Magazin für den nicht-heterosexuellen Film

Magazin für den nicht-heterosexuellen Film
Ausgabe siebenundzwanzig · September bis November 2015 · kostenlos
s Komplett misslungenes Leben: Mütter wissen sowas s Status „unbewohnt“: Zwei nackte Männer und ein dritter s Arglos im Ausland: Entjungfert
auf dem Art-Déco-Altar s Möglichkeitsräume: Zwinkern und zwinkern und zwinkern s Elektroschock: Die Enge in der Brust und die Weite des
Lebens s Exklusiver Schuh: Männer, die in die Gegend stieren s Urlaubstherapie: Lustkillende Grubenlampe s Kontinentaldrift: Interesse am
Pissoir s Machtspiel: Gebrauchsanweisung für Klamotten s Koketterie: Inkognito auf der Spitze s Rohsaftverdampfen: Antigones Locken s Leiche im
Keller: Alltägliche Rituale s Quartett: Zeitgemäße Dyke-Fashion s Märchengrenze: Riecht noch ein bisschen nach Künstler_innen s Badezimmerfliesen:
Zentralperspektive auf sich selbst s Fußmarsch mit Sidekicks: The kid was dead s Andere Sehweisen: „Das Publikum ist so versaut im Hirn!“
vorspann
»Ein frischer, wilder und komischer Film.
Eine der schönsten Überraschungen
der diesjährigen Berlinale!«
rbb
»Lebenspralles, verspieltes Kino!«
sissy siebenundzwanzig
perlentaucher
»Ein Film in betörenden Farben …«
der tagesspiegel
So, wie Herr von Bohlen auf unserem Titelbild, mutmaßlich in Gedanken über sein Leben in Luxus und Verschleuderung sinnierend, in
Harmonie mit sich und der Welt die Augen schließt, denkt auch die
SISSY über 27 verschwenderische Ausgaben mit nicht-heterosexuellen Kostbarkeiten nach – und schließt nun ein Kapitel. Das Heft, das
ihr in euren Händen haltet, wird bis auf weiteres die letzte gedruckte SISSY sein, bevor sie
sich selbst eine neue Form gibt.
Als wir im März 2009 anfingen, für das
queere Kino eine eigene publizistische Bühne
zu schaffen, auf der geschwärmt, gefeiert, Interesse erzeugt und manchmal dezent der Kopf
geschüttelt werden konnte, war die Idee eines
neuen, noch dazu kostenlosen, Printmagazins
bereits sehr exotisch. Mit dem großen Erfolg
und der großen Nachfrage, die sich bis heute auf
über 5.000 Abonnent_innen gesteigert hat, hatten wir dabei nicht gerechnet. Dass sich ein Heft
mit derart exotischem Inhalt nicht für alles und
jeden als idealer Ort für Anzeigen eignet, war
klar – die Finanzierbarkeit somit immer prekär.
Wir finden aber auch, dass man nach 6 ¾
Jahren mal etwas anderes machen kann. Was
Toby Ashraf (Mitte) bei der Verleihung des Siegfried-Kracauer-Preises
(mit Sven von Reden und Andreas Busche)
genau, wissen wir noch nicht. Vielleicht geht
die SISSY komplett ins Netz und verbindet sich
dort (www.sissymag.de) glamourös mit der audiovisuellen Sphäre,
vielleicht sogar auf viel direkterem Weg mit dem, was ihr eigentliches
Thema ist – Filme. Und/oder sie geht den umgekehrten Weg und wird
als verschwenderische Printpublikation dauerhaft in Regalen stehen.
STEPHAN VAVRA / MFG
Da man ein Komma setzen kann, wenn es am schönsten ist, freuen
wir uns sehr, dass ein in der SISSY publizierter Text, noch dazu von
einem Autoren, der seit der allerersten Ausgabe (damals noch als
Tobias Rauscher) dabei ist, den Siegfried-Kracauer-Preis für die beste
deutsche Filmkritik des Jahres 2014 erhalten hat: Toby Ashraf für
„Tophilia“, seinem Zwiegespräch über „Geron“ von Bruce LaBruce
(SISSY 23). Auch wenn die Jury diesen Text von der „Autorität eines
Feuilleton-Stücks“ abgrenzen zu müssen glaubte und schmunzelnd
bemerkte, hier seien Positionen „nicht mit dem Florett“ (wie im Feuilleton, klar), sondern „mit dem Hackebeil“ verteidigt worden, ist doch
eine mit dem Hackebeil bewaffnete SISSY ein schönes vorläufiges
Schlussbild.
Buch und Regie PETER GREENAWAY mit ELMER BÄCK, LUIS ALBERTI, MAYA ZAPATA, LISA OWEN, STELIO SAVANTE Produktion SUBMARINE, FU WORKS, PALOMA NEGRA FILMS Koproduktion EDITH FILM, POTEMKINO, MOLLYWOOD
Produzenten BRUNO FELIX , FEMKE WOLTING, SAN FU MALTHA, CRISTINA VELASCO L. Koproduzenten LIISA PENTTILÄ-ASIKAINEN, PETER DE MAEGD, GUY & WILFRIED VAN BAELEN Kamera REINIER VAN BRUMMELEN NSC
Schnitt ELMER LEUPEN NCE Postproduktion GALAXY STUDIOS Kostüme BRENDA GÓMEZ Ausstattung ANA SOLARES Make-Up MARIPAZ ROBLES VFX FLOW Ton RAUL LOCATELLI Herstellungsleitung KARIN S. DE BOER
Unterstützt durch NETHERLANDS FILM FUND, THE NETHERLANDS FILM PRODUCTION INCENTIVE OF THE NETHERLANDS FILM FUND, ESTÍMULO FISCAL ART. 226 DE LA LISR (EFICINE), THE FINNISH FILM FUND, ENTERPRISE FLANDERS,
SCREEN FLANDERS AND FLANDERS AUDIOVISUAL FUND, TAX SHELTER OF THE FEDERAL GOVERNMENT OF BELGIUM AND TAX SHELTER INVESTORS, MEDIA PROGRAMME OF THE EUROPEAN UNION
In Zusammenarbeit mit with ZDF/ARTE, VPRO, YLE Weltvertrieb FILMS BOUTIQUE im Verleih der EDITION SALZGEBER · WWW.SALZGEBER.DE
TITELBILD: EDITIOON SALZGEBER
Ab 12. November im Kino
Vielen Dank an Toby und die vielen anderen Autor_innen und erst
recht an die vielen tollen Leser_innen der SISSY für fast sieben verschwenderische Jahre!
Kommentare und Fragen gerne an [email protected]
Titelbild: Arnd Klawitter als „Herr von Bohlen privat“ (p Seite 24)
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mein dvd -regal
B. RUBY RICH
B. Ruby Rich
Filmpublizistin
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Einsam ist es in
der Uckermark
VON JO CH EN W E R N E R
s Jonas ist ein Frauenheld und ein Stehpinkler, das ist das Erste, was
wir, noch während der Vorspann von Nils Bökamps erstem Kinofilm
„You and I“ läuft, über ihn erfahren. Der Anrufbeantworter quillt über
vor Nachrichten einer verflossenen Eroberung, die sich nach einer
vielleicht leidenschaftlichen, jedenfalls aber kurzen Bekanntschaft
mit Jonas „bekloppt, bescheuert und blauäugig“ fühlt – auch im weiteren Verlauf des Abends klingelt das Telefon in regelmäßigen Abständen. Jonas ist nämlich auch einer, der in solchen Fällen auf keinen Fall
ans Telefon geht.
Phillip ist Jonas’ bester Freund – der Berliner Hetero-Aufreißer
und der etwas verträumte, oft kindlich-verspielte schwule Engländer haben sich zu einer gemeinsamen Reise verabredet, die für Jonas
auch eine Fotoreise sein wird. Mit der verzweifelten Dame vom Vorabend sei es nämlich zwar vorbei, aber immerhin habe sie ihm einen
guten Kontakt zu einer kleinen Galerie verschafft, die seine Bilder
ausstellen wolle. Vom Tegeler Flughafen aus geht es nun mit einem
kleinen Wohnmobil ostwärts, zielstrebig gen Niemandsland. „Einsam ist es in der Uckermark“, liest Phillip in brüchigem Deutsch vor:
„Der Landkreis hat mit 150.000 Einwohnern halb so viele Bürger
wie der Berliner Stadtteil Neukölln. Gemessen an der UNO -Statistik hat das Gebiet damit den Status ,unbewohnt‘.“ Jonas bestätigt:
„Hier wohnt auch keiner.“ Wenn man so will, führt die Reise die
beiden scheinbar ungleichen Freunde an einen Nirgendort: „Wenn
man auf Wege trifft, fragt man sich, ob sie jemals befahren werden.“
Und wohin sie führen mögen. Nach innen, durch verborgene, aber
insgeheim vertraute Seelenlandschaften? In autonome Zonen, die
ihnen eine vollkommene Befreiung von all dem verheißen, was beiden von ihren bisherigen Leben auf den Leib geschrieben wurde? In
Märchenländereien, die von Aufbruch und Neuerfindung träumen
lassen?
Diese seltsam frei fließenden Momente, die vor allem die erste
Hälfte von „You and I“ prägen, erinnern an ganz andere Filme. Ein
wenig an die frühen Arbeiten von Alain Guiraudie, an „Du soleil pour
les gueux“ oder „Voici venu les temps“, in denen idiosynkratisch-phantasievoll herbeifabulierte Mythologien wie von selbst aus dem Erdreich der ganz konkret ins Bild gerückten und doch immer im selben
Maße entrückten Traumlandschaften Südfrankreichs heraufzusteigen scheinen. Oder auch, um einen Vergleich aus dem jüngeren deutschen queeren Kino zu bemühen, an die seltsame Verschobenheit von
„Sleepless Knights“, diesem eigenartigen, kaum greifbaren Hybridfilm von Stefan Butzmühlen und Cristina Diz. Auch wenn die Auflösung dieses flanierenden, den Blick schweifen lassenden Gestus in der
Erdung durch den Plot und die Charakterstudie hier stets näher liegt,
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EDITION SALZGEBER
Der Jungstraum vom freien Umherziehen durch
unbewohntes Gelände wird für zwei Freunde und ihr
geliehenes Wohnmobil zur Realität. Ungeklärtes zwischen
ihnen kommt einfach nicht zur Sprache. Bis ein Dritter
dazu stößt und Bewegung ins unreflektierte Spiel bringt.
In Nils Bökamps erstem Spielfilm geht’s durch den
wilden Osten, und drei sind dabei einer zu viel.
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kino
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YOU AND I
von Nils Bökamp
DE 2014, 82 Minuten, deutsch/
polnisch/englische OF,
teilweise deutsch untertitelt,
Edition Salzgeber,
3 www.salzgeber.de
IM KINO in der Gay-Filmnacht
im September,
3 www.Gay-Filmnacht.de
You’re
the top
Kinostart: 17. September 2015
hinter jeder Ecke gewissermaßen zu lauern scheint. Das ist ein Ballast,
den Nils Bökamps Spielfilmdebüt mit sich trägt, und dieser Ballast holt
ihn in der Tat zu häufig auf den Boden nicht immer ganz so interessanter Tatsachen und Vorgänge zurück. Aber es gelingt diesem Ballast
niemals so ganz, seine Flügel zu stutzen.
Der Plot tritt vorläufig in den Vordergrund, als Jonas und Phillip
unterwegs den polnischen Tramper Boris mitnehmen und ihn als
eine Art Fremdenführer durch unvertrautes Land engagieren. Nach
dem rituell zelebrierten Urinieren auf Relikte des Naziregimes wird
die fortwährende Bewegung des Films, der bis dahin wohl zuallererst ein Road Movie war, für ein paar Minuten stillgestellt: Boris
bringt die beiden Reisenden in ein verlassenes Ferienhaus, wo der
Film in einer paradoxen Dynamik aus Be- und Entschleunigung
narrativ erst quasi ins Rollen kommt. Die Konstellation, die die
Erzählung von „You and I“ im weiteren Verlauf vorantreiben wird,
zeichnet sich in dieser kurzen Sequenz bereits klar und vollständig
ab: Phillip beginnt, zunächst vorsichtig und dann in geradezu ungestümer, fast handgreiflich Weise, Boris anzubaggern, worauf dieser
zunächst mit körperlicher Aggression reagiert. Und gleichwohl: Die
Sequenz endet mit zwei nackten Männern und einem dritten, der
sie fotografiert. Eine Art Balztanz, ambivalent zwar, aber von umso
stärkerer, noch notdürftig unterdrückter erotischer Spannung zeugend.
Überhaupt: der Fotofetisch dieses Films! Bereits in trauter Zweisamkeit, noch bevor Boris ganz beiläufig zwischen zwei Einstellungen zusteigt und die eingespielten freundschaftlichen Rituale
zwischen Jonas und Phillip in Frage stellt, scheint es dem heterosexuellen Part des Männergespanns stets wichtiger, den nackten
Körper des schwulen Freundes zu fotografieren als die Landschaft,
deren magisch-transformativer Charakter sich somit nicht im Plot
selbst offenbart, sondern konsequent auf jene Fugensequenzen zwischen den Plot Points begrenzt bleibt, in denen nichts Storyrelevantes geschieht. Auf die Momente also, die böswilligere Rezensenten
als Füllszenen kritisieren mögen – aber im Grunde möchte man sich
keine stringenter montierte Fassung von „You and I“ vorstellen. Das
Fehlen dieser Augenblicke, die ganz ohne den Druck, als irgendetwas
funktionieren zu müssen, für sich stehen dürfen, würde den Film
ärmer machen.
Den Ort seines Showdowns erreicht Nils Bökamps Film dann
im letzten Drittel: Offen blitzt die Aggression kurz auf in einem
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jungshaften Wettrennen um die besten Zimmer mit Gartenblick in
dem luxuriösen Herrenhaus seines Professors, in das Jonas seinen
Freund und den inzwischen eher ungebetenen Begleiter mitnimmt.
Anders stellt sich die Situation für Phillip dar, dessen Annäherungsversuche gegenüber Boris auf immer weniger Widerwillen stoßen,
bis ein angetrunkener Abend im Weinkeller sich schließlich in einer
gemeinsamen Nacht fortsetzt. Und doch, so spielerisch auch Phillips Verknalltheit in den jungenhaften Boris anmutet – nicht nur
für Jonas, sondern auch für Boris sind im erst subtilen, dann immer
offeneren Kampf um Phillips Zuneigung auch Dominanz und Macht
mit im immer perfideren Spiel. Mit kaum verhohlenem Triumph
in Stimme und Blick verkündet Boris dem eifersüchtigen Jonas am
nächsten Morgen beim Frühstück, in der vergangenen Nacht mit
Phillip gefickt zu haben. Danach ändert sich alles, muss sich alles
ändern.
Für einen Augenblick kostet der Film die Spannung des noch nicht
Geschehenen noch aus, dann kommt der Moment, auf den im Grunde
seit der ersten Begegnung der beiden Freunde am Filmbeginn alles
zulief: Phillip steht nackt unter der Dusche. Der angezogene Jonas
tritt zu ihm und küsst ihn leidenschaftlich. Dann ein Schnitt. Eine
Szene am Esstisch, Phillip teilt Boris mit, es sei besser, wenn er ginge.
Dieser bricht in Tränen aus, verlässt Raum und Film. Dann ein Zeitsprung, eine weiße Wand.
Dass Jonas eine Fotoausstellung in einer kleinen Galerie vorbereitet, wissen wir bereits seit dem Beginn des Films. Der Eröffnungstag
ist nun gekommen. Phillip und Jonas hängen die Fotos auf, es sind
die, die während ihrer gemeinsamen Reise entstanden sind. Eine
eigene Wand in der Ausstellung gehört Boris, dessen Name in roter
Farbe auf die Ziegel gesprüht wird. Er ist nicht anwesend, er wurde
im Verlauf von „You and I“ vom Funktionsträger zum Menschen zum
Kunstobjekt. Jetzt ist er eine Geschichte, die sich das neu gestiftete
Paar erzählen kann. Was aus ihm und seinem gebrochenen Herzen
wurde, weiß der Film nicht, es tut jetzt nichts mehr zur Sache. Beinahe so beiläufig, wie er zwischen zwei Einstellungen in den Film
eintrat, verschwindet er auch wieder aus ihm. Er ist einer von denen,
die zurückbleiben, wenn Liebesgeschichten erzählt werden. Am Ende
bleiben von ihm ein paar Fotos an einer Wand, in einer kleinen Berliner Galerie, in einer Geschichte, die nicht seine ist. Ohne es zu wollen
oder zu wissen ist Boris zur Kunstfigur geworden, zum Protagonisten
in den Geschichten, die von anderen handeln.
s
Das Beste aus einer geschenkten
Paartherapie zu machen, ist nicht so
einfach – vor allem, wenn man keinen
Partner hat. Also nimmt Kat ihre
beste Freundin mit zum idyllischen
Therapie-Resort, und sie tun so als
ob. Bis sie nicht mehr so tun können
als ob. „BFF“ vermeidet jeden SitcomKlamauk, nimmt seine Heldinnen
ernst und ist deshalb wirklich witzig.
s „Sag es ihm auf Hühnchen!“ haucht der
Paartherapeut begeistert. J.K. war zu stolz,
sich von Jona anleiten zu lassen, um mit verbundenen Augen ein Ei auf einem VerkehrsKegel zu platzieren. Als sich Jona dramatisch
zum Abmarsch wendet, weil J.K. ihm nicht
vertraut, wird dieser weich und macht ihm
das Hühnchen. „Bakaak, bakaak“ gackern sie
hin und her und alle sind wieder glücklich.
Doch das „Closer-to-Closeness“-Wellness-Retreat für Paarurlaub mit kollektiver
Beziehungsarbeit wurde von einem gefälschten Pärchen infiltriert. Kat (Tara Karsian)
und Samantha (Andrea Grano), seit 10 Jahren beste Freundinnen, fahren hin, um Kats
Mutter das nervige Geschenk an ihre SingleTochter heimzuzahlen: „Wir dachten alle,
Du seist inzwischen verlobt.“ Betrunken
herumlallend werfen Kat und Samantha eine
Münze, immerhin gibt es da einen Pool.
Die Performance als lesbisches Pärchen
geht auf, denn die beiden kennen die Beziehungsmarotten der anderen in und auswendig. Kat vermeidet Intimität, Samantha kann
nicht ohne, nur, um am Schluss immer wegzulaufen. Mit lesbischem Halbwissen feilen
sie an der Glaubwürdigkeit: „Wenn jemand
fragt: Du bist der Top!“, verkündet Samantha
der perplexen Kat, die zu Beginn des Films
mit Javier Bardem verwechselt wird, Kleid
hin oder her: „Das denken die Leute doch eh,
wenn sie uns angucken!“
Andrew Putschoegls „ BFF “ (englisches
Kürzel für „Best Friends Forever“) folgt den
Erzählmustern der Kategorie seichte Komödie und dichtet das Harry-und-Sally-Muster
„Männer und Frauen können nicht befreundet sein“ homoerotisch um. Zwischen all den
neurotischen, dysfunktionalen Paaren, die
zu viel heulen oder beim Sex Dinosaurier-
EDITION SALZGEBER
EDITION SALZGEBER
VON NOEM I YOKO MOL IT OR
Geräusche machen, sind Kat und Samantha
mit Abstand das sympathischste. Wenn das
kein Zeichen ist.
Das Drehbuch zum Film stammt von
Karsian und Grano selbst, die auch im echten Leben befreundet sind und nach einem
Streit darüber witzelten, dass sie Paartherapie brauchen. Ihr Talent für Situa­tionskomik
kommt auch auf der Leinwand zum Tragen.
Insbesondere Karsian trägt den Film mit
ihrer komödiantischen Mimik. Mit subtil gezückter Augenbraue drückt sie eine
Mischung aus Unbehagen und Amüsiertheit
über die kollektiven Geständnisrituale aus.
Ihre tiefe Butch-Stimme macht das heterosexuelle Kokettieren mit Lesbischsein umso
lustiger.
Karsian und Grano spielen sich die Bälle
nur so zu: Kat und Samantha haben die Art
von Freundschaft, bei der kleine Gemeinheiten Zeichen von Anerkennung sind. Weil
Samantha Kat eine Sozialphobie angedichtet
hat, um einen schnellen Krisen-Termin im
Retreat zu bekommen, stellt Kat sie in der
Vorstellungsrunde als sexsüchtig vor. Die
kontert später, indem sie Kat wegen Durchfalls vom Abendessen entschuldigt.
Im Doppelbett lernen sie schließlich
doch noch neue Seiten aneinander kennen.
Da wäre zum Beispiel Samanthas lustkillende Grubenlampe, die sie im Bett zum
Lesen aufsetzt. „Die trage ich ja nicht beim
Sex!“, verteidigt sie sich. Wer lange genug
lügt, glaubt selbst daran, und so häufen sich
die Anspielungen auf erotische Inkompabilität bis zur krisenhaften Frage, ob es nach
etlichen Paarübungen nicht doch einen
Moment von Anziehung gegeben hat. Keine
will es zu erst gesagt haben, und der Versuch
sich zu küssen wird vom Klempner unter-
brochen, der mit der Saugglocke den Abfluss
retten will.
Der Trend des therapeutischen „Couples
Retreat“ wurde bereits 2009 in der gleichnamigen Komödie von Peter Billingsley parodiert (deutscher Titel: „All Inclusive“). Allerdings wirft der Film im All-hetero-Setting
im tropischen „Eden“-Resort mit berechenbaren „Mantra-Yoga-Tantra“-Witzen um
sich, nur um am Ende jedes der verwöhnten
Paare in die Gewissheit zu retten.
Die Paarübungen in „ BFF “ sind da schon
lustiger. Anders als die heterosexuellen Pendants des Genres endet der Film schließlich
auch nicht in einer Hochzeit, sondern in einer
Serie leidenschaftlicher Streits zwischen Kat
und Samantha, in denen sie tatsächlich wie
ein altes Ehepaar erscheinen. Kat verkündet
zum Beispiel erbost, sie gehe jetzt Spazieren,
was Samantha ihr als Rückzug in ihre „lesbian man cave“ vorwirft.
Vor versammelten Gästen fliegt die Farce
schließlich auf, und so müssen sich die beiden reumütig die Vorwürfe von Jona und
J.K. anhören, dass sie die Gruppendynamik
ruiniert haben, während sie sich panisch die
Liebesfrage stellen. Ob Freundinnen die besseren Pärchen sind, ist am Ende eine Frage
des Münze-Werfens.
s
BFF – BESTE FREUNDINNEN FÜR IMMER
von Andrew Putschoegl
US 2015, 90 Minuten, spanische OF
mit deutschen UT,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO in der L-Filmnacht im September,
3 www.L-Filmnacht.de
SISSY 27 9
kino
kino
DU WILLST ES NICHT WISSEN
VON GU N T H E R GE LT I NGE R
EDITION SALZGEBER
Die erste Liebe ist etwas Tolles. Aber wie man sie erlebt, ist auch statusabhängig: Ob man seine bürgerliche
Familie enttäuschen wird oder seinen illegalen Aufenthalt im Land dadurch noch komplizierter macht,
ist eben doch etwas anderes. In Mikel Ruedas zarter Romanze kämpfen zwei Jungs um ihr kleines –
und auch ein bisschen verschiedenes – Glück in einem schwulen- und fremdenfeindlichen Europa.
s Am Anfang steht die Straße. In einer nächtlichen Nahaufnahme
zieht das Stakkato der Fahrbahnbegrenzungsstreifen vorüber.
Gefährlich nah über dem Asphalt dringt der Blick des Betrachters aus
einem Versteck. „A escondidas“, so der Originaltitel des Films, heißt
„heimlich, unbemerkt“. Ibrahim ist illegal von Marokko nach Spanien
gekommen, vielleicht mit Hilfe von Schleusern, für die ein Mensch
nur das ist, was er für ein Leben in Europa zu zahlen bereit ist. „Du
willst es nicht wissen“, wird Ibrahim, Ibra genannt, später seinem
Freund und Geliebten Rafa erwidern, als der ihn nach der Geschichte
seiner Flucht fragt. Doch wir kennen die Antwort. Subsummiert
unter anonymen Zahlen – Dutzende Flüchtlinge in einem gekenterten Boot, Hunderte stürmen den Grenzzaun von Melilla – haben
die Medienbilder die Schicksale der Flüchtlinge in uns abgelegt, als
Fakten und Kurzmeldungen unschädlich gemacht. Erführen wir die
Details jeder einzelnen Flucht, wir würden nach den „Tagesthemen“
die Nacht schlaflos verbringen. Wir wollen es nicht wissen, und Ibra
verschont uns und Rafa mit der Wahrheit. Den größten Teil des Films
verbringt er in Verstecken, und von einem dieser heimlichen Aufenthaltsorte kommend, steht er am Anfang des Films auf der Straße und
trampt nach Bilbao. Am Fahrbahnrand häuft sich Müll, weggeworfene Flaschen, Essensverpackungen, die Überreste des Wohlstands
wie verwitternde Mahnmale in Großaufnahme.
