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KONZEPTE UND GESCHICHTE
Wulf Schiefenhövel, Starnberg-Seewiesen
Quo vadis, Humanethologie?
Jeder wissenschaftlichen Disziplin steht es gut an, sich von Zeit zu Zeit einer Standortbestimmung
zu unterziehen: Entwicklungen kritisch zu betrachten, sie in den zeitlichen Kontext zu stellen, vor
allem aber, den Blick nach vorne zu richten.
Im Mittelpunkt des vorliegenden Beitrags steht die in den 1960er Jahren von Irenäus Eibl-Eibesfeldt
begründete Humanethologie. Anfangs als Erweiterung der damals populären vergleichenden Verhaltensforschung (Ethologie) viel beachtet, wird sie nach der Hinwendung der Biologie zu molekularbiologischen und genetischen Fragestellungen im akademischen Milieu wie in der Öffentlichkeit
nur noch wenig wahrgenommen. Sachliche Gründe hierfür gibt es nicht, wie die Aktivitäten einiger
kleinerer, interdisziplinärer Arbeitsgruppen zeigen, die Teil eines lebendigen Netzwerkes sind.
Vor allem aber sind es die für die Gestaltung des Zusammenlebens und für unsere Selbstwahrnehmung wichtigen Erkenntnisse, die die Humanethologie zu einem unverzichtbaren Bestandteil einer
Wissenschaft vom Menschen macht. Der vorliegende Beitrag beruht auf der dritten Günter Tembrock Lecture, die 2013 auf Einladung der Humboldt-Universität zu Berlin und der Günter Tembrock
Stiftung gehalten wurde.
Q uo vadis? Diese Frage in unserem Sprachgebrauch
stammt aus der Bibel, den Apokryphen des Neuen
Testaments. Danach begegnet Petrus auf dem Rückweg von Rom Jesus mit dem Kreuz auf der Schulter fragt ihn:
Domine, quo vadis? Jesus sagt: Venio ad Romam iterum crucifigi. Ich bin über diese Antwort von Jesus gestolpert, weil venire
eigentlich kommen heißt, es kann auch gelangen heißen. Also
vielleicht soll es heißen: Ich gelange nach Rom. Warum da nicht
vado steht, weiß ich nicht und crucifigi muss Kirchenlatein sein,
offenbar eine passivische Bildung.
Das Interessante ist, dass die Frage quo vadis? in vielen Kulturen ein normaler Gruß ist. Good morning, bon jour, selamat
pagi (Bahasa Indonesia) und ähnliches gibt es dort gar nicht.
Man fragt denjenigen, dem man begegnet: „Wo gehst du hin,
wo kommst du her?“ Ich finde interessant, dass diese sprachliche Floskel in unserer europäischen Tradition die biblische
Anlehnung und einen skeptischen Unterton hat. Quo vadis? –
wenn man das fragt, dann ist man fatalistisch: Wo kann es denn
überhaupt noch hingegen? Ich möchte die Frage ins Gegenteil
wenden: Die Humanethologie hat wichtige Aufgaben und eine
gute Zukunft.
Begriffliches zu Ethologie – Verhaltensbiologie –
evolutionäre Anthropologie
Es ist etwas schwierig mit dem Terminus Ethologie. Ethos mit
Epsilon und in der gelehnten Form mit Etha (vgl. Ethos, Ethik)
Naturwissenschaftliche Rundschau | 68. Jahrgang, Heft 4, 2015
Abb. 1. Günter Tembrock zu Ehren wird seit 2011 alljährlich eine Tembrock Lecture gehalten, zu der international führende Forscher über
neue Entwicklungen auf dem Gebiet der Verhaltensforschung berichten.
[Photo Andreas Wessel]
ist ursprünglich Heimat, Sitte, das Verhalten, das man in einer
bestimmten Heimat zeigt, die Normen, die man dort einhält.
Die frühen Ethologen haben passenderweise diesen griechischen Begriff benutzt, um ihre Wissenschaft zu beschreiben.
Denn sie untersucht ja das speziestypische, übliche Verhalten
von Tieren in einem entsprechenden Habitat. Die vergleichende Verhaltensforschung nutzt diesen Forschungszugang [1],
in der Humanethologie wird er auf den Menschen gerichtet
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Konzepte und Geschichte
Abb. 2. Irenaeus Eibl-Eibesfeld, der Begründer der Humanethologie,
bei seinen Feldforschungen bei den Eipo (West-Neuguinea), 1978. [Photo CC-BY-SA.3.0]
[2]. Das Schicksal beider Disziplinen ist derzeit an den Universitäten und Forschungsinstituten ähnlich: Der Trend geht
weg vom Organismischen, Ganzheitlichen „zur siebten Sohle“,
ganz tief, ganz heiß, ganz eng. Man weiß dann kaum noch, was
„oben“ passiert, wie sich das Tier, der Mensch denn tatsächlich
verhalten. Konrad Lorenz (1903 – 1989) und andere Ethologen der austro-deutschen Tradition, auch Günter Tembrock
(1918 – 2011, Abb. 1), haben das aber immer zum Kern ihrer
Herangehensweise gemacht [3 – 5]. In der evolutionären Psychologie, jüngere Schwester der Humanethologie, wird dagegen sehr häufig mit Fragebögen gearbeitet. „Real Life“ ist aber
besser, wenn auch viel mühsamer. Irenäus Eibl-Eibesfeldt, der
Begründer des Fachs Humanethologie, hat, eine Anregung seines Kollegen Hans Hass (1919 – 2013) aufgreifend, die Methode
der distanzierten Dokumentation des Verhaltens mittels 16
mm-Filmkamera und Spiegelobjektiv eingesetzt (Abb. 2) und
das weltweit umfangreichste Inventar sozialer Interaktionen
erstellt. Dieses Humanethologische Filmarchiv befindet sich
seit 2014 in der Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
und wird hoffentlich bald in das „World Memory“ der UNESCO
aufgenommen [6]. Der Vorteil der durch ausführliche Notizen
gestützten filmischen Dokumente ist die dauerhafte Verfügbarkeit für die wissenschaftliche Analyse, die nun in Frankfurt auf
internationaler Ebene ermöglicht werden wird.
