Mainzer Kulturtelefon Dezember 2015 bis Dezember 2016 Christoph Höhtker Brandstifter Jennifer Bentz Helge Weichmann Gunnar Kunz Josephine Bätz Jürgen Kross Lena Harsa Martin Schöne Annegret Held Klaus-Dieter Regenbrecht Erik Arellana Bautista Monika Böss Dezember 2015 Christoph Höhtker Januar 2016 Brandstifter Februar 2016 Jennifer Bentz März 2016 Helge Weichmann April 2016 Gunnar Kunz Mai 2016 Josephine Bätz Juni 2016 Jürgen Kross Juli 2016 Lena Harsa August 2016 Martin Schöne September 2016 Annegret Held Oktober 2016 Klaus-Dieter Regenbrecht November 2016 Erik Arellana Bautista Dezember 2016 Monika Böss Herausgeber: LiteraturBüro Mainz e.V. in Zusammenarbeit mit dem Kulturamt der Landeshauptstadt Mainz Redaktion: Marcus Weber Fotos: Verena Lepuschitz (Brandstifter), Olivier Favre (Held), Nathalie Naab (Schöne), alle anderen: privat Layout: Oliver Schmitt LiteraturBüro Mainz Zitadelle, Bau E, 55131 Mainz Telefon: (06131) 22 02 02, Fax: (06131) 22 88 45 E-Mail: [email protected] Internet: www.literaturbuero-rlp.de und www.mainzer-kulturtelefon.de Er schaut mich auf eine neue, wie ich finde, ungemein intensive Weise an. »Hoxha war Stalinist«, informiert er mich. Und dann folgt eine Pause. Eine recht lange Pause, während der er den Blick nicht von mir abwendet. Unwillkürlich frage ich mich, ob er Theaterwissenschaften studiert hat. Ob ich es hier letztlich mit einem verrückt gewordenen Lee-Strasberg-Schüler zu tun habe. »Aber Hoxha …«, macht er schließlich weiter, »… Enver Hoxha hat etwas gut verstanden. Die Menschen. Er …« »Finde ich auch«, unterbreche ich ihn. Gleichzeitig stecke ich mein Telefon und mein Portemonnaie ein, und zwei Minuten später bin ich auf dem Weg zum Flughafen. Aus »Alles sehen« Christoph Höhtker Christoph Höhtker, geboren 1967 in Bielefeld, studierte Soziologie, war Taxifahrer, freier Journalist, Sprachlehrer, Werbetexter. Im Herbst 2015 veröffentlichte er im Ventil Verlag Mainz seinen zweiten Roman »Alles sehen«. Höhtker lebt und arbeitet in Genf. Dezember 2014 nahm ich als Asphaltbibliothekar an den BEGEHUNGEN in Chemnitz teil und suchte dort zwei Monate im Stadtraum nach verlorenen Zetteln, um die Befindlichkeit der Stadt in einer Ausstellung wider zuspiegeln. Vor einem Supermarkt fand ich eine mit Er sucht Sie überschriebene und mit einem Herzaufkleber versehene, handschriftliche Kontaktanzeige. Mit der Musikerin Edita Karkoschka fing ich an meine gefundenen Texte zu vertonen und schon bald ent wickelte sich aus Von Kunde zu Kunde ein skurriler Ohrwurm, den wir auf einer Bühne am Rosenplatz live aufführten. www.brand-stiftung.net Brandstifter *1968 in Bad Kreuznach. Aktionskünstler, Rektor und Kurator der Walpodenakademie Mainz. Brandstifters Hauptwerk »Asphaltbibliotheque«, eine konzeptuelle Sammlung von Fundzetteln, die er seit 1998 im öffentlichen Raum aufliest, hat er u.a. in Berlin, Graz, Mainz, Rajasthan, Wien und als Stipendiat in New York inszeniert. Buchkunst des V.E.B. Freie Brandstiftung befindet sich unter anderem in der Bibliothek des Museum of Modern Art New York und dem Sackner Archive for Concrete and Visual Poetry Miami. Aktuelle Veröffentlichungen: Asphaltbibliotheque (Ventil), antikörper/antibodies (Gonzo). Januar Es heißt, wenn die FSK einen Film über dein Leben ohne Altersbeschränkung freigeben würde, machst du was falsch. Wenn das stimmt, habe ich die letzten achtundzwanzig Jahre alles falsch gemacht. Mutig sein bedeutet bei mir, eine neue Kaffeesorte