Vom Regen überrascht flieht Ibra in eine Tankstelle, versucht, ein
paar Kekse zu klauen, und wird prompt erwischt. Schon in der ersten
Szene entzündet sich allzu deutlich der ethnische Konflikt, verfestigen sich die Vorurteile der Spanier gegenüber den Immigranten. „Wir
klauen alle, wir Araber, was?“, bellt Ibras Freund Youssef, der plötzlich auftaucht, die Tankwärterin an und knallt das Münzgeld für die
Kekse hin. Er bringt Ibra in das nächste Versteck. In der Wohnung
hausen Araber, die Youssef zu Drogendealern ausbildet. Die Kriminalität, nicht die Ingenieurslaufbahn, die Ibra anstrebt, ist seine
Zukunft. Youssef selbst will dieses „Scheißland“ so bald wie möglich
verlassen, zusammen mit seinem kleinen behinderten Bruder, den er
aufopferungsvoll pflegt. Nachts entdeckt Ibra den gelähmten Jungen
im Schlafzimmer. Ein anrührendes und verstörendes Bild, das uns die
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Härte eines individuellen Lebens vor Augen führt, in einem Film, der
dem Zuschauer die Gewalt und den Schmerz der Flüchtlingsschicksale weitestgehend erspart. Ibra selbst flieht vor dem Anblick, flüchtet vor seiner Vergangenheit und der drohenden Zukunft als Krimineller zurück in das Wohnheim für arabische Jugendliche.
In der Disko, wo die Bewohner des Heims Mädchen aufreißen
wollen, feiert auch Rafas Clique, sechzehnjährige Jungs aus bürgerlichen Familien mit stylischen Frisuren, angeführt vom großmäuligen
Javi, der im Testosteronrausch nur von Mösen spricht. Rafa wird von
seiner Clique gedrängt, mit der hübschen Marta anzubandeln, die es
auf ihn abgesehen hat. Doch am Pissoir interessieren sich seine Blicke
eher für Ibra, der plötzlich neben ihm steht. In ihren sich gegenseitig
abtastenden Augen steht die Fassungslosigkeit über das eigene Begehren, und dahinter lesen wir jetzt schon die Unmöglichkeit ihrer sich
soeben entzündenden Liebe, sehen die Sackgasse, in der sie enden
wird, oder vielmehr: die Straße, die ins Nichts führt.
Die Annäherung der beiden Jungs wird und muss stets aneinander vorbeizielen, weil der eine Europäer und der andere Araber ist,
zwei Königskinder, die nicht zueinander finden können, getrennt von
einem großen Wasser. Nur einmal sehen wir es, das Schicksalsmeer,
das hier der Atlantik vor der Küste Bilbaos ist; verschwiegen blickt
Ibra auf den Horizont. Am Strand schenkt Ibra Rafa sein in der Holzwerkstatt gefertigtes Amulett, zwei ineinandergesteckte Teile, die, so
Ibra, man nicht trennen dürfe, und würden sie doch auseinandergerissen, müsse man alles dafür tun, um sie wieder zu vereinen.
Immer wieder wird es in Mikel Ruedas Film um die gerichtete
Bewegung gehen, das richtige und genaue Zielen – Ibra und Rafa werfen Steine nach einer Dose, spielen Wasserball und kegeln, und wenn
sich anfangs ihre Hände beim Raufen noch stürmisch und hilflos auf
dem Körper des anderen verlieren, richten sich die Berührungen mit
der Zeit immer bedachter hin auf den ersten Kuss, die Vereinigung,
die das Ziel ist.
Doch gleichzeitig rücken Rafas und Ibras Kontinente weiter
auseinander. In der Disko verprügeln Rafas Freunde Sayid, einen
Jugendlichen aus dem Heim; ein rassistischer Übergriff, für den sich
Rafa später bei Ibra entschuldigt. Er büßt dafür mit dem Verstoß aus
seiner Clique. Sayid, der Drogendealer, von dem Javi und seine Kumpel ihr Haschisch beziehen, wird von der Polizei gewaltsam aus dem
Heim geholt – und abgeschoben. Ibra greift ein und wird selbst unter
Verdacht gestellt – seine Chancen auf eine Aufenthaltsgenehmigung
verschlechtern sich. „Warum schickt man sie zurück an Orte, wo sie
nichts haben?“, fragt Rafa entgeistert die Wohnheimleiterin und erntet einen ratlosen Blick. Die Angst um den Geliebten lastet schwer auf
Rafa. Nur der beste Freund Guille sieht die Veränderung seines Verhaltens, zeigt Verständnis und gerät in einen Loyalitätskonflikt mit
seiner Clique, die weiterhin mit sexistischen und araberfeindlichen
Sprüchen prahlt. Später, als Ibra die Abschiebung droht und Rafa ihn
zu verstecken versucht, wird Guille dem abtrünnigen Freund und
seinem arabischen Geliebtem widerwillig mit Geld aushelfen. Es ist
das schlechte Gewissen Europas, das hier seinen Tribut abführt, um,
freigekauft von der Schuld, verdrängen zu können. Den Gefühlsausbruch, in dem sich Rafa und Guille zum Abschied umarmen, kann
man melodramatisch überzeichnet finden oder aber als Metapher für
die Paranoia lesen, die tief im Bewusstsein des Europäers wurzelt, der
um den Verlust seines Wohlstands und seiner Sicherheit fürchtet.
Auch Rafa ist nicht frei von dieser Angst. Er weiß für Ibra kein
besseres Versteck als ausgerechnet den Partyraum, in dem seine Clique sich regelmäßig trifft – ist es Dummheit oder sind es die bereits
im Unterbewusstsein unserer unschuldig verliebten Kinder wirkenden Mechanismen eines Systems, die das Eindringen des Fremden in
die geschützte Bastion Europa nicht zulassen? Natürlich werden sie
an diesem unmöglichen Ort von Javi und seinem Gefolge erwischt.
Der Jahrmarkt mit seiner Unbeschwertheit, wohin beide flüchten,
ist nur ein vorübergehendes Glitzern am Horizont, gleich den Verheißungen Europas, die die Afrikaner zu Tausenden übers Meer locken.
Im Gewühl wird Ibra von Youssef entdeckt, der ihn an seine illegale
Identität und an seine Unbehaustheit erinnert. Denn Youssef selbst ist
nun auf der Flucht – zusammen mit dem kleinen Bruder nach Frankreich, als könnte das Leben dort besser sein. Ibra soll ihm folgen, doch
noch entscheidet der sich, bei Rafa zu bleiben. Beide verletzen sich
auf ihren verschlungenen Fluchtwegen, doch erst beim gegenseitigen
Betasten der Wunde kommt es doch noch zu einem scheuen Kuss, der
nur ein Versprechen bleibt, das nicht eingelöst werden darf. Jede tiefere Bindung würde die Wunde weiter aufreißen, den Schmerz des
Abschieds ins Unendliche steigern. „Er hat sein Leben hier, du passt
da nicht rein!“, ruft Youssef Ibra noch zu, bevor er in der Nacht verschwindet, auf der Migrationsachse weiter Richtung Norden.
Mikel Ruedas Coming-of-Age-and-Out-Film verzichtet für die
eher konventionelle Erzählung seiner Liebesgeschichte und mit Hinblick auf das Wohlbefinden des harmoniesüchtigen europäischen
Durchschnittszuschauers vielleicht bewusst auf die Rohheit und den
Realismus eines Flüchtlingsdramas, das seine Geschichte auch hätte
sein können – erstaunlich oder aber bezeichnend für einen Film aus
dem krisenerschütterten Spanien. Dennoch erhält der Film in solchen Momenten eine größere ästhetische und politische Relevanz.
Durch die schönen Bilder des sehnsüchtigen Liebesreigens sickert
das Blut der Wunde, glotzt durch die Risse die Fratze des Elends,
droht der Tod. Das Weichgezeichnete steht stellvertretend für die
Amnesie, in der wir uns eingerichtet haben, um gut und fern vom
Geschehen auf den Booten und in den Auffanglagern leben zu können. Denn Ibra muss wieder auf die Straße. Von seinem Versteck aus
gesehen, verdämmern die Fahrbahnstreifen langsam im Dunkeln,
wo Ibras Geschichte bald nur noch eine ist unter den abertausend
Vergessenen.
s
DER HEIMLICHE FREUND
von Mikel Rueda
ES 2014, 88 Minuten, spanische OF
mit deutschen UT,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO in der Gay-Filmnacht im Oktober,
3 www.Gay-Filmnacht.de
SISSY 27 11
kino
kino
STROM­
SCHLÄGE
VON TA N I A W IT T E
Im Namen des Vaters, des Sohnes und der
heiligen Elektrizität: Einen aufgeladenen
Sommer verbringt die schweigsame Anne
im Schatten eines Kraftwerks in einem
holländischen Kaff, in dem man angestrengt
den Konsens sucht. Doch nicht nur bei Anne
löst sich allmählich die Spannung – auch
sonst kriegt man die ganze Sehnsüchte
und Ausbrüche nicht mehr „gepoldert“.
„Zomer – Nichts wie raus!“ erzählt vom
bittersüßen Erwachsenwerden in der Provinz.
ZOMER – NICHTS WIE RAUS!
von Colette Bothof
NL 2014, 95 Minuten, niederländische OF
mit deutschen UT,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO in der L-Filmnacht im Oktober,
EDITION SALZGEBER
3 www.L-Filmnacht.de
12 SISSY 27
s Die Luft flirrt auf diese schnelle, ungute Art, wie sie das nur unter
Strommasten und in der Pubertät tut. Anne (Sigrid ten Napel) ist
sechzehn und wächst in einem Wald aus Strommasten auf. Ihr Vater
(Steef Cuijpers) nennt das Kraftwerk den „Allmächtigen der Elektrizität“, und wer nicht an den glaubt, der glaubt an die heilige Mutter
Maria. So gehört sich das in dem kleinen, isolierten Dorf inmitten der
Polderlandschaft der niederländischen Provinz Brabant. Das Elektrizitätswerk sorgt für Arbeit, Wärme und Essen, der Glaube dafür,
dass alles einen Sinn zu ergeben scheint. Auch für Anne, die von den
anderen „die Stille“ genannt wird, weil sie meist schweigt, wenn sie
mit dem Rest der Dorfjugend die langen Wege unter den Strommasten entlang radelt, kilometerlange Felder bis zum Fluss, der sich am
Kühlturm entlang schlängelt und deshalb – vielleicht? – verseucht
ist. Die Teenager kümmert es nicht, viel wichtiger ist es, im richtigen
Moment zu grüßen und in den anderen Momenten angepasst zu sein.
Trinken, randalieren, flirten. Ein ganz normaler Sommer am Ende
der Pubertät.
Normal ist auch, dass der Onkel die Tante prügelt, die dafür
bemitleidet und verachtet wird, bis sie einen Schlussstrich zieht.
Normal ist ihre besessene Tochter, die Marienstatuen sammelt und
ihnen täglich neue Blutstränen in die Augen reibt. Normal ist, dass ein
Mädchen, das vom Pferd fällt, dem Bauernknecht gehört und ihren
Vergewaltiger dann – schwanger und im Austausch gegen eine Kiste
Äpfel – heiratet. Normal ist jugendliche Rotzigkeit, sind Spitznamen,
wie sie in weiten Teilen der Niederlande noch gesellschaftlich akzeptiert sind, wie „der Neger“, „der Schieler“ oder „der Scheißmongole“.
Normal ist, dass Männer stinken. Sagt zumindest Annes Vater.
Ihre Mutter (Willemijn van der Ree) sagt wenig, sie jammert mehr.
Seit sie ihr eigenes Dorf gegen das Nachbardorf eingetauscht hat, der
Liebe wegen, ist sie unglücklich. Der Elektrosmog sei daran schuld,
sagt sie, an ihrem Unglück – daran, dass Annes kleiner Bruder (Pepijn
van Putten) behindert ist, und daran, dass in der Erde, im Schatten
des riesigen Kühlturms, nichts gedeihe. Ihr Ehemann schenkt ihr zu
ihrem Geburtstag einen Haufen Heimaterde, abgegraben an ihrem
Geburtsort, einige Kilometer die Straße runter.
Als Annes älterem Bruder „De Peer“, („Die Birne“, Martijn Lakemeijer) alles zu eng wird, beschließt er, auszuziehen. Er kommt bis
in den Fahrradschuppen. Doch wie so oft ist es die eine, kleine Veränderung, die weitere nach sich zieht. Sagt zumindest Anne, die im
Film kaum spricht, aber im Voice-over ihre Version der Geschehnisse
schildert. Die größte Veränderung in Annes Sommer ist Lena (Jade
Olieberg), die aus der großen Stadt mit ihrer Mutter auf das Land
zieht, in das Dorf, in dem man Zugezogene nicht mag, sicher keine
gelähmten Künstlerinnen wie Lenas Mutter und sicher keine Lesben wie Lena selbst. Lena ist cool, stylisch, tough. Sie hat störrische
Locken und tankt ihr Motorrad an der Tankstelle voll, an der „die
Stille“ den Sommer über jobbt.
Aus „der Stillen“ wird Anne und Anne ist verliebt.
Die Szene, in der sie das Haus von Lenas Mutter beobachtet, in
der sich ihr blondes Haar langsam aus dem blonden Getreide schiebt,
über die Sichtgrenze, um besser sehen zu können, könnte metaphorischer nicht sein. Denn einer der Lehrsätze, mit denen Kinder in den
Niederlanden (und nicht nur dort) aufwachsen, ist folgender: „Wer
seinen Kopf aus dem Feld streckt, dem wird er abgeschnitten.“ Symptomatisch für vieles, aber ganz so schlimm kommt es nicht.
Annes Liebe zu Lena löst Probleme aus, aber viele dieser Probleme
scheinen unabhängig von der Gleichgeschlechtlichkeit der beiden
jungen Frauen zu sein. Und bis auf den kurzen Moment der Verunsicherung, in den Anne nach dem ersten Kuss gerät, zeigt auch sie selbst
erstaunlich wenig Verwirrung ob des Geschehens. Weniger Zweifel
als vermutet, weniger innere Zerrissenheit, zum ersten Sex kommt es
beinahe unglaubwürdig schnell und hinterfragt wird wenig.
Ist das wirklich so in den Niederlanden, die noch immer von ihrem
Ruf als progressives, tolerantes Land zehren, den sie sich in den Acht-
zigern des letzten Jahrhunderts aufgebaut haben? Ist das so in einem
Dorf, in dem der Katholizismus noch immer die Zügel in der Hand
hält, in dem Frauen selbst schuld sind, wenn sie schwanger werden
und geschlagen? Kann eine lesbische Liebe zwischen einer blonden
Landschönheit und einer Städterin of Color wirklich so relativ unbelastet ablaufen? Die Kids werfen Eier an die Fenster des Hauses, in
dem Lena wohnt, aber das ist nur Fremdenhass. Fremd gleich Nichtvon-Hier, fremd gleich anders. Hautfarbenunabhängig und unabhängig von der sexuellen Orientierung, wie es scheint. Zum Anderssein
reichen das Nachbardorf und ein anderer Dialekt.
Es geht nicht um ein Coming-Out, sondern um
das existenzielle Anderssein im Mikrokosmos
Und genau darum geht es in „Zomer“. Es geht nicht um ein ComingOut, sondern um das existenzielle Anderssein im Mikrokosmos, um
das Ausbrechen, das Es-nicht-mehr-Aushalten, die Enge in der Brust
und die Weite des Lebens, die Verlegenheit der Pubertät und ihre
Leichtigkeit. Diese unaufgeregte Zeichnung des Coming-of-AgeSommers, den Anne durchlebt, verleiht der Geschichte etwas Berührendes. Kein Drama, kein Schnickschnack, sondern getragene, klare
Bilder in ausgeblichenen Siebziger-Jahre-Farben, wenig Worte und
darunter viele, die man besser nicht verstehen will, weil sie derb sind,
grob, entlarvend.
Die Bildsprache der Regisseurin Colette Bothof („Zwarte Zwanen“) ähnelt der des niederländischen Filmemachers Alex van Warmerdam („De Noorderlingen“, „Abel“) und setzt dabei die Tradition
des niederländischen Arthouse konsequent fort. Im Mittelpunkt der
Inszenierung steht die Spielkraft der Protagonistinnen und Protagonisten, das Minenspiel, die Energie, die Beklommenheit. Es erstaunt
wenig, dass gleich drei der Schauspielerinnen und Schauspieler 2014
für das „Gouden Kalf“, den Preis des Nederlands Film Festival, nominiert waren.
Ein wenig bleich bleibt die Figur der Anne. Mag sein, dass das an
der Dramaturgie liegt, denn hin und wieder verliert die Regisseurin
das Gebot „Show, don’t tell“ aus den Augen, und dann muss Annes
Stimme eben doch erzählen, wie es ihr geht, was sie fühlt, vielleicht
aus Angst, dass das Zeigen nicht ausreicht. Was dazu führt, dass die
Zuschauenden hören, aber nicht fühlen, nachfühlen, mitfühlen.
Darüber hinaus zeigt Bothof viel Fingerspitzengefühl. Weder
banalisiert, noch romantisiert sie, aber inmitten ihrer wundervollen
goldschimmernden Bilder gibt es einen Bruch: Der Realismus, mit der
das Dorfleben gezeichnet wird, verliert sich in der Liebesbeziehung
zwischen Anne und Lena. Welches junge Liebespaar, eine davon vollkommen unerfahren, tanzt ausgelassen halbnackt im „Heupolder“
und hat danach den ersten Sex, wenn zuvor ein Rudel Halbwüchsiger um sie herumstand, sie beschimpfte und sexistisch erniedrigt
hat? Der Film, der sich insgesamt durch eine ausnehmend spannende
und detaillierte Beobachtung der dörflichen Szenerie auszeichnet,
verliert an dieser Stelle an Glaubwürdigkeit. Vermutlich ist es eine
Art Schutz, den Bothof ihren Protagonistinnen angedeihen lassen
möchte, ein Ideal, das sie dem Realismus entgegensetzen möchte, und
so verständlich das ist: Der Film erhält an dieser fragilen Stelle einen
bedauerlichen Riss.
Und doch ist der Film stark genug, diesen Riss zu verkraften.
Er zeichnet ein Abbild der modernen dörflichen Niederlande, das
Abbild einer Jugend auf dem Land, das Abbild eines Sommers. Die
gelegentlich zynische, gelegentlich komische Milieustudie beweist
typisch niederländischen Humor, glänzt durch die Musik des SingerSongwriters Jacco Gardner, durch kraftvolle Schauspielerinnen und
Schauspieler und durch seine bezaubernden und manchmal surrealen
Bilder. „Zomer“ ist ein Geschenk. s
SISSY 27 13
kino
kino
Die Abenteuer
des Sir Gay im
wilden Land der
Mexikaner
VON F R ITZ G Ö T T L E R
Film ist ein Medium, das viel zu reich ist, um es den
Geschichtenerzählern zu überlassen, sagt Peter Greenaway.
Kein Wunder, dass Sergej Eisenstein als Verbündeter in der
kontrollierten Bilderrauschproduktion sein großes Vorbild ist.
Greenaways Spielfilm über Eisenstein ist deshalb auch ein
Versuch über visuelle Intelligenz, über das wilde Assoziieren
und die Lächerlichkeit von selbstauferlegten Grenzen –
an die „Eisenstein in Guanajuato“ nicht zuletzt mit dem
Novum rüttelt, den Meisterregisseur als praktizierenden
Homosexuellen zu zeigen, der sich beim Filmdreh in Mexiko
nicht nur der kulturell codierten Sinnlichkeit, sondern auch
seinem attraktiven und hilfreichen mexikanischen Führer
lustvoll hingibt. Eine Ohrfeige für Putin, freute sich die
westliche Filmpresse. Doch ist Greenaways Annäherung
an sein Vorbild viel zu intim und viel zu komplizenhaft,
um es zur bloßen Skandalnudel zu machen.
s Eisenstein kotzt, bald nach seiner Ankunft in Mexiko, er
beschmutzt dabei seine schwarzen Schuhe, die er eben erstmals von
einem Schuhputzer behandeln ließ – eine völlig neue Erfahrung für
den jungen Mann aus dem Arbeiter- und Bauernstaat der UdSSR . Es
ist kein vorteilhaftes Bild, das er da abgibt, zu Beginn des neuen Films
von Peter Greenaway, „Eisenstein in Guanajuato“. Zu viel Alkohol,
die schreckliche Hitze, die Überwältigung durch das fremde Land
Mexiko, wo sich das Alte und das Neue auf verwirrende Weise überlagern, das Rationale und das Mystische, die Zukunft und die Vergangenheit. Dass er den großen Eisenstein, den vielbewunderten und
-geliebten Filmemacher zu einer komischen Figur machte, hat man
Greenaway mancherorts übel angekreidet, als sein Film dieses Jahr
im Wettbewerb der Berlinale lief, wo er auf viel Missmut, Indignation
oder einfach demonstratives Desinteresse stieß.
Zehn Tage, die Eisenstein erschütterten, so hat Greenaway ironisch
seinen Film im Untertitel genannt, nach dem Titel, den im Ausland
Eisensteins Film „Oktober“ erhalten hatte, der von der Oktoberrevolution in Russland erzählt: „Zehn Tage, die die Welt erschütterten“,
nach dem Buch von John Reed. Die Erschütterung für Eisenstein ist
kulturell, und dann plötzlich auch sexuell. Er will in Mexiko den Film
„Que viva México!“ drehen, einen Kinogesang auf das Leben und die
Lebendigkeit, die man in diesem Land nur über den Tod findet. Also
sucht er in Guanajuato das Museum der Mumien auf und zieht durch
den mexikanischen Karneval, das große Fest der Toten.
Dem Tod ist der Filmemacher Peter Greenaway von Anfang an
mit Besessenheit hinterher. Sein Film „Act of God“, 1980, präsentierte Menschen, die einen Blitzschlag überlebt hatten, und sein ers14 SISSY 27
EDITION SALZGEBER
Es lebe Mexiko
SISSY 27 15
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EDITION SALZGEBER (3)
kino
ter Spielfilm „The Draughtsman’s Contract“ erzählt von einem Maler,
der in naiver Ahnungslosigkeit auf seinen eigenen Tod hinarbeitet
und -zeichnet. Im Eisenstein-Film kommt der Tod erst mal sublimiert daher, in den bekannten Formen von Sex und Traum. Der große
Künstler wird penetriert, er geht mit einem Mann ins Bett und verliert seine Unschuld.
Carry on Eisenstein
Ja, Greenaway kann ein rechter Grobian sein, er profitiert gern vom
Ikonoklasmus, und sein Eisenstein erinnert an die wilden BiopicOrgien von Ken Russell – die Analyse modernen Künstlerlebens in
Carry-on-Klamottenform. Der russische Filmkünstler Eisenstein ist
innerhalb weniger Jahre mit drei Filmen zu einem Darling der Filmkritik und des Publikums geworden: „Streik“, „Panzerkreuzer Potemkin“, „Oktober“. Die Russenfilme machen Furore in aller Welt. Nun
darf Eisenstein in diese Welt hinaus, um das Wunder der Sowjet­kine­
matographie zu erklären und womöglich selbst Filme auswärts zu
drehen. Die neue Kunst zu lernen und auszuprobieren, die des Tonfilms. Er versucht seine eigene Position zu definieren unter den Denkern und Künstlern, zwischen Cocteau, Chaplin, Buñuel und Joyce.
In Berlin besucht er den Dreh zu Sternbergs „Der Blaue Engel“. Sie
war ziemlich blöd und dumm, sagt er von Marlene, auf Deutsch. In
Berlin und Paris hält er Vorträge, die von Massen besucht werden,
und später in Hollywood bietet man ihm diverse Filmprojekte an.