Die Wahrnehmung der Humanethologie wird nicht eben
leichter gemacht durch weitere konkurrierende Bezeichnungen und Konzepte: „Verhaltensforschung“, „Verhaltensbiologie“,
„Psychobiologie“, „Biopsychologie“, „evolutionäre Anthropologie“ (vgl. das Flaggschiff der Max-Planck-Gesellschaft, das MPI
für evolutionäre Anthropologie, EVA, in Leipzig), die zu Beginn
angelsächsische „Sociobiology“ und die ähnlich erfolgreiche,
aus den USA stammende, soziobiologisch ausgerichtete „Evolutionary Psychology“, beide mit teils mathematisch orientierter
Methodik zur Überprüfung von Prädiktionen, insbesondere
der „ultimaten“ Auswirkung bestimmten Verhaltens auf den
reproduktiven Erfolg. Allerdings wird letztere Überprüfung tatsächlich selten umgesetzt, vor allem, wenn es um die Anzahl
der Nachkommen in der F2- und noch späteren Generation
geht. Einige der führenden Protagonisten der Soziobiologie und
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evolutionären Psychologie gehen davon aus, dass es praktisch
gar keine nicht-adaptiven Weisen des Wahrnehmens, Fühlens,
Denkens und Verhaltens gibt, dass z. B. selbst die Schizophrenie
und die tiefe Depression noch als Anpassung erklärt werden
können. Meiner Meinung nach muss man immer in Betracht
ziehen, dass es im Reich des Lebendigen natürlich auch echte
primäre Pathologien gibt, wie den Suizid bei schwerst-depressiven Patienten. Anderen Pathologien liegen evolutionär-medizinisch gut verstandene Mechanismen zugrunde, wie unser
Hunger nach leicht verfügbarer Energie, der unter den Bedingungen des modernen Schlaraffenlands in den Supermärkten
zur weltweiten Adipositas-Epidemie, zum Diabetes Typ 2 und
weiteren Erkrankungen führt.
Selbstkritisch betrachtet ist die Suche nach und Beschreibung von Anpassungsleistungen, der „Adaptionismus“, eine
Art Geburtskrankheit unserer Zunft. Balance zu halten und zu
akzeptieren, dass es ontogenetische Unfälle in Körper und Geist
und phylogenetisch gesehen nicht-ideale, suboptimale Lösungen gibt, ist vernünftig. Vielleicht fällt es uns in Europa etwas
leichter, eine ausgewogene Position in diesen Fragen zu beziehen. In den Niederlanden z. B. gibt es ein fruchtbares Nebenund Miteinander von Soziobiologie und Ethologie (vgl. die Curricula der Universitäten Groningen und Utrecht). Mit Blick auf
das stammesgeschichtliche Gewordensein unserer Spezies geht
es der Humanethologie wie anderen Humanwissenschaften um
die conditio humana (vgl. [7]): Was und wer sind wir Menschen
eigentlich wirklich?
Kulturrelativismus und einige seiner Irrwege
Es gibt einige dramatische Beispiele dafür, dass nicht-empirisch ausgerichtete Forschung, die zudem negiert, dass Kulturen
auch von biopsychisch vermittelten Universalien geformt werden, gewaltig in die Irre führen kann. Das berühmteste Beispiel
ist Margaret Mead (1901 – 1978), die 1925 in den amerikanischen
Teil Samoas reiste [8]. Es war die Zeit des sich etablierenden
Kulturrelativismus, der vor allem von Franz Boas (1858 – 1942),
Meads aus Deutschland stammendem Hochschullehrer und ein
in verschiedenen akademischen Disziplinen sowie auf Expeditionen erfolgreicher Wissenschaftler, sowie von Ruth Benedict
(1887 – 1948) und anderen vertreten wurde. Ich finde es hochinteressant, dass auf der westlichen Seite des großen Teiches,
eine solches Paradigma entstand, das bald Züge einer Ideologie
annahm. Man wollte nichts wissen von den darwinschen Evolutionsprinzipien, denn dann hätte man akzeptieren müssen, dass
auch in uns Menschen bestimmte Programme und Handlungstendenzen wirksam sind. Im Osten, in der Sowjetunion, wollte
man das ebenfalls nicht wahrhaben. Die Ethologie wurde dort
regelrecht unterdrückt und in ein Samisdat-Dasein gezwungen.
