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18 | MM12, 21.3.2016 | MENSCHEN
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MENSCHEN | MM12, 21.3.2016 | 21
MENSCHEN | MM12, 21.3.2016 | 23
Das Lieblingsrezept der
Kochschüler
24 | MM12, 21.3.2016 | MENSCHEN
www.migmag.ch/
hauswirtschaft
1 Wenn man nicht
1
mehr weiter weiss,
hilft das Lehrbuch
«Hauswärts» weiter.
2 Hauswirtschaftslehrerin Katherine
Balsiger verteilt
Ämtli.
3
4
Anfang 1990 zeigte eine
Umfrage der Erziehungs­
direktorenkonferenz,
dass er in einigen Kantonen
nur für Mädchen obliga­
torisch war. Das Fach ist
dadurch zum Spiegel der
Gesellschaft und der je­
weiligen Rollenbilder
geworden. Vor einigen Jah­
ren wurde Hauswirtschaft
zum Promotionsfach und
damit offiziell zum gleich­
wertigen Schulfach.
2
Hauswirtschaft
Fast Food
statt
Dreigänger
In Katherine Balsigers Hauswirtschaftsunterricht sind
Fertigprodukte kein Tabu. Ihre Schüler sollen lernen,
in nützlicher Zeit ein feines Essen auf den Tisch zu zaubern.
Text: Claudia Weiss
1
2
3
1 Von ihrem Beruf
begeistert: Hauswirtschaftslehrerin
Katherine Balsiger.
2 Matusi Patkunarajah schreibt in
ihr Heft, wie sie
ihr Lieblingskleid
waschen muss.
3 Kartoffelschälen
braucht etwas
Übung, dann geht
D
as Wasser blubbert schon in den
grossen Pfannen. Geschäftig
hantieren die Schülerinnen und
Schüler der 8. Klasse Real an den
drei Kochinseln in der Schulküche des
Schulzentrums Rebacker in Münsingen BE.
Sie kochen Teigwaren, schälen Kartoffeln,
braten Zwiebeln: Auf dem heutigen Programm für die Hauswirtschaft steht das
Menü Älpler Magronen mit Apfelmus und
Salat. «Früher kochten wir viel aufwendiger, sogar mit mehreren Gängen», erzählt
Hauswirtschaftslehrerin Katherine Balsiger
(40). «Heute geht es darum, dass die
Jugendlichen sehen, wie sie in kurzer Zeit
ein Menü zubereiten können – mit oder
ohne Fertig- und Halbfertigprodukte.»
Balsiger hat alles exakt durchgeplant
Acht junge Frauen und Männer eilen in
dieser Schulküche hin und her, die andere
Bilder: Michael Sieber
Stock ein anderes Menü. Am Anfang der
Stunde hat Balsiger die Aufgaben verteilt,
sie hat alles exakt durchgeplant: Wer nicht
gerade rüstet, schnetzelt oder kocht, arbeitet an den heutigen Lernaufgaben rund um
Wäschepflege. «Woher kommt dein Lieblingskleidungsstück, und was kannst du zur
Produktionsart sagen?», lautet eine Aufgabe.
Oder: «Dein Lieblingskleid riecht nach
Küche, es ist aber nicht schmutzig. Was
machst du damit?»
Konzentriert senken sich Köpfe über das
Hauswirtschaftsbuch, ein Schüler studiert
das Etikett seines Lieblingspullis, eine Schülerin schlägt Antworten nach und schreibt
sie ins Hauswirtschaftsheft. Lehrerin Balsiger nickt aufmunternd und zeigt ihr im Buch
eine Seite mit Informationen zu «Baumwolle – weisses Gold mit Schattenseiten».
Die Kochgruppen in der anderen Raumhälfte sind derweil voll beschäftigt: Eine
Mit dem Lehrplan 21 wird
wiederum einiges anders:
Das Fach heisst neu «Wirt­
schaft, Arbeit, Haushalt».
Darin werden Punkte wie
Ökologie, Ökonomie
und Gesundheit explizit
bearbeitet – Themen, die
erfahrene Hauswirt­
schaftslehrpersonen schon
längst in ihren Unterricht
aufgenommen haben.
Der Bereich Arbeit etwa
lässt sich auch weiterhin
mit Praxis verknüpfen,
indem man beispielsweise
mit Jugendlichen die
Arbeitsteilung im Haushalt
anschaut oder die ver­
schiedenen Arbeitsarten
wie unbezahlte und
bezahlte Arbeit. Themen
wie Konsum, Wirtschaft,
Ernährung, Rollenverteilung klingen theoretisch,
haben aber viele Bezüge
zum Alltag der Jugend­
lichen und können mitein­
ander verbunden werden.