Aber die Differenzen sind zu groß, zwischen Eisensteins Konzepten und dem kapitalistischen Studiobetrieb. Also zieht Eisenstein
Anfang der Dreißiger los, um einen Film über das Mysterium Mexiko
zu drehen, in einem Crowdfunding-Verfahren finanziert vom erfolgreichen Schriftsteller Upton Sinclair. Eisenstein dreht Kilometer
Material, aber wird den Film nie fertigstellen. Er muss zurück nach
Moskau, das Material bleibt bei Sinclair. Eisenstein dreht in Stalins
Sowjetunion „Alexander Newski“ und „Iwan der Schreckliche“. Am
16 SISSY 27
Schluss des Films legt Eisenstein Gabeln zu dem berühmten Muster
jenes Spiels, das in Alains Resnais’ „L’année dernière à Marienbad“
die Männer spielen. War alles Traum in Guanajuato?
Die jungen Matrosen
Greenaways Held ist in den zehn eisensteinerschütternden Tagen ein
Naiver, ein Argloser im Ausland. Der Finne Elmer Bäck verkörpert ihn,
ungelenk, radebrechend, clownesk, mit nicht zu bändigender Mähne.
Nicht besonders strapazierfähig, und infantiler und unreifer, als das
Original gewesen sein mag. Man mag diese Art despektierlich finden,
aber sie entspricht doch dem Denken, das sich in Eisensteins Texten
entwickelt. Das in immer neuen, atemraubenden Wendungen hin- und
zurückschwenkt zwischen den Sprachen und den Kulturen, zwischen
Malerei und Musik, Literatur und Philosophie. Eine gewaltige Lust auf
Neues, ein wahrlich revolutionärer Geist. Sein Interesse an Männern
ist verbürgt, durch Briefe, an seine Frau Pera Atasheva, und durch die
Filme – all die Matrosen im Potemkin, die jungen Revolutionäre im
Kampf ums Winterpalais in „Oktober“. „Sir Gay“ hat der junge Eisenstein seine Zeichnungen signiert, ein verklausuliertes „Sergej“.
In Guanajuato verliert der schüchterne, unsichere Eisenstein
seine Unschuld, auf einem Hotelbett, das wie ein Art-Déco-Altar aufgebaut und erleuchtet ist, in einer langsamen und würdig-grotesken
Zeremonie, die sachgerecht durchgeführt wird von seinem Führer
in der Stadt, Jorge Palomino y Cañedo, gespielt von Luis Alberti. Der
Künstler, der sich auf seinen dunklen Wegen zu sich selbst einem
Guide anvertraut, das Dante-und-Vergil-Modell. Die Liebe erscheint
in diesem Akt ganz natürlich und kunstvoll zugleich, eine Installation. Señor Prick, behave, sagt Eisenstein fröhlich.
Die Geister des Unrealisierten
Ich bin nicht so sicher, sagt er später, dass man sich an die Filmemacher erinnern wird. Der Schatten des Versagens, der Unfruchtbar-
keit liegt über dem Film. Viktor Schklowski über Eisensteins letzte
Wohnung im Jahr 1948, in seiner wunderbaren, wunderlichen Eisenstein-Biografie: „Sergej Michailowitsch kannte seine Wohnung. Das
Echo der leeren Zimmer. Er kannte die Welt seiner Einsamkeit … An
den Wänden stehen weiße Stellagen mit Büchern. Auf den Brettern
Bücher mit sauberen Lesezeichen; man sieht gleich, dass sie säuberlich nach bestimmten Themen geordnet sind. Sie sind die Samen nicht
zu Ende geschriebener Drehbücher und die Spuren nicht verwirklichter Filme. Die Wohnung ist voll von deutlichen, traurigen Geistern des Unrealisierten.“ Eisenstein starb mit fünfzig, 1948, aber sein
Tod ist schon präsent in Greenaways Film. Der Tod skandiert seine
Präsenz durch metallische Schläge. Nochmal Schklowski: „Unter
Eisenstein wohnte der Kritiker Ilja Vajsfeld mit seiner Familie. Eisenstein hatte neben dem Heizkörper einen Schraubenschlüssel liegen.
Es war abgemacht, dass, wenn Sergej Michailowitsch wieder eine
Herzattacke haben würde, er oder Tante Pascha mit dem Schraubenschlüssel gegen die Dampfheizung schlagen sollte. Es würde dann
jemand kommen. In der Nacht vom 10. auf den 11. Februar erdröhnten
die Heizungsrohre. Man eilte nach oben. Man klopfte, aber es war zu
spät. Sergej Michailowitsch hatte nicht den ersten Infarkt gehabt …“
Das Wohlleben des Karnevals
Der Tod gibt auch den Schritt vor im „Potemkin“, den Marsch- und
den revolutionären Gang. Die Lust und der Tod, in der Auflösung finden sie, auch bei Eisenstein, ihr Ziel. An die außerordentliche Empfindung der Linie als Prozess, der Linie als Weg, erinnert sich Eisenstein
in seinem Text „Wie ich zeichnen lernte“. Am Ende von Greenaways
Film umschlingen in einer Rückprojektion seine Zeichnungen die handelnden Figuren. Zeichnungen, die sich unter dem Einfluss der
alten mexikanischen Kunst erregend abstrahiert haben, Körper, ineinander verschlungen, liebend, mörderisch, bis sie auch organisch eins
geworden sind. Und transparent auf den Tod zu. Schon in seinem Film
„Oktober“ hat Eisenstein versucht, die Formen – die das historische
Geschehen nicht zu fassen imstande waren – aufzulösen in eine neue
visuelle Konzentration, inspiriert von der Technik von Joyces „Ulysses“ und den Traumdeutungen der Psychoanalyse. Bilder sollten das
werden, die man in die Tiefe lesen muss, wo sie in ihrer Vielschichtigkeit die progressive Erzählung zerstieben lassen.
Das Wohlleben des Karnevals ist grausam, schrieb Schklowski,
davon handelt auch Greenaways Film. Es war die Burleske, zu der
Eisenstein am Ende seines Denkens und Filmens am liebsten zurückkehren wollte, von der er ausgegangen war, in seiner Liebe zu Méliès
und Disney, zum Slapstick. „Man sollte“, schreibt Frieda Grafe, „in
Anbetracht von Eisensteins ganzem Werk immer beherzigen, was er
mit Hinweis auf die Skizzen von Leonardo da Vinci, untermauert von
einem Zitat von Lord Byron, empfahl: den Entwürfen und Versuchen
mehr Aufmerksamkeit zu schenken und mehr Glauben als den vollkommenen, unterm Glanz ihrer Perfektion erstarrten Werken.“
Endgültige Perfektion gebührt am Ende nur dem Tod. Einmal
wird Eisenstein in der Kunst der Siesta unterwiesen, die sie in Mexiko
so gut beherrschen. Die Weiße der Leintücher ist wichtig, sie garantiert die Traumlosigkeit des Schlafes. In solchem Schlaf betrügt man
den Tod.
s
EISENSTEIN IN GUANAJUATO
von Peter Greenaway
NL/MX/FI/BE 2014, 105 Minuten,
deutsche Synchronfassung, OmU,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO in der Gay-Filmnacht im
November, 3 www.Gay-Filmnacht.de
Kinostart: 12. November 2015
SISSY 27 17
kino
kino
WOLF IM
SCHAFSPELZ
VON A L E X A N DR A SE ITZ
Der Duke of Burgundy ist nicht etwa die einzige
männliche Figur im neuen Spielfilm von Peter Strickland,
sondern der Name eines Schmetterlings, hamearis
lucina, deutsch „Schlüsselblumen-Würfelfalter“. Er ist
ein eher nebensächliches Objekt des Interesses zweier
zusammen lebender Insektenforscherinnen, deren rigider,
durchperfomter Alltag ansonsten von abgründigen
Leidenschaften geprägt ist. Ganz grundsätzlich ist in diesem
Film nichts so, wie es auf den dritten Blick erscheint.
DUKE OF BURGUNDY
von Peter Strickland
UK 2014, 106 Minuten, englische OF
mit deutschen UT,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO in der L-Filmnacht im November,
3 www.L-Filmnacht.de
EDITION SALZGEBER
Kinostart: 3. Dezember 2015
s Ach so verführerisch beginnt es. Eine junge Frau, ein plätscherndes Bächlein, ein sonnendurchfluteter Laubwald. Eine Fahrradfahrt
übers idyllische Land; Wiesen, Felder, ein heimeliges Städtchen mit
stattlichen alten Häusern, friedliche, heile Welt. Immer wieder friert
das Bild ein, färbt sich mal blau, mal grün, mal rot, mal gelb, zeigt Credits, gibt erneut Bewegung frei. Die Fahrradfahrerin ist inzwischen
vor einem herrschaftlichen Anwesen angekommen. Sie steigt ab, sie
ordnet ihre Kleider, sie klopft an die Tür. Erwartungsvolle Stille breitet sich aus.
Mit ihren kolorierten Freeze-Frames zitiert die Titelsequenz
von Peter Stricklands „Duke of Burgundy“ das Kino der Siebziger
Jahre, insbesondere das italienische und insbesondere ein SoftcoreExploitation-Subgenre, das sich mit Lack, Leder, Sado-Maso (so hieß
das damals noch) und Lesbianismus halb schaudernd, halb fasziniert
beschäftigte. Seinen körperlich konkreten Ausdruck fand das genussvoll ausgemalte, perverse Treiben seinerzeit in der lesbischen Vampirin. Denn der Schwester Graf Draculas war gestattet, was für einen
männlichen Vampir nicht vorstellbar war: Sie konnte in Reizwäsche
herumlaufen und solcherart das nicht nur dezent erotische, sondern
offen sexuelle Potenzial des Bisses in den Hals mit anschließender
Überwältigung, Ekstase und Erschöpfung augenscheinlich machen.
Cynthia und Evelyn, die Protagonistinnen von „Duke of Burgundy“, sind allerdings keine Vampirinnen. Sie sind Entomologinnen
18 SISSY 27
mit Forschungsschwerpunkt Lepidopterologie, d.h. sie beschäftigen
sich mit Insekten, bevorzugt Faltern. Mit nachtaktiven Flatterwesen
bekommt man es also auch hier zu tun. Aber die Transformationsphasen, die ein Schmetterling im Laufe seines Lebens durchläuft, dienen
Strickland eher als metaphorischer Ausdruck für a) die Schichten
seines Films und b) die Ebenen der Beziehung zwischen Cynthia und
Evelyn.
Doch der Reihe nach. Nachdem Cynthia Evelyn die Tür geöffnet
und sie herein gebeten hat, läuft zwischen den beiden ein geradezu
klassisches Rollenspiel ab: Evelyn putzt und wäscht, während Cynthia kommandiert und mäkelt. Für ihre (imaginären) Verfehlungen
wird Evelyn schließlich von Cynthia bestraft, was auf beiden Seiten zur (sexuellen) Entspannung führt. Soweit, so simpel. Cynthia
dominiert die unterwürfige Evelyn, Sadistin trifft Masochistin,
alles ist gut.
Es dauert allerdings nicht lange, bis Strickland die ersten Stolpersteine legt, die Zuschauerin sich aus der Exploitation-Rezeptionshaltung, in der sie es sich bereits bequem gemacht hatte, unsanft heraus
gerissen und gedanklich herausgefordert sieht. Da ist ein Brieflein
mit einer Handlungsanweisung – „lass mich mindestens 30 Sekunden, jedoch nicht länger als 5 Minuten vor der Tür warten“ –; da ist
Cynthia, die wie unter Zwang große Gläser Wasser in sich hinein
schüttet; da ist Evelyn, die aufhört, Stiefel zu putzen, und ungedul-
dig nach der Terrassentür und dem Auftritt ihrer Herrin schielt, ja,
schließlich sogar klopft; da ist das Unbehagen in Cynthias Blick und
die Erleichterung, mit der sie sich am Abend ihrer Perücke entledigt.
Was zunächst nach Handel aussieht, nach (möglicherweise gekaufter) Dienstleistung, nach sexueller Ausbeutung und Lust an der Grausamkeit – also nach all den billigen Vergnügungen, die Strickland mit
seiner stilistischen Bezugnahme auf das Exploitationkino der Siebziger Jahre heraufbeschwört – all dies wird in dem Moment zu einem
komplizierten und komplexen Mechanismus, der auf einer ernsthaften und ernst genommenen Liebesbeziehung zwischen den beiden
Frauen aufbaut.
Es ist dies ein dramaturgisches Verfahren, das Strickland auch
in seinen beiden vorangegangenen Filmen – dem 2009 im Wettbewerb der Berlinale uraufgeführten Erstling „Katalin Varga“ und dem
2012 auf zahlreichen Festivals reüssierenden „Berberian Sound Studio“ – angewendet hat. Im einen Fall bedient er sich der Elemente
des Rachethrillers, im anderen jener des Giallo, um im kunstvollen Spiel mit den vertrauten Genres und deren sattsam bekannten
Regeln etwas durchaus Neues und nicht minder Unterhaltsames zu
erarbeiten. Dabei beschränkt er sich nicht einfach auf die schwelgerische Re-Kreation eines überzeugenden Retro-Looks (die ja beispielsweise das analoge Tonstudio in „Berberian Sound Studio“ zu
einem Schauwert an sich macht), und auch die ihr Camp-Potenzial
abfeiernde, immer ein wenig überhebliche Haltung gegenüber den
Unzulänglichkeiten des gewählten Gegenstandes ist seine Sache
nicht. Respektvoll im Umgang mit den je spezifischen stilistischen
Ausdrucksformen und visuellen Erzählstrategien geht Strickland
dem Genre auf den Grund, er fühlt ihm auf den Zahn, er vertieft und
psychologisiert, er erweitert behutsam die Möglichkeiten, indem er
ungeahnte Perspektiven eröffnet – und schließlich sprengt er kurzerhand die Grenzen.
Ebenso wie der arme Toningenieur Gilderoy in „Berberian Sound
Studio“ die Orientierung verliert, irrt bald auch die Zuschauerin von
„Duke of Burgundy“ durch ein Spiegelkabinett der Projektionen und
Begierden. Wie sich nämlich herausstellt, ist Cynthia nicht wirklich
dominant veranlagt, und die Unterwerfungsspiele mit Evelyn sind
eigentlich überhaupt nicht ihr Ding, sondern nur deren Wunsch. Und
Cynthia spielt eher notgedrungen mit, weil sie Evelyn liebt und weil
sie Angst hat, diese könnte sie sonst enttäuscht verlassen. Wer hat in
dieser Beziehung nun also die stärkere Position inne? Und wie gehen
die beiden Frauen mit ihren unterschiedlichen Interessenslagen und
dem damit zusammenhängend immer deutlicher zutage tretenden
Machtgefälle um? Was Strickland hier wie nebenbei gelingt, ist das
Kunststück, einen gegenwärtigen BDSM-Diskurs in einen altmodisch
anmutenden Film einzuschleusen und dabei beides intakt zu lassen:
die Tragweite des Konflikts und die Frivolität der Form. Dabei kommt
den Schauspielerinnen die zentrale Funktion der Erdung zu. War es
also in „Berberian Sound Studio“ Toby Jones, der in der Rolle des
Toningenieurs mit seinem herzerweichenden Spiel den Film emotional verankerte, so ist es hier Sidse Babett Knudsen (den meisten wohl
als Premierministerin Birgitte Nyborg aus der dänischen Fernsehserie „Borgen“ bekannt), die „Duke of Burgundy“ im Menschlichen
verwurzelt.
„Ich brauche eine Gebrauchsanweisung für die Hälfte der Klamotten, die Du mir kaufst“, beschwert sie sich einmal bei Evelyn.
Zunehmend überfordert kämpft sie sich tapfer in das Schnürmieder, sie stöckelt trotz Rückenschmerzen durch die Zimmer, sie hält
sich beim Ausziehen an die Fußboden-Markierungen, damit Evelyns Blick durchs Schlüsselloch befriedigend ausfällt. Doch sichtlich blümerant wird ihr, als die auf SM-Zubehör spezialisierte Zimmersfrau den Erwerb einer „human toilet“ vorschlägt und Evelyns
Augen zu leuchten beginnen. Wie viel lieber würde Cynthia, statt mit
High Heels und Strapsen auf dem Gesicht ihrer Liebsten zu sitzen,
im schlabbrigen Schlafanzug auf dem Sofa mit ihr schmusen. Was
tut man nicht alles für die Liebe! Das Dilemma entbehrt nicht einer
gewissen Komik, billige Witze aber erlaubt sich Strickland nicht. Der
Schalk versteckt sich ebenso im Detail, wie die Schaufensterpuppen im Hörsaal, in dem Cynthia einen ihrer Vorträge hält. Er blitzt
auf in den Credits, die neben der Kostümverantwortlichen auch die
Zuständige für Unterwäsche nennen sowie das verwendete Parfum. Gelistet werden zudem alle auftretenden Insekten jeweils mit
volkstümlichen und wissenschaftlichen Namen sowie die zu Gehör
gebrachten Faltergeräusche inklusive technischer Details und äußerer Umstände der jeweiligen Tonaufzeichnung. Und während des
gesamten Films huscht kein einziger Mann auch nur sekundenkurz
durchs Bild.
Was das soll?
Das kann Exzentrik sein. Es können aber auch die Koordinaten des
Imaginären sein; sie bezeichnen einen filmischen Raum, der weder
örtlich noch zeitlich genau festgelegt ist, der vielmehr aus Gerüchen
und Geräuschen, Leidenschaften und Sehnsüchten zusammengesetzt
ist. Darin wird erzählt von der innigen Zuneigung zweier Frauen,
deren differierende Begehren ein gemeinsames Glück erschweren, ja,
möglicherweise sogar unmöglich machen. Es ist eine Geschichte voller Mitgefühl, gesättigt mit Melancholie, aufrichtig und genau – und
in ihrem ungewöhnlichen Genre-Gewand eine schöne und kostbare
Schmuggelware.
s
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kino
kino
DER STAAT GEGEN FRITZ BAUER
von Lars Kraume
DE 2015, 105 Minuten, deutsche OF,
Alamode Film, 3 www.alamodefilm.de
IM KINO ab 1. Oktober 2015,
3 www.derstaatgegenfritzbauer.de
AL AMODE FILM
„Der Jude ist schwul“
VON SA SCH A W E ST PH A L
Nicht versöhnt: Lars Kraumes Politthriller „Der Staat gegen Fritz Bauer“ bedient sich
Elementen des Melodrams, um das Bild eines deutschen Helden der Nachkriegsgeschichte,
der u.a. den Ausschwitz-Prozess ermöglichte, um das eines Opfers zu erweitern,
das durch den in der BRD beibehaltenen Paragraphen 175 erpressbar wird.
„Monströse Verbrechen haben die Eigenschaft, sagte Fritz Bauer,
daß sie, sobald sie in die Welt treten, für ihre Wiederholung sorgen.“
Alexander Kluge: „,Wer ein Wort des Trostes spricht, ist ein Verräter‘ – 48 Geschichten für Fritz Bauer“
„Komm, lass es uns bis auf die Spitze treiben,
Solange wir inkognito bleiben“
„Inkognito“ von Julian Maas, Christoph M. Kaiser, Ali Zuckowski
s In der letzten Einstellung, bevor einige Texteinblendungen die
Erzählung abschließen, steht der von Burghart Klaußner gespielte
Fritz Bauer noch einmal vor der schwarz-weiß gemusterten Tapete
in seinem Büro. Die zu Fäusten geballten Hände hat er auf den
Schreibtisch aufgestützt, den Kopf ein wenig vorgestreckt blickt er
20 SISSY 27
aus dem Zentrum des Bildes direkt in die Kamera. Er setzt noch einmal ein Zeichen. Die kämpferische Haltung verleiht seinen Worten,
mit denen er seinem direkten Untergebenen, dem Oberstaatsanwalt
Ulrich Kreidler, entgegentritt, Nachdruck. Es liegt auch eine Drohung
in diesem Bekenntnis. Bauer wird nicht aufgeben. Er wird den Weg,
den er seit Jahren verfolgt, weitergehen und sich auch von Kreidler
nicht aufhalten lassen.
Was folgt, ist bekannt. Im Dezember 1963 wird der unter Fritz
Bauers Leitung vorbereitete erste Auschwitzprozess vor dem Schwurgericht in Frankfurt am Main eröffnet. Das System des Schweigens
und Verdrängens bekommt Risse. Fortan ist es nicht mehr so einfach,
die Augen vor den deutschen Verbrechen zu verschließen. Ein später und unter größten Widrigkeiten errungener Erfolg für den hessischen Generalstaatsanwalt, der als Sozialist und Jude 1933 selbst acht
Monate im KZ gewesen war, und 1936 schließlich nach Dänemark
emigrieren konnte. Doch der Weg zu diesem Sieg ist der Stoff eines
anderen, weitaus simpler angelegten Films, Giulio Ricciarellis „Im
Labyrinth des Schweigens“.
Am Ende von Lars Kraumes „Der Staat gegen Fritz Bauer“ ist der
Generalstaatsanwalt eben kein Sieger. Sein streiterisches Auftreten
hat einen hohen Preis, den er gerade erst, während seines Zusammentreffens mit Kreidler, gezahlt hat. Gegen seine innerste Überzeugung
musste er dem Oberstaatsanwalt zubilligen, den anstehenden Prozess gegen seinen Vertrauten Karl Angermann mit genau der Härte
zu führen, die Kreidler unter Berufung auf den Paragraphen 175 als
angemessen erachtet. Er, der sich niemals mehr der Tyrannei beugen
wollte, der immer noch darunter leidet, dass er einst im KZ seinen
sozialistischen Idealen in einem Brief öffentlich abgeschworen hatte,
kann gar nicht anders. Er muss bei der beruflichen und gesellschaftlichen Vernichtung seines Freundes Angermann zusehen, wenn nicht
alles vergebens sein soll.
Am Paragraphen 175 kann der Einzelne, selbst wenn er Generalstaatsanwalt ist, in den späten 1950er Jahren nur scheitern. Monate
zuvor hatte Bauer dem jungen Angermann, der gegen den Schwulenparagraphen, der von den Nationalsozialisten noch einmal verschärft
worden war, rebellieren wollte, im Gespräch an das 1957 ergangene
Urteil des Bundesgerichtshofs erinnert, demzufolge dieses „Gesetz
keine typisch nationalsozialistische Weltanschauung“ repräsentiert.
Die Kontinuitäten reichen weit über das Jahr ’33 bis ins Kaiserreich
zurück. Dennoch lebt, und das wissen Bauer und der innerlich zerrissene, von seinen Leidenschaften verunsicherte Angermann ganz
genau, in der menschenverachtenden Unrechtssprechung auf der
Basis dieses Paragraphen das Denken und die Mentalität des Dritten
Reichs weiter.
„Der Schoß ist fruchtbar noch“, heißt es bei Bertolt Brecht. Bei
Kraume muss aber gar nichts groß heraus kriechen. Es ist alles noch
da, vielleicht ein wenig überdeckt, aber von einer derart dünnen
Schicht demokratischer Erde, dass nichts wirklich verborgen liegt.
Die Realität im Wirtschaftswunderland der späten 1950er Jahre,
das ist zum einen die weiße Postkarte, die an den „Herrn Dr. jur. F.
ISRAEL BAUER“ adressiert ist und auf deren Rückseite nur zwei
unterstrichene, mit drei Ausrufezeichen versehene, maschinengeschriebene Worte stehen: „ JUDE VERRECKE!!!“. Aber zumindest
prangt auf der Drohpostkarte eine Europa-Briefmarke. Der anonyme
Schreiber weiß genau, auf welcher Seite die Bundesrepublik steht und
wer schützend die Hand über die neuen, in Wahrheit aber alten Eliten
des Landes hält.
Nachdem Bauer die Karte gelesen hat, zoomt Kraume extrem
schnell auf Klaußner zu. Es ist ein Moment absoluter Klarheit, in dem
das Leben ins Taumeln gerät. Der Schock der Erkenntnis sitzt tief,
nicht nur bei Bauer, der die deutsche Wirklichkeit nur zu gut kennt.
Später gibt es dann noch einmal einen ähnlichen Zoom. Der Generalstaatsanwalt hat sich bereit erklärt, in einer Fernsehshow die Fragen
junger Deutscher zu beantworten. Nun kommt die Fernsehkamera
fast wie eine Waffe auf ihn zu. Kraumes Zoom verstärkt die Bedrohung, potenziert sie. Wieder einmal wird Bauer bedrängt. Deutschland ist trotz seiner Stellung für ihn weiterhin Feindesland. Und so
sind die Glückwünsche und Gratulationen am Tag nach der Fernsehsendung vielleicht sogar noch schlimmer als die Flut der Drohbriefe,
die sich nun über ihn ergießt. Jedes Lächeln und jede joviale Geste
betont nur Bauers Isolation, seine Einsamkeit.
