068_116_BIOsp_0116_- 01.02.16 11:43 Seite 94 94 BI OT ECH NOLOGIE · N E WS & KOM M ENTARE ÿ Biotech und Börse – Marathon statt Katzensprung ÿ Resistenzen bekämpfen ÿ Neglected Tropical Diseases: förderwürdige und investitionsgeeignete Chance? ÿ „Start-up India, Stand-up India“ Biotech und Börse – Marathon statt Katzensprung Biotechnologieunternehmen haben einen sehr hohen Finanzbedarf, bis sie ein Produkt auf den Markt bringen können, und auch danach finanziert sich die weitere Expansion nicht sofort aus den Umsätzen. Je nach Wachstum und Reifegrad kommt der Punkt, an dem zu überlegen ist, sich neues Kapital über die Börse zu besorgen. In Deutschland sind derzeit jedoch nur wenige Unternehmen damit erfolgreich: 2014 konnten gerade zwei Biotech-Firmen – Affimed und Probiodrug – 19 bzw. 22,5 Mio. Euro an der Börse aufnehmen. 2015 gelang der Schritt nur der Curetis AG, die 44,3 Mio. Euro einsammeln konnte. Erfahrung und exzellente Vorbereitung wichtig Y Seit 2012 vermarktet Curetis das UnyveroSystem zur raschen Bestimmung von mikrobiellen Erregern und Antibiotikaresistenzen. Zwei Punkte definierten den hohen Kapitalbedarf: die schnelle Ausweitung der Vermarktung in Europa, Asien und vor allem den USA, und die Chance, mit einer raschen Erweiterung der Produktpalette die Umsätze zu steigern. Die Börse bietet schnellen Zugang zu Summen, die deutlich über dem Volumen privater Finanzierungsrunden liegen. Zudem sind nach mehreren Privatrunden die Interessen von alten und neuen Investoren immer schwerer vereinbar. Ein Börsengang kann hier wieder Gleichstand herstellen. Die Wahl des Börsenplatzes muss sorgfältig überlegt werden – wichtig ist vor allem das Umfeld: Gibt es Analysten und Investoren, die den Markt kennen? Wie groß ist der Markt? Ist er international orientiert? Gibt es eine Peer Group, die Vergleiche ermöglicht? Für international orientierte Hightech-Firmen ist die US-Technologiebörse NASDAQ die erste Wahl – nicht jedoch, wenn das Unternehmen auf dem dortigen Markt noch nicht vertreten ist. In Europa kommen Frankfurt, Zürich, London und die Euronext-Gruppe in Frage. Im Fall von Curetis gaben Peer Group und Expertise den Ausschlag für Euronext. Dass statt der erhofften 29 am Ende 44,3 Mio. € erlöst wurden, spricht für den Börsenplatz und die Unternehmensstory, die in Zeiten bedrohlich zunehmender Antibiotikaresistenzen einen Nerv getroffen hat. Ein Börsengang ist jedoch kein Spaziergang: Der Aufwand ist beträchtlich und erfordert erfahrene Berater, ein gutes Nervenkostüm, solide Unternehmensdaten und exzellente Vorbereitung. Und nach dem Börsengang sind hohe Anforderungen hinsichtlich Transparenz, Berichtspflichten usw. zu erfüllen. Fazit: Börse für Biotech kann sich lohnen, sollte aber wohlüberlegt sein. Einen Marathon sollte man erst nach guter Vorbereitung antreten. Dr. Achim Plum, CCO, Curetis AG ó AiCuris hat als Mitbegründer der BEAMAllianz gemeinsam mit 40 europäischen Antibiotika-Entwicklern Vorschläge zur Förderung der Antibiotikaforschung erarbeitet. Die Komplexität der Forschung und ein niedriges Preisniveau bei Antibiotika haben neue Entwicklungen ins Stocken gebracht. Es gilt, diese durch gezielte Förderprogramme und wirtschaftliche Anreize wieder zu beleben und innovative Ideen kleinerer Unternehmen zu unterstützen. Große, multinationale Förderprogramme wie die europäische Innovative Medicines Initiative (IMI) geben wichtige Impulse, da sie die Bündelung wertvoller Expertisen und einen globalen Informationsaustausch ermöglichen, doch stehen komplexe Abstimmungsprozesse einer schnellen Entwicklung häufig im Wege. Eine Lösung, kleine und mittlere Biotechs unbürokratisch zu fördern, sehen BEAM und AiCuris z.B. in einem internationalen Risikokapitalfonds. Ein weiterer wichtiger Aspekt ist eine Preisgestaltung für innovative Antibiotika, die Unternehmen längerfristig Anreize bietet zu forschen