Die weiche Seite des Ali Pascha: Der Löwe von

Wolf Dietrich (†) / Thede Kahl (Jena)
Die weiche Seite des Ali Pascha:
Der Löwe von Epirus und seine Vorliebe für Musik
Fragestellung
Die meisten Quellen, die Ali Pascha aus Tepelena – den „Löwen von
Epirus“ – erwähnen, zeugen von der Brutalität dieses 1788 bis 1822 in
Jannina (auch Janina, heute griech. Iōannina, alban. Janinë, türk. Yanya,
arom. Yianina, Enene) residierenden Paschas. Gerade wenn es um Rachevollzug ging, kam es vor, dass er seine Feinde am lebendigen Leibe röstete
und zerstückelte Leichenteile zur Schau stellte. Massaker an der orthodoxen Bevölkerung, ob nun an Griechen wie in Preveza oder an Vlachen
(Aromunen) wie in Gardiki, trugen dazu bei, dass sich bei der christlichorthodoxen Bevölkerung der Hass auf ihn bis heute hielt. Unter der überwiegend muslimischen Bevölkerung Albaniens wird er anders gesehen:
Hier werden heute Reisebüros, Hotels, Musik- und Tanzgruppen nach ihm
benannt, sein Konterfei ziert Trinkwasserflaschen, und in Telepena wurde ihm ein überlebensgroßes Denkmal geweiht. Freunden der Aromunen
wie dem mit dieser Festschrift geehrten Wolfgang Dahmen („Pascha von
Jena“) fällt es daher sicherlich nicht gerade leicht, in Ali Pascha (Pascha
von Jannina) Sympathisches zu entdecken. Doch bei näherem Hinsehen
zeigt sich seine weiche Seite, ein Freund der Musik, vor allem der osmanischen Kunstmusik, die er an seinem Hof in hohem Maße förderte, so
dass sie lange über seinen Tod hinaus in ganz Epirus kulturell nachwirkte.
Doch was erfahren wir von seinen Zeitzeugen über diese weiche Seite des
Tyrannen?
Aufstieg eines Löwen
Mitte des 18. Jahrhunderts war die Region Epirus – das Grenzland zwischen Albanien und Griechenland – eine Provinz des Osmanischen Reiches. Den heutigen Staat Griechenland gab es noch nicht, ebenso wenig
einen Staat Albanien. Alle Zeichen standen auf Sturm und Revolution,
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politisch bröckelte es im einst so mächtigen Osmanischen Reich. Knapp
hundert Jahre früher, 1683, standen die Türken noch vor Wien, jetzt regt
sich Unruhe an vielen Stellen im großen Reich, in Nordalbanien und Bosnien gibt es Aufstände, die Serben versuchen, sich aus dem Osmanischen
Reich abzusetzen, die russischen Expansionsbestrebungen bedrohen die
türkischen Interessen auf der Krim und im Nord-Kaukasus.
In diese Verhältnisse wird Ali um 1744 als einziger Sohn einer Familie
geboren, die vermutlich zum toskischen Stamm der Laben gehörte, der
im 15. Jahrhundert zum Schiitismus übergetreten war, wobei viele Autoren seine Abstammung von einer einst aus Anatolien eingewanderten
türkischen Familie für möglich halten. Weder sein Geburtsjahr – Mendelssohn-Bartholdy (1890, 81) nimmt 1741 als Geburtsjahr an – noch sein
genauer Geburtsort sind bekannt. Fest steht, dass er im Raum Tepelena
(alban. Tepelenë, griech. Tepeleni, türk. Tepedelen) geboren wurde. Der
Vater, Veli Pascha von Delvino, stirbt früh und hinterlässt – wie der Sohn
später erzählt – nichts als eine ärmliche Bude und ein paar Felder. Schon
der jugendliche Ali wird als ungewöhnlich energisch, agil und weltgewandt
beschrieben. Als 14jähriger hütet er noch Schafe und Ziegen, doch bald danach hört man zum ersten Mal von ihm. In weiten Teilen der osmanischen
Provinzen funktionierten Polizei- und Militärkontrollen kaum noch, so
dass die Dorfgemeinschaften eigene Schutztruppen aufstellten und bezahlten, um ihre Häuser, Herden und Acker gegen räuberische Übergriffe
zu schützen. Auf diese Art versuchte Alis Mutter Chamko nach dem Tode
ihres Mannes die Familie zu ernähren – als Anführerin einer bewaffneten
Bande zum Schutz ihres Dorfes. Das Unternehmen geht nicht lange gut,
Ali wird samt Mutter und Schwester gefangengenommen und nur gegen
ein hohes Lösegeld wieder freigelassen, aber erst, nachdem Mutter und
Schwester von den Dörflern reihum vergewaltigt werden. Ali wurde daraufhin selbst Kopf einer Diebesbande, die von Epirus bis Thessalien operierte und lässt es sich 20 Jahre später nicht nehmen, für die an Mutter und
Schwester begangenen Gräueltaten grausige Rache zu nehmen.
Noch war von den musischen Neigungen des Ali nichts zu merken, sein
ganzer Ehrgeiz richtete sich zunächst auf den Aufbau einer Existenz und
seiner politischen Macht. Ali wird derbent bașbuğu (Passaufseher, aus türk.
derbent ‚Engpass‘, und bașbuğ ‚Befehlshaber‘), wenig später erwirbt er die
Befehlsgewalt über den Amtsbezirk von Delvino in Südalbanien. Bemerkenswert ist die Art, wie Ali dies erreichte: Er heiratete um 1766 Emine,
die Tochter des Gouverneurs Kaplan Pascha von Delvino. Anschließend
zeigte Ali seinen Schwiegervater bei der Hohen Pforte in Istanbul an, die780
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ser habe an einem lokalen Aufstand gegen die Türken teilgenommen. Kaplan Pascha wurde dafür enthauptet. Der Nachfolger, ein gewisser Selim,
wird von Ali bei der Pforte wegen Kollaboration mit den Venezianern denunziert. Ali vollstreckt selbst das Todesurteil und wird so mit Billigung
der Hohen Pforte neuer Gouverneur von Delvino.