Die „Jude verrecke“-Postkarte ist die eine, die heimliche Seite
der bundesrepublikanischen Welt. Der Antisemitismus muss anonym bleiben. Für die homophoben Überzeugungen gilt das allerdings
nicht. Das Rumoren, das durch den Gerichtssaal geht, ist kurz davor,
sich zum Tumult auszuweiten. Der junge, von Ronald Zehrfeld verkörperte Staatsanwalt Angermann hat etwas Unerhörtes gewagt. Im
Prozess gegen den ehemaligen Medizinstudenten Johann Kraus, der
wegen homosexueller Prostitution und wechselseitigem Onanieren
vor Gericht steht, hat er eine Strafe von fünf D-Mark gefordert, eben
die fünf D-Mark, die Kraus mit diesem verbotenen Akt verdient hat.
Ein solch salomonischer Strafmaßvorschlag provoziert das Entsetzen
wie den Zorn der anwesenden Zuschauer und Juristen. So etwas lässt
sich nicht mit ihrem Empfinden vereinbaren, und in dieser Situation
können sie all dem Hass, den sie ansonsten für sich behalten müssen,
der sich nur anonym Bahn brechen darf, endlich öffentlich freien
Lauf lassen. Der Paragraph 175 gibt ihnen schließlich recht, während
die Nürnberger Rassegesetze, die Adenauers Kanzleramtschef und
rechte Hand Hans Globke einst mitverfasst und anschließend kommentiert hatte, der Vergangenheit angehören.
Der versteckte, aber immer noch allgegenwärtige Hass auf Juden
und der offene, bei jeder sich bietenden Gelegenheit hervorbrechende
Hass auf Schwule gehören in Lars Kraumes Porträt der 1950er Jahre
untrennbar zusammen. Nicht zufällig kommentiert Oberstaatsanwalt Kreidler die Mitteilung, dass Fritz Bauer homosexuell ist, mit
dem Satz: „Der Jude ist schwul.“ Angesichts der von einem kaum
unterdrückten Lächeln auf den Lippen begleiteten Verachtung, die
Sebastian Blombergs Kreidler in diese vier Worte legt, läuft es einem
eiskalt über den Rücken. In dieser einen, voller Bedacht hingeworfenen Bemerkung offenbart sich das ganze Ausmaß der Kontinuität
vom Dritten Reich in der Bundesrepublik. Und diese widerwärtigen
Worte gehören längst nicht der Vergangenheit an. Die Linie zieht sich
– davon zeugt Lars Kraumes anderer neuer Film „Familienfest“ – bis
in die Gegenwart.
In den Politthriller, der von Fritz Bauers Jagd auf Adolf Eichmann und dessen Entführung durch den Mossad erzählt, mischt
sich das Melodrama zweier homosexueller Männer. Klaußners
Bauer gibt seinem Begehren allem Anschein nicht mehr nach. Der
Paragraph 175 und die allgemeine Stimmung in der Bundesrepublik
zwingen ihn zu einem Leben in Einsamkeit und Verstellung. Seine
Selbstbeherrschung und -kontrolle gehen so weit, dass er selbst
eine harmlose Geste Angermanns nicht erträgt. Nachdem der junge
Staatsanwalt ihm von der Begegnung mit der Transsexuellen Victoria (Lilith Stangenberg) erzählt, legt er seine Hand auf Bauers
Unterarm, der sich diesem Moment der körperlichen Nähe sofort
wieder entzieht.
Das ist ein unendlich trauriger Augenblick, eines Films von Douglas Sirk würdig. Denn letztlich bleibt Bauer in seiner Situation gar
nichts anderes übrig als diese Verleugnung. Angermann, der zögerlich, aber schließlich doch voller Hoffnung seinem Verlangen nachgibt, vertraut dem Versprechen, das in dem Song liegt, den Victoria
bei ihren Auftritten in der Schwulen-Bar „kokett“ singt. Zumindest
dort, an diesem verwunschenen Ort eines anderen, freieren Lebens,
an dem junge Drag Queens und ältere Stützen der Gesellschaft über
alle Grenzen hinweg zusammensitzen, sollte er sein dürfen, wer er
wirklich ist. Angermann glaubt an das „Inkognito“, das Victoria wieder und wieder in ihrem Sprechgesang hinhaucht. Also treibt er es
mit ihr bis auf die Spitze.
Doch selbst in diesen scheinbar geschützten Raum reicht die
Macht der Männer, die mit allen Mitteln die anderen inkognito
Lebenden beschützen: eben jene SS -Männer und Mörder, die nun vom
Wiederaufbau profitieren oder, wie Eichmann, im Ausland Zuflucht
gefunden haben. Und so geht Angermann in die Falle, die der BKAMann Paul Gebhardt (Jörg Schüttauf) ihm und Bauer gestellt hat.
Entrapment auf Deutsch: Um ihre große Liebe Johann Kraus zu retten, arbeitet Victoria mit Gebhardt zusammen. Der eine Augenblick
der Ekstase, dem Angermann sich hingibt, macht ihn erpressbar. So
wollen der BKA-Mann und sein Verbündeter, der Oberstaatsanwalt
Kreidler, ihn dazu bringen, Bauer des Landesverrats zu beschuldigen.
Melodram und Politthriller werden eins, und gemeinsam erweisen
sich sie als Spiegel eines Landes, das, wie Bauer einmal sagt, noch jede
Revolution in Restauration erstickt hat.
s
SISSY 27 21
kino
kino
Landschaft der Jugend,
der Sehnsucht
VON SE BA ST I A N M A R K T
PERIPHER FILMVERLEIH
„wie schwer ist reden über diese räume“
Dante: „Die Göttliche Komödie“, erster Gesang
s I Nakskov ist eine Kleinstadt auf der Insel Lolland im Süden
Dänemarks. Anna Sofie Hartmann ist dort aufgewachsen. Man kann
davon ausgehen, dass sie sie gut kennt. Eine Werft, in der keine Schiffe
mehr gebaut werden. Die langen Rotorblätter von Windturbinen, die
dort jetzt hergestellt werden, und die, vertikal im Freien gelagert,
immerhin noch eine bizarre Landschaft für jugendliche Projektionen
hergeben. All das zeigt der Film. Zuckerrübenfelder, semifunktionale
Industriearchitektur, Kleinstadtkneipen und die Leute, die in ihnen
trinken, Backsteinhäuser, lange Fahrten über die ausdünnenden
Stadtstraßen. Immer wieder, an entscheidenden Stellen, nimmt der
Film sich Zeit, nimmt eine Abzweigung im Erzähllauf, widmet sich
mit großer Ruhe und Interesse am Detail diesem Ort, der Zuckerproduktion, dem Rübenhacken, Rohsaftverdampfen, den Kontrollanlagen und -räumen, die an ein vage futuristisches Hightech-Labor erinnern. Man möchte das alles sehr genau erzählen, weil der Film es sehr
genau damit nimmt.
II Sie heißt Antigone und muss ihre Rolle durchhalten bis zum
Schluss. Seit der Vorhang aufging, fühlt sie, dass sie sich von uns entfernt. Wir, die sie ruhig und sorglos anschauen und an diesem Abend
nicht sterben müssen … Antigone ist das stille, magere Mädchen da
drüben. Sie guckt ins Leere. Sie denkt, dass sie gleich Antigone sein
wird.
Die ersten Worte, die im Film fallen, sprechen Jugendliche, sie
sprechen sie nicht in die Kamera, aber in Großaufnahme und so an ihr
vorbei, dass man unweigerlich an ihre Anwesenheit denkt. Der abgesetzte kleine Prolog eines Chores löst sich wenig später auf in die Szenerie einer Schulklasse, die ein Stück einübt. Es wird viel diskutiert in
dieser Theatergruppe, über Internetpornos und über Tizians Venus
22 SISSY 27
von Urbino, über Geschlechterbilder und wo sie herkommen. Langsam beginnt eine Geschichte: die von Sara, einer Schülerin kurz vorm
Abschluss und an der Schwelle zu einem anderen Leben. Sie probiert
Haltungen aus in der Theaterklasse, quatscht mit ihrer besten Freundin, lässt sich von ihr Locken drehen, macht sich fertig zum Ausgehen. In den Bildern ihres Alltags, die der Film mit einer Art zärtlichen
Distanz schildert, stellt sich die Ahnung einer Anziehung ein, die sie
an ihre Lehrerin Karen bindet. Sie ist allein mit dieser unmöglichen
Sehnsucht und es gibt für sie zunächst keine Sprache.
III Man kann all diese Elemente benennen und identifizieren: Landschaften (post-)industriellen Kleinstadtlebens, Räume adoleszenter
Selbstentwürfe und unrealsierten Begehrens, Bilder davon, was es
bedeutet, mit einem spezifischen Körper zu leben. Die nicht geringe
Kunst von „Limbo“ (von Hartmanns Landsfrau Sofie Steenberger
montiert) ist es aber, dass sich all das im Film verbindet, ansteckt und
überlagert, bis auch die Bilder industrieller Herstellungsvorgänge
eine eindringliche emotionale Wucht bekommen, die man nicht für
möglich gehalten hat.
IV Es wird noch etwas geschehen in diesem Film, ein spürbarer Eingriff in die Erzählung, zugleich lakonisch und gewaltsam, wie jugendliches Leben eben sein kann. Darüber hier zu sprechen ist schwierig,
weil das, was geschieht, gesehen und erfahren werden will und nicht
erzählt. Charakteristisch ist es jedenfalls für einen Film, der sich
einerseits beschreiben lässt als die Geschichte einer jungen Frau in
einer provinziellen Umgebung, die sich in ihre Lehrerin verliebt. Die
ästhetischen Entscheidungen, die der Film in dieser Erzählung trifft,
sind dabei aber stets doppelte: Sie folgen einem Realismus, den man
getrost dokumentarisch nennen kann, und bedienen sich zugleich
einer gezielten Künstlichkeit, die nicht theoretisch etwas behauptet,
sondern einen vielschichtigen affektiven Raum erzeugt, der erfahrbar
macht, was es heißen könnte, das Leben dieser jungen Frau zu leben,
an diesem Ort, zu dieser Zeit. Präziser: der es notwendig macht, diesen Erfahrungsraum im Sehen ständig neu zusammenzusetzen.
Am Ende ist „Limbo“ vor allem auch das: einer dieser seltenen
Filme, von denen man sich, wenn man sie erst einmal kennt, wünscht,
dass man sie hätte sehen können, als man so alt war wie die Leute, die
er zeigt. Es hätte was geholfen.
s
LIMBO
von Anna Sofie Hartmann
DE/DK 2014, 80 Minuten, dänische OF
mit deutschen UT,
Peripher Filmverleih, 3 www.peripherfilm.de
IM KINO ab 24. September 2015
PIFFL MEDIEN
In einer postindustriellen Landschaft stellen sich Fragen nach der Zukunft unter Jugendlichen,
die kurz vor dem Schulabschluss stehen, nochmal dringlicher. Und für eine Schülerin
besonders, da sie einen Crush auf ihre neue Lehrerin entwickelt hat. Der atmosphärisch
eigenwillige „Limbo“ ist der erste Spielfilm der dffb-Absolventin Anna Sofie Hartmann.
So happy
together
VON JA N K Ü N EM U N D
In „45 Years“, dem neuen Film von
Andrew Haigh („Weekend“, „Looking“),
gerät der gemeinsame Lebensabend
eines Paars in eine unvermutete Krise,
die so grundsätzliche Formen annimmt,
das sich 45 Jahre Ehe plötzlich wie
eine Lüge anfühlen. Der überaus
präzise gearbeitete Film mag seine
Figuren viel zu sehr, um eine Kritik
an der Institution selbst anzubringen,
aber die schleichend fortschreitende
existentielle Verunsicherung ist großartig
inszeniert. Charlotte Rampling und
Tom Courtenay erhielten auf der
Berlinale die beiden Darstellerpreise.
s Am Anfang, im Schwarz, das Geräusch
eines Diaprojektors: Man hört, wie ein
Bild auf das andere folgt, in gleichmäßiger,
mechanischer Frequenz. Der Film setzt einen
Rhythmus; gleich ist klar: Es gibt kein Anhalten mehr. Unerbittlich wird dieser Film uns,
Bild für Bild, auf den letzten Moment der
Geschichte von Kate und Geoff zuführen, auf
sein eigenes letztes Bild, von dem aus alles
neu zu lesen sein wird: 45 Jahre Ehe, jedes
eingeübte Ritual, alle Gewissheiten, all die
Lieblingssongs, das ganze Leben, alles – die
Dynamik gleichmäßigen Fortschreitens, in
die uns der Rhythmus dieses Films einwiegt,
geht am Ende ins Nichts, war immer schon
Leerlauf.
„45 Years“ von Andrew Haigh erzählt
sechs Tage aus der Beziehung von Kate und
Geoff, bis zur Party, die ihr 45. Ehejubiläum
zum Anlass hat. Der gleichmäßige Rhythmus wird dabei auch auf der Bildebene weiter geführt: Jeder erzählte Tag beginnt mit
einer Landschaftsaufnahme, Norfolk, in der
Nähe der Broads, der Kanäle, die diese graugrün-braune Landschaft durchziehen. Graugrün-braun wiederum ist auch die Kleidung
der pensionierten Lehrerin, die jeden Tag
mit einem Hundespaziergang beginnt, bevor
sie im Haus auf ihren ebenfalls grau-grünbraun gekleideten Ehemann trifft, um mit
ihm den weiteren Tag zu planen: Ausflüge
in die Stadt, Besorgungen, Reparaturen im
Badezimmer, Mittag- oder Abendessen mit
den gleichalten Freunden. Charlotte Rampling und Tom Courtenay, Stars des britischen
Autorenkinos mit schillernden Filmografien,
deuten dieses grau-grün-braune 45-jährige
Ehepaar-Sein in faszinierendem Understatement an: Gesten, die passen, Gegenstände,
die ohne Hinzusehen berührt werden, Blicke, die sich nur dann intensivieren, wenn
einer von beiden etwas Unvorhergesehenes
sagt, Dialoge, die ein eingeübtes Interesse
aneinander zeigen. Weich, auf vorteilhaftem
35mm, sind die Körper in die gleichfarbigen Landschaften und Innenräume gesetzt.
Gegen dieses festgestellte Bei-Sich-Sein
zweier Menschen klackert aber der Diaprojektor an, setzt Bild nach Bild, verspricht
eine Entwicklung. Und tatsächlich wird
Kate schon am vierten von den sechs Tagen
nicht mehr morgens mit dem Hund durch die
grau-grün-braune Landschaft laufen, wird
nicht jeder Tag wie der andere sein. Denn
zwischenzeitlich wird außerhalb der Bilder
etwas freigelegt, dessen Resonanz die alltäglichen Rituale in den Bildern durcheinander
bringt: Die wohlkonservierte Leiche einer
früheren Geliebten von Geoff wird in einem
Gletscher in den französischen Alpen gefunden, für die Kate vielleicht nur ein Ersatz,
eine zweite Wahl war. Und in den Bildern, in
den Landschaften, in den Zimmern, in denen
Geoff und Kate über ihre Ehe nachdenken,
sind plötzlich Gespenster, Geheimnisse,
Gerüche, es spukt, der Wind rüttelt an den
Fenstern und Türen, der Hund wittert und
bellt. Der Dachboden, der den Diaprojektor
und die verblichenen Bilder der toten Geliebten birgt, bringt ans Licht, was bisher eingefroren war. Unaufhaltsam, Bild für Bild, entgleist diese Beziehung.
Andrew Haigh dreht nicht den ersten
Spielfilm über das Zusammensein zweier
Menschen. In seinem ersten, „Greek Pete“,
versuchen zwei Stricher, einander Halt zu
geben. Einer von ihnen glaubt an die große
Liebe. Im zweiten, „Weekend“, verlieben sich
zwei Männer und haben für diese Liebe nur
ein Wochenende. Einer von ihnen glaubt an
die große Liebe. In „45 Years“ nun verteidigt
eine Frau ihre Idee der großen Liebe gegen
das Gespenst eines 45-jährigen Geheimnisses, das alles infrage stellt. Und es kommt
vielleicht nicht von ungefähr, dass Haigh zum
ersten Mal von einer heterosexuellen Beziehung erzählt, deren Fallhöhe eine andere ist.
All das, was Normalität versprach, worüber
nie nachgedacht werden musste, was gesellschaftlich vorgezeichnet war, steht plötzlich
auf dem Spiel: Rituale werden schal, zum
gemeinsamen Lebensweg hätte es Alternativen und Abzweigungen gegeben, und selbst
die heteronormativen Schnulzen der Jugend
lassen sich mit ihren sprechenden Titeln
plötzlich anders lesen: „Nowbody Knows“,
„Young Girl“, „Tell It Like It Is“, „I Only Want
To Be With You“, „Happy Together“, „Smoke
Gets In Your Eyes“.
Im Schlussakkord des letzten Songs läuft
der Film auf eine kleine Geste hinaus, in der
alles zerbricht. Im grau-grün-braunen Ballsaal stehen Kate und Geoff plötzlich in einem
isolieren blauen Strahl, gesprenkelt von
Reflexen der Discokugel. Der unaufhaltsame
Rhythmus des Films kommt zu einem Halt.
Eine Großaufnahme von Charlotte Ramplings Gesicht, im weichen 35mm-Abbild,
ohne verklärendes Licht und Make-up.
Widersprüchlich, fast unlesbar legt dieses
Gesicht Schichten von Emotionen frei. Der
Blick einer Frau, die ins Nichts fällt. Nächstes Bild.
s
45 YEARS
von Andrew Haigh
UK 2015, 93 Minuten, deutsche SF,
Piffl Medien, 3 www.piffl-medien.de
IM KINO ab 10. September 2015,
3 www.45-years.de
SISSY 27 23
kino
kino
DAS
TANTIGE
VON PAU L SCH U L Z
s Arndt von Bohlen und Halbach war, als er am 8. Mai 1986, einem
sonnigen Donnerstag, starb, 48 Jahre alt und längst eine deutsche
Legende. Diese beginnt am 24. Januar 1938. Seine Mutter Anneliese
ist, als ihr einziger Sohn geboren wird, 29 Jahre alt und die Frau eines
der reichsten Männer Europas: Alfried Krupp von Bohlen und Halbach. Der ist gerade dabei, noch reicher zu werden, indem er in den
eigenen Fabriken Kanonen und anderes Kriegsgerät fertigen lässt,
mit denen Hitlers Armeen in den folgenden sechs Jahren Millionen
Menschen quer durch ganz Europa abschlachten. Weil einen mehrfacher versuchter Völkermord schon beschäftigen kann und Alfried
und seine Mittäter in den Nürnberger Prozessen nach Kriegsende
zu langen Haftstrafen verurteilt werden, wächst Arndt so gut wie
ohne Vater auf. Das tut ihm nicht gut. Oder vielleicht doch, man weiß
das nicht so genau. Seine Mutter Anneliese hält jedenfalls immer zu
ihrem zarten Kind mit den großen Augen. Auch wenn sie relativ früh
gewusst haben wird, dass Arndt zum Völkermord wohl zeitlebens die
Durchsetzungskraft fehlen wird. Mütter wissen sowas.
Obwohl sein Vater nach ein paar Jahren wieder aus dem Gefängnis kommt, weil „das Land ihn braucht“, wie er sagt, wird Arndt in den
Internaten, auf die ihn seine Mutter schickt, „Kriegsverbrechersohn“
genannt. Zu Recht, aber sowas ist traumatisch für ein Kind, besonders, wenn er so ist wie Arndt: bisschen weich, bisschen verträumt,
bisschen anders als die anderen Jungs. Da er aber ja nun auch der einzige Sohn ist, wird er, soviel dynastisches Denken muss sein, über ein
Betriebswirtschaftsstudium und Praktika in den unterschiedlichen
Zweigen der väterlichen Firma auf deren Übernahme vorbereitet. Bis
Papa sein Kind dabei kennenlernt und wohl noch einmal genau überlegt, ob in Zeiten des überaus schwierigen Osthandels und massiver
Rezession einer wie sein Sohn die Firma übernehmen sollte. Oder, wie
Arndts väterlicher Intimfeind Berthold Beitz es später zusammenfasst, „Arndts Veranlag …, also sein Charakter“ habe dem Vorhaben
schon irgendwie im Weg gestanden. „Mir hat das nie jemand zugetraut“, weiß auch das Kind.
Am 16. September 1966, ein knappes Jahr vor dem Tod seines
Vaters, verzichtete Arndt von Bohlen und Halbach auf sein Erbe.
Das waren, je nachdem, wie man es berechnet, immerhin zwischen
2,5 und 3,5 Milliarden D-Mark. Ein geschäftlicher Schachzug, der
die Familie von der vernichtenden Steuerlast erlöst, die sich durch
den Erbvorgang noch erhöht hätte. Und ein sagenumwobener Deal,
der Berthold Beitz, dem Kopf dahinter, einen Platz in der deutschen
24 SISSY 27
EDITION SALZGEBER
André Schäfer erzählt in „Herr von Bohlen privat“ die Legende
vom letzten Krupp, dem schwulen Paradiesvogel in einer
grauen Dynastie und liebsten Hassobjekt der deutschen
Nachkriegskrawallpresse: Arndt von Bohlen und Halbach.
Mit sachten Tricks und großartigem doppelten Boden, als
Spiel- und Dokumentarfilm gleichermaßen, und mit einem
Hauptdarsteller, der aus den von-Bohlen-Originalzitaten
einen ganz eigenen Text macht: „Der letzte Krupp tanzte
aus der Reihe – aber wenigstens tanzte mal einer.“
SISSY 27 25
kino
EDITION SALZGEBER (2)
kino
Wirtschaftsgeschichte sichert, weil er und ein paar andere kruppstahlharte Männer mit der „Alfried Krupp von Bohlen und HalbachStiftung“ die größte gemeinnützige Organisation der relativ jungen
Bundesrepublik ins Leben rufen. Arndt ist nun „der reichste Frührentner Deutschlands“. So steht es jedenfalls in den Klatschblättern
von München bis Hamburg. Deren LeserInnen nicht verstehen, wie
man seine Apanage von zwei Millionen Mark jährlich überhaupt
ausgeben kann. „Ich finde, das geht ganz einfach“, sagt der Milliardärssohn, der sich mit Aussagen wie: „Arbeit? Das hat mir gerade
noch gefehlt!“, nicht gerade beliebt macht in einem Wirtschaftswunderland, das sich zeitgleich mit der Studentenbewegung und seinen
wütenden Kindern in der RAF auseinandersetzen muss.
Obwohl er sich gern schminkt und mit jungen „Bürschchen“
umgibt, heiratet Arndt am 14. Februar 1969 auf Schloss Blühnbach
Henriette („Hetti“) von Auersperg, die Tochter von Alois von Auersperg und Henriette Larisch von Mönnich. Die Ehe bleibt, wenig
überraschend, kinderlos. Statt Nachwuchs bekommt Hetti 250.000
Mark im Jahr. Arndt ist bis zu seinem Tod ein Star des europäischen
und internationalen Jet Sets, über den fast so viel geschrieben wird
wie über seinen Freund Gunther Sachs, kauft sich Freunde und
Begleiter, hält sich Maler und versteckt sich in der Küche seines Lieblingsrestaurants in München vor Berthold Beitz, wenn der ihn wegen
geschäftlicher Belange dringend sprechen will. Am 8. Mai 1986 stirbt
Arndt, während Deutschland den Tag der Befreiung vom Hitlerfaschismus begeht, im Münchner Klinikum Großhadern an Mund26 SISSY 27
bodenkrebs, von dem viele sagen, er sei erst durch seine zahllosen
Schönheitsoperationen ausgelöst worden. Am Ende seines Lebens
sah er ein bisschen aus wie Michael Jackson und hatte entschieden,
sich lieber in vergitterten Räumen auf Schloss Blühnbach von der
Welt zurückzuziehen als hässlich vor sie zu treten. „Wie der Mann
mit der eisernen Maske“. Seine Mutter Anneliese überlebt den Sohn
um zwölf Jahre und muss mit ansehen, wie nach seinem Tod jahrelang um die Steuerschulden ihres Kindes gestritten wird, bis sich
Roman Herzog einschaltet und sie sich mit Hetti und dem Freistaat
Bayern einigen können.
Verkannt, verraten, verleumdet. Wie man sieht: Das Leben von
Arndt von Bohlen und Halbach gibt einen herrlichen Filmstoff ab.