und Investoren anlockt. Das Gleiche gilt für die Verlängerung der Patentlaufzeiten von innovativen Antibiotika, wie sie in den USA über den GAIN-Act bereits etabliert ist. Insgesamt gilt es, die Attraktivität der Antibiotika-Forschung signifikant zu erhöhen, um mit innovativen Medikamenten der zunehmenden Resistenzentwicklung entgegenzuwirken. Holger Schmoll, CFO, AiCuris Anti-infective Cures GmbH ó Dr. Achim Plum verantwortet als Chief Commercial Officer alle kommerziellen Aktivitäten von Curetis, darunter den internationalen Vertrieb, Marketing, Business Development und Medical Affairs. Zuvor war er in leitender Funktion bei der Siemens AG sowie beim börsennotierten Molekulardiagnostik-Unternehmen Epigenomics AG tätig. Resistenzen bekämpfen In Deutschland infizieren sich pro Jahr rund 500.000 Menschen bei Krankenhausaufenthalten mit antibiotikaresistenten Bakterien. Beim Treffen der Gesundheitsminister der G7 am 8. und 9. Oktober in Berlin mündete das Thema in einer „Erklärung zur Bekämpfung von Antibiotika- Resistenzen“. Innovative KMU entwickeln Lösungen abseits der üblichen Antibiotika. Entwicklung innovativer Antibiotika braucht ein attraktives Umfeld Y Unserer wichtigsten Waffen beraubt, stellen Krankenhausinfektionen mit multiresistenten Bakterien heute die größte Gefahr für die öffentliche Gesundheit dar. Der Kampf dagegen muss international geführt werden, daher sind der Aufbau eines globalen Netzwerks von Antibiotika-Experten und die Harmonisierung von Zulassungsverfahren wichtig. Die Maßnahmen der G7 sind dabei ein erster Schritt, bei weitem aber nicht ausreichend. Nach dem Studium der Wirtschaftswissenschaften arbeitete Holger Schmoll zunächst in der IT-Industrie als kaufm. Geschäftsführer eines Systemhauses. Nach verschiedenen Stationen wechselte er in die mittelständische Sanierungsund Wachstumsberatung, bevor er 2007 als CFO zur AiCuris kam. Dort ist er seitdem u.a. für Finanzen und die kommerziellen Aspekte des Business Developments verantwortlich. BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang 068_116_BIOsp_0116_- 01.02.16 11:43 Seite 95 95 © Springer-Verlag 2016 Neglected Tropical Diseases: förderwürdige und investitionsgeeignete Chance? Als Neglected Tropical Diseases (NTD) definiert die Weltgesundheitsorganisation (WHO) 17 Krankheiten, die prädominant in Entwicklungsländern auftreten. Zu den Krankheiten, von denen über eine Milliarde Menschen betroffen sind, gehören parasitäre Erkrankungen wie die Bilharziose, aber auch virale und bakteriell verursachte Probleme. Typischerweise existiert keine kostengünstige und nebenwirkungsarme Therapie oder Hochdurchsatzdiagnostik. Zu Unrecht vernachlässigt: großes Potenzial Y Eine so große Zahl an Erkrankten lässt sich nicht ignorieren, taucht aber im Bewusstsein von Entscheidern aus den sogenannten entwickelten Ländern nur selten auf. Der Grund dafür liegt auf der Hand: Erwartete Umsätze in den ärmsten Ländern der Welt rechnen nicht die teure Entwicklung von Medikamenten oder Diagnostika. Doch sind die Absatzchancen wirklich so schlecht? Mit einer Bevölkerung von derzeit ca. 23 Millionen und einem jährlichen Bevölkerungswachstum von 2,5% liegt das Markt- potential für den Gesundheitsbereich beispielsweise in Kamerun bei rund 650 Mio. Euro jährlich. Der Großteil der Gesundheitskosten wird von den Patienten direkt getragen – bei einem Preisniveau, das dem in entwickelten Ländern ähnelt. Dies ist bei akuten Erkrankungen noch gerade möglich, stößt aber bei chronischen Erkrankungen auf massive Probleme. Hier greifen z.T Hilfsprogramme der WHO, nationaler Entwicklungszusammenarbeit oder von privat getragenen Stiftungen. Seitens der Politik werden derzeit große Anstrengungen unternommen, um die Gesundheit der Bevölkerung personell und materiell zu fördern. Dasselbe gilt auch für andere betroffene Länder der Südhalbkugel – mit einem großen