auszuprobieren und als ich das letzte Mal mein Leben ändern wollte, gipfelte die Euphorie in der Anschaffung eines Billy Regals für unseren Kellerraum, bei dessen Aufbau ich mir den Daumennagel abgehämmert habe. Ich like Facebook-Sprüche wie »Vielleicht sollten wir mal das tun, was uns glücklich macht und nicht das, was das Beste ist« und tue das, was das Beste ist. Und all das ist auch kein Wunder: ich wurde in das wohlsortierte Leben einer so durchschnittlichen Familie hineingeboren, dass wir, als ich zehn war, die Vorzeigegruppe einer Panelstudie über das Konsumverhalten der deutschen Normfamilie wurden und beinahe täglich Fragen am Telefon beantworten mussten. Jennifer Bentz Jennifer Bentz ist Jahrgang 1980, hat Publizistik- und Filmwissenschaften studiert und lebt mit ihrem Sohn in Mainz. Nach dem Sachbuch »Einfach mal klarkommen«, erschien im Jahr 2014 im Ullstein Verlag ihr erster Roman »Wenn alle Stricke reißen«, der für’s Kino verfilmt werden soll. »Frühstück mit Sophie« (Ullstein Verlag 2015) ist der zweite Roman. Aus »Frühstück mit Sophie« Februar Helge Weichmann Helge Weichmann wurde 1972 in der Pfalz geboren und ist seit 20 Jahren Wahlmainzer. Als Filmemacher hat er einen besonderen Blick für die Geschichte(n) der Region, seine TinneNachtigall-Krimis verweben Realität und Fiktion auf unnachahmliche Art und Weise. Der promovierte Geowissenschaftler ist Inhaber einer Medienagentur, Freizeitkoch, Whiskyliebhaber und leidenschaftlicher G itarrist. Zuletzt erschienen: Schandgrab (2013), Schandgold (2014), Schandkreuz (2016) (alle im Gmeiner-Verlag). März Tinne gab Elvis einen Rippenstoß. »Jetzt sag halt Ja. Die Chance kommt so schnell nicht wieder.« Der Dicke schüttelte den Kopf und zog ein Gesicht. »Nö, ich denk gar nicht dran. Dass dann halb RheinlandPfalz am Telefon hängt und sich unsere Geschichten anhört. Im Traum nicht!« »Ach komm, du Miesepeter. Das Kulturtelefon ist doch eine tolle Gelegenheit, von unseren Abenteuern zu erzählen.« Doch Elvis blieb störrisch und trottete vor sich hin, die Hände in den Taschen. Er sah aus wie ein Lausejunge, der zum Schuldirektor muss. Tinne startete einen letzten Versuch. »Hey, pass auf, wir können in der Kommune eine Art Kulturtelefon-Feierstunde machen, mit der Brigade zusammen. Ich spendiere Fleischwurst, und im Keller liegt, glaub ich, noch eine Kiste Riesling.« Es dauerte fünf Sekunden, dann hatte Tinnes Trick Erfolg. »Na gut, meinetwegen«, brummte der Reporter. »Aber nur ein paar Zeilen. Und der Riesling wird vorher anständig kalt gestellt.« Tinne nickte brav und grinste in sich hinein. Sie wusste: Mit der Aussicht auf einen ordentlichen Imbiss konnte man bei Elvis viel erreichen! Was hätte wohl Platon dazu gesagt, dachte Hendrik, während er, nach allen Seiten sichernd, auf den Kartoffelacker zukroch. Oder Aristoteles? Er schaltete die Taschenlampe aus und hob den Kopf. Niemand zu sehen. Manche Bauern beschäftigten ehemalige Freikorpssoldaten, um ihre Felder zu bewachen. Aber hier schien alles ruhig, wenn man von der Handvoll Menschen absah, die im schwachen Licht des zunehmenden Mondes links und rechts von ihnen durch die Wiesen rund um Großbeeren schlichen. Diana konnte es mal wieder nicht abwarten. Sie erhob sich, suchte den Horizont ab und rannte auf den Acker zu. Hendrik gab seine Deckung auf und folgte ihr. In der erstbesten Furche fielen sie nebeneinander auf die Knie und fingen an, auf der Suche nach vergessenen Frühkartoffeln mit bloßen