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MEINUNG
Hamburger Abendblatt
Donnerstag, 21. Januar 2016
KO M M E N TA R
Verdiente Strafe
für HSV Handball
Wo bleibt die Gerechtigkeit?
19. Januar: „ Uli Hoeneß kommt am 29.
Februar vorzeitig frei. Der Ex-BayernPräsident saß wegen Steuerhinterziehung in Haft“
Missmanagement durfte nicht mit Steuergeld bereinigt werden
ACH IM LE ON I
Dreieinhalb Jahre Haft für den ehemaligen Bayern-Präsidenten – am
2.6.2014 angetreten. Bereits nach
einem halben Jahr wird er Freigänger,
geht tagsüber „seiner Arbeit“ (?) nach
und kehrt erst abends wieder in die
Außenstelle Rothenfeld des Landsberger Gefängnisses zurück. Dort ist es
komfortabler als in der JVA Landsberg
am Lech. Wenn das kein Promi-Bonus
ist? Und jetzt das i-Tüpfelchen: Uli
Hoeneß kommt vermutlich Ende Februar auf freien Fuß. Von den 3,5 Jahren
Haft ist effektiv nur ein halbes Jahr
strenger Gefängnisaufenthalt übrig geblieben. Wieder ein Promi-Bonus. Man
könnte meinen, die deutsche Gerichtsbarkeit fordert zu Steuerhinterziehungen im großen Stil auf. Wo bleiben der
Anstand und die Gewissenhaftigkeit für
Recht und Gerechtigkeit?
:: Der Einwand ist hypothetisch, und
doch lohnt es sich, einen Moment darüber nachzudenken: Hätte die Stadt
wirklich nichts tun können, um das Aus
der HSV-Handballer zu verhindern?
Und, wenn nicht: Hätte sie auch bei
einem erfolgreichen Olympia-Referendum tatenlos zugesehen, wie ein sportliches Aushängeschild im Chaos von
Insolvenz und Lizenzentzug versinkt?
So berechtigt diese Fragen sind, die
Antwort kann nur lauten: Nein und Ja.
Es ist nur bedingt zulässig, Staatsoper
oder Kunsthalle mit einem professionellen Sportverein zu vergleichen, auch
wenn letztlich alle im weitesten Sinn
Teil des Unterhaltungsbetriebes sind.
Kultur ist, jenseits des Mainstreams,
ohne institutionelle Förderung nicht
zu finanzieren. Profisport hingegen
schon, dafür lassen sich in Deutschland
genügend prominente Beispiele finden.
Dahinter stehen Wirtschaftsunternehmen. Und die haben auch in anderen
Branchen keinen Anspruch auf Unterstützung durch Steuergeld – Banken
offensichtlich ausgenommen.
Die Stadt tut gut daran, sich bei der
Förderung des Profisports auf strukturelle Maßnahmen zu beschränken,
etwa indem sie öffentliche Sportflächen zu einem angemessenen Preis zur
Verfügung stellt. Wenn überhaupt, ist
ein staatlicher Eingriff nur unter der
Voraussetzung vermittelbar, dass die
wirtschaftliche Not nicht selbst verschuldet ist. Der HSV Handball ist da
unverdächtig. Seine Erfolge – die Meisterschaft 2011, der Champions-LeagueSieg 2013 – waren viel zu teuer erkauft.
Die Vereinsführung hat tatenlos zugesehen, wie das Finanzloch wuchs, ja
sich sogar Unterstützern verschlossen.
Bei so viel Missmanagement ist das
Wehklagen über die ach so herzlose
Sportstadt Hamburg scheinheilig – und
der Lizenzentzug die verdiente Strafe.
Die größten Leidtragenden sind
wie so oft die, die an alldem keine
Schuld trifft: die Mannschaft, die zuletzt großartigen Sport bot; die engagierten Mitarbeiter der Geschäftsstelle;
und die Fans. Ihnen bleibt die Hoffnung, dass einem geläuterten HSV die
Rückkehr in die Bundesliga gelingt. Ob
sich genügend private Förderer für das
Projekt finden, daran darf sich die
Sportstadt dann schon messen lassen.
Seite 23 Abpfiff nach 14 Jahren Bundesliga
Z I TAT D E S TA G E S
Ist ja gerade für mich
in diesen Tagen
ein wichtiger Hinweis.