Es sollte der „Homo sovieticus novus“ entstehen. Alles ließe sich
durch Schaffen einer bestimmten Umwelt beeinflussen. Dazu
müsse man, so die Idee, möglichst früh bei kleinen Kindern
eine Art Nürnberger Trichter auf den Kopf setzen, die neue
Lehre hineingießen, und heraus komme ein neuer, moderner
Mensch, der frei sei von seinen biologischen Zwängen. Beide
Großmächte hatten also eine ähnliche Idee. Im Osten waren das
ein verengter Pawlow sowie bis zu seiner Entlarvung Lyssenko,
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Schiefenhövel: Quo vadis, Humanethologie?
im Westen Skinner und die kulturrelativistischen Kulturanthropologen Boas, Benedict und Mead. Eine ihrer Leitideen
besagt, dass Kulturen je spezifische Ausformungen menschlichen Lebens repräsentieren und dass „the rhythm of culture
and not the rhythm of physiology“ (so Mead 1958 [9]) bestimmend sei für uns. Mead hat in Samoa in einem amerikanischen
Haushalt gelebt, also nicht im Dorf unter den Einheimischen
wie es gute Tradition der Ethnographen ist. Sie hat auch nicht
richtig Samoanisch gelernt und auf Spaziergängen mit jungen
Frauen am Strand und bei anderen Gelegenheiten Erkundigungen eingezogen über deren Sexualität, ihr Gefühlsleben und
ihre Rolle in der Gesellschaft. Im besten Fall ist sie Opfer ihres
Wunschdenkens geworden, dass die Biologie eben nicht bedeutend sei für das Individuum. Im schlimmsten Fall hat sie Betrug
begangen an der Ethnologie und der Bevölkerung Samoas. Sie
schrieb ihrem Lehrer Boas, dass sie gefunden habe, wonach er
suche und dass sie ihre Eindrücke in einem Buch (Coming of
Age in Samoa, 1928 [8]) publizieren werde – ohne Daten! Es ist
sehr erstaunlich, dass Boas, ein eigentlich an Fakten orientierter
Wissenschaftler, das akzeptiert hat. Die Macht der Biologie auch
über den Menschen zu verneinen, war ihm und der Gruppe
aber wichtiger als gute Forschung.
Mead sagte, sie wolle keine Aufzeichnungen vorlegen, weil
sonst jemand ihre Daten missbrauchen könnte. Über das eherne
Gesetz der Wissenschaften: „Daten auf den Tisch!“ hat sie sich
nonchalant hinweggesetzt, und niemand in der Ethnologie und
den anderen Wissenschaften vom Menschen hat damals protestiert. Und das, obwohl der Ethnologe Bronislaw Malinowski
(1884 – 1942), der sich ebenfalls im Pazifik aufgehalten hatte,
bereits 1922 eine auf tatsächliche Beobachtungen und auf in
Kilivila, der Sprache der Trobriander, erhobene Informationen
gestützte, großartige Analyse des kula-Tauschsystems vorgelegt
hatte [10]. Auch er war, wie wir alle, Kind seiner Zeit, hat auf der
Hauptinsel Kiriwina meist vergleichsweise luxuriös im Haus
einer reichen Händlerfamilie gelebt und glaubte, ähnlich wie
Margret Mead, in der Südsee ein sexuelles Paradies gefunden zu
haben (The Sexual Life of Savages, 1929 [11]). Auch er wurde später in manchen seiner Behauptungen (z. B. dass die Trobriander
den Zusammenhang zwischen Coitus und Schwangerschaft
nicht wüssten) korrigiert. In Meads Fall haben Wissenschaft
und Publikum das Samoa-Buch und weitere ihrer Publikationen
enthusiastisch aufgenommen und tun es bis heute. Sie machte
eine sensationelle Kariere, unter anderem war sie jahrzehntelang Präsidentin der American Association of Anthropology. Ihr
Samoa-Buch hat Generationen von Ethnologen, Psychologen,
Geschichtsforschern, Soziologen und alle „am Menschen“ Interessierte geprägt. Als Vorkämpferin der Befreiung vom Joch der
Biologie wurde sie bejubelt.
Es hat ziemlich lange gedauert, bis der ausgewiesene
Samoa-Spezialist Derek Freeman (1916 – 2001) die Mead’schen
Behauptungen unter die Lupe genommen hat [12]: Ihre Interpretationen der Kultur und vor allem des Verhaltens der Samoanerinnen und Samoaner ließen sich nicht halten. Bei Erscheinen der ersten veröffentlichten Kritik Freemans war sie gerade
gestorben. Er hatte aber während ihres Lebens permanent mit
ihr korrespondiert und auf Samoa sechs Jahre Feldforschung
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durchgeführt, Daten erhoben, konnte Samoanisch und erwarb
das erforderliche reiche Hintergrundwissen über die Kultur
seiner Gastgeber, bevor er ihr Leben, ihre Traditionen und ihr
tatsächliches Verhalten beschrieb.
Kijken, luisteren, opschrijven, hat Jan von Baal (1909 – 1992),
der Nestor der holländischen Ethnologie, seinen Studenten
immer wieder gesagt: schauen, hören und aufschreiben. Das
kann man nicht, wenn man im Haus eines Kolonialoffiziers
wohnt, da muss man im Dorf leben, die Sprache oder zumindest
eine dort gesprochene Handelssprache können, nach Möglichkeit alle Vorkommnisse dokumentieren und danach Erklärungen dazu einholen. Ein Großteil der Aussagen, die Mead zum
Verhalten der Menschen machte, zur Bindung zwischen Mutter
und Kind, zur Sexualität und anderen zentralen Bereichen des
Lebens, sind falsch. Es ist ein großes Rätsel, wie sie, bis heute,
einen solchen Einfluss in der Welt haben konnte.