Das nächste Ziel des Ali von Tepelena war das Städtchen Jannina, der
strategisch wichtigste Ort der Region. Als 1788 dort der vorige Pascha
starb, sah Ali seine Stunde gekommen. Mit seinen Gefolgsleuten griff er
im Herbst desselben Jahres die Stadt an, um Fakten zu schaffen, ehe von
der Hohen Pforte in Istanbul andere Entscheidungen drohten. Auf Anhieb
gelang ihm der Angriff nicht, aber trotzdem schickte er eine Gesandtschaft
nach Istanbul und forderte dort seine offizielle Ernennung. Am Hofe des
Sultans entschied man gegen Ali und schickte einen Ferman (Erlass des
Sultans), Ali solle zurückkehren. Ali fing den Boten aus Istanbul ab und
ließ den Ferman im Wortlaut fälschen. Nach altem osmanischem Brauch
wurde das Schriftstück in feierlicher Form verlesen, und die Beys von Jannina vernahmen mit Staunen, das Ali zum neuen Herrscher in der Stadt
bestimmt wäre. Sofort machte der Pascha sich daran, das Leben in Jannina
zu reformieren. Bis in kleinste Details bestimmte er die Tagespolitik. Seine Minister – so wird von ausländischen Beobachtern berichtet – hatten
nur Statistenfunktion, auch die orthodoxe Kirche in Epirus hatte kritiklos
seinen Zielen zu dienen. Doch während seiner Regierungszeit erreichte er
etwas, was sonst in den Balkanländern zu jener Zeit kaum zu verwirklichen war: Er befreite die Straßen und Pässe von Räuberbanden und Dieben und ermöglichte damit einen florierenden Handel zwischen seinem
Regierungszentrum Jannina und den benachbarten Provinzen. Dies kam
nun wiederum den sonst so benachteiligten christlichen Bevölkerungsgruppen zugute: Gerade die Bevölkerung der aromunischen Sommerdörfer stand in tiefverzweigten Handelsbeziehungen weit über Epirus hinaus. Die Sulioten, wahrscheinlich Nachfolger christlicher Albaner, die im
17. Jahr­hundert zugewandert waren und seitdem Bewohner der schwer
zugänglichen Bergwelt von Suli im Epirus sind, versorgten sich zu einem
Teil durch Raubüberfälle in der Art der Kleften. Sie sympathisierten mit
den Russen und solidarisierten mit ihnen gegen die Hohe Pforte, so das
nach dem osmanischen Krieg gegen Russland und Österreich mit dem
Friedensschluss von Jassy im Jahre 1792 aus Istanbul der Befehl für Ali
kam, etwas gegen dieses Widerstandsnest Suli zu unternehmen. Alis ers­
ter Versuch im gleichen Jahr, die Bergfestung Suli zu stürmen, scheiterte
kläglich, ebenso der zweite Versuch sieben Jahre später. Erst im dritten
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Anlauf im Sommer 1803 fiel Suli nach langer Belagerung durch Verrat.
Der Widerstand der Sulioten ging in leichter Umdeutung der Ereignisse in
die Geschichte des griechischen Freiheitskampfes ein, an dem die Sulioten
später auch beteiligt waren (Mendelssohn-Bartholdy 1870). Ali Pascha
wurde nach Niederwerfung der Sulioten 1803 vom Diwan nachträglich als
Pascha akzeptiert und zum Oberstatthalter von Rumelien ernannt.
In der frühen Zeit seiner Regierung in Jannina hielt sich Ali noch an die
Regeln, nach denen im Osmanischen Reich die besetzten Provinzen verwaltet wurden. Zwar war das Osmanische Reich absolutistisch und streng
militaristisch organisiert, doch die einzelnen Provinzen hatten weitgehende kulturelle und administrative Autonomie. Im Falle von Epirus bedeutete
das vor allem Glaubensfreiheit für die Einheimischen. Es gab zwar keinen
Zwang, zum Islam überzutreten, allerdings aber verlockende Angebote für
alle Konvertiten, nämlich Steuerfreiheit, die Erlaubnis zum Waffentragen
und die Möglichkeit, Staatsämter zu bekleiden.
Die Wahrnehmung Ali Paschas ist vor allem durch seine Affäre mit
Frosynī geprägt, die nicht nur in Volksliedern und Balladen überliefert,
sondern auch literarisch verarbeitet wurde. Zu den berühmten Persönlichkeiten, die sich von seiner Geschichte inspirieren ließen, zählen der französische Konsul, Physiker und Historiker François Pouqueville (1770-1838)
mit seinen diplomatischen Berichten, der englische Dichter Lord Byron,
der sich 1809 einige Zeit als Gast am Hof Ali Paschas aufhielt, mit einer Reihe von Gedichten und Beschreibungen seiner Erlebnisse, der griechische
Dichter Aristotelīs Valaōritīs mit seinem Epos Frau Frosynī (griechisch Ἡ
Κυρὰ Φροσύνη, 1859), der albanische Schriftsteller Sabri Godo mit seinem
historischen Roman Ali Pasha Tepelena (Artemida, Tirana 1970) und der
albanische Nobelpreisträger Ismail Kadare mit seinem historischen Roman Pashallëqet e mëdha (Tirana, 1978; Deutsch: Der Schandkasten). Im
1846 publizierten Abenteuerroman Der Graf von Monte Christo von Alexander Dumas werden Ali Pascha und die Belagerung von Jannina durch
die Türken erwähnt, sogar eine Tochter namens Haydee wird ihm angedichtet. Als Opernfigur hat ihn der Komponist und Schauspieler Albert
Lortzing (1801-1851) in seinem Einakter Ali Pascha von Janina, der 1828
in Münster (Westfalen) uraufgeführt wurde, verewigt. Schließlich hat die
dramatische Geschichte der Frosynī mit Ali Pascha zu mehreren Verfilmungen geführt, wovon die bekannteste Η κυρά Φροσύνη και ο Αλη πασάς
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(Frau Frosynī und Ali Pascha, 1959) mit Tzavalas Karousos als Ali Pascha
und Irini Pappa in der Rolle der Frosynī1 war.
