Boutiquen haben Chancen - Family Business Association Schweiz

Familienunternehmen gestalten Zukunft: Tecalto (Online-Version)
Boutiquen haben Chancen
Text: Andreas Giger
Eine erfolgreiche Familienunternehmerin würde man vielleicht im Sektor Mode
vermuten, nicht aber im nach wie vor stark von Männern dominierten TechnikBereich. Doch es gibt sie: Sabina Schumacher Heinzer führt in dritter Generation
den Technik-Grosshandel Tecalto und glaubt an dessen Zukunft.
Verblüffungen
Auf der Empfangstheke in einem unscheinbaren Industriegebäude irgendwo in
Zürich-Altstätten steht ein Bildschirm, auf dem der Chronist namentlich
willkommen geheissen wird. Er braucht nur noch lächelnd zu bestätigen, es handle
sich um den besagten, und schon ist alles klar.
Der Chronist hat auf Anhieb eine Ahnung davon bekommen, was gemeint ist, wenn
auf der Homepage der Tecalto AG unter „Credo“ dieser ominöse Satz zu finden ist:
Die Erwartungen unserer Kunden übertreffen wir mit gezielten und sinnvollen
Verblüffungen.
In einem Interview, das ich vor unserem Gespräch gelesen habe, hat Sabina
Schumacher diesen Satz selbst erläutert: »Wir haben intern ein Stufenmodell
definiert, dessen einzelne Elemente lauten: Standard, Basis, Extras und
Verblüffungen. Im Bereich Standard und Basis bewegen sich viele Firmen. Bei den
Extras fangen wir an uns abzugrenzen, und bei den Verblüffungen sind wir ziemlich
alleine unterwegs.
Hier bewegen wir uns nicht im technischen Bereich, sondern auf der persönlichen
Beziehungsebene. Es kann ein Znüni sein, das der Aussendienstmitarbeiter zum
Kunden mitbringt, oder der Grappa zum Geburtstag. Es geht einfach darum, ein
persönliches Verhältnis zum Kunden herzustellen.«
Das ist ihr beim Chronisten gelungen, auch wenn dieser gar kein Kunde ist, sondern
jemand, der etwas von ihr will. Und noch etwas fällt ihm auf: Im Empfangsbereich
hängen grossformatige Bilder in gepflegtem Schwarz-Weiss, auf denen die Produkte
zu sehen, mit denen Tecalto handelt. Das wäre an sich nicht ungewöhnlich.
Ungewöhnlich ästhetisch ist jedoch die Darstellung dieser Produkte, bei denen es
sich um profane technische Gegenstände wie Schraubverbindungen für
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Hydraulikleitungen handelt. Selten hat der Chronist eine so gelungene Verbindung
zwischen Technik und Ästhetik gesehen.
Wie alles ganz anders kam
Die dürren Informationen, über die der Chronist im Vorfeld über seine
Gesprächspartnerin verfügte, erklärten diese Verblüffungen nicht: »Die Kauffrau
trat 1989 in den väterlichen Betrieb ein und übernahm im Jahr 1998 die
Geschäftsführung. Als Vorsitzende der Geschäftsleitung steht sie einem
Dreiergremium vor und verantwortet die Bereiche Finanzen und Personal. Im Jahr
2009 wurde sie zur Präsidentin des Schweizerischen Fluid-Branchenverbandes GOP
berufen. Sabina Schumacher Heinzer ist in zweiter Ehe verheiratet und Mutter
zweier Kinder.«
Erst im Gespräch selbst erklärt sich einiges: Eigentlich wollte Sabina Schumacher
tatsächlich in die Modebranche. Sie lernte zunächst Handarbeitslehrerin, gab auch
kurze Zeit Unterricht. Zusätzlich absolvierte sie eine Handelsschule, fand jedoch
danach keine Stelle in den Wunschbereichen Textil oder Mode.
Stattdessen wurde im väterlichen Betrieb eine Stelle im Bereich Einkauf frei. Aus
der ursprünglich geplanten Verweildauer im Familienunternehmen Tecalto von
einem Jahr wurden schliesslich bis heute 26 Jahre.
Dass Frauen erfolgreich ein Familienunternehmen führen, obwohl sie ursprünglich
ganz andere Lebenspläne hatten, ist gar nicht so selten. Auch TecaltoVerwaltungsrätin Gabriela Manser teilt diese Erfahrung. Als gelernte
Kindergärtnerin übernahm sie zunächst eher der Not gehorchend die väterliche
Mineralquelle Gontenbad und machte dann daraus eine Perle unter den Appenzeller
KMU.