Lehrerin Katherine Balsiger weist
kurz auf einen Pfannendeckel und
warnt: «Wenn ihr den drauflasst,
kochen die Teigwaren über.» In fast
20 Jahren Hauswirtschaftsunterricht
hat sie viel Erfahrung gewonnen.
Katherine Balsiger ist auch Dozentin
an der Pädagogischen Hochschule
Bern, leitet Weiterbildungskurse und
führt als Präsidentin die Fachkom­
mission Hauswirtschaft des Verbands
der Lehrerinnen und Lehrer Schweiz
(LCH). Sie liebt ihr Fach: «Ich ver
mittle kein starres Wissen, sondern
zeige Jugendlichen, wie sie mit
den Anforderungen ihres Alltags
umgehen können.»
Zwar arbeitet sie nach dem aktuel­
len Berner Lehrplan, aber sie ver­
sucht mit Blick auf den Lehrplan 21
den Unterricht so zu gestalten, dass
ihre Schülerinnen und Schüler von
den Themen berührt werden und
diese einen Bezug zu ihrem Alltag
haben. Deshalb mussten an diesem
Tag alle ihr Lieblingskleidungsstück
mitbringen: «Es ist eine starke Moti­
vation, richtig waschen zu lernen,
damit das Lieblingsshirt nicht ein­
geht oder sich verfärbt.»
Inzwischen herrscht in der Küche
Hochbetrieb, alles wird fast gleich­
zeitig fertig und muss zusammen­
geführt werden. Lukirthan Vijayaku­
mar (14) mischt Rahm, Milch und
Käse und würzt vorsichtig mit etwas
Muskatnuss. «Hauswirtschaft ist
mein zweitliebstes Fach nach Mathe­
matik», sagt er und rührt konzent­
riert weiter. «Hier lernen wir etwas
Praktisches fürs Leben.»
Ute Bender
«Lernen f
Ute Bender, heute gibt
es überall Tiefkühl­
lasagne und Fertigsalat
Braucht es überhaupt
noch Hauswirtschafts­
unterricht?
Ja, erst recht! Bei dem
heutigen Riesenangebot
müssen Jugendliche täg­
lich unzählige Entschei­
de treffen: Selber kochen
oder Fertigmahlzeit? Bio
oder nicht? Kaufen sie
eine Tiefkühllasagne,
müssen sie entscheiden,
ob sie diese mit Gemüse
ergänzen. Oder ob sie
nach einem Döner zum
Mittagessen abends
vielleicht doch noch
einen Salat essen. Die
Kompetenz für solche
Entscheidungen müssen
sie lernen. Und wenn sie
Zeit und Lust haben,
selber zu kochen, müssen
sie wissen, wie sie eine
gesunde Mahlzeit
zubereiten können.
Magdalena arbeitet gern im Team
Magdalena Colaj (14) rührt in der
Pfanne auf der anderen Kochinsel,
gleichzeitig greift sie nach dem Salz
und achtet auf die zweite Pfanne. Sie
sucht sich gern die aufwendigsten
1
2
1 Wer möchte
Anzeige
3 Timon Zaugg
schält Äpfel.
4 Katherine Balsiger
erklärt Erit Ramadani, wie gross
Kartoffelstücke
sein dürfen.
Getränk, einen Schwarztee-SirupMix, eine Gruppe ist für das Apfelmus
zuständig, zwei andere Zweierteams
werden je eine Dreierportion des
Menüs kochen. Melanie Oppliger hat
sich heute zum Teekochen gemeldet.
So können andere Kochen üben, denn
die 16-Jährige kocht und wäscht
sowieso oft zu Hause für ihre Familie.
«Im Hauswirtschaftsunterricht lerne
ich viel für mein späteres Leben»,
sagt sie und stellt Zucker und Teebeutel bereit. «Vor allem ist es ein
super Gefühl, zusammen etwas
Feines zu kochen.»
Sie bespricht kurz mit ihrer Teamkollegin Shenthuri Kanapathipillai
(14), ob zuerst die Teebeutel oder das
Wasser in die Kanne gehören, und
hängt dann die Beutel hinein. Vorsichtig giesst Shenthuri das heisse
Wasser drüber und rührt den Tee.
«Hauswirtschaft ist eins meiner
Lieblingsfächer», sagt auch sie
zufrieden. Bei ihr zu Hause kochen
ist begeistert, neben der tamilischen
Küche jetzt in der Schule auch die
schweizerische Kochart kennenzulernen.
An der Kochinsel nebenan steht
Timon Zaugg (15) und rüstet Äpfel,
zuerst zögerlich, dann immer flinker.
