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AM AKTUELLEN RAND von Claudia Kemfert
EU-Wettbewerbsklage
gegen Gazprom:
Initialzündung für eine
europäische Energie-Union?
Prof. Dr. Claudia Kemfert ist Leiterin
der Abteilung Energie, Verkehr, Umwelt
am DIW Berlin.
Der Beitrag gibt die Meinung der Autorin
wieder.
Der Streit zwischen Europa und Russland bekommt neuen
Zündstoff: Die EU will ein Wettbewerbsverfahren gegen
den staatlichen russischen Energieriesen Gazprom eröffnen.
Juristisch geht es um den Vorwurf der Ausnutzung einer
marktbeherrschenden Stellung, politisch um Macht und
Loyalitätskonflikte und ökonomisch um nationale Schlüsselindustrien. Da ist also ordentlich Druck auf dem Kessel.
Gazprom steht vor allem unter Verdacht, den Wettbewerb
durch Transport- und Vertriebsbeschränkungen von Gas zu
behindern. Die Wettbewerbshüter der EU stören sich auch
an der teilweise willkürlichen und intransparenten Preisgestaltung. Die Gaspreise werden im Rahmen langfristiger
Lieferverträge noch immer oftmals an die Entwicklung des
Ölpreises gekoppelt, obgleich durch das Überangebot auf
den Weltmärkten die Gaspreise deutlich niedriger ausfallen müssten. Eine explosive Mischung entsteht dadurch,
dass Russland von befreundeten Staaten häufig deutlich
niedrigere Preise verlangt. Zugleich sind diese ausgerechnet
dort am höchsten, wo es kaum Alternativen zum russischen
Gas gibt, etwa in vielen osteuropäischen Staaten. Auch
deutsche Unternehmen haben erst vor einem Schiedsgericht marktgerechtere Preise erwirken können.
Doch Lehren daraus gezogen hat Gazprom nicht: Seine
„neuen“ Freunde Türkei und Griechenland begünstigt
Russland nun offenbar nicht nur mit Rabatten auf den
Gaspreis, sondern auch mit anderen lukrativen Geschäften:
Die geplante Pipeline South Stream sollte eigentlich über
Bulgarien russisches Erdgas nach Westeuropa transportieren. Kurzerhand und völlig überraschend soll sie nun
durch die Türkei nach Griechenland führen. Südosteuropa,
allen voran Bulgarien, wären doppelt benachteiligt: kein
Geschäft mehr mit dem Gastransport und eine drohende
Gasunterversorgung.
Jetzt könnte es zum großen Knall kommen: Gazprom besitzt
Anteile an europäischen Pipelines, Speichern und Stromnetzen und damit enorme Marktmacht. Immerhin rund
ein Drittel seiner Gas- und Öl-Bezüge bezieht Europa vom
mächtigsten Energieunternehmen der Welt. Deswegen
scheint der aktuelle Vorstoß der EU-Kommission manchem
reichlich tollkühn. Gerät etwa die Versorgungssicherheit
in Europa in Gefahr? Seit langem setzt Russland Energielieferungen als politisches Druckmittel ein. Was, wenn Russland – wie in der Ukraine schon öfter vorgekommen – den
Hahn zudreht? Spielt die EU-Kommission mit dem Feuer?
In der Tat ist Europa auf eine mögliche Eskalation schlecht
vorbereitet. Weder gibt es eine strategische Gasreserve, die
im Krisenfall Europa mit Gas versorgen könnte, noch wird
europaweit entschlossen eine Energiewende umgesetzt, die
auf konsequentes Energiesparen und erneuerbare Energien
baut. Auf den internationalen Märkten ist zwar ausreichend
Gas vorhanden – um jedoch vor Lieferengpässen gewappnet
zu sein, müsste die EU ihr Gas aus mehr Ländern als bisher beziehen und den Flüssiggasimport steigern. Dafür fehlt es aber
noch immer an ausreichend Flüssiggasterminals. Auch müsste
die Effizienz des europäische Erdgaspipelinesystem verbessert
und umgerüstet werden, um Gas von West- nach Osteuropa
– also in die umgekehrte Richtung – liefern zu können, falls
diese Länder von der Versorgung abgeschnitten sind.
Andererseits ist das konsequente Auftreten der EU gegenüber
Russland eine große Chance. Denn der verschärfte Konflikt
lässt hoffen, dass man ähnlich beherzt nun endlich die Energieversorgungssicherheit in Europa stärkt. Insofern könnte die
EU-Wettbewerbskommission die Initialzündung geben, um die
gerade erst ausgerufene „Energie-Union“ ernsthaft zu realisieren. So könnte der Gazprom-Konflikt – Ironie der Geschichte –
also unverhofft richtig gute Energie freisetzen.
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DIW WOCHENBERICHT NR. 18/2015 VOM 29. APRIL 2015