Der zurückgetretene Innensenator Michael Neumann (SPD) auf Twitter zu einem Abendblatt­Artikel über den heutigen internationalen Tag der Jogginghose
Ehrlichkeit ist angebracht
L E I TA R T I K E L
Klare Kante gefordert
Der neue Innensenator Andy Grote (SPD) muss schnell das Vertrauen der Bürger gewinnen
:: Hamburgs berühmtester Innensenator war bei seinem Amtsantritt gar
kein Innenpolitiker: Helmut Schmidt.
Dass er seine Aufgabe sehr gut gemeistert hat, steht außer Frage und heute in
den Geschichtsbüchern. Nun wäre es
vermessen, Hamburgs neuen Präses
der Innenbehörde, den bisherigen
Mitte-Bezirksamtsleiter und Sozialdemokraten Andy Grote, mit Helmut
Schmidt zu vergleichen. Deutlich werden soll nur eines: Um ein guter, das
heißt erfolgreicher Innensenator zu
werden, ist umfangreiche Fachkenntnis nicht zwingend Voraussetzung.
Mehr als in anderen Ressorts geht
es gerade bei der inneren Sicherheit
um Psychologie, Einfühlungsvermögen
und Vertrauen. In zweifacher Hinsicht:
Gegen den (Polizei-)Apparat kann kein
Senator regieren. Mit anderen Worten:
Grote wird sehr schnell lernen müssen,
wie vor allem Polizeibeamte ticken,
und er wird ihre Sprache sprechen
müssen. Die Polizei erwartet von der
politischen Leitung vor allem loyale
Unterstützung und ansonsten möglichst wenig Einmischung.
Zweitens muss ein Innensenator
imstande sein, in der Bevölkerung
Vertrauen dafür zu wecken, dass die
innere Sicherheit bei ihm in guten
Händen ist. Verbrechen, kleine und
große, wird es immer geben. Kriminalitätsstatistiken lassen sich häufig genug
so oder so interpretieren. Gefährlich
wird es, wenn der öffentliche Eindruck
entsteht, die Polizei habe die Lage
nicht im Griff oder sei gar hilflos. Des-
wegen sind die massenhaften sexuellen
Übergriffe auf Frauen in der Silvesternacht so bedrohlich für die innere
Sicherheit. Es gehört zur Rollenbeschreibung des Innensenators, dass er
Gesetz und Ordnung mit starken Worten vertritt, gerade auch nach Ereignissen wie denen des Jahreswechsels.
Grotes Vorgänger Michael Neumann
(SPD) verstand sich auf diese Politik
der klaren Kante und ihre Symbole.
P ET E R U L R I C H M E Y E R
Der Autor leitet das Ressort
Landespolitik des Abendblatts
Der neue Innensenator hat sich
bislang eher als Moderator – etwa beim
Streit um den Abriss der Esso-Häuser
auf St. Pauli – einen Namen gemacht.
So verdienstvoll das ist – jetzt gelten
andere Spielregeln, und Grote wird
sich schnell mit denen vertraut machen müssen.
Ein Aspekt kommt hinzu: Es ist
nicht übertrieben zu sagen, dass die
Sozialdemokraten mit Blick auf die
Lage der inneren Sicherheit nervös
sind, allen voran Bürgermeister Olaf
Scholz. Die SPD hat die Bürgerschaftswahl 2001 mit dem Innensenator
Scholz verloren, weil zu viele Wähler
ihr nicht mehr zutrauten, für eine
sichere Stadt zu sorgen. Und dieses
Trauma wirkt fort.
Die Übergriffe der Silvesternacht,
die Verunsicherung der Bevölkerung
aufgrund der großen Zahl von Flüchtlingen insgesamt und der daraus entstehenden Probleme, die Auseinandersetzungen zwischen rivalisierenden
Rockerbanden auf dem Kiez oder der
Anstieg der Einbruchszahlen sind
Stichworte für die Herausforderungen,
vor denen Andy Grote steht. Es ist die
große Leistung von Michael Neumann,
dass er es geschafft hat, die innere
Sicherheit über die fünf Jahre seiner
Amtszeit weitgehend aus den Schlagzeilen gehalten zu haben. Mit der inneren Sicherheit kann man Wahlen zwar
verlieren, aber nicht gewinnen.
Grote bringt reichlich Verwaltungserfahrung mit. Hilfreich ist, dass
er die Probleme, die aus der Unterbringung von Flüchtlingen vor Ort entstehen können, genau kennt. Wenn er als
Senator mit Fähigkeit zum Ausgleich
Konflikte entschärfen kann, ist das
auch ein Beitrag zur inneren Sicherheit. Entscheidend wird aber sein, dass
Grote in Worten und Taten insgesamt
einen klaren Kurs für mehr Sicherheit
fährt. Erste Äußerungen lassen die
Entschlossenheit erkennen. Viel Zeit
zum Beweis wird ihm nicht bleiben.
