusetzen und zu gestalten. Zu beachten sind auch die sehr poetischen Tempo bezeichnungen „unendlich ruhig“ und „in einem zarten Klangnebel“.
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