Die Beschäftigung mitteleuropäischer Autoren mit Ali Pascha ist eng
verbunden mit dem griechischen Freiheitskampf, der auch die Philhellenen nicht kalt ließ. Die im Volksmund als Kleften (griech. κλέφτες ‚Diebe‘)
bekannten Rebellen gegen die Osmanen – Widerstandskämpfer und Partisanen, die sich durch Straßenraub an den türkischen Transportkolonnen
und Erpressung der nahegelegenen Dörfer ernährten – hatten in vielen
Gebieten die Oberhand. Trotzdem hatten die Kleften im Allgemeinen die
Sympathien der ländlichen Bevölkerung, denn auf ihnen ruhte längerfristig die ganze Hoffnung der Griechen, sich einmal vom ‚türkischen Joch‘
befreien zu können. Ein Klefte zu sein wurde unter Griechen mit der Zeit
sogar zum Ehrentitel. Die Missstände im Osmanischen Reich und die Unterdrückung der christlichen Bevölkerung wurden in Europa zunehmend
registriert und von den Intellektuellen diskutiert. Mangels eigener Anschauung der Realität auf dem Balkan wurde mancher idealistische Traum
von der Erneuerung des antiken Griechenland artikuliert und in Dichtung
umgesetzt. Philhellenen organisierten sogar Reisen nach Griechenland,
einige von ihnen nahmen später aktiv am Freiheitskampf der Griechen ab
1821 teil. Am bekanntesten wurde das Engagement Lord Byrons, dessen
episches Gedicht Childe Harold’s Pilgrimage in England große Resonanz
hatte. Byron war selbst 1809 nach Jannina gereist und hatte Ali Pascha
besucht. Als dann 1812 die ersten beiden Gesänge von Childe Harold’s Pilgrimage erschienen, war das Buch in London innerhalb von drei Tagen
vergriffen. Über Ali Pascha schreibt Byron (1977, 72) darin:
Ich habe nicht Furcht noch Erbarmen gekannt;
Wer dem Ali gehorcht, hat beides verbannt.
Seit der Zeit des Propheten sah nie das Panier
Des Halbmonds solch glorreichen Wesir.
Auch Albert Lortzings erstes Singspiel gehört in diese Welt des romantischen Schwärmens vieler Mitteleuropäer für den Freiheitskampf der
Griechen. „Ali Pascha von Janina oder die Franzosen in Albanien“ nannte
er sein 1824 veröffentlichtes Singspiel. Die Handlung hat sicherlich nichts
mit den Zuständen im Epirus zu tun: Ein französischer Kapitän namens
Bernier ist mit seinem Boot an der albanischen Küste gelandet. Als Gast
Vollständig anzusehen unter http://www.youtube.com/watch?v=F6dvZNJiDSU (Ab­
ruf 07.11.2014).
1
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des Ali Pascha erkennt er unter dessen Haremsdamen Arianna, seine von
Seeräubern entführte Geliebte. Ali bemerkt die Liebe der beiden, doch
um sie nicht zurückgeben zu müssen, entscheidet er, Arianna soll sterben.
Schon schwingt einer der Vertrauten Alis den Säbel, da stürmt Berniers
Freund Robert als Retter herbei, und alles nimmt ein gutes Ende.
Musikleben am Hofe des Ali Pascha
Am Hofe des Paschas wurden osmanische Lebensformen praktiziert,
vom Baustil über die Esskultur bis hin zum Musikleben. Umgangssprachen waren jedoch das Albanische und das Griechische, nicht das Türkische. Da Ali Wesir und damit Repräsentant der Osmanen war, verfügte
er unter anderem über ein großes Harem, und ebenso selbstverständlich
wurde an seinem Hofe auch – und sei es aus politischen Überlegungen
heraus – türkische Musik gespielt. Ali Pascha war zwar selbst kein aktiver
Musiker, mit Sicherheit aber ein großer Musikliebhaber. Besonders hoch
schätzte er vokal vorgetragene Musik. Ein jüdischer Chronist an seinem
Hofe namens Ibrahim Manzur Efendi beschrieb seine Empfänglichkeit für
Musik: „Eine schöne Stimme verursachte bei ihm heftige Emotionen. Ich
habe ihn zu Tränen gerührt erlebt, während ein junger Mann, in Arabien
geboren, ‚ilahi’s‘ sang – islamische Hymnen – obwohl der Wesir Ali Pascha kein Arabisch verstand, fesselte allein die Melodie sein wildes Herz.“
(de Medelsheim 1827, 232). Die seit dem 17. Jahrhundert nachweisbare
Bezeichnung ilahî (Plural ilahîler) stammt aus dem Arabischen, bedeutet
‚Allah zugehörig‘ und bezieht sich auf vertonte türkische, persische und
arabische Gedichte religiösen oder sufistischen Inhalts; in der türkischen
Musik hört man dieses Wort auch als Formel zur Anrufung Gottes.