Im Falle von Sabina Schumacher hat die Geschichte eine hübsche Pointe: Seit
einiger Zeit ist sie Mitinhaberin eines Schuhladens und damit mit einem halben Bein
doch noch in der Modebranche gelandet...
Engagement mit Mass
Diese Erfüllung eines Jugendtraums hindert sie nicht daran, sich weiterhin zu
hundert Prozent für ihr Unternehmen zu engagieren. Wobei dies nicht bedeutet,
dass sie hundert Prozent ihrer Arbeitszeit im Büro verbringt. Einen Home-OfficeTag pro Woche gönnt sie sich. Mit gutem Gewissen, denn ob man ein guter Chef
sei, hänge nicht von der Präsenzzeit im Büro ab.
Vielleicht, fügt Sabina Schumacher hinzu, sei es ihr als Frau leichter gefallen als
einem Mann, eine solche Neuerung einzuführen. Diese gilt natürlich nicht nur für
sie, denn: »Die Geschäftsführung setzt sich für die Vereinbarkeit von Familie und
Beruf ein. Es kann nicht sein, dass Mütter nicht ins Berufsleben zurückkehren
können, nur weil der Arbeitgeber die notwendige Flexibilität vermissen lässt.«
Ihren Führungsstil bezeichnet Sabina Schumacher als kooperativ, situativ und eher
„aus dem Bauch heraus“. Typisch weiblich also? Sie verneint. Das hänge auch stark
mit der kulturellen Prägung eines Menschen zusammen, unabhängig vom
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Geschlecht. Die vielen Secondos unter ihren Mitarbeitern – ausschliesslich Männer –
würden viel stärker als ihre Geschlechtsgenossen von nördlich der Alpen aus dem
Bauch heraus entscheiden und dabei eine faszinierende Mischung aus Emotionalität
und Extrovertiertheit an den Tag legen.
Am Beispiel ihrer Verblüffungs-Strategie erläutert sie dies näher: »Unser
Marketingteam, das zu 100 Prozent aus Secondos besteht, hat eine Strategie
definiert, mit dem Ziel, den Kunden zufrieden und glücklich zu sehen. Das hat viel
mit südländischer Gastfreundschaft zu tun, und die kann man - beispielsweise über
die Verblüffung - auch auf eine Geschäftsbeziehung übertragen.«
Wirkt man mit solchen Führungsgrundsätzen nicht zu weich, zu lieb? Sabina
Schumacher hat sich die Frage selbst gestellt und verneint. Sie könne durchaus
auch hart sein, wenn es sein müsse, und erwähnt als Beispiel die unabdingbar
gewordene Entlassung einer führenden Mitarbeiterin.
Menschenorientiert
Ihre grundsätzliche Wertehaltung umschreibt Sabina Schumacher mit einem Wort:
menschenorientiert, und zwar gleichermassen in der Familie wie im Unternehmen:
»Ich habe Leute gerne. Die Firma ist für mich tatsächlich wie eine Familie.«
Das gilt nicht nur für Schönwetterzeiten, sondern auch in der gegenwärtigen
schwierigen Währungssituation. Obwohl primär in der Schweiz tätig, stellt Tecalto
viele Rechnungen in Euro aus und hat in diesem preissensiblen Markt derzeit sicher
gewisse Probleme.
Doch weil Sabina Schumacher den Erhalt von Arbeitsplätzen und eine hohe
Mitarbeiterzufriedenheit als oberstes Ziel eines, oder jedenfalls ihres,
Unternehmens betrachtet, gewichtet sie dieses Ziel höher als eine möglichst hohe
Rendite und kürzt bei Bedarf auch mal die Dividende.
Natürlich komme, fügt sie hinzu, gerade ein Familienunternehmen nicht ohne
Gewinne aus, wenn es seine Substanz nachhaltig gewährleisten will. Doch auch das
ist für seine Frage des Masses. An einem Grundsatz jedoch rüttelt sie nicht: Das
Unternehmen soll auch in Zukunft vollständig eigenfinanziert bleiben.
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Nicht auf der Agenda von Tecalto steht Wachstum um jeden Preis. Man könne, so
die Firmenchefin, auch ohne dieses profitabel bleiben und gute Jobs erhalten.
Voraussetzung dafür sei eine starke Identifikation der Mitarbeitenden mit ihrem
Unternehmen. Angesichts der langen Verweildauer vieler Mitarbeitenden bei
Tecalto scheint dieses Ziel erreicht.