Das hat auch André Schäfer erkannt, der mit „Herr von Bohlen privat“ jetzt genau diesen Film vorlegt und dabei alles richtig macht.
Denn er kleidet seine Hauptfigur nicht in die schlecht sitzenden
Gewänder einer großen fiktionalen Spielfilmoperette, sondern hat
einen Hauptdarsteller, den wunderbaren Arnd Klawitter, der auf
der Suche nach „dem Tantigen“ seiner Figur, Zitate aus Interviews
von sich gebend, zu den Originalschauplätzen der wahren Handlung fährt und dort spazieren geht, Drinks mixt, seinen Lidstrich
nachzieht, Partys feiert und mit seinem jungen Begleiter (Arne Gottschling) schäkert. Auf Schlössern und Booten, auf Friedhöfen und in
lumpigen Partykellern. Unterbrochen von Interviews mit denen, die
Arndt mochten: unter anderen seinem Buchhalter, Michael Graeter,
dem berühmtesten Klatschjournalisten der BRD, seinem Haus- und
Hofmaler und dem Ehepaar, das sein Lieblingsrestaurant in München führte. Eingestreut sind seltene Originalaufnahmen mit den
Protagonisten: Beitz kommt genauso zu Wort wie Arndt selbst und
dessen Vater.
Das Ergebnis ist, je nachdem aus welchem Blickwinkel man es
betrachtet, die herrlich verklatschte Geschichte eines Unglücksraben,
eine Moritat darüber, welche Werte sich nach dem Tod von sechs Millionen Juden im Nachkriegsdeutschland durchgesetzt haben, oder
ein sehr unterhaltsamer Horrorfilm über ein komplett misslungenes
Leben. Vielleicht auch all das zusammen.
Denn man weiß ja: alles wahr. Man weiß auch: Schlimm ist das.
Man kichert und gruselt sich und bestaunt, jedenfalls wenn man dort
nicht aufgewachsen ist, wie unfassbar dämlich die Münchner Schickeria immer noch ist, schon, weil ihre Vertreter auch in den Interviews hier nicht von ihrer kaum verhohlenen Bewunderung ablassen
können für einen, der sich gern „Baron“ nennen ließ, aber nichts Stählernes hatte und dessen Leben grausig gewesen sein muss, aber wohl
genau das sein sollte. Die vor Unglück schreiende Leere in der High
Society der 1970er und 80er ist, obwohl es die Macher nicht offensichtlich darauf anlegen, ohrenbetäubend laut. Der moralische Muff
und die immanente Homophobie, die hinter all den Aussagen lauern,
die hier eigentlich wohl liebevoll gemeint sind, verschlagen einem
schier den Atem. Wie hier jemand Zeit seines Lebens versucht, einen
Platz in der Welt zu finden, aber da nie ankommt, das ist in seiner
offensichtlichen Folgerichtigkeit schrecklich.
Das Aufeinandertreffen eines industriellen Schwerverbrechers,
der stolz ein Interview über seine riesige Firma gibt, während sein
Elfenkind im Hintergrund hilflos und verstört an einem kleinen
Maschinenteil dreht, ist ein Bild shakespearschen Ausmaßes, das
Schäfer hier in einer Originalaufnahme zeigt, ohne es weiter kommentieren zu müssen, und das einem alles erzählt, was man über
den Umgang mit Homosexualität in der damaligen Zeit wissen muss.
Dem Regisseur gelingt es mit sachter Hand und durch eine sehr
gelungene Montage, zu zeigen, wie es gewesen sein muss, Arndt von
Bohlen und Halbach zu sein, wie es sich angefühlt hat, für ihn und
für andere. Etwas Besseres kann man über einen Dokumentarfilm
nicht sagen.
s
HERR VON BOHLEN PRIVAT
von André Schäfer
DE 2015, 90 Minuten, deutsche OF,
Edition Salzgeber, 3 www.salzgeber.de
IM KINO ab 19. November 2015
SISSY 27 27
kino
kino
Die Gnade des
Verschwindens
VON JA N K Ü N EM U N D
ARSENAL FILMVERLEIH (3)
David Hockney ist einer der erfolgreichsten Künstler des 20. Jahrhunderts.
Randall Wright hat eine Filmbiografie über ihn angefertigt, die Hockneys
Leben im wahrsten Sinne des Wortes festzuhalten versucht. Für den Maler
waren Hollywoodfilme in seiner Jugend Erweiterungen eines zu klein
empfundenen Raums – ob er sich „Hockney“ im Kino angesehen hätte?
s Der vanishing point, der Fluchtpunkt,
sei für Hockney geradezu ein heiliges Konzept gewesen, sagt Kurator Charlie Scheips.
Allerdings, das ist die Pointe, nicht aus der
Perspektive des Betrachters, dessen Blick
auf einen Fluchtpunkt zulaufe – sondern für
Hockney sei der Mensch selbst der Fluchtpunkt, auf den die Welt zulaufe. In dieser
Vorstellung eines Betrachters, der so aus
dem Bild verschwinde, steckt die Ablehnung
eines konstruierenden Blicks, der der Welt
eine feste Form gibt. Hockneys PolaroidCollagen, die nach der emotionalen Zerreißprobe seiner Trennung mit Peter Schlesinger entstanden sind, splitten entsprechend
die vereinheitlichende Perspektive auf; das
Gesamtbild besteht aus lauter Details, die aus
verschiedenen Blickwinkeln, in tageslichtabhängig verschiedenen Helligkeiten, festgehalten sind und somit nicht mehr fotorealistisch auf einen Blick zurückzuführen sind.
Der Standort und das Verschwinden, das
Festhalten und die Auflösung sind zentrale
Themen im Leben und im Werk David Hockneys. Man könnte das ernstnehmen, wenn
man das Porträt eines Künstlers unternehmen will, der in den klaustrophobisch gestaffelten Mietskasernen von Bradford aufgewachsen ist, dessen Begehren kriminalisiert
wurde, bis er 30 Jahre alt war, der sich in den
1970ern biografisch aus allen vorgegebenen
Mustern gelöst hat, dessen neue Muster aber
knapp zehn Jahre später durch Aids wieder
zerbrachen – kurz: der eine typische nichtheterosexuelle Bewegung durch das 20. Jahrhundert machte und somit seine Schwierigkeit mit der geordneten Zentralperspektive
auf sein Leben haben dürfte.
„Hockney“, von Randall Wright im Auftrag von BFI und BBC Arts hergestellt, versucht aber genau das. Er erzählt ein Leben
zwischen Kindheit und Alter, mit den Stationen Familie, Kunsthochschule, erster NewYork-Besuch, Umzug nach L.A., Coming-Out,
Erfolg, Beziehung, Freundschaften, Aids,
Tod der Mutter, Alter. Die Erzählform dieses
28 SISSY 27
Lebens fühlt sich klassisch und bekannt an,
sie ordnet die verstreuten Details auf einer
großen Linie, die veranschaulichen will, wie
jemand wurde wie er ist. Wie die Kunst das
Leben transformiert hat. Wie große Werke
aus Inspirationen entstanden. Das ist alles
so banal, dass es fast wehtut, es hier aufzuschreiben. Weil es ein Normativismus ist, der
eine queere Figur nicht fassen kann, ohne ihr
Gewalt anzutun.
Abgesehen von der oft wirren Montage,
die Dinge zusammenbringt, die die eigene
Ordnungsprinzipien nicht erfüllen, sieht die
Gewalt der Erzählung z.B. so aus: Man findet ein Familienmitglied, das sowas sagt wie:
„David hat als Kind schon gezeichnet.“ Dann
Schulfreunde, die sowas sagen wie: „Der
Klecks, den er auf unserem Teppich gemacht
hat, war bald schon Millionen wert.“ Kommilitonen, die sowas sagen wie: „David hat
sich in den 1950ern schon getraut, Moleskinhosen, Melone und rosagestreifte Anzüge
zu tragen.“ Auch, dass ein Film über einen
schwulen Künstler, dessen Fluchtpunkt Los
Angeles erotisch motiviert war (Surfer!), mit
Bildern der Eltern beginnt und endet, einen
zentralen Hockney-Ordnungsvorschlag wie:
„Freunde sind der einzige Faden, der sich
durch mein Leben zieht“, einfach ignoriert
und ihn mit Bildern von Hunden illustriert,
aufgenommen auf einem Strandspaziergang
mit Mama. Es dürfte bei Hockney wahrscheinlich eher um die Freunde gegangen
sein, von denen in den 1990ern Aids-bedingt
nur noch ein Drittel am Leben waren und
sowas kann eine geordnete Lebenserzählung
schon mal auseinander reißen. Aber das nur
am Rande (wo es der Film auch anlegt).
Die große Harmonisierungsleistung
des Films, der alles in seine Heteronarration des geordneten Künstlerlebens, das auf
den Fluchtpunkt Erfolg zuläuft, einfügen
möchte, betrifft alle Gestaltungsebenen. Ein
jazziger Soundtrack passt auf alle Lebensphasen, stummes Archivmaterial, sogar
Hockneys Bilder, werden mit einem pseudo­
realistischen Soundtrack überklebt, der eine
häusliche Szene mit einem Telefonklingeln
synchronisiert und eine Trümmerlandschaft
mit Bombenexplosionen. Homosexualität
wird ab Minute 30 in den Film integriert,
weil der Film erzählt, dass Hockney Homosexualität mit 30 Jahren erfolgreich in sein
Leben integriert hat. Fast verschämt, im
Nachspann, versucht Randall Wright einmal die Polaroidcollagen durch SplitscreenExperimente nachzudrehen, das ist aber
nicht ernst gemeint und hat mit dem Rest des
Films nichts zu tun. Hockney sagt: „Landscape“. Und irgendwo muht eine Kuh.
Es gibt einen berühmten anderen Film
mit und über Hockney, der seine Aufgabenstellung etwas anders wählt. „A Bigger
Splash“ (1973), Jack Hazans großartiger
Hybrid aus Spiel- und Dokumentarfilm, der
mitlaufend nebenbei gesammeltes Material
aus der Trennungsphase von Hockney und
Peter Schlesinger dramatisiert und gleichzeitig in Traumsequenzen, assoziativen
Zusammenführungen,
Durchdringungen
von Malerei und Filmbild bedeutungsunsicher und flexibel macht, schafft es tatsächlich, flüchtende Linien einer Lebensphase in
einem provisorischen Brennpunkt einzufangen. Wie nebenbei wird der mal absichtslose,
mal provozierende Kamerablick hier zum
Fluchtpunkt, in dem Hockneys Welt zu diesem Zeitpunkt zusammenläuft.
Auch Wright verwendet aus „A Bigger
Splash“ Szenen für seine Künstlerbiografie.
Die damals Aufsehen erregenden Bilder vom
berühmten Maler Hockney, der sich auszieht,
bevor er unter die Dusche geht (mit einem
unverschämten Genital-Close-up), wird 1:1
übernommen, um dann – kein Scherz – das
Thema der Inneneinrichtungen der Hockney-Häuser anhand der Badezimmerfliesen
zu thematisieren.
Auch die Faszination des Malers für die
instabilen Wasseroberflächen der Pools in
Los Angeles ist in beiden Hockney-Filmen
Thema. Hockney schwärmt von den ineinan-
derfließenden Formen, den Verfremdungen
der Körper im Wasser, den Sonnenreflektionen in den Kanten der Wellen. Sieben Tage
habe er gebraucht, um einen „Splash“ zu
malen – das Gegenteil eines fotografischen
„Klicks“. Die Herausforderung, etwas aufzuzeichnen, das sich auf der Flucht befindet, wurde zum eigentlichen Thema in
Jack Hazans „A Bigger Splash“. In Randall
Wrights Film laufen die Schlusstitel sehr stabil und gut lesbar über das monochrome Blau
eines zwar gefüllten, aber nicht in Bewegung
versetzten Pools. s
HOCKNEY
von Randall Wright
UK/US 2014, 113 Minuten,
englische OF mit deutschen UT,
Arsenal FIlmverleih,
3 www.arsenalfilm.de
IM KINO ab 13. Oktober 2015
A BIGGER SPLASH
von Jack Hazan
UK 1973, 105 Minuten, englische
OF mit deutschen UT,
AUF DVD bei der Edition Salzgeber,
3 www.salzgeber.de
SISSY 27 29
kino
kino
Hetero.
Sexuelle Männer sehen.
VON A N DR É W EN DL E R
PRO-FUN MEDIA (2)
Heterosexuell lebende Männer verlieben sich in andere Männer. Filme
darüber versprechen Dramen, Ausbrüche, Selbstfindung, Bewegung.
Geschichten werden woanders enden als sie begonnen haben. Zwei
aktuelle Filme setzen ein A und ein B und machen sich auf den Weg.
„Unter der Haut“
s Einen ansehen. Sich fragen, wer er
eigentlich ist. Im Kino machen wir das die
ganze Zeit. Irgendwann geben uns Filme
erste Einstellungen von ihren Helden und oft
ist damit unsere Einstellungen ihnen gegenüber gesetzt. Zum Beispiel so: Ein Auto wird
gepackt, Kinder schleppen Spielzeug hinein,
eine Frau fragt einen Mann etwas Beiläufiges, er streichelt im Vorbeigehen einem der
Kinder über den Kopf. Dann wissen wir:
Familie, unspektakuläre Zufriedenheit, Mittelstand, Jahresurlaub.
Anders in diesen Filmen. Die ersten
Einstellungen auf die Hauptfiguren von „In
the Grayscale“ sind optische Verwirrspiele.
Ein Mann, ein Bett, ein kleiner Raum voller
Gerümpel. Schmutzige Glasscheiben, halb
erblindete Spiegel, schiefe Rahmen, spiegelnde Fenster. Kein Blick zeigt etwas deutlich, sondern die Einstellungen zeigen, dass
sie etwas nicht gut zeigen können. Und dann
schaut der Held knapp an der Kamera vorbei, tut, was im Film verboten ist, schaut uns
fast an, während wir ihn anschauen. Halb
nackt ist er dabei, der schöne, schlanke, ins
Bett gehende, aufstehende, schlafende, erwachende Bruno.
„Unter der Haut“ etabliert vollends ein
neues Blickregime. Einzug in eine neue
Wohnung. Durch halb offen stehende Türen
und Fenster Blicke auf die Landschaft, die
ankommende neue Familie. Es ist noch gar
nichts gesetzt: Die Orte für den Spiegel, den
stummen Diener, das Ehebett muss erst noch
gefunden und damit die möglichen Blickachsen überhaupt erst etabliert werden. Dazu
30 SISSY 27
die Freude der Familie, die sich für das neue
Haus entschieden hat und jetzt sehenden
Auges in das neue Leben eintritt, das hier
auf sie wartet. Der Held muss seinen Raum
verteidigen, denn er ist knapp: Ihm bleibt nur
der Viertelmeter unter dem Bett, in dem er
seine Gitarre verstaut und den er gegen Eindringlinge schützen muss.
Wie auch immer die erste Begegnung
mit Filmhelden genau aussieht, wir wissen
als Beobachter_innen dieser Konstellationen, dass sie nicht von Dauer sein können.
Wir gehen ins Kino, weil wir eine Handlung
sehen wollen und das heißt: Veränderung.
Etwas ereignet sich, jemand erscheint oder
verschwindet, es wird anders. Wir wollen
am Ende eines Films nicht das gleiche sehen
wie am Anfang. Die Blicke auf unsere Liebhaber_innen, unsere Familie und unsere
Freunde außerhalb des Kinos sind vielleicht
andere: Mit Fürsorge blicken wir auf unsere
Kinder und hoffen, dass sie gesund bleiben;
mit Beunruhigung sehen wir unseren Eltern
beim Altern zu; unsere Lover verabschieden
wir mit der Zuversicht, dass sie zurückkommen werden.
Beziehungen, Familien, Wohn- und
Hausgemeinschaften sind die äußeren Zeichen dieser auf Stabilitäten zielenden inneren Ordnungen. Die beiden Filme gehen mit
diesen Räumen ganz unterschiedlich um.
„In the Grayscale“ geht hinaus aus den Zimmern häuslicher Ordnung und versucht sich
am Großen, der Stadt als Ganzer. Der Architekt Bruno soll für seine Stadt eine prägende
Sehenswürdigkeit bauen, eine Struktur, die
für das Ganze steht, um die herum sich alles
ordnen kann. Er unternimmt dazu Exkursionen mit einem Stadtführer, der ihn ganz
aus seiner inneren Ordnung herausführt.
Das Chaos und die Vielfalt der großen, halb
unbekannten Stadt wird sein eigenes Chaos.
Lange hat er keine Ahnung, was für ein
Gebäude er errichten soll, bis er sich dazu
erschließt, eine historische Brücke wieder zu
errichten, vielleicht um das andere Ufer besser erreichen zu können. „Unter der Haut“
hingegen ist ein häusliches Drama. Es spielt
fast ausschließlich im Urort heterosexueller
Familien: dem Elternschlafzimmer. Hierhin
kehren die Eheleute nachts zurück, hierhin
kriecht die jüngste Tochter, wenn sie nachts
nicht schlafen kann, dieser Raum wird
umgestaltet, wenn die Familienordnung
nicht mehr zu halten ist.
Beide Filme machen lange Expeditionen durch diese Ordnungen und Ortungen.
Und genau das unterscheidet sie von einem
Coming-Out-Film mit Sechzehnjährigen.
Wenn erwachsene Männer, Familienväter
zumal, plötzlich schwul werden, dann schlagen sie eben nicht nur einen alternativen
Pfad ein, sondern sie müssen eine umfassende Ordnung, in der Begehren, Lebensumstände, ökonomische Verhältnisse und
soziale Räume aufeinander bezogen waren,
aktiv verlassen, umgestalten, vielleicht sogar
ein Stück weit zerstören. Und weil beide
Filme damit jeweils ganz andere Ausgangslagen annehmen, sind auch die Ergebnisse
vollkommen unterschiedlich. Franks Frau,
um die es in „Unter der Haut“ mindestens
„In the Grayscale“
so ausführlich geht, wie um ihn, denkt eine
Zeit lang, sie könnte Franks Anziehung zu
Männern integrieren. Sie schlägt ihm sogar
einen Dreier mit einem anderen Mann vor.
Und sie fragt sich natürlich irgendwann das
Unausweichliche: War das schon so, als wir
geheiratet haben? Auch auf diese Frage wird
sie keine Antwort bekommen. Frank ist von
ihrer Fragerei genervt: Jetzt ist eben alles
anders. Da werden etliche Verbindungslinien
gekappt und die neue Situation ist so radikal
anders, dass selbst ein Schwimmbassin im
Schlafzimmer plötzlich denkbar ist.
Bei Bruno scheint der Weg aus der Ehe
einer Grabung nach etwas zu gleichen, das
lange, vielleicht sogar immer schon, da gewesen ist. So wie die Lösung für sein Architekturproblem in den unterirdischen Überbleibseln eines verschwundenen Bauwerkes liegt,
sucht er nach einer Konstellation für sich
selbst, die alles im richtigen Licht erscheinen
lassen könnte.
Beide Filmen zeigen sehr deutlich, dass
es zu wenig ist, zu sagen: Einer ist schwul,
eine ist heterosexuell, einer ist verheiratet.
Vermutlich sind die beiden Männer am Ende
schwul, aber ihr Schwulsein hat mit meinem
kaum etwas zu tun. Für mich war eine heterosexuelle Beziehung niemals eine Option,
ich war schwul, so lang ich denken kann.
Die Vorstellung einer eigenen heterosexuellen Familie ist für mich etwas, das ich ohne
innere Beteiligung nur von außen sehe. Für
Frank und Bruno wird es immer dazu gehören, dass ihre Kinder in ihnen auch die mutwilligen Zerstörer der Familie sehen, dass
ihre Frauen sich fragen, ob ihre Ehe jahrelang nur Betrug war. Der Schwule mit Kind
und Familie ist eben ein anderer Schwuler
als der fröhliche Gay Party Bachelor. Was so
einfach klingt, wird in diesen Filmen in seiner ganzen emotionalen und lebenspraktischen Komplexität gezeigt. Schulterzuckend
könnte ich mich von diesen Filmen abwenden; sie betreffen mich nicht. Gerade in ihrer
Konfrontation mit einem schwulen Leben,
das für mich außer Reichweite liegt, sind sie
aber lehrreich, und man muss wohl sogar
politische Konsequenzen aus ihnen ziehen.
In einer Zeit, in der politische Forderungen für schwules Leben kaum einmal über
den altbekannten Ruf nach der ehelichen
Gleichstellung hinausreichen, kann man hier
nämlich sehen, dass die Bedürfnisse und
Umstände individueller, komplizierter und
unvorhersehbarer sind. Vielleicht brauchen
wir weniger die Debatte über diese oder jene
Struktur oder Lebensform, als eine offene
und unterstützende Plattform, auf der sämtliche Menschen ihre ureigenen Konzepte
ausprobieren und herausfinden können, wie
sie leben wollen. Dann wäre das Entweder-Oder, vor das Bruno von seinem Lover
gestellt wird, vielleicht auch so überflüssig,
wie Franks Totalverweigerung seiner Familie gegenüber. Dann gäbe es die Möglichkeit Hybride zu produzieren, in denen man
ein bisschen schwul, ein bisschen Vater, ein
bisschen Ehemann, ein bisschen whatever
ist, anstatt sich einen dieser Schuhe exklusiv anzuziehen. So wie Frank und Bruno
manchmal einfach nur in die Gegend stie-
ren, Antworten verweigern, mit den Schultern zucken oder verschwinden, müsste
man dann aber auch mit unbeantworteten
Fragen, insistierenden Problemen und unlösbaren Verwicklungen leben können, statt
immer alles in saubere Identitätsschubladen
und verständliche Strukturen zu übersetzen.
Vielleicht klingt das wie utopische Träumerei und idealistischer Mumpitz, aber was soll
es: Ich gehe ins Kino, um mich genau solchen
Träumereien hinzugeben und zu sehen, was
dabei herauskommt, wenn Veränderung kei­
ne Option, sondern eine kinematografische
Pflichtübung ist.
s
IN THE GRAYSCALE
von Claudio Marcone
CL 2015, 97 Minuten, spanische
OF mit deutschen UT,
Pro-Fun Media, 3 www.pro-fun.de
IM KINO ab 29. Oktober 2015
UNTER DER HAUT
von Claudia Lorenz
CH 2015, 93 Minuten, schweizerdeutsche
OF mit deutschen UT,
Pro-Fun Media, 3 www.pro-fun.de
IM KINO ab 19. November 2015
SISSY 27 31
film-flirt
film-flirt
Meine liebsten passieren in der letzten Viertelstunde des Films.
Die Freunde finden die Leiche und der Erzähler, der alte Gordie, sagt
aus dem Off:
„None of us could breathe. Somewhere under those bushes was
the rest of Ray Brower. The train had knocked Ray out of his Keds, just
like it had knocked the life out of his body. The kid wasn’t sick. The kid
wasn’t sleeping. The kid was dead.“
Am Ziel angekommen wird Gordie tieftraurig und fragt sich,
warum sein Bruder Denny sterben musste. Chris versucht, ihn zu
trösten.
SONY PICTURES HOME ENTERTAINMENT
gordie:
chris:
chris: chris: gordie: chris: gordie: chris: gordie: chris: gordie: chris: gordie: Gordie bricht weinend zusammen und Chris nimmt ihn in den Arm
und zieht ihn an sich.
chris: Der Moment
Da der Trubel um Fabian Hischmanns Debütroman „Am Ende schmeißen wir mit Gold“
nun etwas abgeebbt ist, hat er endlich Zeit, den lange verabredeten Moment seiner queeren
Filmgeschichte beizusteuern. Darin geht es, wie auch im Roman, um die Weigerung, Kindheit und
Jugend und all das Ungefestigte und Ambivalente darin als abgeschlossen zu betrachten.
chris: gordie: chris: gordie: chris: 32 SISSY 27
„You’re gonna be a great writer someday. You might
even write about us guys, if you ever get hard-up for
material.“
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Am Schluss, sie sind wieder zuhause, verabschieden die beiden sich
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so voneinander:
SCHRIFTSTELLER SEHEN FILME: FABIAN HISCHMANN
s Mein Moment ist ein Repeat.
Ich weiß nicht mehr, wann ich „Stand by Me“ zum ersten Mal
gesehen habe. Und auch nicht wie oft. Ich schaue ihn wieder und
wieder. Zufällig im Fernsehen (dann muss Ostern oder Weihnachten
sein, und ich zu Besuch bei meinen Eltern, weil ich selbst kein Gerät
besitze) oder an müden Stadtabenden ohne Ausgehdrang auf 13 Zoll
und Matratze.