Alis Leben am Hofe stand in beträchtlichem Gegensatz zum Leben um
Jannina herum. Der Pascha war ein sinnlichen Genüssen, dem Trinken,
der Dichtung und der Musik sehr zugetaner Mensch. Reisende seiner Zeit,
die ihn beschrieben, hoben hervor, dass er dem Wein zusprach – auf den
ersten Blick ungewöhnlich für einen muslimischen Herrscher. Der französische Kaufmann und Reisende François de Pouqueville (1821/IV, 277)
berichtet uns Details über ihn: Ali Pascha wäre „klein, mit außerordentlich dickem Bauch, aber intelligenten, blauen Augen“; „Der Pascha saß
gern in einer Ecke seines Sofas – dabei hatte er jederzeit Waffen bei sich in
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Greifweite (einen Dolch, zwei Pistolen) – und ließ sich Tänze und Lieder
vorspielen. Um ihn herum der Hofstaat, ihm gegenüber der Henker“.
Quellen seiner Hofmusik waren die städtische Musik und Dichtung der
Fanarioten, in geringerem Maße auch westliche Vorbilder, die über die Ionischen Inseln in der Region Verbreitung fanden, die lokale Volksmusik
der Rebellen (așık-Liebeslieder und kleftika-Rebellenlieder) und die stark
pentatonische Volksmusik der epirotischen Landbevölkerung. Am Hofe
des Ali Pascha verband sich all dies zu einer „griechisch-albanische[n] Musikkultur (in griechischer Sprache)“, „einer glücklichen Synthese“ (Brandl
1994: 203), einer Musikkultur, die bis heute in der Region nachwirkt. Nach
Alis Untergang flossen die Traditionen seines Hofes und die urbanen Traditionen der Stadt Jannina in Dichtung und Volksmusik von Epirus ein.
So entstanden die sogenannten Ali-Pascha-Lieder (griech. αληπασαλίτικα oder αληπασάδικα), die seitdem in breiten Bevölkerungsschichten gepflegt werden uns bis heute überliefert sind. In mehreren Liedern werden
die Grausamkeiten des Ali Pascha besungen, hier ein weitverbreitetes Motiv, mit dem viele Lieder dieser Gattung beginnen (Beispiel aus dem Dorf
Delvinaki):
,
,
Όλες οι χώρες και χωριά, φοβερέ μ Αλή Πασιά, σε προσκυνούν, Βεζύρ αφέντη.
Όλοι τον τόπο σου ʽδιναν για τσιφλίκι. Κι ένα χωριό Πωγωνιανής, το Δελβινάκι,
δεν θελεί να σου πουληθεί για τσιφλίκι. Σε πολεμάει με τα φλωριά και με τα
γρόσια.
Alle Länder, alle Dörfer, schrecklicher Ali Pascha, alle beugen das Knie vor
dir, dem Wesir Efendi. Alle haben dir ihr Land in deinen Besitz übergeben,
nur ein Dorf, Delvinaki in Pogoni, gibt nicht auf und bekriegt dich mit Goldstücken.
Dem schottischen Novellist und Unternehmer John Galt (1779-1839)
verdanken wir die Beschreibung des Empfangs von Lord Byron an Alis
Hof. Als er von Ali empfangen wurde, war ein Lyraspieler anwesend, den
er allerdings als Gitarrenspieler („besides him sat a lively-looking young
man disconsolately playing on the guitar“; Galt 1813, 81) bezeichnet. Hobhouse (1813, 182f.) beschreibt eine Hochzeit im Umfeld des Hofes von Ali
Pascha, auf der Lyraspieler den Bräutigam begleiteten und für die Braut
weitere Musiker zur Verfügung standen. Tänzerinnen führten an seinem
Hof ihr Können von der albanischen Laute begleitet vor (Hobhouse 1813,
55). Brandl (1994, 238) bezieht sich auf die Fußnoten Pouquevilles, in denen die Namen der am Hof verbreiteten Instrumente zu erfahren sind:
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Tumbelek, Né (Ney), Siné keman, Mescal (Mıskal), Santour, Daïre, Rébab.
Insgesamt jedoch lässt er an der türkischen Musik kein gutes Haar. Gerade
mit den als mehterhane bekannten osmanischen Militärkapellen konnte
Pouqueville wenig anfangen. An mehreren Stellen machte er sich über türkische Musik lustig, schreibt, dass er sie fürchtet und Gott einen Europäer vor der barbarischen Musik der Türken beschützen möge (Pouqueville
1820 /21 II, 339).
Abb. 1: Ali Pascha von Jannina, Öl auf Papier, 1809; Gemälde des Londoner Händlers und Malers Seymour Stokes Kirkup (1788-1880), Royal Institution of Cornwall;
www.galabri.com/foto/paints2.html
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Die Panflöte oder Mıskal ist später im 19. Jahrhundert aus den verschiedenen Formen der Volksmusik der südlichen Balkanländer verschwunden,
man spielt sie heute weder in Griechenland noch in der Türkei, während
sie in Rumänien weiterhin gepflegt wurde. Seit etwa 1840 hat die Klarinette ihre Rolle übernommen; zu den authentischsten Beispielen zählt in Epirus heute die Gruppe Takoutsia mit dem Klarinettisten Grigoris Kapsalis.
Doch so repräsentativ auch die Klarinette in der Volksmusik von Epirus
heute ist, Ali Pascha hat sie noch nicht kennenlernen können.
Der Harem Alis Paschas umfasste 300 Frauen, überwiegend Personal
und Tanzmädchen. Er hatte offenbar nicht mehrere Ehefrauen gleichzeitig. An seinem Hof arbeiteten auch sogenannte Tanzknaben (türk. köçek,
arab. rakkā), um die herum sich ein ganz spezifisches Musikgenre herausbildete, das als köçekçe oder tavşanca bezeichnet wird und bei dem instrumental begleiteter Gesang von kreisförmigem Tanz begleitet wurde. Die
Tänzer waren im Alter zwischen zehn und achtzehn Jahren, hatten keinen
Bart, trugen Frauenkleider bei ihren Aufführungen und entzückten ihre
Zuschauer mit erotischen Nuancen. Einen guten Eindruck der Gelage und
die Rolle der Tanzknaben vermittelt der Bericht von Bartholdy (1805, 374)
über seinen Aufenthalt am Hofe des Muhtar Pascha. Dabei scheinen Pouqueville zufolge die männlichen Tänzer überwiegend Albaner, die weiblichen eher Zigeunerinnen gewesen zu sein.