Apfel um Apfel – die dreifache Rezeptmenge – schneidet er in Würfel.
«Da brauchst du aber nicht die dreifache Wassermenge», sagt Lehrerin
Balsiger im Vorbeigehen. «Sonst
bekommst du Apfelsuppe.» Sie hat
ihre Augen überall, ergänzt hier
etwas, hilft dort kurz, «aber möglichst wenig, denn die Jugendlichen
sollen selbständig arbeiten lernen».
Timon nickt, schüttet seine Apfelstücke in die Pfanne und giesst eine
Portion Wasser dazu. «Ich liebe
Apfelmus und wollte wissen, wie ich
das kochen kann», erklärt er. Hauswirtschaft sei ein ausgesprochen
nützliches Fach, findet er, und blickt
kurz zum Wäschekorb in der anderen
pflege finde ich interessant, dieses
Wissen hilft mir später, wenn ich mal
allein wohne.»
AKTION
0.95 statt 1.20
Unter Zeitdruck lernen sie planen
Sein Kollege Erit Ramadani (14) gerät
derweil an der hintersten Kochinsel
ein wenig ins Schwitzen. Die Zeit
drängt, Lehrerin Katherine Balsiger
mahnt alle, zügig zu arbeiten: Das
Menü soll zeitig fertig sein, damit es
nach dem Essen für die Aufräumarbeiten reicht. Sie sieht Erits
Kartoffelhäufchen und rät ihm, die
Würfel gleichmässig zu schneiden:
«Sonst werden nicht alle gleichzeitig
weich.» Angestrengt schnippelt der
Schüler weiter. Er würde lieber
rührbraten, sagt er: «Das mache ich
am liebsten, da hat man schnell etwas
davon.» Seine Kochpartnerin Matusi
Patkunarajah (14) wäscht schon die
ersten Schneidbretter wieder ab.
Sie findet ein wenig Zeitdruck ganz
gut: «So lernen wir planen und die
je Dose Lemon-, Oran- oder Mojito Soda
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noch Cervelat
oder Spiegelei
zu den Älpler
Magronen?
Erit Ramadani,
Magdalena
Collaj und
Melanie Oppliger am Kochen
und Braten.
2 Shenthuri
und Timon
lassen es sich
schmecken.
Arbeiten aus, damit sie stets beschäf­
tigt ist. Sie strahlt und schliesst sich
Mitschülerin Melanie an: «Ich liebe
es, im Team mit meinen Klassenkol­
legen etwas Feines fertigzustellen.»
Die nächsten Themen liegen schon
bereit, die Klasse wird unter anderem
lernen, wo überall Zucker verborgen
ist. Und nach den Frühlingsferien
steht Einkaufen auf dem Programm,
samt Budgetplanung: Das den Grup­
pen zugeteilte Geld muss für dreimal
einkaufen reichen. Wirtschaften ist
auch ein Teil des Hauswirtschafts­
unterrichts. «Solches Wissen hilft
ihnen später eins zu eins im Alltag»,
sagt die Hauswirtschaftslehrerin.
Gekocht, gegessen, zuletzt aufräumen
Das Essen ist fertig, die Teller sind ge­
am langen, sorgfältig gedeckten Tisch.
Alle wirken stolz: Das Menü haben sie
zusammen fertiggebracht. «So, wir
haben tipptopp gekocht und tipptopp
gegessen», schliesst Katherine Balsi­
ger nach einer Weile. «Jetzt kommt
das, was ihr nicht so gern macht,
das Aufräumen.»
Kurzes Grinsen, Schulterzucken,
Stühlerücken. Routiniert räumen alle
ihr Geschirr ab und binden sich die
Schürzen um. Blitzschnell landen die
Teller in der Maschine, die Pfannen
und Schüsseln in der Spüle, und das
Reinigen lernen die Jugendlichen fast
von selber, indem sie am Ende die
Kochinseln polieren und den Boden
wischen. Fast wie ein elegantes
Küchenballett sieht das aus. Und
schon ist die Küche blitzblank sauber,
Kann man sie für das
Fach noch motivieren?
Ja, die meisten Jugend­
lichen machen interes­
siert mit, wenn man an
ihrem Alltag anknüpft.
Mit dem Zubereiten von
Gerichten lassen sich
viele theoretische The­
men lebendig behandeln
Angebot und Nachfrage,
lokal und global, Preis­
gestaltung und Einkaufs
planung. Auch in Fragen
wie «neues Smartphone,
ja oder nein?» lassen sich
viele Themen rund um
Konsum und Ökologie
verpacken. Damit kann
man die Jugendlichen