Gebildete Menschen, scheint es, suchen nach Alternativen
zum Leben in der westlichen Kultur, zu den Zwängen des
gesellschaftlichen Comments, wollen viel lieber glauben, dass
der Homo sapiens Halbgott und nicht Tier sei. Es war Meads
erklärtes Ziel, das sie auch ihrer Freundin Ruth Benedict in Briefen dargestellt hat, ihrem Lehrer Boas und der Welt zu zeigen: Es
gibt eine alternative Gesellschaft – wir im Westen liegen falsch.
Margaret Meads Fall zeigt: Wer ein eingängiges Paradigma
aufstellt, das den Zeitgeist einfängt (vgl. [13]), hat nach wie vor
Chancen, ein Millionenpublikum hinter sich zu versammeln,
auch wenn die Aussagen auf tönernen Füßen stehen.
Ein weiter großer Skandal war Benjamin Whorfs Arbeit
über die „Zeitlosigkeit“ der Hopi. Whorf (1897 – 1941) arbeitete
als Ingenieur und interessierte sich für Linguistik. Er war mit
Edward Sapir (einem frühen Partner Magret Meads) in Kontakt,
beschäftigte sich mit amerindischen Sprachen und „lernte“,
wohlgemerkt in New York, von einem Hopi dessen Sprache.
Ab Mitte der 1940er Jahre erschienen dann Publikationen, in
denen Whorf behauptete, die Hopi hätten keine Begriffe für
Zeit, sie lebten also in permanenter Zeitlosigkeit [14]. Man kann
sich vorstellen, wie das im New York der damaligen Zeit des
beginnenden Turbokapitalismus aufgenommen wurde; etwa:
„Bravo, Mr. Whorf, fantastic, time is money, that’s what we think
in the United States. You are describing a totally different society,
excellent. That is what we need”. Diese Sicht der Hopi-Kultur
wurde zu einem Eckstein der Sapir-Whorf-Hypothese, die bis
heute ungemein einflussreich ist und im Kern besagt, dass jede
Kultur einen eigenen Mikrokosmos darstellt, in dem je eigene
durch linguistische Prozesse vermittelte mentale und emotionale Repräsentationen eine Konzeptualisierung der Welt erzeugen, die von Kulturfremden gar nicht oder kaum nachvollzogen
werden kann.
Es bedurfte eines in die USA ausgewanderten deutschen
Lateinlehrers, Ekkehart Malotki, der 25 Jahre lang immer wieder
mit den Hopi gearbeitet, ihre Sprache von Grund auf gelernt
und ein massives Corpus an authentischen Texten vorgelegt
und damit Whorfs Thesen komplett widerlegt hat [15]. Bernard
Comrie, seit vielen Jahren Chef des linguistischen Departments
des Max-Planck-Instituts für evolutionäre Anthropologie in
Leipzig, hat eine Rezension geschrieben [16], in der er sagt
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groß. Auf die Leinwand unserer neoromantischen Wunsch(Übersetzung W. S.): „Wie konnte es passieren, dass Whorf jahrvorstellungen projizieren wir das Bild vom guten Wilden, der
zehntelang der Säulenheilige des Kulturrelativismus war, der
überhaupt nichts weiß von den Dingen, die uns umtreiben. Ist
Idee, dass Sprache das Denken prädestiniert, und kein Mensch
es nicht viel wahrscheinlicher, wie Darwin es gedacht hat, dass
hat ihm die Frage gestellt: Stimmt das überhaupt?“ – schon
uns sogar ein Band mit den Tieren eint, und dass wir als Menverblüffend. Fachleute, die Bescheid wissen, haben inzwischen
schen einer Spezies in verschiedenen Kulturen ganz ähnlich
die Hopi-Wende vollzogen. Trotzdem ist die Sapir-Whorf-Hypowahrnehmen, fühlen, denken und handeln?
these nach wie vor ein Kernstück in vielen Wissenschaften vom
Menschen – schade.
In letzter Zeit gibt es einen ähnlichen Fall: Daniel Everett,
Kulturenvergleich – den Universalien der Menschheit
Missionar und Entwicklungshelfer, kommt aus einer südameriauf der Spur
kanischen Gesellschaft zurück und behauptet, die Pirahã hätten
Besonders in seinem bahnbrechenden Buch The Expression
eine ganz andere Kognition als alle anderen Menschen, seien
of Emotions in Man and Animals (Abb. 3) [21], traute sich Darsprachlich komplett unvergleichbar, sie könnten nicht zählen,
win, eine Brücke vom Tier zum Menschen zu schlagen und Tiesie hätten keine Wörter für und keine Wahrnehmung von Farren psychologische Reaktionen zuzubilligen, dass sie nämlich
ben, sie lebten quasi als Gefangene ihrer völlig traditionalen
auf der Basis ganz ähnlicher Gehirne und einer ähnlichen KonKultur [17, 18]. Interessanterweise sind die Beispielsätze in
stitution des Nervensystems in vielerlei Hinsicht ähnliche Empseinem Buch gespickt mit spanischen Vokabeln – so isoliert und
findungen haben wie Menschen und sie auch körpersprachlich
traditionell wie behauptet können die Pirahã also nicht sein.