Doch Ali Pascha schien nicht nur orientalische und lokale Traditionen
zu schätzten, so ließ er in einem Pavillon des Palastes neben dem Brunnen
mit einem „organ“ italienischer Herkunft zur Musik aufspielen (accomanied by an organ in a recess, playing some Italian tunes; (Hobhouse 1813
I, 55), wobei es sich um eine Drehorgel gehandelt zu haben scheint, ein
Prestigeobjekt mit italienischen Melodien, vermutlich ein Geschenk eines
seiner ausländischen Besucher, der von seiner Liebe zur Musik wusste.
So verwundert es nicht, dass als Bezeichnung für die Drehorgel die falsch
ausgesprochene italienische Firmenbezeichnung POMBIA als ρομβία in
den griechischen Volksmund einging. Wir wissen allerdings nicht, ob Ali
diese „westliche“ Musik gemocht hat; es gibt keinen Beleg dafür. Hingegen
ist bekannt, dass er nicht nur die türkische, sondern auch die lokale epirotische Musik sehr geschätzt hat. Auch ist sicher davon auszugehen, dass er
die in seiner nordepirotischen Heimat verbreitete besondere Form mehrstimmiger Volksmusik gekannt und geschätzt hat.
Alis Geburtsregion Tepelena nördlich von Gjirokastër im heutigen Südalbanien liegt in der Region Labëria, wo bis heute eine virtuose Mehrstim787
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migkeit üblich ist. Von Alis Vorliebe für Vokalmusik ausgehend, können
wir annehmen, dass dieser Musikstil auch am Hofe in Jannina praktiziert
wurde, wenn es sich auch dabei um eine eher ländliche Musiktradition
handelt. Es scheint sogar, dass die vokale Mehrstimmigkeit Folgen für die
instrumentale Musik des südlichen Epirus gehabt hat. Es war wiederum
Pouqueville, der die musikalischen Gewohnheiten an Alis Hof beobachtete. Er notierte einen für ihn auffälligen stilistischen Unterschied zwischen
den üblichen griechischen gereimten kleinen Versen, die er kotsakia nennt,
und dem albanischen Musikstil. Er schreibt (Pouqueville, 1, 289): „Diese
Musik ist wild und barbarisch wie die Menschen, die sie singen, man kann
sagen, sie atmet den Krieg und das Blutbad. Sie scheint gemacht, um das
Echo der Höhlen oder jener grauenvollen Berge, in denen sie wohnen, zu
wiederholen“. Diese südalbanische Mehrstimmigkeit baut auf zwei nacheinander einsetzenden Solostimmen und einem von mehreren Sängern gehaltenen Bordun (griech., alban. iso) auf. Der erste Solist beginnt frei, der
zweite Sänger ‚schneidet‘ seine Stimme nach einem Halbvers, gleichzeitig
fallen die Bordunsänger ein. Dieser Bordun ist in der Labëria wieder in
sich strukturiert, weiter östlich dagegen ein einfacher Halteton. Die Stimme des ersten Solisten ist sehr frei und meist melismatisch stark verziert
und kompliziert gestaltet, während der zweite Sänger eine wesentlich einfachere Melodie singt. Oft besteht diese zweite Stimme nur aus einer Pendelfigur zwischen drei Tönen, es gibt dabei zahlreiche lokale Varianten.
Diese mehrstimmige Musik gibt es heute auch in rein instrumentaler Form.
Dann übernimmt die Klarinette die erste, am stärksten verzierte Stimme.
Die Rolle des zweiten Sängers wird vom Geiger dargestellt, während Laute und Schellentrommel den Bordun imitieren. Instrumentalmusik dieser
Art wird heute und wurde ebenso zu Ali Paschas Zeiten überwiegend von
Berufsmusikern mit Roma-Abstammung (Zigeuner) gespielt. Die Einführung des Berufsmusikertums im Bereich der Volksmusik scheint in allen
Balkanländern eine Neuerung während der osmanischen Zeit zu sein. Die
Türken führten diese Kapellen zunächst in den von ihnen besetzten Städten zur Unterhaltung ihrer dort stationierten Leute ein. Wenn auch keine
Nachweise existieren, die das Praktizieren mehrsprachigen Gesangs am
Hofe Ali Paschas belegen, so scheint es doch durch professionelle Zigeunerkapellen durch ihre sprichwörtliche Flexibilität, überall auf die musikalischen Wünsche ihrer Geldgeber einzugehen, eine instrumentale Form
der für Epirus so typischen polyphonen Vokalmusik gegeben zu haben.
In einem 1781 in Wien von einem ehemaligen K.u.K.-Hauptmann namens Franz Joseph Sulzer veröffentlichten Buch über die osmanischen
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Provinzen werden zwei Arten von türkischer Musik in den Provinzen beschrieben – zum einen die mehterhane-Militärmusik der Janitscharenkapellen, zum anderen die ‚Kammermusik‘ der Türken, die in geschlossenen
Räumen zur Unterhaltung gespielt wurde und als ince saz ‚feine Musik‘ bekannt war. Ali Pascha beschäftigte in seinem Palast in Jannina stets Zigeunerkapellen; ein funktionsfähiges ince-saz-Ensemble hatte Tag und Nacht
zur Verfügung zu stehen, damit Ali, wann immer er wollte, sich diese Musik vorspielen lassen konnte. Für einen Wesir des Osmanischen Reiches
mag das ungewöhnlich gewesen sein, an mitteleuropäischen Höfen gab
es jedoch ähnliche Bereitschaftsdienste für Musiker. Erinnert sei nur an
Robert de Visée (ca. 1660-1732), den Hof-Lautenisten und Gambenspieler
am Hofe Ludwig XIV. von Frankreich, von dem erwartet wurde, dass er
sich zu allen Tages- und Nachtzeiten auf Abruf zum Spielen bereit hält.