Diese Unempfindlichkeit gegenüber den Verlockungen einer unorganischen
Wachstumsstrategie führt Sabina Schumacher darauf zurück, dass es ihr weder um
die Maximierung von Geld noch von Macht geht. Die Firma geht zwar vor (so ist sie
vor einigen Jahren wegen interner Turbulenzen im Unternehmen geblieben statt
ein geplantes Sabbatical einzuziehen), doch ihre Lebensgestaltung nach eigenem
Gusto ist ihr wichtig geblieben, wozu gehört, dass sie sich zeitliche Freiräume
nimmt.
Die Zukunft auf dem Radarschirm
Wie sieht die Zukunft von Tecalto aus? Vermutlich nicht so viel anders als die
Gegenwart: Das Schweizer Familienunternehmen feierte im 2012 sein 70-jähriges
Jubiläum. Der Marktführer für fluidische Verbindungen ist einer der grössten
Händler von Parker-Hannifin-Produkten in der Schweiz und beschäftigt knapp 60
Mitarbeiter. Sie betreuen 20 000 Artikel und 2000 Kunden. Pro Jahr werden etwa 28
000 Aufträge abgewickelt. Im vorigen Jahr betrug der Umsatz 24 Mio. Franken.
Der Umsatz schwankt innerhalb gewisser Bandbreiten von Jahr zu Jahr, denn die
beiden Märkte Mobilhydraulik und Stationärhydraulik sind volatil. Zu den
Zukunftsaussichten ihrer Branche gefragt mein Sabina Schumacher: »Die
Fluidbranche ist kein Wachstumsmarkt. Wachstum wird, wenn überhaupt, nur
durch Verdrängung geschehen. Aber: Es gibt kein anderes Medium, das so grosse
Kräfte mit so wenig Aufwand überträgt, wie es die Hydraulik tut. Die Fluidtechnik
wird daher nie verschwinden. Wir müssen nur so clever sein, immer neue
Anwendungen zu entdecken.«
Dazu kommen zwei weitere strategische Grundsätze: Noch mehr Lösungen statt
Produkte. Und noch mehr Service statt reiner Verkauf. Sabina Schumacher sieht
Tecalto als kleines weniges Gummiboot, das dank seiner Flexibilität allen Stürmen
trotzen wird, welche die Zukunft bereithalten mag: »Boutiquen haben Chancen!«
Auch werden immer wieder mögliche Akquisitionen sorgfältig geprüft und bei
genügend grossem Synergiepotenzial getätigt.
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Ob sich das Unternehmen auch dann noch im Familienbesitz befinden wird, ist
übrigens noch offen. Fest steht nur, dass es erst verkauft wird, wenn in der
nächsten Generation definitiv kein Interesse an einer Übernahme besteht.
Dass die Zukunft viele Herausforderungen bereithält, ist der jetzigen
Firmenpatronin bewusst. Entwicklungen wie die zunehmende Automatisierung, das
Internet der Dinge oder der 3D-Druck werden ihre Märkte verändern. Sie behält
diese Entwicklungen aufmerksam im Auge, indem sie viel liest und sich in
einschlägigen Netzwerken bewegt.
Diese sind bei ihr nicht mehr ausschliesslich weiblich. Hingegen übernimmt sie
gerne Mentoring-Aufgaben für angehende weibliche Führungskräfte. Das macht sie
aus Überzeugung, weil sie ihren Schützlingen den harten Weg ersparen will, den sie
selbst gehen musste. Mit einer Mischung aus Schmunzeln und Entsetzen stellt sie
immer wieder fest, dass sich immer noch viele Patrons eher einen geeigneten
Schwiegersohn als die eigene Tochter in der Firmennachfolge vorstellen können.
Gut gerüstet
Stattdessen ist sie selbst in die Rolle der Familienunternehmerin geschlüpft, und
diese Rolle füllt sie offenkundig aus und schenkt ihr Befriedigung. Mit dem
Hauptergebnis der FBN-Umfrage, wonach das grosse Plus von Familienunternehmen
in deren Emotionen- und Werte-Portfolio besteht, ist sie voll und ganz
einverstanden. Wobei ihr anzumerken ist, dass sie das für kaum der Rede wert hält,
so selbstverständlich ist ihr diese Erkenntnis.
Mit Emotionen und Werten kennt sie sich aus, hier fühlt sie sich zuhause,
kompetent und gut gerüstet. Und wenn sie externe Unterstützung braucht, holt sie
sich diese, vom Treuhänder und Finanzberater, vom IT-Supporter, von Coaches für
Teams und Individuen, oder von der Kommunikationsberaterin.
Nach einem angeregten Gespräch weiss der Chronist zwar noch immer nicht viel
über Fluidtechnik, wohl aber einiges mehr darüber, wie man ein
Familienunternehmen erfolgreich und dabei gleichzeitig menschenorientiert in die
Zukunft führt.
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