Die Adaption von Stephen Kings Shortstory „Die Leiche“ ist zeitlos. Oder eben dauernd.
Ist ja ein Ding von vielen Coming-of-Age-Stoffen, als ob man ewig
oder nie erwachsen würde. Mal ehrlich, wer ist schon 17 und wird 18
und ist fertig?
Die Charaktere im Film von 1986 – da war ich drei, Coming of
Pampers, und Zeit noch kein Faktor – sind Ende der 50er zwölf Jahre
alt und Mini-Stereotypen mit Tiefgang. Da sind der schmächtige
Gordie, der Schriftsteller werden möchte und den Unfalltod seines
großen Bruders, des Football-Talents und „besseren“ Sohns, nur
schwer verkraftet, und sein bester Freund Chris (River Phoenix), der
gerechte Rebell aus schwierigen Familienverhältnissen, sowie die
Sidekicks Teddy, der Durchgeknallte, nebst Vern, dem treunaiven
Dicken.
„Why did he have to die, Chris? Why did Denny have to
die? Why?“
„I don’t know.“
„It should have been me.“
„Don’t say that.“
„It should have been me.“
„Don’t say that, man!“
„I’m no good. My dad said it. I’m no good.“
„He doesn’t know you.“
„He hates me.“
„He doesn’t hate you.“
„He hates me.“
„No. He just doesn’t know you.“
„He hates me, my dad hates me. Oh god.“
Die Buchhandlung für Lesben und Schwule
Gemeinsam machen sie sich auf die Suche nach Ray Brower,
einem vermissten Jungen. Sie träumen davon, Helden zu werden, und
bergen allein dadurch, dass sie von Anfang an miteinander lachen und
weinen können, so viel mehr Identifikationspotenzial, sind für mich
näher dran am Helden, als es blockbusternde „Fantastic Four“ oder
„Avengers“ je sein könnten.
Natürlich zanken die Vier auf ihrer Wanderung durch das sommerliche Oregon auch und beleidigen ab und an die Mutter des jeweils
anderen. Dabei bleiben sie aber stets auf Augenhöhe und werden
schnell versöhnlich. Nie fällt das Wort „Schwuchtel“ – okay, gegen
Ende des Films sagt Kiefer Sutherland, der den Schmalspurgangster
Ace mimt, zu Chris „little faggot“, aber das ist, verglichen mit dem,
was sein zukünftiges Alter Ego Jack Bauer in der Serie „24“ Menschen antun wird, irgendwie süß. Noch besser ist, dass Chris nicht
mit einem „faggot yourself“ kontert – das in „Jungsfilmen“ ja oft inflationär rausgeballert wird. Jungs sind hart, klaro. Schön, dass Stephen
King und Rob Reiner, der Regisseur, da nicht mitmachen wollten.
Und so gibt es viele Szenen, die mir auch heute, draußen ist Nacht,
stockt die Hitze zwischen den Häusern und meine Nachbarn in Neukölln unterhalten sich sehr laut via Fenster über die Katzenpisse im
Treppenhaus, wieder Freude machen.
„I’m never gonna get out of this town, am I, Gordie?“
„You can do anything you want, man.“
„Sure (er lächelt und streckt Gordie die Faust hin). Give
me some skin!“
„I’ll see you.“
„Not if I see you first.“
Manche sind mit zwölf das, was andere nie sein werden: Emphatische
Sense-Fiction-Helden. s
STAND BY ME –
DAS GEHEIMNIS EINES
SOMMERS
von Rob Reiner
US 1986, 85 Minuten,
deutsche SF, englische OmU
AM ENDE SCHMEISSEN WIR MIT GOLD
von Fabian Hischmann
Roman, 256 Seiten,
Berlin Verlag, 3 www.berlinverlag.de
AUF DVD bei Sony Pictures
Home Entertainment,
3 www.sphe.de
SISSY 27 33
1
25.08.1
dvd
dvd
KLEINE FISCHE
VON ST E PH A N I E K U H N EN
EDITION SALZGEBER
Zwei sehr unterschiedliche Frauen verlieben sich so nach und nach ineinander – und ihrem
großen Freundinnenkreis geht das alles viel zu langsam. Liebevoll ironisch nennen sie es den
„lesbischen ,Gandhi‘“ – und das ist so ziemlich das Gegenteil von dem, was Rose Troche in
ihrem klassischen, aber hierzulande lange nicht zu sehenden Erstling „Go Fish“ macht. Denn
der ist schnell geschnitten, sexy, turbulent, experimentell und sehr witzig, ohne RomCom,
Dramödie oder sonst eins dieser tausendfach variierten L-Film-Genres zu sein. SISSY über
den ersten lesbischen Indie-Hit und den ersten lesbischen Teddy-Gewinner überhaupt.
34 SISSY 27
s Twentysomething Max hat ein Problem: Sie sieht umwerfend
aus und hatte trotzdem seit über zehn Monaten keinen Sex. Das
liegt an ihren übersteigerten Erwartungen an eine zukünftige Partnerin, meinen ihre Freundinnen. Und tatsächlich benimmt sich
Max wie eine oberflächliche Tussi, als sie in einem Lesbencafé das
erste Mal die unscheinbare Ely trifft. Diese hat eine lange HippieMatte, ist älter, schlaksig und extrem schüchtern. Doch Kia, Max’s
Mitbewohnerin, und ihre Lebensgefährtin Evy geben den Plan, die
beiden unterschiedlichen Frauen zu verkuppeln, so leicht nicht auf.
Ein gemeinsamer Kinobesuch wird eingefädelt, nach dem Max bei
Ely auf dem WG -Sofa landet. Beide Frauen kommen sich näher, sie
küssen sich – und dann ruft Elys Fernbeziehung an. Ende von Date.
Doch Elys Mitbewohnerin, die notorische Aufreißerin Daria, weiß
Rat: Ely muss sich verändern und die Komfortzone ihrer nur noch
formal existierenden Beziehung verlassen. Und Max muss ihre Einstellung dringend überprüfen. Ely bekommt einen Make-over und ein
neues Lebensgefühl. Bei einer von Kira, Evy und Daria arrangierten
Hausparty treffen die beiden wieder aufeinander und erhalten eine
zweite Chance.
Nach 21 Jahren wirkt die Komödie „Go Fish“ heute noch so frisch
und unverblümt lesbisch, dass sie mehr als nur ein Klassiker des
Independent-Films ist. Das Debüt von „The L-Word“-Autorin und
-Produzentin Rose Troche, das sie zusammen mit ihrer damaligen
Partnerin, Drehbuchautorin und Schauspielerin Guinevere Turner („Preaching to the Perverted“, „The L-Word“, „The Watermelon
Woman“), geschrieben und produziert hat, ist eine Liebeserklärung
an das Lesbischsein, an die Freundinnenschaften, an die Solidarität
untereinander, an den gemeinsamen Wunsch, andere Lebensformen
zu entwickeln, als sich für die für Frauen vorgezeichneten Normen
passend zu machen. Gleichzeitig ist „Go Fish“ eine hochkomplexe
Auseinandersetzung mit lesbischer Kultur, bevor diese den LGBT-Prioritätsthemen um Coming-Outs, Familienkonzepte, Liebe oder Reibungsprobleme mit einem feindlichen „Außen“ untergeordnet wurde.
Zeitlos faszinierend an „Go Fish“ ist vor allem, wie mit einem
Minimalbudget, grobkörniger Schwarz-Weiß-Ästhetik und experimenteller Montage unterschiedliche Performanzen lesbischer Identität miteinander verwoben und die unterschiedlichen Politiken von
Selbstbehauptung visualisiert werden. Angesichts der Übermacht von
Spielfilmen, die von Lesbischsein als angeborenem Wesenskern ausgehen, der einer gesellschaftlichen Anerkennung bedarf, erzählt „Go
Fish“ von Identität als fortlaufender Handlung, in der Liebe im kon-
ventionellen Sinn nur ein Aspekt unter vielen ist, und auch diese fällt
nicht schicksalshaft vom Himmel, sondern wird in freien Entscheidungen hergestellt. So müssen die beiden aneinander interessierten
Frauen erst bestimmte Prozesse getrennt voneinander durchlaufen,
um sich ineinander zu verlieben. Diese werden mitgetragen von ihren
Freundinnen, die in permanenter Auseinandersetzung mit Liebe, Sex
und Beziehungsformen untrennbarer Teil der filmischen Erzählung
sind. Wie ein Quartett – daher der Titel nach dem Kartenspiel „Go
Fish“ – diskutieren das Paar Kira und Evy und Daria plus Affäre die
jeweiligen Entwicklungen zwischen Ely und Max und schmieden
Pläne, wie sie unterstützend die beiden zu Beginn so unterschiedlichen Lesben zusammen bringen können. Dabei geht es weit mehr als
nur um ein Matchmaking, das auf eine festgelegte Beziehungsform
zielt. Tatsächlich wollen die Freundinnen eine sichere Umgebung herstellen, um beiden die Möglichkeit zu geben, selbst über die Art ihrer
zukünftigen Beziehung zu entscheiden. Der Chor der Freundinnen ist
bereits selbst so angelegt, dass nicht etwa zwei klassische Paarbeziehungen sich austauschen und „Glück“ als normatives Erleben definieren, sondern zum „Team Max-Ely“ auch die jeweilige Affäre namentlich eingeführt wird und gleichberechtigt mitdenkt. Nicht nur das
macht „Go Fish“ auch zu einem feministischen Film, der grundsätzlich die „Natürlichkeit“ von Beziehungsorganisation in Frage stellt.
Vor dem Hintergrund der weltweiten Debatten um die Gleichstellung der Ehe von homosexuellen mit heterosexuellen Paaren wirkt die
eindringliche, traumhafte Sequenz des Filmes, in der alle Hauptfiguren in Hochzeitskleider schlüpfen, während die angehende Schriftstellerin Max aus dem Off eine wütende Antirede hält, vielleicht auf
den ersten Blick wie eine radikale Laune von 1994. Wer sich aber heute
noch wundert, warum vor allem feministische Lesben die stärksten
Ehe-Gegnerinnen aus nicht homophober Perspektive sind, sollte an
dieser Stelle gut zuhören und in Betracht ziehen, dass Frauen traditionell durch diese staatlich privilegierten Institution mehr verlieren
als gewinnen. Denn „Go Fish“ ist gänzlich ein „Gay Liberation“-Film,
der in seiner Thematisierung von Alltags-Rassismus, struktureller
Homophobie, lesbischer Unterrepräsentation und sozialer Benachteiligung gegen eine einfache Anpassung an „Gay Rights“ argumentiert,
weil er keine Handlungsspielräume für ein selbstbestimmtes Leben
von Lesben darin sieht.
Ein prominentes Argument der Homo-Ehe-Befürworter_innen
ist, dass das öffentlich bezeugte Ja-Wort das größte und wertvollste
Bekenntnis zur eigenen Homosexualität sei. „Go Fish“ unterlief diese
SISSY 27 35
dvd
dvd
GO FISH
von Rose Troche
US 1994, 83 Minuten, deutsche
Synchronfassung, englische OF mit
deutschen UT
EDITION SALZGEBER
EDITION SALZGEBER
AUF DVD ab 29. September
bei der Edition Salzgeber,
3 www.salzgeber.de
Strategie schon, bevor dieser romantische Liebesdiskurs begann, als
Kampagnenthema die Herzen und Einstellungen von Heteros mittels größtmöglicher Identifikation zu bewegen. Zahlreiche Bekenntnisoptionen zum Lesbischsein ziehen sich wie ein roter Faden ungewöhnlich vielschichtig durch den gesamten Film. Zum einen werden
die verschiedenen Lesbengender wie Butch und Femme visualisiert,
ohne dogmatisch Begehren zu definieren. Öffentlich lesbare Codes
wie zeitgemäße Dyke-Fashion – Doc Martens, Baggy Pants, umgedrehte Basecaps und geringelte Oberteile – oder Frisuren zeigen
ein stolzes Bekenntnis zum Lesbischsein und eine selbstbewusste
Reaktion auf die Gendernormierungen von Frauenkörpern durch
die Mehrheitsgesellschaft. Drei Szenen illustrieren die Kämpfe um
Selbstdefinition nahezu archetypisch. Um wieder als sexuelle Person
sichtbar zu werden und am Community-Leben teilzunehmen, lässt
sich Ely die Haare von undefiniert lang auf klare Kante kurz schneiden. Dies geschieht nicht etwa in einem Frisiersalon, sondern durch
eine befreundete Friseurin in einer häuslichen Umgebung. Was wie
ein Mode-Statement scheint, ist vielerorts immer noch ein Politikum:
Friseursalons sind für viele Frauen ein Ort, an dem ihre Entscheidungen über ihre Frisur offen in Frage gestellt werden. Auch heute noch
gibt es ein unterschiedliches Bezahlsystem für Frauen und Männer
und Frisuren sind gegendert. Aktuell findet sich die Frisurfrage für
Lesben immer wieder – auch durch andere Lesben – in der Verächtlichmachung von „Kurzhaarlesben“. Eine Kurzhaarfrisur ist keine
„Vermännlichung“, sie ist eine frei gewählte Selbstpräsentation. Dass
Ely in ihrer Neuerfindung ihres Selbst „butch“ als Kategorie wählt,
ist ein Teil dessen, aber nicht kausal bedingt. „Go Fish“ zeigt auch
Femmes mit kurzen Haaren. Dem diskriminierenden Bild der Lesbe,
die sich nicht zu kleiden vermag, begegnet der Film mit einer Schnittfolge, in der sich die Hauptfiguren für die große Party zurechtmachen. Liebevoller hat bisher kein Lesbenfilm dargestellt, wie sorgfältig einzelne Kleidungsstücke gewählt und fast schon ritualhaft
angezogen werden.
36 SISSY 27
Den Autorinnen von „Go Fish“ ist hoch anzurechnen, dass sie es
gewagt haben, eine urbane lesbische Community nicht nur als ein
befreites Lesbenparadies ohne Brüche und Konflikte darzustellen.
An der Figur der sexuell sehr aktiven Daria wird eindringlich die
Grenze der heilen Welt gezeigt, die ebenfalls Normen formuliert.
Eines Nachts läuft Daria nach einem Sex-Date mit einem Mann allein
durch die Straßen und wird von einer wütenden Gruppe von Lesben
gekidnappt und mit dem Rücken zur Wand gestellt. Ihre lesbische
Identität wird ihr aberkannt, sie wird beschuldigt, die Gemeinschaft
zu verunreinigen, ihr Recht auf Privatsphäre wird von den Anklägerinnen grob verletzt. Zum Schluss der Szene wird deutlich, dass sich
dieses Gericht nur in Darias Kopf abgespielt hat, sie aber Angst vor
dem Urteil anderer Lesben hat und Sanktionierungen befürchtet. In
der Gesamterzählung von „Go Fish“ mag diese Sequenz vielleicht eine
untergeordnete Rolle spielen, doch ist es eine der wichtigsten Episoden und eine ehrliche Selbstkritik: Bekenntnisse sind nicht einforderbar, und eine Gruppe, die zu homogen wird, entwickelt eine eigene
Normativität und ist anfällig für totalitäre Strukturen.
In der Kritik wurde dem Spielfilm immer wieder vorgeworfen, zu
collageartig mit zu vielen Themen die Romanze überfrachtet zu haben.
Dies lässt sich auch damit erklären, dass „Go Fish“ ursprünglich als
Kurzfilm angelegt war. Retrospektiv betrachtet ist er ein Schlüsselwerk und Dokument der US-amerikanischen Lesben-Community der
90er Jahre, das heute noch wichtige Fragen nach Selbstbestimmung
und Identität stellt. Und nicht nur das, „Go Fish“ ist auch ein Rohentwurf der Serie „The L-Word“, die Rose Troche und Guinevere Turner maßgeblich geprägt haben. Viele Charaktere und Begebenheiten
tauchen mainstreamkompatibel wieder auf oder werden in der Tiefe
ausgeleuchtet. Und auch die Schauspielerinnen von Max und Ely dürfen 2010 noch einmal in dem Lesben-Thriller „The Owls“ von Cheryl
Dunye („The Watermelon Woman“) und Sarah Schulman („Mommy
is Coming“) ein Paar spielen. Mit „Go Fish“ wurde Lesbenfilmgeschichte geschrieben, die immer noch ein Work in Progress ist.
s
Szenebar.
Innen.
VON T OBY A SH R A F
Wieviel Szene lässt die Gentrifizierung in trendigen
Großstädten noch zu? Wohin zieht sie sich zurück? Der
französische Filmemacher Etienne Faure hat als New-YorkStipendiat die Bar Bizarre entdeckt, die als Fortführung der
legendären Manhattaner Beat-Kneipe aktuell in Brooklyn
betrieben wird. Er inszeniert dort die jugendliche und hübsch
anzuschauende Kunstfigur Maurice, die von der Straße in
die bunte und anrüchige Nachtwelt purzelt und allen für
kurze Zeit den Kopf verdreht. Im Panorama der diesjährigen
Berlinale stellte man „Bizarre“ als „filmisch verzaubernde
Trance“ vor. SISSY fühlte sich in ein Märchen versetzt.
BIZARRE
von Etienne Faure
FR/US 2015, 89 Minuten,
englische OF mit deutschen UT
AUF DVD ab 11. November
bei der Edition Salzgeber,
3 www.salzgeber.de
s Ausgerechnet Brooklyn. Das Märchenhafte der Erzählung von
„Bizarre“ drückt sich bereits im Schauplatz aus, den Maurice, Franzose, vielleicht auch Frankokanadier, aus dem Nichts und offensichtlich heimat- und arbeitslos, betritt. Er soll Englisch sprechen, weil es
der Regisseur so will, hören wir ihn aus dem Off sagen. Ein Dokumentarfilm? Nein, eine falsche Fährte, die bis zum Ende nicht aufgelöst
wird. Ein Märchen deshalb, weil es wohl nirgendwo auf der Welt in
den letzten Jahren so schnell so schwierig geworden ist, bezahlbaren
Wohnraum und realistische Überlebenschancen zu finden wie dort,
wohin es Maurice plötzlich verschlägt. Zwischen Myrtle und Bushwick Avenue im Südosten New Yorks, wo die Luft immer mehr nach
Gentrifizierung riecht, aber auch noch ein bisschen nach den Künstler_innen, die einst hierher zogen, liegt auf der kleinen Jefferson
Street die Bar „Bushwick Bizarre“, die es nicht nur im Film, sondern
auch im echten Leben gibt.
Betrieben wird sie, jedenfalls im Film, von Kim und Betty, einem
ebenso umtriebigen wie undurchsichtigen Frauengespann, das – und
hier geht das Märchen weiter – Maurice an einer U-Bahn-Haltestelle
anspricht, um ihm nicht nur einen Job, sondern gleich auch noch ein
Zimmer im selben Haus zu versprechen. Grund dafür ist wohl vor
allem Maurices unschuldiges und unverbrauchtes Aussehen, seine
jugendliche Aura aus Unsicherheit und Naivität. Maurice ist von der
ersten Einstellung an sexuelle Projektionsfläche für die Home Videos
der anderen, ein Dreamboy, in den sich nicht nur jede Filmfigur, sondern selbstverständlich auch die Kamera verliebt. In immer wiederkehrenden Schnittfolgen sehen wir Maurice in Rückenansicht durch
die Straßen laufen, scheinbar ziellos, dabei aber immer erfolgreicher
in seiner Entwicklung zum Dreh- und Angelpunkt des kleinen Kosmos, der ihn zufällig vereinnahmt hat. Betty und Kim sehen in Maurice scheinbar zunächst einen Schützling, der bei ihnen im Bett liegen,
nicht aber mit ihnen schlafen soll, und wenig später betritt der androgyne Luka die Bildfläche, der sich in Maurice verliebt und eines Abends
von der Bar mit in sein Zimmer kommt. Maurice selbst schleppt später seinen Boxpartner Charlie an, der sich sowohl von Luka, als auch
von Kim und Betty verführen lässt. Während im oberen Teil des Hauses in der Jefferson Street also das Theater der Leidenschaften und
Eifersüchte seinen Lauf nimmt, tobt im „Bushwick Bizarre“ nachts der
Karneval der Körper. In einer Mischung aus Burlesque, Polit-Theater,
Tanz-Performances, Rockmusik und Freak-Shows entfaltet sich für
Maurice und das Publikum auf der Bühne eine vollkommen andere
Welt der Zügellosigkeit. Hier kommt der Film wieder in der vorgefundenen (und dabei umso deutlicher inszenierten) Realität an und
überführt dabei die erotischen, oft ekstatischen und manchmal verstörenden Darbietungen seiner Performer_innen zurück ins Märchenhafte. Wenn sich im Halbdunkel des Clubs zu später Stunde die dicken,
behinderten, bemalten und kostümierten Körper den Zuschauenden
offenbaren, ziehen sie damit vor allem Maurice in eine Zwischenwelt,
die alle (Geschlechter-)Normen zu sprengen scheint.
Das „Bushwick Bizarre“ öffnete im Januar 2013 seine Pforten,
nachdem das baufällige Haus ursprünglich von einem anderen Regisseur als Etienne Faure für ein Filmprojekt ins Auge gefasst wurde
(Jean-Stéphane Sauvaire ist mittlerweile Besitzer der Bar und hat
im Film einen Kurzauftritt). Was der Film uns zeigt, ist ein lange tot
geglaubtes New Yorker Nachtleben, das an die Off-Szenen der 1960er
erinnert und in seiner sexuellen Anarchie schmerzhaft vor Augen
führt, welchen dramatischen Wandlungsprozessen die Stadt und
ihre sexuellen Subkulturen in den letzten Jahrzehnten unterworfen waren. Wenn Maurice, dieser unwirklich wirkendende Gestrandete, am Ende des Films seine Reise fortsetzt, wissen wir zwar nicht
mehr, wo die Grenzen zwischen Märchen und Wirklichkeit, Fantasie
und Albtraum wirklich verlaufen sind. Wir werden aber im Wissen
zurückgelassen, dass es Menschen und Filme gibt, die ihren Traum
einer Enklave der Überlebenskünstler nach wie vor verteidigen, sogar
in Brooklyn.
s
SISSY 27 37
dvd
dvd
die eines Tages aus Verzweiflung über ihr belangloses Leben das
Haus verlässt – ohne Nachricht, ohne Spur. Kein Lebenszeichen von
ihr ist in den Räumen der Geschichte erkennbar, nur Erinnerungen
an Hoffnungen, Spannungen und Enttäuschungen. Green reißt den
filmischen Raum an sich, wann immer sie ihn betritt: als Dämon,
psychologischer Imperativ und melodramatischer Pastiche, als Kats
Antithese und Fixpunkt einer kindlich-emotionalen Sehnsucht. Eve
ist Utopie und Zusammenbruch, eine Frau zwischen Rollenbildern,
die sich selbst irgendwann nicht mehr erkennt und darüber wahnsinnig wird. Araki adaptiert sie eng an Laura Kasischkes feministischer Romanvorlage als Frau zwischen den Generationen, hüllt sie in
die perfekten Oberflächen von „Jackie O., Elisabeth Taylor and the
Hitchcock women“. An ihrer Seite stellt uns Kats Stimme Christopher
Meloni vor, als Ehemann und Vater Brock, der brav ins Büro geht und
seiner Frau in der südkalifornischen Vorstadt kein anregendes Leben
bieten kann. Nicht, dass er nicht will! Er weiß einfach nicht wie. Ein
gutmütiger Klotz, versöhnlich und langweilig zu Hause, charmant
und begehrenswert im Umgang mit seinen Kolleginnen. Später im
Film von einer sonderbaren Strenge, die Abgründigkeit sein will.
Melonis Physis ist massig und dabei hinter weißen Hemden, braven
Hosen und Schnauzer gleichermaßen kaum greifbar.
CAPELIGHT PICTURES
Phantome
Another
teenager by
Gregg Araki
VON DEN N IS V ET T E R
Mehr als zwanzig Jahre ist es her, dass man die ersten Filme
von Gregg Araki als „New Queer Cinema“ bezeichnete.
Postpunk-Jugenddramen folgten, dann der abgründige
„Mysterious Skin“, und wenig scheint sich dabei an der
markanten Handschrift des Filmemachers geändert zu
haben, auch wenn seine Schauspieler bekannter wurden
und seine Budgets größer. Angesichts der Direct-to-DVD Veröffentlichung seines aktuellsten Films „Wie ein weißer
Vogel im Schneesturm“ hier ein Versuch über die Queerness
seiner plakativen Figuren, bei denen man, sobald man an den
schönen Oberflächen kratzt, nur auf weitere Oberflächen stößt.