Eine für Alis brutale Art typische Geschichte wird im Lied über eine
Frau namens Frosynī tradiert. Ausführlich berichtet Petropoulos in seiner Volksliedsammlung (Πετρόπουλος 1958, 165): „Frosynī, Ehefrau des
Kaufmanns Vasilios, war berühmt für ihre Schönheit und ihre schlanke
Gestalt. Es geschah, dass sich Muhtar Pascha, der ältere der beiden Söhne
Alis, in sie verliebte“. Frosynī ging auf das Werben Muhtar Paschas ein
und ließ sich von ihm zahlreiche wertvolle Geschenke machen. Als sie eines davon – einen Ring aus dem Familienbesitz Alis – bei einem Juwelier
zu Geld machen wollte, erfuhr die Ehefrau von Muhtar Paschas davon.
Das Verhängnis nahm seinen Lauf. Als Muhtar Pascha wenig später als
Anführer einer Truppe zur Niederschlagung eines Aufstands in Adrianopel unterwegs war, ging sie zu ihrem Schwiegervater Ali Pascha und bat
ihn, Frosynī zu bestrafen, um sich an ihr zu rächen. Ali ließ sich dazu
überreden. In einer Nacht lauerten er und seine Leibwache Frosynī vor
ihrem Hause auf und warfen sie zusammen mit 17 anderen Frauen in den
Kerker. Ali Pascha verurteilte sie alle zu Tode und vollstreckte das Urteil
in der Nacht des 11. Januar 1801. Die Frauen wurden im See von Jannina
ertränkt. Christen aus der Stadt bargen und bestatteten die Leichen. Die
schreckliche Tat wurde damit ruchbar. Ein Volkslied hat das Gedenken an
Frosynī als die Geliebte Muhtars Paschas bewahrt. Es heißt zu Beginn des
Liedes (restliche Strophen s. Πετρόπουλος 1958, 165):
Τ’ ακούσατε τι γίνηκε ’ς τα Γιάννενα, τη λίμνη, που πνίξανε τοις δεκαφτά με
την κυρά Φροσύνη; Αχ, Φροσύνη παινεμένη, τι κακό παθες, καϊμένη!
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Hörtet ihr, was im See zu Jannina geschah, wo sie die Frauen ertränkten, dabei
auch Frau Frosynī? Ach, vielgerühmte Frosynī, welch Böses hast du erduldet,
du Arme!
Die Überlieferungen über Frau Frosynī – oder auf Slawisch Frau Frosina – verbreiteten sich weit über den südlichen Balkan, etwa in der Region
um den Ochrid-See, wo sie in den 1960er Jahren von Gruppen wie den
Ohridski Trubaduri oder dem Biljana-Ensemble im Stil der städtischen
Čalgija, einer ebenfalls aus osmanischen Zeiten stammenden Form der Zigeunerkapellen, gespielt werden mit dem Lied Фросина седит на чардак
(Frosina saß auf der Veranda):2
Фросина седит на чардак, на шарен ѓерѓеф везеше, лице је с‘нце грееше.
Помина што ми намина од Алил Паша кабатникот, на Фросина е збор­
веше: Фросино моме убаво, скри си го белото лице со копринена шамија,
пашата седит на диван, со шарената дуљбија, да не те паша догледат.
Frosina sitzt auf der Veranda, auf bunten Stickrahmen stickte sie, die Sonne
schien ihr ins Gesicht. Mit einem Mal kam ein Gesandter des Ali Pascha vorüber und sagte zu Frosina: Frosina, schönes Mädchen, verbirg dein weißes
Antlitz mit einem Seidentuch, der Pascha sitzt auf dem Diwan mit seinem
bunten Fernrohr, möge der Pascha dich nicht erspähen.
Ein anderes Thema aus Alis Herrschaft, der oben erwähnte Kampf gegen die Bewohner der Berge von Suli, ist ebenfalls im Volkslied überliefert
worden. Die Frauen der Sulioten waren die ersten, die die Hoffnungslosigkeit der Lage durchschauten, etwa 60 von ihnen erstiegen gemäß der
entsprechenden Lieder und Tänze der mündlich überlieferten Legende
nach– , einen überstehenden Felsen, den Zalongo, reichten sich die Hände, tanzten einen Reigen („Lebt wohl, ihr Quellen…“) und sprangen singend eine nach der anderen in einer Kette den Fels hinunter in den Tod,
um nicht in die Hände der Söldner Alis zu fallen.
Die 1966 veröffentlichte Schallplatte der Ohridski trubaduri ist auch auf Youtube
zu hören und www.youtube.com/watch?v=Nole-DP21HY (Abruf 05.11.2014); voll­
ständiger Text siehe http://pesna.org/song.php?id=505.
2
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Der Fall des Löwen
Ali hatte ein Netz selbständig entwickelter Kontakte zu allen Mächten,
die sich damals für Südosteuropa interessierten, oft ohne Wissen des Sultans in Istanbul. So manche Episode spielte sich in Jannina ab, von der
die Hohe Pforte nie Details erfuhr. Nach der französischen Besetzung
von Korfu erschien der Adjutant des befehlshabenden Generals Gentili,
der damals zweiundsechzigjährige Rosa, ein Franzose, der in Patras aufgewachsen war, in Jannina als Abgesandter. Ali empfing diesen Offizier,
dessen eitlen Charakter er schnell durchschaute, mit glänzenden Ehren.