ähnlich ausdrücken. Noch 1980 wurde nach einem Treffen einiLinguisten haben seine Thesen auch recht bald entkräftet: „The
ger Ethologen provokant formuliert, das Naturschutzgesetz sei
linguistic evidence presented in Current Anthropology 2005 not
dazu da, Menschen vor der Verrohung zu schützen (vgl. Horst
only fails to support claims of Pirahã exceptionality but actually
Stern zum Dissens in der Frage, ob Legebatterien artgerechtes
suggests the opposite: that Piraha fits straightforwardly into the
Verhalten zuließen und den Tieren zuzumuten sei [22]). Tieknown typology of human languages“ [19].
ren dagegen bestimmte Bedürfnisse wie Platz, Auslauf, ScharPirahã, so das Urteil der Fachleute, passt genau in das Spekren etc. zuzubilligen, sei unzulässige Anthropomorphisierung.
trum der Nachbarsprachen. Everett wollte Chomskys These
Darwin hätte das nicht so gesehen. Die von ihm begründete
von einer Universalgrammatik falsifizieren. Also wieder ein Fall
komparative Herangehensweise, für Eibl-Eibesfeldt [1], Günter
einer „exzeptionell anderen“ Kultur, die man mit keiner anderen
Tembrock [5], Gerhard Medicus [23] und andere evolutionsbio­
vergleichen kann. Ich warte darauf, dass eine tüchtige Ethnolologisch inspirierte Autoren typisch, hat in den letzten Jahren
gin oder Linguistin oder auch ein männliches Pendant, zu den
Tier und Mensch wieder näher aneinander gerückt. Sie ist ein
Pirahã geht, zwei Jahre dort verbringt und ein vernünftiges Corwichtiger Baustein für die Humanethologie. Insbesondere trifft
pus an Daten nach Hause bringt. Dann wird man sehen. Everett
das wegen der phylogenetischen Nähe für die Einbeziehung
war eine Riesensensation in der Presse, sein Buch Don’t sleep,
der Primatologie zu, wie sie etwa von William McGrew in
there are Snakes war 2008 sofort ein Bestseller.
Cambridge zusammen mit anderen Autorinnen und Autoren
Die Tasaday, eine angeblich im Paläolithikum steckengeblievertreten wird [24 – 26]. Sie geht von der grundsätzlichen Kulturbene Gruppe von „friedlichen Höhlenmenschen“ auf Mindanao
fähigkeit unserer Cousinen und Cousins aus und hat inzwischen
[20] bewirkten vor vielen Jahren einen ähnlichen Hype: Nun
eine beeindruckende Fülle von tradigenetisch weitergegebenen
hatte man endlich ein Modell der frühen menschlichen Existenz
Verhaltensweisen nachgewiesen.
und den Beweis, dass unsere Vorfahren sanft und pazifistisch
Artenvergleichende Forschung ist für das Verständnis der
waren. Allerdings waren die angetroffenen Individuen wohl
conditio humana auch deswegen unabdingbar, weil man vor
von einem philippinischen Politiker instrumentalisierte Perallem so erkennen kann, worin denn die tatsächlichen Untersonen, die vielleicht einer eigenen Sprachgruppe angehörten,
schiede zwischen Tier und Mensch bestehen. Die Humanethojedoch mehr oder weniger engen Kontakt zu den gar nicht ferlogie hat zusätzlich die kulturenvergleichende Forschung in ihr
nen Dörfern hatten. Sie hatten weder nähere Kenntnisse über
methodisches Repertoire aufgenommen. Sie führt zur Frage,
die Pflanzen in der Umgebung
ihrer „Höhle“, noch konnten sie
brauchbare Steinbeile herstellen.
Es ist also sehr unwahrscheinlich,
dass sie tatsächlich, wie behauptet, eine eigenständig lebende
Gruppe, ein Überbleibsel aus der
Prähistorie waren.
Warum fallen wir permanent
in diese Gruben hinein? Anscheinend ist, wie erwähnt, unsere
Abb. 3. Aus dem wegweisenden Buch The Expression of Emotions in Man and Animals (1872) von Charles
Sehnsucht nach einer alternaDarwin. Abbildung desselben Hundes, einmal in feindseliger, einmal in demütiger und zuneigungsvoller
tiven Gesellschaft ungeheuer
Stimmung – ein berühmt gewordenes Beispiel für Darwins „Prinzip der Antithese“.
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wie viele Universalien hat denn die Menschheit in den unterschiedlichsten Ecken ihrer Existenz? Nach wie vor ist hierzu
das Buch Human Universals von Donald Brown ein beeindruckendes Grundlagenwerk [27].
Dem „Universale“, einem in Philosophie und Humanwissenschaften kontrovers diskutierten Topos, kann man sich pragmatisch nähern: Dinge, Institutionen, Weisen des Wahrnehmens,
Fühlens, Denkens und Verhaltens, die man bei Angehörigen
aller Kulturen findet, gehören dazu. Es muss nicht unbedingt
bei jedem Menschen Eifersucht da sein oder Territorialität und
Wut, Aggression, wenn das eigene Kind oder Partnerin/Partner
angegriffen werden. Aber im Prinzip sind Menschen eben im
Stande, diese universalen Reaktionen zu zeigen. Bekanntermaßen gehören auch komplexe Denk- und Verhaltensmuster, wie
sie zum Beispiel Teil jeder Religion sind, zu den überall aufgefundenen Charakteristika der menschlichen Kultur, ebenso wie
Musik, Tanz, Spiel, Lyrik, visuelle Darstellungen, Architektur und
andere Äußerungen des kunstbegabten Homo sapiens (vgl. [28]).