Händen den Boden zu durchwühlen. Epikur hätte es verstanden, dachte Hendrik. Christoph Martin Wieland auch: Bei leerem Magen sind alle Übel doppelt schwer. Aus »Inflation« Gunnar Kunz Geboren 1961 in Wolfenbüttel. Viele Jahre Regieassistent am Theater, seit 1997 freier Autor von Romanen, Kinderbüchern, Theaterstücken, Musicals, Hörspielen, Liedertexten (Dt./Engl.). Lebensmittelpunkt: vier Jahre Hamburg, zwei Jahre Schottland, heute Berlin. www.gunnarkunz.de April komm, wir gießen die fenster der straßenbahn neu in form, schaben die kratzer im plastik ab, ohne noch tiefere spuren zu hinterlassen; scheuern mit gedankenlosen bewusstseinszuständen die graffiti weg, eine gemurmelte entschuldigung als schwamm benutzend. Josephine Bätz Geboren und aufgewachsen in Mainz, studiert Theaterwissenschaft in Berlin. Schreibt Lyrik und Kurzgeschichten. Veröffentlicht in den Anthologien »Durchschrift« 1 & 2 des Wettbewerbs »Förderung junger Schreibtalente« (Razamba Verlag). Mai ducken uns an den haltestangen entlang; da lauert der heldentod unterm sitz, der dringend mal wieder frisch bezogen werden müsste. wir kappen der bahn die leitung wie einem wellensittich, der zu weit geflogen ist, seine flügel. komm, wir zünden sie lieber gleich an. Vom 28. April bis 24. September 2016 können Sie in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz die Ausstellung »Literaturland Rheinhessen« besuchen! in reinheit die kälte. füllt zwischen körpern den tann. die sich drin atmend bewegen. Jürgen Kross Jürgen Kross, geboren 1937 in Hirschberg/Schlesien, lebt als Autor und Buchhändler in Mainz. Zahlreiche Veröffentlichungen im In- und Ausland. Zuletzt: Puppenkopf oder Wer fürchtet sich vorm schwarzen Mann (Theaterstücke 2015) – rufweiten, umbruch (Lyrik 2014) Vom 28. April bis 24. September 2016 können Sie in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz die Ausstellung »Literaturland Rheinhessen« besuchen! Juni Der Jahrmarkt war gerade in der Stadt Lena Harsa Geboren in Frankfurt, aufgewachsen im Kreis Mainz-Bingen. Besucht zur Zeit die 10. Klasse der Hildegardisschule in Bingen. Schreibt Gedichte, Essays und (Kurz-)Geschichten. Veröffent licht in der Anthologie des Wettbewerbs »Förderung junger Schreibtalente« (erschienen im Razamba Verlag). Juli Ich sah in den Kühlschrank. Er war leer. Im Obstkorb lagen nur ein paar verschrumpelte Kartoffeln. Eins war klar: ich musste einkaufen! Ich kramte in der Schublade und wühlte meine Sparbox heraus. Der Monat neigte sich dem Ende zu, und die Universität würde mein nächstes Gehalt erst in anderthalb Wochen überweisen. Ich zog meinen alten Mantel an und verließ die Wohnung. Der Jahrmarkt war gerade in der Stadt. Der Wind trug die schreckliche, jahrmarkttypische Musik und das Grölen der schon betrunkenen Jugendlichen an mein Ohr. Ich mied Jahrmärkte in der Regel. Ich hatte sie noch nie leiden können. Jeder Logik widersprechend hatte ich Heimweh. Nicht nach meiner Wohnung, oder einem anderen Ort. Nein. Ich sehnte mich nach meiner Ex-Frau und meinen Kindern. Der Wind frischte auf. Ich schlug den Kragen meines Mantels hoch. Vergrub die Hände tief in den Taschen und machte mich auf den Weg. Ich musste mich beeilen, bevor die Geschäfte zumachten. Vom 28. April bis 24. September 2016 können Sie in der Wissenschaftlichen Stadtbibliothek Mainz die Ausstellung »Literaturland Rheinhessen« besuchen! Magnesiumfackeln schwebten an kleinen Fallschirmen vom Himmel herunter. Feuerlicht. Von