Er schloss mit ihm Bruderschaft, ließ sich von ihm die Trikolore als Orden anheften, und verheiratete ihn mit der gerade siebzehnjährigen Griechin Zōitsa, dem schönsten Mädchen von Jannina. Das Fest wurde auf
Alis Residenz gefeiert. Istanbul hatte kaum den Verlust der Nordküste des
Schwarzen Meeres im Krieg gegen Österreich und Russland verschmerzt,
da begannen im gleichen Jahre die Auseinandersetzungen mit Frankreich.
Napoleon Bonaparte war 1798 nach Ägypten gezogen, was die Hohe Pforte zu einer Kriegserklärung an Frankreich veranlasste. Ali schwenkte in
diesem Falle als gehorsamer Diener sofort auf die Seite der Hohen Pforte, die prunkvolle Hochzeit war kaum vorüber, da ließ er Rosa gefangen
nehmen und foltern, bis er über die militärische Stärke der Franzosen auf
Korfu Bescheid wüsste. Anschließend ließ er Rosa kühl als Spion nach Istanbul bringen, wo dieser 1799 starb. Ali Pascha griff indessen Butrint an,
eroberte es 1798 und galt somit wieder als getreuer Feldherr des Sultans,
denn Butrint war ein strategisch wichtiger Hafen gegenüber von Korfu.
Ab 1804 begannen die Engländer, ihren Vorteil im direkten Kontakt mit
Ali zu suchen, englische Gesandte kamen nach Jannina. Den Engländern
war wohl bekannt, dass Ali eine opportunistische Politik mal mit dem Sultan, mal gegen seinen Dienstherren betrieb, eigenmächtig und stets von
egoistischen Motiven geprägt. Sie blieben deshalb sehr vorsichtig gegenüber allen Avancen Alis. Ein letzter Anstoß für diese Wendung zu den
Engländern war für Ali der Friede von Tilsit 1806: Durch Agenten ließ Ali
Napoleon bestellen, man möge ihn als Vasall von Frankreich in den Vertrag aufnehmen und ihm die Ionischen Inseln zuteilen. Napoleon ließ Ali
trocken zurückmelden, er wolle nichts mehr von ihm hören.
Auch in Istanbul hatte man derweil registriert, wie eigenmächtig Ali Politik betrieb, so dass man allmählich Maßnahmen ergriff, um ihn abzusetzen. Das war jedoch leichter beschlossen als durchgesetzt, denn Ali ignorierte alle Anordnungen aus Istanbul, wohlwissend, wie schwierig direkter
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Die weiche Seite des Ali Pascha
Druck aus Istanbul durchzusetzen wäre. Da waren die ständigen Kriege
mit Russland, Frankreich und England, da gab es außerdem überall Kleften in Griechenland, deren man kaum noch Herr wurde. Die Hohe Pforte
verurteilte Ali wegen Kapitalverbrechen gegen den Staat, man erklärte ihn
zum geächteten Staatsfeind und forderte ihn auf, sich binnen 40 Tagen
in Istanbul zu rechtfertigen, was Ali allerdings nicht tat. Sultan Mahmud
II. musste nun versuchen, ihn zu beseitigen. Er schickte Elitetruppen aus
Istanbul nach Epirus, und gleichzeitig wiegelte man noch einmal Alis alte
Feinde, die Sulioten, gegen ihn auf, um ihn mit seinen militärischen Möglichkeiten zu binden. Ab 1820 wurde Jannina belagert. Ali versuchte im
Januar 1821 noch einmal – allerdings vergeblich – einen Ausfall aus der
Stadt. Wohlwissend, dass es jetzt um seinen Kopf ging, versuchte Ali einen
allerletzten politischen Schwenk: Er biederte sich den griechischen Widerstandskämpfern an, schlug eine Versöhnung vor und sagte ihnen Freiheit
und Unterstützung zu. Doch dafür war es zu spät. Als wenige Monate später, im Frühjahr 1821 auf der Peloponnes die griechische Revolution ausbrach, hatte niemand mehr Interesse an einem Verbündeten in Jannina.
Vor dessen Toren standen türkische Eliteeinheiten.
Von der Heftigkeit des griechischen Aufstands war im Norden zunächst nichts zu spüren. Hertzberg (1878, I, 47 f.) berichtet, dass auf der
Peloponnes „innerhalb von vier Aprilwochen annähernd 15.000 Mohammedaner, ohne Unterschied des Alters und Geschlechts, kaltblütig erschlagen und etwa 3000 türkische Häuser zerstört wurden“. In Epirus herrschte
dagegen Belagerungszustand. Alis Position wurde immer schwächer, im
Winter 1821/22 flüchtete er aus der Stadt auf die Insel im See vor Jannina. Sein letzter Zuspruch dort war Kyra Vasilikī, eine junge Frau, die man
1812 in Alis Harem gebracht hatte, wo sie ihn mit Gesang und Tanz unterhalten sollte. Sie war damals angeblich erst zehn Jahre alt. Ali verliebte
sich in sie und heiratete sie sogar, trotz des Altersunterschiedes von rund
50 Jahren. Vasilikī blieb bei Ali bis zu dessen letzter Stunde. Zahlreich sind
auch in der Tradition der griechisch-orthodoxen Bevölkerung die Klagelieder über Ali Paschas Tod.