Wir sind, unbeschadet einiger Unterschiede, die es unter
anderem möglich machen, Populationen genetisch zu unterscheiden, eine Spezies mit einer Grundausstattung an Gehirnanatomie nebst Neurobiologie und Neurochemie. Die Frage ist:
Welche Macht hat die jeweilige Kultur über diesen Teil unseres
Körpers? Natürlich wird kein Humanethologe jemals leugnen,
dass es gewisse Unterschiede des Denkens und Verhaltens in
den Kulturen gibt. Nur, ob sie wirklich die basalen, essentiellen Anteile von uns betreffen, oder eher Überformungen von
Grundmustern darstellen, das ist die Frage.
Emotionen und ihr Ausdruck
Emotionen, vor allem die zentralen wie die großen Sechs
(Freude, Trauer, Ärger, Wut, Ekel, Überraschung): Sind die
in den Kulturen ganz gleich oder leicht unterschiedlich, d. h.
werden sie neurobiologisch, psychisch unterschiedlich erlebt,
oder nur unterschiedlich beschrieben und bewertet? Das auszudiskutieren, dafür ist die Forschung da. Wir sind noch längst
nicht am Ende mit unseren Erkenntnissen über die so ungeheuer komplexen Leistungen unseres Gehirns. Seitens der
Evolutionsbiologie und der Neurobiologie besteht jedoch kein
Zweifel: Der basale Bestand an hormoneller Steuerung, an
Ausstattung mit Transmittersubtanzen, an mentaler, kognitiver
Ausstattung, an Verhaltensweisen ist in allen Populationen
identisch. Dass die romantische Liebe bei den islamischen Minangkabau im Süden Sumatras eher als Unglück (in einer solchen
streng-religiösen und zudem patriarchalischen Gesellschaft
kann das vor allem für Frauen ja auch tatsächlich, wie früher
bei uns, ein großes Problem für ihre Ehe und ihre Stellung in
der Gesellschaft darstellen), denn als beglückend empfunden
wird [29], ist kein Beleg dafür, dass es diese spezielle Form der
Zuneigung zu einem anderen Menschen nicht auch dort gibt.
Im Gegenteil, man ist sich in dieser zwar matrilinealen, aber keineswegs matriarchal organisierten traditionellen islamischen
Gesellschaft offenbar der Macht der romantischen Liebe besonders bewusst, die die Fesseln der kontrollierten Sexualität von
Frauen zu sprengen im Stande ist.
In wohl der weit überwiegenden Mehrzahl aller Kulturen
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wird die Wucht der besonderen emotionalen Verfassung des
Verliebtseins als etwas Besonderes, als etwas zumindest in der
Phantasie Wünschenswertes, Zauberhaftes erlebt [30], auch
wenn sie die Betroffenen wegen der damit verbundenen gesellschaftlichen Verstrickungen ins Unglück stürzen kann. Es handelt sich eben um einen Zustand, der nicht primär durch
die jeweilige Kultur bestimmt, sondern ganz essentiell von
der Gehirnchemie einschließlich Hormonen wie Testosteron,
Östrogen und Oxytocin gesteuert wird. Daher sprechen die
erotischen Gedichte und Märchen in der ganzen Welt von derselben „Sache“, wenn sie davon erzählen, wie sich A unsterblich
in B verliebt hat und ohne den Anderen gar nicht sein konnte
und wollte.
In diesem Punkt unterscheiden wir uns sicherlich fundamental von den Tieren, auch von unserem engsten Verwandten. Liebesverhältnissen ähnliche Bindungen (consortships, vgl. [31])
haben z. B. bei Schimpansen den Vorteil, dass die Weibchen
nicht vom Alpha-Männchen sexuell dominiert werden, also
„female choice“ ausüben können, und dass niedrigerrangige
Männchen auch Zugang zu fertilen, meist jüngeren und als Mutter unerfahreneren Weibchen erhalten. Solche Liebesallianzen
abseits der Gruppe, in der Intimität, die (bis auf ein paar wenige
Swinger) auch so typisch für den Sexualakt des Homo sapiens ist,
gehen also auch Pan troglodytes-Frau und Mann ein, und man
kann ruhig davon ausgehen, dass sie dann besondere Empfindungen füreinander haben. Doch der Gefühlssturm der romantischen Liebe, eines fast psychiatrisch relevanten Zustandes in
Gehirn und Körper, der bisweilen die verbale Gestalt erotischer
Lyrik annimmt, ist Mitgliedern unserer Art vorbehalten.
Soziale Hautpflege
Ein Verhaltensbereich, der enge Bezüge zwischen Mensch
und Tier offenbart und gewisse Querverbindungen zur Sexualität hat, ist die soziale Hautpflege (grooming), das Lausen.