den drei GIs am Strand standen noch zwei. Den dritten Mann hatten meine Kugeln in der Brust getroffen, er lag reglos auf dem Rücken. Chruschtschow hatte sich herumgeworfen und stolperte über die Felsen Richtung Promenade. Er knickte um und schlug lang hin. Rappelte sich auf. Humpelte. Wollte zur Treppe. Ich hörte eine Kalaschnikow bellen und sah ihn in einem Nebel aus Blut verschwinden. Diesmal stand er nicht mehr auf. Der dumpfe Knall einer Automatik. Neben mir spritzte Wasser in die Höhe, die Hülle des Ballons sackte in sich zusammen. Reagan. Wieder feuerte er auf mich. Ich spürte die Hitze des Geschosses. Wieder bellte die AK-47. Steinsplitter spritzten neben Reagan hoch. Kopfüber stürzte er ins Meer. Unmöglich zu unterscheiden, ob er getroffen war oder sich mit einem Sprung ins Wasser r etten wollte. Ich wandte den Kopf. Martin Schöne Martin Schöne, geboren 1968 in Montabaur. Schriftsteller, Journalist, Krimiexperte, Jurymitglied Deutscher Kurzkrimi-Preis. Seine actionreichen Thriller um den ehemaligen Zielfahnder Tom Wolf erscheinen im Pendragon Verlag. Mit »Die Zeitensammler – Jan und das Geheimnis der letzten Stunde« erschien soeben sein erstes Jugendbuch im Der Schöne Verlag. www.martin-schoene.de Aus »Wolf sieht rot« August Die Rehe und Hasen nahmen Reißaus, aber die Felder waren vernichtet und die Saat zertrampelt und zerfressen, keine Kartoffeln, kein Korn. Eine unbändige Verzweiflung und eine übermächtige Wut ergriff die Scholmerbacher und sie stürzten mit Äxten und mit Hacken in die gräflichen Wälder, um die Bäume abzuhauen und die Rehe zu lynchen und aus den Hasen Hackbraten zu machen. Da sie aber die Hasen nicht erwischten, kam ihnen der Katzensteiner Förster gerade recht und sie jagten ihn fort und bewarfen ihn mit Steinen und mit Stöcken. Das war die Revolution im Jahre 1848 im Dorf Scholmerbach. Endlich gehörten ihnen wieder alle Wälder, und sie gingen hinein und hackten Holz und aßen die Waldbeeren und sammelten Kräuter, sie ließen ihre Schweine dort fressen und verwüsteten ganze Landstriche. Einen Sommer lang waren sie vollkommen frei. Aus »Armut ist ein brennend Hemd« Annegret Held Geboren 1962 im Westerwald, arbeitete u.a. als Polizistin, Sekretärin, Altenpflegerin und Luftsicherheitsassistentin – und ist erfolgreiche Autorin. Sie bekam den Berliner Kunstpreis der Akademie und den Glaser-Förderpreis, ist PEN-Mitglied und lebt in Frankfurt. Im Eichborn Verlag sind bisher erschienen »Meine Nachtgestalten«, »Die letzten Dinge«»Fliegende Koffer«. Ihr letzter Roman »Apollonia« war der Beginn ihrer Westerwaldchronik, die mit »Armut ist ein brennend Hemd« fortgesetzt wird. September Diese Diagnose war der Donnerschlag, der sie von den Beinen gehauen hatte. Obwohl eine derartige Verkündigung immer eine Vorgeschichte hat; lange verborgene Veränderungen. Unwohlsein, das Gefühl, da stimmt etwas nicht, bis man sich entschließt, zum Arzt zu gehen, zum Frauenarzt, später zu den Spezialisten; die Untersuchungen, Ultraschall, Abstriche, Gewebeproben, Bescheide und Gespräche. Es könnte das sein und wir müssen das ausschließen, und auch das heißt noch gar nix, blablabla. Wir müssen jetzt. So lange noch. Gar nichts müssen wir jetzt. Aus »Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe« Klaus-Dieter Regenbrecht Jahrgang 1950, schreibt seit 1974. »Tabu Litu – ein documentum fragmentum in neun Büchern« erschien in den Jahren 1985 – 1999. Zuletzt erschienen die Romane »Im Goldpfad 10« (2013), »Jonas von Dohms zu Brügge« (2014) und die Erzählung »Luhmen & Balder: Minimal-invasive Eingriffe« (2015). 