38 SISSY 27
s Kat sitzt im Flugzeug, reist von der Uni in Berkeley zurück nach
Hause, guckt verträumt aus dem Fenster, zwischen Erinnerungen
und den großen Gefühlsfragen ihres jungen Lebens umherschwelgend. Es läuft „Kat’s Mix“ von Kassette, The Cure dudeln aus ihren
Kopfhörern: „I’ve been looking so long at these pictures of you that I
almost believe that they’re real. I’ve been living so long with my pictures of you that I almost believe that the pictures are all I can feel.“
Das Flugzeug und The Cure tragen uns ins Jahr 1991, nachdem
die ersten Hälfte von Gregg Arakis „Like a White Bird in a Blizzard“
an uns ein wenig entrückt und unmerklich und unwirklich vorbeigezogen sind. Was Araki erzählt, entfaltet sich verschachtelt und nicht
selten unentschlossen, überspült durch einen manchmal lebendigen,
aber unermüdlich pathetischen Voice-over. Kat, alias Shailene Woodley – oder Shailene Woodley alias Kat – ist die Stimme des Films, bietet Ankerpunkt für Arakis musikalische und emotionale Tableaus.
Wenn Musik gespielt wird, ist zumeist sie es, die sie initiiert und dabei
illustriert ein jeder Song ihr angeschlagenes Seelenleben. Ein Teenie
von einer bockigen Traurigkeit, gefangen in der sonnengetränkten
Wohlstandsmüdigkeit einer verunglückten Kleinfamilie. Kat ist ein
bisschen Schablone, ein bisschen Zeitgeist-Melange zwischen den
bemüht herbeikonstruierten späten Achzigern und der HollywoodGegenwart von Woodleys aufblühender Karriere, liefert ein bisschen
Identifikation in verstreuten, starken Momenten. „Ich war siebzehn,
als meine Mutter verschwand. Gerade als ich anfing, nichts als mein
Körper zu sein – Fleisch, Blut und aufgeregte Hormone – da trat sie
aus ihrem heraus und ließ ihn zurück.“ Verträumt, ein bisschen traurig, ein bisschen anregend eröffnet sie den Film und gleichermaßen
eröffnet sich ein Film in ihr.
Durch Kats Stimme und ihre Erinnerungsbilder lernen wir gleich
zu Beginn Eva Green kennen: als spurlos verschwundene Mutter Eve,
Phantome, gehüllt in inszenierte Oberflächen, manchmal puppenhaft
vor der perfekten Kulisse des amerikanischen Einfamilienhauses. Fast
nie sind wir im Freien. „Variety“ schimpft über Arakis Sitcom-Sets
und gesteht dem Regisseur gleichermaßen eine Autorenhandschrift
zu, die in ihrer Stringenz mit kaum einem amerikanischen Regisseur
der Gegenwart vergleichbar ist. In der Tat, Arakis Filme performen
sich unentwegt selbst und damit die Sensibilität eines Regisseurs, der
einst zentral war für das Selbstbewusstsein des New Queer Cinema.
„The Living End“ (1992), ein wütender Film über zwei schwule, HIVpositive Rebellen und ihren Ausbruch aus der Gesellschaft, brachte
Araki die Aufmerksamkeit der internationalen Festivalszene. Für das
Magazin „Bomb“ umriss er damals eine ästhetische Logik, die in ihrer
Problematik seine Arbeiten bis heute auszuzeichnen scheint: Auf der
These aufbauend, dass Männer vor allem visuell stimuliert werden,
schreibt er homosexuellen Männern und heterosexuellen Frauen die
Obsession zu, sich als Reaktion permanent visuelle Reize anzueignen.
Basierend auf dieser Logik inszeniert Araki seine Figuren immer wieder mit einer sexualisierten Dringlichkeit, die alle anderen Deutungssysteme letztlich überlagert. Nationalität, Physiognomie, Klasse,
Alter: In Arakis ästhetischer Logik werden Stereotype und Differenzen zum stilisierten Fetisch und verlieren in ihrer Fetischisierung
gleichermaßen ihre Autorität. Ein konstruierter, sexualisierter Blick
offenbart sich in Arakis Teenagerfilmen als Filtersystem, das betont
und gleichermaßen ad absurdum führt. Fast unentwegt richten sich
seine Blicke nach Codes des Begehrens aus, sind darin sowohl Stimulation und Simulation als auch zunehmend apolitische Provokation.
Beinahe alle Filme des kalifornischen Indieregisseurs, zuletzt
insbesondere „Kaboom“ (2010), sind bevölkert von Teenies und
Kindsköpfen, die in ihren fiebrig übersteigerten, bald apokalyptischen Konflikten auch als Abziehbilder erscheinen, als popkulturelle
Sammelsurien, als penetranter Ausdruck und Fetisch einer Autorenperspektive. Sie performen füreinander, für die Kamera, für eine
desillusionierte Gegenwart, sind selbstreferenziell bis zur Selbstverliebtheit und darin gerne verklärt und stereotyp. In Arakis TeenageApocalypse-Trilogie („Totally Fucked Up“, „The Doom Generation“,
„Nowhere“) erreichen sie dabei eine derart rohe, originäre Wut und
emotionale Überzeichnung, dass aber dann doch etwas hängenbleibt.
Die plakativen Bildwelten und der musikalische Postpunk-PopCharme der Filme, Arakis plakativer Umgang mit Dialog und Schauspiel sind kaum verkennbar. Was er versucht, scheint dabei oftmals
nur halb zu gelingen. Seine Ensembles wirken stets ein wenig dane-
ben, überkomponiert, dysfunktional. Jeder spielt für sich, für einen
Typ, spürbare Chemie gibt es selten. Shiloh Fernandez erscheint in
„Like a White Bird in a Blizzard“ als stumpfer Nachbarsjunge und
Love-Interest von Kat. Araki beschreibt ihn im Gespräch mit out.com
als perfekt für die Rolle, als idealen „Jungen von nebenan“, der dabei
stets ein wenig „daneben“ erscheint: „Ganz offensichtlich hat er massig Sex-Appeal, aber seine Ausstrahlung wirkt dabei in ihrer sehr
direkten Art auch schräg.“
Und Arakis Filme umreißen letztlich genau diesen Ton: In ihrer
Überdeutlichkeit wirken sie oftmals unerwartet, sonderbar, ungreifbar. Sie spielen mit Camp als gemeinsamer Perspektive von Figuren
und Zuschauern, fordern und verkörpern eine ironische Sensibilität,
die quer liest, queer liest: „To perceive Camp in objects and persons is
to understand Being-as-Playing-a-Role. It is the farthest extension, in
sensibility, of the metaphor of life as theater” (Susan Sontag). Arakis
Filme zwinkern und zwinkern und zwinkern. Ganz im Sinne Sontags
sind sie belebt durch die Möglichkeitsräume zwischen überdeutlicher
Intention, Überhöhung und Unbeholfenheit in Spiel und Inszenierung. Glyn Davis sortiert Arakis Arbeiten interessant anhand einer
Unterscheidung von Gay Camp und Queer Camp. Gay Camp, Versatzstücke schwuler Kultur, die Hollywood bereitwillig als Stereotype
ausschlachtet. Queer Camp dagegen: ein Eckpunkt des New Queer
Cinema. Ein Begriff von Camp, der sich nicht anpassen will. Ein System von ästhetischen Codes, die sich in ihrer Exzentrik einem breiten Verständnis verweigern. Hier sieht sie Araki. Dessen erste Filme
kosteten jeweils um die 5.000 Dollar, es spielten ausschließlich Laien.
Sein neuer Film ist mit Eva Green und Shailene Woodley besetzt,
doch noch immer erlaubt Arakis teils missglückte, teils hypnotische
Inszenierung keine Erfahrung ohne Kanten, kein Spiel ohne Bruch
und Doppeldeutigkeit. Zu viele Versatzstücke konkurrieren hier um
Aufmerksamkeit. In einem Psychodrama, das auch Melodram sein
will und Sex-Thriller und Coming-of-Age-Geschichte, das strukturell
auf die ernsten Töne seines hervorragenden „Mysterious Skin“ (2004)
verweist, platziert er an der Seite seiner Protagonistin dennoch Mark
Indelicato und Gabourey Sidibeh als völlig abgedroschene Sidekicks
und legt seinen Figuren Dialoge in den Mund, an denen man sich in
brutale Rage ärgern könnte. Psychologische Fragen klärt zu allem
Überfluss eine regelmäßige Therapiesitzung. Unerträglich und selbst
in der schematischen Unerträglichkeit einer Therapiesitzung als PlotWerkzeug nochmals auf aufdringlichste Art kommentiert: „Dr. Thaler kam mir vor wie ein Schauspielerin, die eine Therapeutin spielt.
Und während der Sitzungen fühlte ich mich wie eine Schauspielerin,
die sich selbst spielt. Eine schlechte Schauspielerin, eine, die ihren
Job richtig scheiße macht.“
Einfach. Zauberhaft. Arakis Filme muss man manchmal wirklich
lieben wollen. Wer das will und wer nicht, ist dabei aber eben die interessante Frage. s
WIE EIN WEISSER VOGEL
IM SCHNEESTURM
von Gregg Araki
US 2014, 91 Minuten,
deutsche Synchronfassung, englische
OF mit deutschen UT
AUF DVD bei Capelight Pictures,
3 www.capelight.de
SISSY 27 39
nachruf
nachruf
WIR SCHEISSEN
AUF DEN
MAINSTREAM
I N T E RV I EW: JA N GY M PE L · T R A NSK R I P T ION: JA N K Ü N EM U N D
Im Februar 2012 führte Jan Gympel für die SISSY ein Gespräch
mit Peter Kern. Es sollte um DVD -Neuveröffentlichungen
seiner Filme gehen und um die Premiere von „Glaube, Liebe,
Tod“ auf der laufenden Berlinale. Unser Autor hatte von
Anfang an keine Chance. Und Kern im O-Ton macht sehr
deutlich, warum wir ihn zukünftig sehr vermissen werden.
Denn am 26. August diesen Jahres ist Peter Kern gestorben.
„Die doofen Englein werden schon ganz bald bereuen, dass
sie dich so früh zu sich geholt haben.“ (Axel Ranisch)
SISSY: Wie läuft es denn mit dem neuen Film? Wie waren die Reaktio-
nen, waren es angenehme Erfahrungen in den letzten Tagen?
Peter Kern: Das ist aber eine langweilige Frage.
SISSY: Seit „Blutsfreundschaft“, das war der letzte Film, den ich von
Ihnen gesehen habe, sind schon wieder drei weitere entstanden. Die
Produktivität von Peter Kern beeindruckt mich. Können wir dazu
was sagen?
Kern: Die Produktivität beeindruckt Sie, ja? Und was soll ich dazu sagen?
SISSY: Na, woher kommt das? Sie machen drei Filme in einem Jahr,
andere Leute machen in drei Jahren einen Film.
Kern: Ja, aber man kann nicht sagen, warum man Durchfall kriegt.
Wahrscheinlich habe ich was Schlechtes gegessen und mache deshalb
so viele Filme. Das kann ich nicht beantworten. Ich mache die Filme
aus einem Bedürfnis heraus, weil ich all das, was ich sehe, beobachte,
empfinde, auch visuell umsetze. Und ich eben diese zwei Formen von
Kino habe: Das ist der kleine Film, der direkt auf politische und ökonomische Zustände reagieren kann – sonst kann das ja kaum ein Film
– und die anderen, die großen Filme, die zwei, drei Millionen kosten,
da muss man warten, bis die finanziert sind, das dauert dann zwei,
drei, vier Jahre.
SISSY: Das scheint ja auch zu funktionieren, dass zwischendurch mal
so Filme entstehen …
Kern: … aus dem Nichts heraus, wo geschnorrt wird, wo es kleine Förderungen gibt… ich kann sehr gut die Leute, das Team, motivieren,
die wissen genau, wenn sie bei einem kleinen Film mitmachen, der
politisch wichtig ist, dass sie dann auch beim großen Film dabei sein
werden, wo sie dann viel Geld verdienen.
SISSY: Andere gehen ja nicht diesen Weg …
Kern: Aber andere interessieren mich nicht. Andere gibt es nicht.
SISSY: Ich sehe es aber im Vergleich, dass …
Kern: Mich interessieren Vergleiche nicht, das ist ein Armutszeugnis,
Regisseure zu vergleichen, das gibt es nicht, das ist nicht gestattet.
Ich kann mich nur mit einem Thema beschäftigen, mit einer Form.
Sie brauchen Schubladen, ich brauche die Schubladen nicht. Ich habe
den Atem.
SISSY: Für mich wäre aber so eine Schublade wichtig wie der Außenseiterstatus …
Kern: Sehen Sie, Sie kommen hier mit Klischees daher, da machen Sie
mich schon gleich wahnsinnig. Was heißt denn „Außenseiterstatus“?
40 SISSY 27
Sie sind ein Außenseiter, so wie Sie ausschauen, ein typischer Außenseiter, Sie haben einen Bart, eine Knollennase, einen weiten Haaransatz. Also was ist denn ein Außenseiter? Schlingensief hat sich Zeit
seines Lebens geärgert, mit welchen Attributen die Presse ankommt,
„enfant terrible“, „in keine Schublade passend“, „Außenseiter“ … Der
„gewichtige Peter Kern“, weil ich ja nun mal fett bin, aber das geht
mir alles am Arsch vorbei, ich bin kein Außenseiter. Mein Außenseitertum ist Mainstream!
SISSY: Aber ich meinte das jetzt auch bezogen darauf, dass Sie ja viele
Filme drehen, diese dann aber, zumindest in Deutschland, nicht regulär zu sehen sind, also mit Verleih und pipapo, es laufen auch nur selten von Ihnen Filme im Fernsehen.
Kern: Also erstens einmal beobachten Sie schlecht, ich kann nichts
für Ihre schlechte Recherche. Zweitens: Alle meine Filme, die ich
gemacht habe, sind ins Kino gekommen. Klar, dass sich die Kinosituation verhärtet, darüber haben wir ja oft diskutiert, über Quoten für
deutsche und österreichische Filme. Den ganzen Mist, der in Amerika
floppt, kriegen ja wir Deutsche und Österreicher zu sehen. Wir haben
verloren, denn die Amerikaner haben sich die Multiplexe gebaut und
schmeißen unsere Filme heraus. Es gibt nur noch einige wenige Programmkinos und die spielen eigentlich auch nicht mehr unsere Ware.
Also hat es nichts zu tun mit den Filmen selber …
SISSY: … das habe ich ja auch nicht behauptet!
Kern: … sondern mit einer neuen Mittelmäßigkeit, dass die Leute
nur mehr auf Sehweisen getrimmt sind nach Vorabendprogramm,
und dass man was anderes einfach nicht mehr sehen will. Leute, die
außergewöhnliche Filme, außergewöhnliche Themen machen, haben
das Problem, dass dieses Publikum so versaut ist im Hirn, dass es
nicht mehr bereit ist, andere Sehweisen zu akzeptieren. Die Werbung
hat gesiegt! Alle Filme sind nach der Werbung ausgerichtet, und so
sind auch unsere Filmchen … aber das interessiert mich eigentlich
alles nicht, ob sie den Film sehen oder nicht, irgendwann gibt es ja
eine DVD oder ich verschenke sie dann im Internet, was auch immer.
Wenn die Blödheit voran geht, geht sie voran, da ist jeder selber
schuld.
SISSY: Aber Sie möchten doch schon, dass Ihre Filme gesehen werden,
sie sollen doch auch was bewirken …
Kern: Es ist natürlich schön, wenn man merkt, aha, da hat einer verstanden, was man gemacht hat, da kann einer Bezüge herstellen
– dann kriegt man E-Mails, dass man jemandem fürs Leben neue
Inhalte gegeben hat, das ist natürlich schön, ja. Aber letztendlich: An
der eigenen Einsamkeit verändert es nichts.
SISSY: Aber ob die Filme Erfolg haben, das hat ja leider Auswirkungen
darauf, ob man wieder Geld für neue Filme bekommt …
Kern: Allein, bis so ein Film zustande kommt, sind es schon 68 Menschen, die da mitreden. Die Ihnen Freiheiten nehmen, Geschichten
zu erzählen. Die Ihnen die ganzen Spitzen wegnehmen. Die den Film
dezimieren. Die ihn in das Mittelmaß des gesellschaftlich Möglichen
bringen. Und dem verweigere ich mich. Ich bin ein Anarchist! Wahrscheinlich der letzte, den es gibt. Ich übe den Ungehorsam und deshalb muss ich meine Filme selber finanzieren und schauen, die Leute
überzeugen. Ich bin nicht kaufbar von einer verlogenen Gesellschaft,
die nur darauf aus ist, ihre eigene Selbstbefriedigung in der Oberfläche zu sehen. Ich gehe in die Tiefe, und ich formuliere das Verbrechen
auf meine Art und Weise.
SISSY: Jetzt würde ich nochmal gerne auf die Außenseiter kommen,
obwohl Sie den Begriff ja schon zurückgewiesen haben. Ich finde, es
gibt ein deutliches Interesse an Außenseitern in Ihren Filmen; gesellschaftliche Außenseiter spielen häufig eine bedeutende Rolle. Liegt
es daran, dass sie für Sie interessanter sind als die voll Integrierten,
die im Strom mitschwimmen oder es zumindest versuchen, derweil
es ihnen nicht gestattet wird …
Kern: Sehen Sie, dieses Vokabular habe ich gar nicht. Wer bestimmt
denn, wer Außenseiter ist?
SISSY: Na, aber es sind doch häufig Figuren, die nicht das sind, was
man so Mitte der Gesellschaft nennt, um solche Floskeln jetzt mal
anzubringen …
Kern: Nein, das kommt auf Ihr kleinkariertes Leben an. Wenn man
so ein kleinkariertes Leben führt wie Sie, dann mag das für Sie ein
Außenseiter sein, wenn man aber ein offener Mensch ist, der diese
Einteilung gar nicht hat, der nicht sagt: Das ist ein Jude, ein Moslem,
ein kleiner Verbrecher … Viele Außenseiter ergeben eine Gesellschaft
und für mich existiert nur die Gesellschaft. Ich teile sie nicht ein, ich
stecke sie in keine Schublade, ich etikettiere sie nicht, das machen Sie,
als Journalist. Weil Sie nicht anders können, weil Ihnen die Worte, die
Beschreibungen, die menschliche Größe dazu fehlt. Für mich gibt es
keine Außenseiter. Jeder Mensch, den Sie als Außenseiter beschreiben, ist für mich ein „Innenseiter“. Für mich gibt es nur Menschen mit
verschiedenartigen Konstellationen und Problemen.
SISSY: Dahinter steckt dann aber der Gedanke, dass das alle Menschen
betrifft. Wenn man z.B. den Familienvater in „Gossenkind“ anschaut,
der nach außen hin Mainstream ist, Mitte der Gesellschaft, bürgerliches Leben, aber dann eben in Wahrheit doch nicht.
(Pause)
Kern: Was ist die Frage?
SISSY: Ob mein Eindruck richtig ist.
Kern: Aber das ist überhaupt kein Außenseiter, sondern das, was überall
in unseren Familien passiert. Sie wissen es nur noch nicht. Der Mann
ist verheiratet, Frau und Kinder, aber trotzdem steht er auf Jungs.
Der ist weder Außenseiter noch Mainstream. Das ist ein Mensch mit
Gefühlen. Die Gesellschaft sucht sich Außenseiter, um eben Schwerpunkte zu finden, um diese Außenseiter zu zertrümmern. Alles drängt
in die Mitte, und die Mitte ist ein aufgeweichter Schwamm. Ich bin für
die Menschen, die Individualismus leben, die in den Ecken stehen, die
versuche ich ans Licht zu zerren. Wir scheißen auf den Mainstream!
Mainstream ist das, was versucht zu leben, sonst nichts.
SISSY: Das ist aber das, was ich mit dem Begriff, den Sie nicht mögen,
bezeichnet hätte.
Kern: Rechtfertigen Sie sich doch nicht immer, stellen Sie doch einfach Fragen! Sonst interview ich nämlich gleich Sie, das schaut dann
anders aus.
SISSY: (lacht) Darf ich, da wir das Interview ja machen für ein Blatt
mit einem schwulen Schwerpunkt, fragen: Soll man da auch irgendwelche Zusammenhänge entdecken, ist das wieder eine völlig blödsinnige Frage, für Sie müßig zu beantworten, aber würden die Filme
anders aussehen, wenn Peter Kern nicht schwul wäre?
Kern Ich bin homosexuell, aber mich interessiert nicht, darüber Filme
zu machen. Schwule sind in einem Ghetto, in einer Außenseitersituation, weil sie selbst immer davon reden. Für mich ist das Thema
gegessen. Weil ich den Mensch als Gesamtes sehe und seine Sexualität auch. Ich brauche keine Zeitschrift für Homosexuelle. Ich finde,
der „Stern“ ist die homosexuellste Zeitschrift, die es überhaupt gibt.
Sie sollte mehr homosexuelle Themen bringen, das ist was anderes,
aber dass ich jetzt wieder so Nischenzeitschriften machen muss, wo
dann nur die Homosexuellen über ihre Kultur lesen, das ist ja eine
rückschrittliche Entwicklung. Seit 40 Jahren mache ich Filme über
Homosexuelle, mich interessiert das nicht mehr.
SISSY: Aber es tauchen doch mehr schwule Figuren in Ihren Filmen
auf als bei anderen Regisseuren?
Kern: Ja, wahrscheinlich weil ich sie mehr wahrnehme und verstehe
als andere Regisseure.
SISSY: Ich kenne z.B. den Fall einer Literaturagentin, die zu einem
Autor sagt, wenn das Buch sich um Schwule dreht, ist das schlecht,
kannst du nicht was über ein Heteropaar schreiben, das können wir
besser verkaufen …
Kern: Diese Frau müsste man veröffentlichen, den Satz müsste man
veröffentlichen, ganz groß in die Bildzeitung schreiben. Wieso haben
solche Leute überhaupt eine Berechtigung, auf Kultur Einfluss zu
nehmen? Die muss man denunzieren. Das ist Faschismus, sie schließt
eine Gruppe von Menschen in einer Gesellschaft als nicht attraktiv
aus.
SISSY: Aber ich fürchte, das ist kein Einzelfall. Entweder ist es noch so,
oder es ist wieder so, dass gesagt wird: Können wir nicht verkaufen,
mach was anderes …
Kern: Aber Sie erzählen mir lauter Sachen, die mich einen Scheißdreck
interessieren. Das ist doch alles schon abgelaufen! Unterhalten Sie
sich doch mit Herrn Petzold oder mit Herrn Dingsdabumsscheißkugel, diese Themen betreffen mich nicht mehr, Sie können nicht einem
Anarchisten mit Themen aus dem Altertum kommen.
SISSY: Aber wenn Sie so anarchistisch sind und Sie so viele Probleme
haben, für ihre Arbeit Geld zu bekommen …
Kern: Ich habe überhaupt keine Probleme, Geld zu bekommen, ich
bekomme genug Geld und setze es richtig ein.
SISSY: Mir ist aufgefallen, dass sich viele Prominente dazu bereit
erklären, mitzumachen. Man könnte auch so sagen …
Kern: Also, Sie haben einen Stil, mit mir zu reden … Ich kenne das Wort
„prominent“ gar nicht, es ist eine Frechheit, in meiner Gegenwart
das Wort „prominent“ überhaupt in den Mund zu nehmen. Ich weiß
nicht, was das ist, erklären Sie mir, was ist prominent?
SISSY: Leute, die bekannter sind als andere.
Kern: Ein schwachsinniger Satz. Wie weiß ich denn, dass einer interessanter ist als der andere? Es kommt doch darauf an, in welcher
Welt Sie sich bewegen. Sie sind voll mit Bildzeitung, mit Oberflächlichkeit, und machen mit mir ein Interview? Da sind Sie der falsche
Mann, so kann man mit mir nicht reden. Für mich gibt es nur gute
und schlechte Schauspieler. Und Schauspieler, die eine Leidenschaft
haben und die eine Geschichte rüberbringen wollen. Ein schlechter
Mundgeruch, der ist prominent. Sie können Jodler im Musikantenstadel interviewen, aber mich nicht. Ihre Fragen sind so daneben …
SISSY: Aber ich finde, Sie geben mir tolle Antworten! Sie finden vielleicht meine Fragen dumm, aber ich finde Ihre Antworten sehr interessant.