Seite 12 „So wahr mir Gott helfe“
GASTBEITRAG
19. Januar: „ Merkels letzte Option in der
Krise. Grenzen sichern!, fordern immer
mehr Unionspolitiker. Ein ,Plan B‘ ist
nur noch eine Frage von Wochen“
Es ist im Zusammenhang mit dem
Flüchtlingszustrom immer wieder diskutiert worden, ob wir diese Aufgabe
schaffen können. Für mich stellt sich
aber dagegen die Frage, inwieweit wir
diese Herausforderung überhaupt
schaffen wollen? Die Entwicklung beweist, dass meine Worte berechtigt
sind. Mehr Ehrlichkeit ist dringend angebracht.
Hans­Wilhelm Stehnken, Buchholz
Konstruktiv diskutieren
16./17. Januar: „ Merkel verliert in Umfragen deutlich an Zustimmung. Mehrheit der Bundesbürger zweifelt daran,
dass Deutschland die Flüchtlingskrise
verkraften kann“
Mit welch großem Vertrauensbeweis
wurden Angela Merkel und die Große
Koalition bei der letzten Bundestagswahl gewählt. Jetzt, angesichts der
größten Herausforderung für Deutschland und die zunehmend national agierenden Europäer insgesamt, zeigt sich,
dass unsere gewählten Vertreter
Schönwetterspezialisten und hervorragende Lobbyisten sind. Eine Veränderung der Gesellschaft durch die Völkerwanderung lässt sich weder mit Geld
noch mit dem Ausblenden von kritischen Meinungen bewältigen. Die Situation erfordert eine sehr konstruktive
Diskussion aller Meinungen, wohl auch
harte Entscheidungen und vor allem
keine Politik, die einem irgendwie
christlich motivierten Weltbild einer
einzelnen Person, nämlich der Bundeskanzlerin und Pastorentochter Angela
Merkel, folgt. Hoffentlich endet die bisher so erfolgreiche Politik unserer Bundeskanzlerin nicht in chaotischen Verhältnissen.
Ordnungsmacht am Ende
Die Energiewende ist nicht teuer
19. Januar: „ Nach den Silvester-Übergriffen: Hamburgs Polizei ermittelt acht
Verdächtige“
Aber das Gegenteil wird behauptet – auch vom Wirtschaftsministerium. Notwendige Investitionen darf man nicht als Kosten verteufeln
:: Die Energiewende sei teuer, viel zu
teuer: Sie koste die deutsche Volkswirtschaft 24 Milliarden Euro im Jahr, der
Strompreis explodiere nur wegen der
Energiewende – das ist die häufig gehörte, einhellige Meinung.
Was die Gespensterdebatte um angebliche Kosten und Strompreise dabei
vornehmlich verschweigt: Bei den genannten 24 Milliarden Euro handelt es
sich nicht um Kosten im klassischen
Sinne, sondern vielmehr um Investitionen, welche in der deutschen Volkswirtschaft Wertschöpfung und Arbeitsplätze hervorbringen.
Leider schließt sich das Bundeswirtschaftsministerium auch dieses
Mal der hysterisch geführten Debatte
an und will die Förderung der erneuerbaren Energien über die sogenannte
Einspeisevergütung (EEG) so schnell
wie möglich abschaffen; sie soll durch
Ausschreibungen ersetzt werden. Derartige Ausschreibungen sollen den
Preis für erneuerbare Energien und somit auch die Kosten senken, meinen
die Experten im Wirtschaftsministerium.
In anderen Ländern hat sich diese
Erwartung allerdings bisher nicht be-
Volker Gremler, Buchholz
Bernd Grote, Seevetal
Volker Drave, per E­Mail
C LAU DI A KE M FERT
Ordnungsmacht und Rechtsstaat am
Ende. Denn damit ist der Schutz auch
von Frauenrechten in unserem Land
nicht mehr gewährleistet. Diese abscheulichen Übergriffe wohl arabischer
und nordafrikanischer Männer sind die
Folge einer katastrophalen Asyl- und
Migrationspolitik der Bundesregierung. Wenn so ein Männermob aus uns
fremden Kulturkreisen hier wüten
kann, wird eine gut gemeinte Willkommenskultur ausgehebelt. Das übliche
Wortgeklingel der Politik mit den Begriffen wie Aufschrei, Empörung, Bestürzung, Abscheulichkeit ist ein Zeichen von Hilflosigkeit. Es wäre jetzt die
Stunde der Frauenrechtlerinnen, eine
klare Position zu beziehen, und nicht in
Kauf zu nehmen, dass Migranten eine
frauenfeindliche und fundamental religiös motivierte Gesellschaftskultur
nach Deutschland bringen und damit
hiesige Werte und Frauenrechte gefährden. Schlichter gesagt hält hier
eine mittelalterliche, frauenverachtende Kultur ihren Einzug, die den Rechtsstaat herausfordert.