2014 erhielt er den ersten Preis beim »Landschreiber-Literatur-Wettbewerb.« Oktober Erik Arellana Bautista Erik Arellana Bautista, *1974 in Bogotá, kolumbianischer Menschenrechtsaktivist und Autor. In seinem Heimatland arbeitete unermüdlich gegen das Vergessen der im bewaffneten kolumbianischen Konflikt Verschleppten und Verschwundenen. Die Verschwundenen und der Schmerz ihrer Angehörigen sind sein Hauptthema. In Kolumbien geriet unter Druck, Büroräume wurden überwacht, Mitarbeiter belästigt und verfolgt. Seit Juni 2014 ist er Stipendiat im Writers-in-ExileProgramm des PEN und lebt in Hamburg. November Writers in Exile heißt das Programm, das vom deutschen PEN und dem ersten Staatsminister der Bundesregierung für Kultur und Medien, Michael Naumann, vor 16 Jahren ins Leben gerufen wurde. Über vierzig in ihren Heimatländern bedrohte und verfolgte Schriftsteller und Journalisten konnten bisher durch dieses Stipendium in unserem Land für eine gewisse Zeit Zuflucht und Sicherheit finden, um bei uns, in geschütztem Raum, schreiben zu können. Die Stipendien werden jeweils für ein Jahr vergeben. Bei praktischen und professionellen Fragen beraten und helfen Kollegen. Sowohl Lesungen, Diskussionsforen und Publikationsmöglichkeiten als auch Kontakte mit Lesern und Interessierten sind die Basis für ein Leben als Schriftsteller, auch und gerade in der Fremde. Bislang sind mehrere Anthologien mit ausgewählten und ins Deutsche übersetzten Texten der Writers-in-Exile-Stipendiaten erschienen. Ein vergessenes Grab. Eingesunken der Stein. Verwischt die Inschrift. Hohe Pappeln. Licht stürzt ins Blätterrauschen. Glocken läuten im Tal und der Fluss zieht vorüber. Wellen zerspringen. Es wird ein böses Geheimnis bleiben. Oktober 1957. Der Zug fährt ein. Hager, hoch gewachsen, in altmodisch dunklen Taft gekleidet, entsteigt sie einem Abteil der Holzklasse. Hinter der Sperre wartet ihr Schwager Jakob. Knapp fällt die Begrüßung aus. Auf dem Bahnhofsvorplatz steht das Fuhrwerk mit dem geduldigen Kaltblüter. Unwillig verzieht sich ihr Mund. »Wie lange hältst du die Pferde noch, Jakob?« »Nemm en Taxi, wenn es dir nit passe duud, Gretel!« Die Galle beginnt ihm zu schäumen. Weshalb sagt ihr niemand die Meinung? Lass’ uns in Ruhe, altes Klafter! Doch bevor er sich weiter zornige Gedanken über eigene oder anderer Unentschlossenheiten machen kann, beschließt er den schwarzen Strich neben sich zu vergessen. Monika Böss Geboren in Bingen, lebt heute in Mörsfeld in der Nordpfalz. Sie schreibt Romane, Erzählungen und Hörspiele. 2006 Martha-Saalfeld-Preis des Landes Rheinland-Pfalz für den Roman »Marvins Bräute«. Ihr neues Buch »Tante Gretel – oder die unerlösten Sommer« erscheint Ende 2015. Dezember Am Mainzer Kulturtelefon hören Sie rund um die Uhr Lyrik und Kurzprosa, zusammengestellt vom Literaturbüro Mainz und gefördert vom Kulturamt der Landeshauptstadt Mainz. Das LiteraturBüro Mainz besteht seit 1987. Die Aktivitäten des LiteraturBüro und seine Bestrebungen zur Vernetzung verschiedener Kunstsparten werden von der Landeshauptstadt Mainz und dem Land Rheinland-Pfalz finanziell unterstützt. LiteraturBüro Mainz Zitadelle, Bau E, 55131 Mainz Telefon: (06131) 22 02 02, Fax: (06131) 22 88 45 E-Mail: [email protected] Internet: www.literaturbuero-rlp.de www.mainzer-kulturtelefon.de
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