Marktpotenzial, wir reden hier schließlich von mehreren Milliarden Menschen. Ein weiterer Effekt macht die Entwicklung von Produkten für die sogenannten Neglected Tropical Diseases interessant. Durch Klimawandel, globalen Handel und Tourismus tauchen NTD immer häufiger auch in Ländern der ersten Welt auf. Zum Beispiel schätzt die WHO die Anzahl der mit der Chagas-Krankheit etwa durch Bluttransfusionen oder Organtransplantationen infizierten Europäer auf 80.000. Des Weiteren wurde in Hessen 2014 der weltweit nördlichste Fund einer Sandmückenart gemacht, die potenzieller Überträger der Krankheit Leishmaniose ist. Wenn man bedenkt, dass Malaria bis Anfang des letzten Jahrhunderts in Teilen Süddeutschlands endemisch war und Tropenerkrankungen hierzulande wieder heimisch werden können, ist jede Investition zur Diagnose und Behandlung von NTDs auch eine Investition in die Leistungsfähigkeit unseres eigenen Gesundheitssystems. Dr. Oliver Schnädelbach, Geschäftsführer, Pass Interscience GmbH ó Dr. Oliver Schnädelbach, MBA, ist Biologe, Forscher und Unternehmer. Seit 2013 leitet er die Pass Interscience Gruppe (www.passinter science.com), die einen bilateralen Technologietransfer zwischen Europa und Afrika anstrebt. So werden erfolgreich Medizinprodukte in der Subsahara-Region vertrieben. Im Gegenzug werden Materialien zur Herstellung von Positivkontrollen für die pharmazeutische und diagnostische Industrie lokalisiert und daraus industrielle Zwischenprodukte hergestellt. „Start-up India, Stand-up India“ Laut Dr. Renu Swarup, Beraterin des Department of Biotechnology (DBT) und zugleich Geschäftsführerin des Biotechnology Industry Research Assistance Council (BIRAC), einem von der indischen Regierung zur Förderung des Technologietransfers aus dem akademischen Bereich ins Leben gerufenen Gremiums, sollen in den nächsten zwei bis drei Jahren mit staatlicher Unterstützung mindestens 1.500 neue Biotech-Start-ups gegründet werden. Wachstumsboom für die indische Biotech-Branche? Y Die indische Regierung treibt die För derung des Biotech-Sektors bereits seit Jahren beispiellos voran. Indien ist derzeit der zweitgrößte Markt für Biotechnologie in Asien und der zwölftgrößte der Welt. Bis 2017 soll der Biotech-Sektor von 4,3 Milliar- BIOspektrum | 01.16 | 22. Jahrgang den US-Dollar auf 11,6 Milliarden US-Dollar wachsen. Vor dem Hintergrund auslaufender Patente und austrocknender Produktpipelines liegt die Förderung von Start-ups weltweit im Trend. Die indische Biotech-Szene hat derzeit mit nur 500 Start-ups allerdings eher einen Mangel an jungen, innovativen Unternehmen zu verzeichnen. Grund für diese Situation ist unter anderem die nicht ausgereifte Infrastruktur, die nach wie vor bestehenden rechtlichen Unsicherheiten im Bereich des Patentschutzes und das Abwandern von Fachpersonal. Diese Faktoren haben auf Investoren regelmäßig eine eher abschreckende Wirkung. Dass sich Premierminister Modi mit der „Start-up India, Stand-up India“ Kampagne generell das Ziel gesetzt hat, indische Start-ups zu fördern, ist daher wenig überraschend. Die Frage ist nur, ob und wie das Ziel erreicht werden kann. So ist völlig unklar, welche konkre- ten Maßnahmen die indische Regierung zur Förderung der Startup-Kultur plant. Förderprogramme, Acceleratorprogramme, Inkubatoren, Lockerung der gesetzlichen Regelungen im Hinblick auf ausländische Beteiligungen? Der Blick nach Indien wird daher spannend bleiben. Dr. Andrea Schmoll, Rechtsanwältin/Partner, Osborne Clarke ó Dr. Andrea Schmoll ist Partnerin der internationalen Sozietät Osborne Clarke mit einem besonderem Fokus auf Transaktionen im Life ScienceBereich. Sie hat langjährige Erfahrung im Bereich des grenzüberschreitenden Technologietransfers, insbesondere bei Lizenz- und F&E Projekten in der Pharma-, Biotech und Medizinprodukteindustrie.
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