wahrheitet, im Gegenteil. Der Strompreis ist ohnehin kein Kosten-Indikator, er wird durch viele Faktoren beeinflusst. Die Strombörsen-Preise, die
immerhin ein Fünftel des Preises für
den Endkunden ausmachen, sind derzeit sehr niedrig, diese werden jedoch
nur selten an die Stromkunden weitergegeben.
Der Strompreis steigt vor allem,
weil der Kohle-Lobby milliardenschwere Subventions-Geschenke vom
Staat gemacht worden sind. Die wahren
Energiekosten-Tsunamis
entstehen
ohnehin woanders: durch Altlasten der
Atomenergie, durch die Folgen der Umweltverschmutzung und durch den Klimawandel.
Auch das frühere Atom- und Kohle-basierte Energiesystem wurde über
Jahrzehnte mit sehr hohen Beträgen
subventioniert, die sich schnell im dreistelligen Milliardenbereich summieren. Und die Schlussrechnung ist noch
offen. Die hohen Kosten für Rückbau
und Endlagerung stehen erst noch an.
Hätte man in der Vergangenheit
diese Kosten den Strompreisen einfach
übergestülpt, wie man es derzeit bei
den Investitionen in den Umbau des
Energiesystems tut, dann wäre der
Strompreis wirklich explodiert. Durch
Prof. Claudia
Kemfert leitet
die Abteilung
Energie am
Deutschen Institut für Wirtschaftsfor­
schung in Berlin
Heidi Michel­Debor
die Energiewende werden weniger fossile Energien importiert, dies hat die
Energiekosten im letzten Jahr um circa
15 Milliarden Euro gesenkt.
Wenn man in unserem Land auf
konsequentes Energiesparen setzen
würde, würden sich die „Kosten“ der
Energiewende schlagartig um weitere
Milliarden vermindern. Es gibt nämlich
zwei Komponenten der Energiekosten:
den Preis und den Verbrauch. Je niedriger Preis und/oder Verbrauch sind,
desto geringer auch die Energiekosten.
Der niedrige Ölpreis verschafft der
Wirtschaft momentan eine Atempause
und führt schon zu einer Senkung der
Energiekosten von über zwölf Milliarden Euro jährlich.
Der Kampf ums Öl, um Macht und
um Marktanteile führt derzeit zu
einem Ausverkauf von Öl. Jedes Öl exportierende Land fördert Öl bis zum
Anschlag, was ein deutliches Überangebot und sinkende Preise zur Folge hat.
Niedrige Ölpreise verleiten jedoch
zu Verschwendung; notwendige Energieeffizienz-Investitionen im Gebäudebereich wie energetische Gebäudesanierung oder im Bereich nachhaltige
Mobilität werden dadurch unattraktiv..
Der niedrige Ölpreis ist für die Energiewende hinderlich. Der Umstieg auf
nachhaltige Mobilität, erneuerbare
Energien und mehr Energiesparen
droht verschoben zu werden. Das verteuert den Prozess maßgeblich.
Fossile Energien sind aufgrund
ihrer Begrenztheit und Klimaschädlichkeit mittel- bis langfristig aber keine Option mehr. Der Umstieg braucht
Zeit – daher sind jetzt Investitionen erforderlich und von so großer Bedeutung. Die heutigen Investitionen sind
Investitionen in die Zukunft. Je länger
wir sie verschieben, desto teurer wird
es am Ende.
Nicht die Energiewende an sich ist
teuer, sondern eine hysterische Kosten-Strompreis-Debatte macht sie teuer: Abrupte Änderungen gefährden den
Erfolg, sind ineffizient und teuer. Eine
kluge Energiewende schafft hingegen
eine langfristig und dauerhaft nachhaltige Energieversorgung.