Kern: Vielleicht ist das ja Raffinesse, mich dort hin zu bringen …
SISSY: Ach, überschätzen Sie mich mal nicht. Sie dürfen nicht meine
Fragen überschätzen, Ihre Antworten sind ja viel wichtiger. Darf ich
Sie noch etwas zu Schlingensief fragen? Zu ihrer engen Verbindung,
künstlerisch, politisch …
Kern: Es ist schade, dass er nicht mehr da ist. Aber das jetzt hier nochmal aufbauen? Fragen Sie mich nicht nach der Vergangenheit, nach
gelebtem, totem Leben. Fragen Sie mich nach der Zukunft. Es bleibt
nichts, alles weg. Man vermisst einen Menschen so sehr, wie schön,
wie bereichernd das Leben war, was habe ich gelacht, was war ich
beglückt – das habe ich heute nicht mehr. All die wirklich interessanten Menschen, die etwas bewegt haben, die was Eigenes auf die Welt
gebracht haben, wie eben Schlingensief, Schroeter, Fassbinder, sind
alle weg. Alle meine Freunde sind weg. Es ist ein Wunder, dass ich
noch dasitze. Und ich muss das jetzt alles alleine ausbaden, diesen
ganzen Schwachsinn mir noch anschauen und über die Vergangenheit reden. Sie sind tot, ich vermisse sie, und aus.
SISSY: Und es kommt nichts nach?
Kern: Ja, wo denn? Es kommen Journalisten wie Sie nach, die wieder
nach der Vergangenheit fragen.
SISSY: Also zur Zukunft: Was kommt denn als nächstes?
Kern: Nichts mehr.
SISSY: Aber es kommt doch bestimmt wieder ein Film?
Kern: Nicht für SISSY. Und der Herr Künemund, der kriegt noch was
zu hören von mir. Ich habe ihm so ein schönes Bild gegeben, wo ich
nackt daliege, mit DVDs an den gefährlichen Stellen, daran entziehe
ich ihm die Rechte.
SISSY: Das wäre aber schade.
Kern: Das liegt an Ihnen. Hätten Sie ein besseres Interview geführt …
(lacht laut auf ) Ach komm, jetzt hören wir aber auf!
s
SISSY 27 41
frisch ausgepack t
frisch ausgepack t
Neu auf DVD
VON PAUL SCHULZ (PS) UND JA N KÜNEMUND (JK)
DIE WOLKEN VON SILS MARIA
FR/CH/DE 2014, Regie: Olivier Assayas, Eurovideo
Die erste Ebene dieses an
Ebenen reichen Films bildet ein fiktives Theaterstück, das davon handelt,
wie eine junge Frau ihre
ältere Vorgesetzte verführt und in den Selbstmord treibt. Die zweite
Ebene betrifft die Schauspielerin Maria, die in der Hauptrolle der Verführerin vor 20 Jahren zum Star wurde und
nun dazu überredet wird, die Rolle der Älteren
zu übernehmen – u.a. von ihrer eigenen Assistentin Val, die sowohl eine herausfordernde
wie stabilisierende Präsenz bewahrt, wie sich
schon im ersten Bild zeigt, wo sie in einem
schlingernden Zugabteil mit zwei Smartphones gleichzeitig jongliert. Die Folie des Theaterstücks und seiner lesbischen Dynamik passt
nur so halb auf Maria und Val – die Neubesetzung der jungen Verführerin soll eigentlich
eine Schauspielerin übernehmen, die als Lindsay-Lohan-Variante, Paparazzi-Opfer und
Pop-Phänomen eine komplett andere Herausforderung für Maria wäre als ihre klug übersetzende Assistentin, mit der sie den alten
Text probt. Die dritte Ebene des Films betrifft
das Casting: Juliette Binoche, Kristen Stewart
und Chloë Grace Moretz personifizieren völlig
verschiedene Kinoweiblichkeiten, und klug
lässt Assayas sie in verschiedenen Sprachen
um Bestätigung, Zärtlichkeiten und Herausforderungen ringen. Die Konzeption der Figuren bleibt dabei völlig in der Schwebe, der Film
lässt sie zwischen Hotelzimmern, statischen
Bergmassiven, zwischen verschiedenen Öffentlichkeiten und in verschiedenen Rollen
changieren, blendet Einsamkeiten und Irrwege sanft in Schwarz aus, arbeitet Schönheiten
in den weiblichen Dynamiken heraus. Überhaupt: Frauen unter dem kritischen Blick einer
männlich geprägten Öffentlichkeit hat man so
facettenreich auch noch nicht als Filmthema
gesehen. Subtil formt sich dabei immer wieder
eine ganz freie Bewegung durch eine aufmerksamkeitsgierige Welt wie eben die Wolken von
Sils Maria immer wieder eine Formation bilden, die sich frei durch das Massiv der Berge
bewegt. jk
ES WAR EINMAL EINE PRINZESSIN
AU/DE/SN/NO 2011–15, Edition Salzgeber
„Es war einmal eine Prinzessin“ versammelt fünf
märchenhaft
schöne
Kurzfilme, in denen kleine Mädchen andere kleine
und größere Mädchen
küssen und dabei viel lernen. „Die Maid und die
Prinzessin“
ist
der
schönste davon: Die zehnjährige Emmy küsst,
obwohl sie eigentlich einen Jungen einfangen
soll, lieber ihre Freundin Alice, bekommt dar-
aufhin von ihren Eltern eine Standpauke und
dann von einer magischen Vereinigung das
passende Märchenbuch, um sich besser zu fühlen, besonders, weil ihre Geschichte von genau
der richtigen Person mit genau dem richtigen
Zungenschlag neu erzählt wird. Neben den beiden wirklich guten deutschen Beiträgen „M
wie Martha“ und „Stella“ sticht „Die andere
Frau“ hier deswegen hervor, weil eine Geschichte aus Senegal erzählt wird, in der eine
Mitfünfzigerin entdeckt, dass es auch für sie
von Vorteil ist, dass ihr Mann sich eine zweite
Frau ins Haus holt. Wunderbar. ps
VON MÄDCHEN UND PFERDEN
DE 2014, Regie: Monika Treut, Edition Salzgeber
Eine klar und geradlinig
erzählte Coming-of-AgeGeschichte, die im deutschen Norden spielt und
sich und ihrer jugendlichen Protagonistin Blicke
und Welten eröffnet, die
ganz auf die visuellen
Möglichkeiten des Kinos
vertrauen. Aus den komplizierten Produktionsbedingungen des deutschen Förderkinos
findet der Film dadurch ebenso leicht heraus
wie aus dialogüberfrachteten Geschichten
über urbanes lesbisches Leben, wie sie prominent das US-amerikanischen Nischenkino produziert. Dass der Film auf eine kollektive Begeisterung von Mädchen für Pferde anspielt
YOU AND I BFF – BESTE FREUNDINNEN
FÜR IMMER DER HEIMLICHE FREUND
ZOMER – NICHTS WIE RAUS! EISENSTEIN
IN GUANAJUATO DUKE OF BURGUNDY
WIR SEHEN UNS IM KINO: AACHEN, AUGSBURG, BERLIN, BREMEN, DRESDEN, FRANKFURT,
FREIBURG, HALLE, HAMBURG, HANAU, HANNOVER, KARLSRUHE, KIEL, MAGDEBURG,
MANNHEIM, MÜNCHEN, MÜNSTER, NÜRNBERG, OLDENBURG, POTSDAM, REGENSBURG,
SAARBRÜCKEN, STUTTGART.
und hierfür ziemlich handfeste Bilder findet,
ist dabei sein besonderer Trumpf. „Wer weder
Pferden noch Mädchen etwas abgewinnen
kann, wer Actionfilme und auserzählte Stories
mag, der wird Monika Treuts neuem Werk vermutlich wenig abgewinnen können. Wer aber
Slow Cinema schätzt und Bilderwelten liebt,
die sich in Ruhe entblättern, wer großartigen
Landschaften verfallen kann und ebenso begabte wie unverkrampfte Schauspielerinnen
zu schätzen weiß, der wird von der Welt, die
,Von Mädchen und Pfersen‘ handelt, uneingeschränkt verzaubert sein.“ (Tania Witte in
SISSY 23)
STELLA CADENTE
ES 2014, Regie: Luis Miñarro, Edition Salzgeber
Ein macht- und sinnlos
agierender
spanischer
König, der wenig Spuren
in der Geschichte hinterlassen hat, gibt sich mit
seinem überschaubaren
Hofstaat trägen erotischen Fantasien hin, während das Land im Chaos
versinkt. „Nur wer politisch nichts mehr zu
melden hat, kann entspannt vor reliefverzierten Wänden im Lehnstuhl lümmeln, am reich
gedeckten Esstisch einschlummern, von der
Überfülle des Aufgetischten erschlagen (während ein Huhn frech über die Speisen stolziert),
sich an der sinnfreien Schönheit überdimensionierter Broschen erfreuen, oder auch, ganz besonders gern, sich mit geöffnetem Samtbademantel zu Ihrer Majestät ins überaus
flauschige, mit rotem Samt und allerlei Verschnörkelungen veredelte Bett legen. Das Zentrum des Films ist nicht etwa der Thron, oder
wenigstens irgendein Geschäfts- oder Empfangszimmer, sondern eben dieses königliche
Bett, in dem sich die Figuren in wechselnden
Konstellationen miteinander vergnügen – oder
wenigstens: sich aneinander kuscheln, einander von den erotischen Abenteuern erzählen,
die sie in irgendwelchen Winkeln des Schlosses
oder des (fast noch aufregenderen) Schlossparks erlebt haben. Mit Männern, mit Frauen,
mit Bäumen, mit Lebensmitteln. (…) Erst in unwahrscheinlich brillant gleißendem Kerzenlicht kommt die ornamentale und völlig nutzlose Schönheit der Gemächer, auch der Kleider
richtig zur Geltung. Und selbst die wenigen
Außenszenen haben durch das übervital strahlende Grün der Bäume etwas Außerweltliches.
Wobei es eine ganze Weile dauert, bis sich in
den lange Zeit eher sanft perversen Fluss der
Bilder auch echte Surrealismen, Traumszenen,
Geisterfiguren mischen. Die sind dann auch
stets schnell wieder verschwunden, ohne allzu
viele Spuren zu hinterlassen. Derart große inszenatorische Gesten wirken eh ein wenig fehl
am Platz in einem Film, der viel stärker ist, solange er sich darauf beschränkt, eine alles
durchdringende Atmosphäre der imperialen
Mattheit zu kultivieren, in der die zweckfreien
Sumpfblumen des Begehrens nur umso schillernder blühen können.“ (Lukas Foerster in
SISSY 26)
STILL ALICE
US 2014, Regie: R. Glatzer & W. Westmoreland, Polyband
Der letzte Film von Richard Glatzer, erneut in
Zusammenarbeit mit deinem Partner Wash Westmoreland entstanden, ist
zwar ein ziemlich heteronormativer Tearjerker, in
dem eine kranke Frau für
ihre Kernfamilie zum
Problem wird, aber wunderbarerweise hat er
Julianne Moore endlich den Oscar eingebracht.
„Moore spielt eine Linguistin, die eine frühe
Alzheimer-Diagnose bekommt und immer weniger und weniger wird, bis sie am Ende nur
noch in der Stille ihrer Augen Alice ist. Eine
Meisterleistung. Glatzer litt an ALS, was Moore
in ihrer Oscar-Dankesrede genauso selbstverständlich erwähnte wie die langjährige Liebe
und Beziehung der beiden Männer hinter dem
Film.“ (Paul Schulz in SISSY 25).
APPROPRIATE BEHAVIOR – EINFACH
UNGEZOGEN
US 2014, Regie: Desiree Akhavan, Pro-Fun Media
Autorin, Regisseurin und
Hauptdarstellerin Desiree Akhavan gilt als großes neues KomikerinnenTalent und wird oft mit
Lena Dunham verglichen.
Ihr erster Spielfilm erzählt ziemlich autobiografisch von Shirin, einer
chaotischen Brooklynerin, die gerade eine
Trennung von Maxine verarbeitet, sich aber
nicht als lesbisch outen möchte und auch sonst
nicht so recht weiß. „Mit Maxine und Shirin
treffen eine Menge Unterschiede aufeinander,
die sich auflösen, solange sie offen für einander
und sich körperlich nah sind. Verletzend und
entfremdend dagegen sprießen ihre Meinungsverschiedenheiten aus dem Boden, sobald die
Stimmung kippt. Wenn das von Maxine zu
ernstgenommene Rollenvorspiel Steuerberatung doch nicht zum gewünschten Sex führt
oder Shirin die Freunde von Maxine nicht mag,
aus der LGBTQ -Szene überhaupt nur Dragqueens toll findet. Sie nerven sich, sie haben
keinen Sex, ruinöse Zeitverschwendung, nur
eine Phase, no homo … und doch versucht Shirin alles, um Maxine zurückzubekommen.
frisch ausgepack t
Selbst vor allzu oft gebrauchten Floskeln macht
sie im Gespräch mit ihrer besten Freundin
Crystal in Cafés oder per Walk’n’Talk nicht
halt: ‚Ich brauche meine Freundin zurück! Ich
bin innerlich tot. Nichts macht mir Spaß.‘ Das
klingt alles sehr dramatisch, ist in dem Fall
auch überdramatisiert gemeint. Aber der Film
wird eher vom Wechselspiel zwischen Komik
und Tragik getragen. Vergleichbar etwa mit
Noah Baumbachs ‚Frances Ha‘ oder Gillian Robespierres ‚Obvious Child‘, die ebenfalls in
Brooklyn spielen, oder Woody Allens ‚Der
Stadtneurotiker‘, den Akhavan selbst gern als
Vorbild nennt.“ (Aileen Pinkert in SISSY 26)
SPIEL DOCH MIT DEN JUNGS!
SE/AU/DE/DK/US 2012–14, Edition Salzgeber
I Heart
Boy
Photographs by
Jessica Yatrofsky
October 16, 2015
Es gibt nichts auf der
Welt, was so verwirrt ist
wie Jungs zwischen 12
und 16. Das gilt auch für
alle Protagonisten der sieben Kurzfilme auf „Spiel
doch mit den Jungs!“. In
den sehr verschiedenen
Shorties wird vom pragmatisch-praktischen ersten Mal zweier Heteros („Boygame“) bis zum Bully-Terror alles
aufgeboten, was die Pubertät für Queerlinge so
anzubieten hat. Ein Favorit: „Dik“, in dem ein
Sechsjähriger mit einer hübschen Kinderzeichnung und drei Rechtschreibfehlern in
neun Minuten voll smartem Witz die Beziehung seiner Eltern zum Explodieren bringt.
Und „Jackpot!“, ein bisschen magisch-pornografischer Realismus im New Jersey des Jahres 1994, der ohne Internet, aber mit Pornoheften und ohne Mobiltelefon, aber mit
Selbstbewusstsein, seinen Protagonisten mit
blutigen Schrammen und glücklich offener
Hose zurücklässt. Christin Freitags „Jetzt
Jetzt Jetzt“ lohnt den Kauf allein, weil hier in
36 Minuten erklärt wird, wie man sich gekonnt
für die Seinen einsetzt, auch wenn man noch
gar nicht weiß, dass die das sind. Wunderbarer
kleiner Streifen. ps
FÜR IMMER DEIN
Galerie Koll and Friends
Motzstraße 23, Berlin-Schöneberg
BE/CA 2014, Regie: David Lambert, Edition Salzgeber
David Lambert letzter
Film „Jenseits der Mauern” war ein großartiges
Werk über eine komplizierte Beziehung und
auch sein neuer „Für immer dein“ beschäftigt sich
mit den emotionalen Abhängigkeiten
zweier
Männer, wenn auch auf völlig anderer Grundlage. Denn die Ungleichheit wird hier sofort
offensichtlich. Henry (Jean-Michel Balthazar)
ist der dicke Bäcker in einem kleinen, belgi44 SISSY 27
frisch ausgepack t
schen Dorf und oft einsam. Das ändert sich, als
er den jungen argentinischen Sexworker Lucas
(Nahuel Perez Biscayart) im Internet aufgabelt
und ihm ein Flugticket schickt. Lucas landet
mitten in der belgischen Provinz und stellt
nicht nur Henrys Leben auf den Kopf, sondern
verliebt sich auch. Leider nicht in Henry, sondern in eine junge, alleinerziehende Mutter.
Balthazar und besonders Biscayart können etwas, das in Lamberts Filmen sehr nötig ist:
spielen. Heißt hier: schweigen und dabei Bände
sprechen, einem still das Herz brechen, weil sie
ihre Figuren so mit Leben füllen, komplexe Gedanken über materielle und emotionale Abhängigkeiten mit nur einem Augenaufschlag verdeutlichen. So richtig glücklich ist hier erstmal
eigentlich niemand. Außer dem Publikum, weil
der Film so gut ist. ps
WIE EIN WEISSER VOGEL IM
SCHNEESTURM
US 2014, Regie: Gregg Araki, capelight pictures
Sommer 1988. Die 17-jährige Kat ist zum ersten
Mal verliebt und genießt
die gemeinsame Zeit mit
ihrem Freund Phil. Als
ihre exzentrische Mutter
Eve verschwindet, ist Kat
nicht weiter beunruhigt im Gegenteil: Ohne Eves
ständige Eifersucht auf ihre Tochter und deren
Jugend ist das Leben sogar einfacher. „Sein
neuer Film ist mit Eva Green und Shailene
Woodley besetzt, doch noch immer erlaubt
Arakis teils missglückte, teils hypnotische Inszenierung keine Erfahrung ohne Kanten, kein
Spiel ohne Bruch und Doppeldeutigkeit. Zu viele Versatzstücke konkurrieren hier um Aufmerksamkeit.“ (p Seite 38)
KINK – THE 51ST SHADE OF GREY
US 2014, Regie: Christina Voros, Alive
Was kommt dabei raus,
wenn James Franco als
Produzent einer erfahrenen Doku-Filmerin den
Auftrag gibt, herauszufinden, was sich hinter dem
Phänomen kink.com, dem
größter
Online-Produzenten für BDSM-Pornografie verbirgt? Eine feministisch-queere
Filmreportage feinster Güte und voller sinnvoll
eingesetzter Erektionen. All das, was Franco in
seinem komplett misslungenen „Interior: Leather Bar“ falsch gemacht hat, gelingt hier vollständig: Die Protagonist_innen werden ernst
genommen, das Publikum versteht, was sie antreibt und an BDSM-Sex fasziniert, das Humorlevel stimmt, obwohl niemand auf die Idee
käme, die Beteiligten anzustaunen oder be-
fremdlich zu finden, und jede Art von Sex wird
gezeigt, ohne sie auszustellen. Die intellektuell
lustvollen Räume hinter Kink-Sex werden als
der große Abenteuerspielplatz für Erwachsene
gezeigt, als den diejenigen, die ihn praktizieren, ihn betrachten. Und Voros lässt dem Publikum Raum, um sich seine eigenen Gedanken zu
machen. Dass hier schwuler gleichberechtigt
neben lesbischem, heterosexuellem und die
Geschlechtergrenzen komplett überwindendem Sex steht, muss für Kenner der Szene nicht
erwähnt werden, ist für alle anderen aber doppelt schön. ps
THE SURFACE
US 2015, Regie: Michael J. Saul, Pro-Fun Media
Um „The Surface“ wirklich genießen zu können,
sollte man eine Vorliebe
für junge, dünne, männliche, langhaarige Ex-Models haben. Denn Harry
Hains, der die Hauptrolle
spielt, ist genau das, aber
kein
wirklich
guter
Schauspieler. Was ein bisschen schade ist, denn
die Geschichte, die Regisseur Michael J. Saul
hier zu erzählen versucht, könnte, in talentierteren Händen, sehr spannend sein: Die Waise
Evan (Hains) lebt mit dem älteren, wohlhabenden Chris, bis er auf einem Flohmarkt eine Super-8-Kamera kauft und, als er ins Haus des
ehemaligen Besitzers zurückkehrt, um das dazugehörige Schnittgerät zu bekommen, dessen
Sohn Peter kennenlernt. Auch der ist deutlich
älter als er. Bald tauscht Evan seine Beziehung
mit Chris gegen eine mit Peter. Bis er lernt, dass
einem das Erwachsenwerden niemand abnehmen kann. „The Surface“ ist ein Film über Bilder und wie sie in Köpfen entstehen, versucht
selbst möglichst viele schöne davon zu schaffen
und ist dabei mehr oder minder erfolgreich.
Die Schauwerte sind jedenfalls beachtlich,
auch wenn sie selbst manchmal sehr an der
Oberfläche bleiben, von deren Durchbrechen
hier eigentlich erzählt werden soll. ps
THE IMITATION GAME –
EIN STRENG GEHEIMES LEBEN
UK/US 2014, Regie: Morten Tyldum, Universum
Ein sozialphobischer, latent autistischer und irgendwie an Männern interessiertes Rechengenie
knackt den Code der Nazis und wird zum Kriegsheld, bis er über eine
Männergeschichte in gesetzliche Ungnade fällt.
Reabilitations-Biopic mit Benedict Cumberbatch als Alan Turing. „,The Imitation Game‘
ist ein sehr guter Film. Das liegt daran, das
Drehbuchautor Graham Moore und Regisseur
Morten Tyldum, der bislang nur mit dem Actionreißer ‚Headhunters‘ positiv aufgefallen
war, Turing in dem Biopic das sein lassen, was
er für die meisten Menschen Zeit seines Lebens
und weit über seinen Tod hinaus blieb: ein Rätsel. Das spiegelt sich sowohl in der Struktur des
Films wieder, die eine Geschichte aus Turings
Kindheit, die Verfolgung wegen seiner Sexualität und die Story von Enigma neben-, hinterund übereinander laufen lässt und durch Rückblenden
und
Zeitsprünge
miteinander
verknotet, wie auch in seinen Hauptfiguren.
Benedict Cumberbatch lässt sich nicht dazu
verleiten, seinen Part als affektierten Sonderling anzulegen, sondern macht Turing zu einem Menschen, der weiß, dass er das, was er
wirklich denkt und fühlt, nicht vermitteln
kann, weil seine Gedanken und Sehnsüchte
von seinen Mitmenschen einfach nicht verstanden werden würden, egal, wie sehr er sich
bemüht.“ (Paul Schulz in SISSY 24)
GARDENIA – BEVOR DER LETZTE
VORHANG FÄLLT
DE/BE 2014, Regie: Thomas Wallner, Indigo
Wer die magische Kraft,
die Alain Platels und
Frank Van Laeckes Show
„Gardenia“ hatte, auf ihrer zweijährigen Welttournee nicht live erleben
durfte, kann das jetzt mit
dem
Dokumentarfilm
über deren Darsteller_innen von Thomas Wallner nachholen, zumindest teilweise. Denn wo die Show ihre Trans*Darsteller_innen in ihrer Kulisse aus
Sehnsucht, Licht und Bewegung beließ, zeigt
uns der Film auch ihr Leben jenseits der Bühne: unglückliche Liebe, Einsamkeit, eine
Schublade voller kleiner Hotelseifen und verstaubter Träume. Das kann den Genuss an den
Showausschnitten schmälern – oder viel reicher machen, weil man begreift, woher die
Ausstrahlung und Kraft kommen, die die Altvorderen auf der Bühne zeigen, es ihre Charaktere vertieft und bereichert. Die vierte Wand
wird hier kraftvoll durchbrochen, so dass der
Vorhang gar nicht fallen kann, denn das Leben
dieser Menschen ist auch, als die Show vorbei
ist, nicht zu Ende, was das Publikum mindestens so hoffnungsvoll zurück lässt wie seinerzeit im Theater. ps
SISSY 27 45
I Heart
Girl
Photographs by
Jessica Yatrofsky
October 16, 2015
Galerie Koll and Friends
Motzstraße 23, Berlin-Schöneberg
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Herausgeber Björn Koll
Verlag Redaktion Jan Künemund, [email protected]
Gestaltung Johann Peter Werth, [email protected]
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Toby Ashraf, Gunther Geltinger, Fritz Göttler, Jan Gympel, Fabian
Hischmann, Jan Künemund, Stephanie Kuhnen, Sebastian Markt, Noemi
Yoko Molitor, B. Ruby Rich, Paul Schulz, Alexandra Seitz, Dennis Vetter,
André Wendler, Jochen Werner, Sascha Westphal, Tania Witte.
Lektorat Christian Weber
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SISSY erschien alle drei Monate, jeweils für den Zeitraum Dezember/
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ISSN 1868-4009
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