Jeder Zoobesucher kennt das und fragt sich vielleicht: „Warum
verbringen die Affen so viel Zeit damit, sich gegenseitig im Fell
rumzuwühlen? Lohnt sich das?“ – Ja, es lohnt sich, sonst wäre
das Verhalten nicht da. Immerhin machen Menschen das auch,
und nicht zu knapp. Robin Dunbar, geschätzter Kollege aus
dem Vereinigten Königreich, hat die Hypothese aufgestellt, dass
die Sprache entstanden ist, weil die Homo sapiens-Gruppen
zu groß wurden, so dass man nicht mehr jeden lausen konnte
[32]. Deshalb sei, kompensatorisch, die Sprache entstanden, als
linguistisches Lausen. Eine interessante Idee, doch sie stimmt
meiner Ansicht nach nicht. Erstens laust auch in kleinen Gesellschaften, etwa in der erweiterten Familie, der Sippe, auch nicht
jeder jeden. Zweitens hautpflegen sich Menschen einander ja
unbeschadet ihrer Sprachfähigkeit ganz ungebremst weiter. Das
ist zwar in England mit seinem schlechten Wetter vermutlich
nur vor allem zur Sommerzeit in den Schwimmbädern öffentlich zu beobachten, jedoch in den traditionalen Gesellschaften
der Tropen alltägliche Aktivität [33]. Auf der häuslichen Couch
oder im Badezimmer überlebt auch im weitgehend läusefreien
Zentraleuropa das Allogrooming. Vor allem Frauen haben eine
Tendenz, sich der Haut ihrer Partner zu bemächtigen und Mitesser und andere störende Unreinheiten zu entfernen. Die Haut183
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Konzepte und Geschichte
Abb. 4. Lausekette bei den Eipo. Soziale Hautpflege ist zugleich soziale
Kontaktpflege. Die Hautpflege dient primär der Beseitigung von Parasiten und wird von dem Rezipienten wie dem Ausführenden gleichermaßen als wohltuend empfunden. Sie ist eine Universalie, die wir Menschen mit vielen sozialen Tieren teilen.
pflege ist also mitnichten verschwunden aus dem Ethogramm
des modernen Menschen.
Möglicherweise brauchen wir die soziale Hautpflege dringend für unser Wohlbefinden, immerhin reagieren wir (meist)
mit wohligem Schauer auf diese Art des Berührtwerdens, auch
beim Friseur, bei der Massage, bei der Pediküre – Folge der Ausschüttung von Beta-Endorphinen, die erstaunlicherweise sogar
beim Aktiven, dem „Groomer“ erhöht sind. Insofern könnte
man begrüßen, dass die Kopfläuse (Pediculus capitis) langsam
wieder Einzug in unsere Kindergärten halten und die Sprösslinge aufmerksam mit dem Läusekamm behandelt werden. Die
Natur ist sparsam: Wenn einmal eine verhaltenssteuernde Substanz wie Beta-Endorphin erfunden ist, wird sie für einen Fächer
von funktional verwandten Lebenssituationen genutzt.
Einheimische in Melanesien wie die austronesischen Trobriander in der Solomon-See östlich Neuguineas oder die Eipo
der indonesischen Provinz Papua im Hochland Westneuguineas, vermutlich auch Menschen in anderen Regionen der
Welt, stecken die erbeuteten Nissen und Läuse gern in den
Mund. Genauso wie unsere Verwandten im Zoo. Man fragt sich:
Warum? – Proteinzufuhr? Die Bösewichter sind so winzig, dass
dies kaum eine Rolle spielen kann. Möglicherweise wird auf
diese Weise das Immunsystems mit Parasiten gefüttert, die so
die Bildung von Antikörpern anregen [34]. Die Forschung hat
sich dieses Themas noch nicht wirklich angenommen, das ja
auch weitere Facetten hat. Menschen (man hat sogar schon
junge, vermutlich erfolgreiche Herren des Bankenviertels mit
gelockerter Krawatte in den BMW steigen und die offenbar
archaische Handlung der oralen Beseitigung von Nasenpopeln
ausführen sehen) machen solche Sachen, obwohl sie ganz und
gar nicht der Etikette entsprechen. Interessanterweise reagieren
Angehörige traditionaler Gesellschaften z. T. mit verlegener
Scheu, wenn man sie beim Lausen photographiert oder darauf
anspricht. Möglicherweise liegt eine intuitive Ablehnung animalischen Verhaltens aus dem Spektrum der Körperpflege vor;
wie ja in unserer Spezies generell eine starke Tendenz vorhanden ist, sich von der biologischen Natur abzusetzen.
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Bisweilen bilden sich regelrechte Lauseketten, d. h. die beteiligten Personen hocken hintereinander im Kreis. Bei den Eipo
durften sich nur Angehörige desselben Geschlechts lausen,
Männer und Buben hier, Mädchen und Frauen dort (Abb. 4).
Darin drücken sich die für Papua-Gesellschaften ausgeprägte
Trennung der Geschlechter und die Vermeidung möglicherweise sexuell getönter Handlungen aus. Besonders streng sind
die Tabus, die körperliche Berührungen und Begegnungen
von Schwester und Bruder regeln. Auf den Trobriand-Inseln
hingegen war es durchaus üblich, dass Frauen Männer lausten,
auch bei Kindern und Jugendlichen bestand in dieser Hinsicht
keine Geschlechtertrennung.
Auf den Trobriand-Inseln werden mit spitzen Stäbchen
kleine, fast nicht sichtbare Milben aus der Haut entfernt, die
zu Exanthem und Ekzem führen können. Die Krätze (Scabies)
verursachende Milbe (Sarcoptes scabiei), die in Neuguinea oft
von den Schweinen auf den Menschen übertragen wird, lässt
sich durch derartige soziale Hautpflege zwar kaum bekämpfen,
dennoch ist die biopsychische Verankerung dieses Verhaltenskomplexes aus spezifischer Motivation beim Akteur und
spezifischen Empfindungen beim Rezipienten offensichtlich.
Dorothea Strecke hat in ihrer Arbeit zeigen können, dass simple
Rückenmassage bei Patienten einer Intensivstation (die daher
permanent an ein EKG-Gerät angeschlossen waren) zu signifikantem Abfall in Herzfrequenz und periodisch gemessenem
Blutdruck, systolisch und diastolisch, führte [35].