Wenn Frauen auf stark belebten deutschen Plätzen in Gegenwart der Polizei
nicht mehr vor sexueller Gewalt durch
Gruppen kriminell enthemmter Männer geschützt werden können, sind
Hitzespeicher Basaltstein
19. Januar: „ Hamburgs neue Elb-Promenade. Abriss der alten Flutschutzanlage
und des Restaurants an der Überseebrücke hat begonnen“
Auf den ersten Blick sieht die neue ElbPromenade ja ganz gut aus. Aber auf
den zweiten Blick fällt auf, dass der
Restaurantneubau auf die vom Baumwall her kommenden Spaziergänger
unangenehm wie eine Pfeilspitze wirken wird. Außerdem befürchte ich, dass
die dunklen Basaltsteine, die sehr edel
wirken, bei Sonnenschein die Hitze
speichern. Dann wird es spätestens bei
Temperaturen über 25 Grad dort zusätzlich zu der Sonneneinstrahlung von
oben wie ein Backofen von unten wirken.
Annegret Krol, per E­Mail
Mit Kaugummi verziert
Dunkler Basaltstein als Gehwegbelag.
Ich freue mich heute schon auf die Verzierung durch die Kaugummifreaks mit
Tausenden von hellen Flecken. Zaha
Hadid sei gedankt, auch für die Kosten
ihrer Beseitigung. Der Jungfernstieg
lässt grüßen.
Hans­Joachim Kiefer, Hamburg
Die Praxis sieht anders aus
16./17. Januar: „ Die Hirnzellen begeistern. Mediziner Michael Nehls schlägt in
seinem Buch ,Alzheimer ist heilbar‘ eine
ganzheitliche Therapie vor“
Leider stimmt das so nicht. Mein Mann
hat immer Sport getrieben, die letzten
20 Jahre fast jeden Tag vier Stunden
Golf, danach eine gesellige Runde im
Clubheim oder beim Kartenspiel im
Tennisclub. Er war immer unter Menschen. Wir haben uns vernünftig ernährt mit drei Mahlzeiten täglich und
Fisch, ohne Kuchen und Süßigkeiten,
und auch genügend geschlafen. Nach
der Theorie von Dr. Nehls hätte mein
Mann nie Alzheimer bekommen dürfen. Hat er aber. Er hat gekämpft und
alles versucht, aber jetzt sitzt er
sprach- und bewegungslos im Rollstuhl. Theorie ist Theorie, aber die Praxis sieht anders aus.
Ingrid Wolbers, per E­Mail
Die Zuschriften geben die Meinung der Einsender wieder. Kürzungen vorbehalten. Briefe auch auf www.abendblatt.de Schreiben Sie an [email protected] oder per Post an das Hamburger Abendblatt, 20445 Hamburg
PRESSESCHAU
Zu Merkel/Österreich/Flüchtlingen
Just am Tag, als Merkel den Gang nach
Kreuth wie nach Canossa antritt, da
sich der Bundespräsident von ihrer
Politik der offenen Tür distanziert, tun
ihr die österreichischen Großkoalitionäre den Gefallen, die Grenze zum Balkan dichtzumachen und den Flüchtlingsstrom zu kappen. Nun könnte Österreich Merkel Luft verschaffen.
DIE WELT
Das Publikum hält den Atem an. Die
Kanzlerin balanciert noch auf dem
Hochseil, obwohl alle anderen daran
rütteln. Erst Pegida und AfD, dann die
CSU, gefolgt von Teilen der SPD und
nun Österreich. ... Viele Deutsche werden enttäuscht sein, wenn die Kanzlerin historisches Format beweist und
nicht einknickt. Aber sie würden noch
enttäuschter sein, fiele sie um – und
das Problem würde sich nicht in Luft
auflösen. Denn Beschwörungsformeln
verfangen nicht in einer Welt, die durch
eine Völkerwanderung umgepflügt
wird. Merkel muss auf dem Hochseil
das schwierige Kunststück vorführen,
die Zuwanderung zu lenken und die
Ängste der Deutschen zu dämpfen.
LANDESZEITUNG (LÜNEBUR G)
Sie gibt nicht klein bei in Kreuth, weil
das ihren Rang als Weltpolitikerin ruinieren würde. Und: Sie ist Pastorentochter; mit dem Luther-Lied „Eine feste Burg ist unser Gott“ ist sie groß geworden. ... Ein Anti-Angst-Lied der
Ärmsten, die keinen Helfer haben
außer Gott. Sie wird ihren Luther im
Kopf haben und auch seinen Satz: Hier
stehe ich, ich kann nicht anders, Gott
helfe mir, Amen. Und dann wird sie zeigen, dass sie doch auch ein klein wenig
anders kann; so viel, wie unbedingt sein
muss, um ein wenig Zeit zu gewinnen.
SÜDDEUTS CHE ZEITUNG