In Jannina hatte ein junger, ehrgeiziger Offizier namens Churschid Pascha den Auftrag, Ali zu köpfen und das abgeschlagene Haupt auf dem
schnellsten Wege in einem Lederetui nach Istanbul zu bringen, damit er
dort zur Schau gestellt würde und anderen eine Lehre sei. Am 4. Februar
1822 wurde der Befehl vollstreckt. Alis Ende hat der albanische Schriftsteller Ismail Kadare in einem packenden historischen Roman Pashallëqet
e mëdha (deutsch: Der Schandkasten) beschrieben. In der Nähe der Hagia
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Wolf Dietrich / Thede Kahl
Sofia in Istanbul gab es einen Ort, den man durch das sogenannte Kanonentor betrat. In dessen Mauern war eine Nische mit einem Kasten, in
dem die Köpfe aller untreuer und in Ungnade gefallener Größen des Osmanischen Reiches ausgestellt wurden. Bei Kadare (1996, 8) heißt es: „Die
Einheimischen nannten die Nische İbret Taşı, also ‚Stein der Warnung‘
oder, in freierer Übersetzung, ‚Lehre aus dem Unheil‘. Unschwer zu erraten, weshalb man den Kasten für die abgeschnittenen Köpfe rebellischer
Wesire oder in Ungnade gefallener Großen des Reiches gerade an dieser
Stelle eingerichtet hatte. Nirgendwo sonst hatte der Kontrast zwischen der
gewichtigen Statik des altehrwürdigen Platzes und dem abgehackten Menschenkopf, der sich dagegen zu empören gewagt hatte, einem Passanten
augenfälliger werden können.“
Kurz nachdem man an der Theologischen Fakultät der Yalova-Universität in Istanbul begann, die historischen Grabsteine auf dem ZeytinburnuAyvalık-Friedhof in Istanbul registrieren, stieß man 2006 auf einen Grabstein von Ali Pascha. Nachdem sein Haupt lange auf der Zinne des Serails
ausgestellt worden war, ist er offenbar hier begraben worden. Seit 2013 ist
die albanische Regierung mit der Türkei wegen der Rückgabe seines Kopfes
in Verhandlungen.3 Doch bereits bevor eine Entscheidung dazu herbeigeführt wird, ließ sich die neue albanische Musikergruppe Ali Pasha von der
Verteilung der sterblichen Überreste des Paschas auf mehrere Kontinente
inspirieren und besingt sein Schicksal sich mit folgendem Liedtext:4
Koka në Stambollë more, e trupi në Janinë, e të shtrinë Ali Pasha more, e o Pasha
të shtrinë.
In Istanbul der Kopf, in Ioannina der Körper, ach, du wurdest erlegt, Ali Pasha, ach!
Literatur
Αραβαντινός, Παναγιώτης, Συλλογή δημώδων ασμάτων της Ηπείρου, Αθήναι, Πέτρου Περρή
1880 (Nachdruck, 1967).
Baud-Bovy, Samuel, Etudes sur la chanson cleftique. Athenes: Institut français, 1958.
Brandl, Rudolf Maria, Der Hof Ali Pasas in Janina und seine Ausstrahlung, in: Lauer, Reinhard
u. a. (Hg.), Höfische Kultur in Südosteuropa, Göttingen, Vandenhoeck & Ruprecht, 1994,
205-245.
Nachricht auf http://www.sabah.com.tr/yasam/2013/02/12/tepedelenlinin-basi-bu­
rada-gomulu (abgerufen am 07.11.2014).
4
vollständiger Text auf www.lyricsmania.com.
3
793
Die weiche Seite des Ali Pascha
Byron, Lord, Childe Harold‘s Pilgrimage. Sämtliche Werke, Band 1 (Übertragung von Otto
Gildemeister nach der Werksausgabe von E. H. Coleridge, London 1896-1904), München,
Winkler, 1977.
Cajetan Graf Alcaini, Biographie des Wesirs Ali-Pascha von Janina, Wien und Pest 1823, S. 3f.
(Online-Version auf Google-Books, abgerufen am 3.11.2014).
de Medelsheim, Samson Cerfberr (= Ibrahim Manzur Efendi), Mémoires sur la Grèce et l’Albanie pendant le gouvernement d’Ali-Pacha, Paris 1826, 21827.
Fauriel, Claude, Die Sulioten und ihre Kriege mit Ali Pascha von Jannina nebst den neugriechischen Volksliedern, welche sich auf diese Kriege beziehen, Verlag Peucher, Breslau 1834.
Galt, John, Letters from the Levant, containing views of the state of society, manners, opinions,
and commerce, in: Greece, and several of the principal islands of the archipelago, London
1813.
Hertzberg, Gustav Friedrich, Geschichte Griechenlands, Theil 1-4. Gotha, Perthes, 1878.
Hobhouse, John C., A Journey through Albania and other Provinces of Turkey in Europa and
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Kadare, Ismail, Der Schandkasten, München, dtv 1/2213, 1996.
Kadare, Ismail, Pashalloqet e modha, Tirana, Naim Frashëri, 1978.
Kappler, Matthias: Orient und Okzident am Rande des Balkans: Ionische und festlandgriechische
Dichter des 18. und 19. Jahrhunderts zwischen europäischer und osmanischer Peripherie, in:
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de la Triballie, de la Thessalie, de l’Acarnanie, de l’Étolie ancienne et Épictète, de la Locride
Hespérienne, de la Doride, et du Péloponèse ; avec des considérations sur l’archéologie, la
numismatique, les mœurs, les arts, l’industrie et le commerce des habitants de ces provinces,
Bd. 1-5. Paris, Gabon, 1820/1821.
Pouqueville, François Charles H. L. de, Voyage en Morèe, a Constantinople, en Albanie, et dans
plusieurs autres parties de I‘Empire Othoman pendant les années 1798, 1799, 1800 et 1801,
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Sulzer, Franz Joseph, Geschichte des transalpinischen Daciens, vol. I-II, Wien 1781/1782.
Abstract: Ali Pasha from Tepelena who reigned over Jannina (Epirus) from 1788 to 1822
was known for using brutality against his enemies. This contribution shows the pasha from
his soft side. He was a friend of music, especially Ottoman art music, which he promoted in
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Wolf Dietrich / Thede Kahl
his court to such an extent that it continued to have a cultural effect on Epirus long after his
death. He valued vocally performed music greatly but also Turkish “chamber music”, the socalled ince saz which was available around-the-clock in his court. On the basis of reports from
travelers and chroniclers, it is possible to sketch a picture of Ali Pasha’s court music.
Keywords: Ali Pascha, Epirus, Ioannina, osmanische Musik, Tepelena
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