Diese funktionalen Kreisläufe mit integrierten FeedbackMechanismen, in der Stammesgeschichte lange vor den Primaten entstanden, stellen hochkomplexe Verhaltenssteuerungen dar, bei denen klarerweise auch ontogenetisch gemachte Erfahrungen in die Bewertung einfließen und etwa die
Entscheidung beeinflussen, ob man einen Akt der sozialen
Körperpflege zulässt oder nicht. Mensch und Tier sind vielleicht
nirgends so ähnlich wie in der Hautpflege [36], die dem Frieden
zwischen den beteiligten Individuen dient und ein Netz interpersonaler Bande in der Gruppe herstellt. Wer wen laust, ist
ethologisch besonders interessant; beim Menschen sind es vor
allem die Kinder, die in den Genuss dieser speziellen Aufmerksamkeit kommen, Frauen „lausen“ (bzw. entfernen Komedonen
oder andere Hautunreinheiten) wohl Männer häufiger als Männer Frauen, gerade auch in sexueller Partnerschaft.
Die soziale Hautpflege ist also keineswegs verschwunden
aus dem Verhaltensrepertoire des Menschen. In den Industriegesellschaften gilt allerdings ein neues Hygieneideal: Parasiten
auf der Haut, im Bett und in der Kleidung sind, so meinen wir,
inakzeptable Zeichen schlechten Lebensstandards – und das
trifft ja grundsätzlich auch zu. Verhaltenstendenzen, die uns (oft
unbewusst) dazu bringen, stammesgeschichtlich fixierte Handlungsoptionen zu wählen, etwa zum Friseur zu gehen, wenn wir
gestresst sind oder die Haut unserer Kinder, unseres Partners,
unserer Partnerin mit besonderer Aufmerksamkeit zu bedenken, sind für die evolutionäre Betrachtung besonders interessant. Robin Dunbar hat also aus diesem Blickwinkel betrachtet
nicht recht, wenn er annimmt, dass die menschliche Sprache als
Ersatz für das vermeintlich ausgefallene Verhaltensrepertoire
von Lausen & Co. entstanden sei.
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Schiefenhövel: Quo vadis, Humanethologie?
Menschliche Mimik: Universalität par excellence
Mundwinkel nach oben: Lächeln
In seinem Bemühen, dem Ausdruck der Emotionen auf die
Spur zu kommen, führte Darwin in Vorbereitung seines oben
erwähnten Klassikers The Expression of Emotions in Man and
Animals eine Art Fragebogenerhebung durch – vielleicht die
erste dieser Art in der vergleichenden Psychologie und Ethnologie. Er sandte Briefe an Missionare, Kolonialbeamte und
andere Personen, die in verschiedenen Teilen des damals fast
weltumspannenden British Empire Dienst taten, und fragte
sie danach, wie die Einheimischen an den betreffenden Orten
bestimmte Gefühle, auch nonverbales „Ja“ und „Nein“, auszudrücken pflegten. Bei der Auswertung dieser Daten wurde
dem Begründer der Evolutionslehre klar, dass es in der Tat
universale mimische Zeichen gibt. Das Lächeln gehört dazu.
Man stelle sich einmal vor, eine neue kulturelle Tradition
würde verfügen, dass man lächeln müsse, indem man die
Mundwinkel nach unten ziehe. Das würde nicht funktionieren.
Die Verbindung der entsprechenden vorwiegend limbischen
Erregungsmuster mit der neuromuskulären Einheit, die das
Lächeln erzeugt, ist „hard wired“.
Dem niederländischen Ethologen Jan van Hooff verdanken
wir die Erkenntnis, dass das menschliche Lächeln aus dem
Furchtgrinsen der Primaten entstanden ist [37]. Bei Schimpansen findet man ein mimisches Signal, das sie einem Interaktionspartner gegenüber zeigen, wenn die Situation angespannt,
potentiell gefährlich ist: Sie aktivieren den Musculus zygomaticus und ziehen so die Mundwinkel nach oben und außen.
Der Mund bleibt zu, damit wird klar signalisiert, dass keine
Beißintention besteht (Abb. 5 a). So wird die Botschaft klar: „Ich
bin nett und friedlich, bitte tu mir nichts!“ Vermutlich hatte der
letzte gemeinsame Vorfahre der Schimpansenlinie und unserer
Linie vor 5 bis 7 Millionen Jahren ein solches Verhalten. Dass
aus dem Furchtgrinsen unser typisches und so bezauberndes
menschliches Lächeln geworden ist, bei dem (in der Jugend
a
b
d
c
e
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zumindest) strahlend weiße Zähne gezeigt werden, ist eine aufregende Sache. Sie macht auch klar, dass wir eine zutiefst soziale
Spezies sind, die mit Artgenossinnen und –genossen, auch
fremden Individuen, freundlich-zugewandt interagieren kann.
Mundwinkel nach unten: Trauer
Die Abbildung 5 c zeigt unsere Tochter Lana, ein Jahr alt, die
mit einem gleichalten Orang-Utan-Kind spielte. Wir wohnten
damals im Zoo von Jakarta im Haus Ulla von Mengdens, der
„Mutter“ dieser Menschenaffen aus Borneo und Sumatra, die
sich der kleinen Orang-Kinder annahm, die man bei Wilderern
aufgefunden hatte und für die man keine adäquate Versorgung
fand. Die beiden entfernt verwandten Kleinen, Menschenaffe
und Mensch, verstanden sich normalerweise recht gut. In dieser Situation hatte das Menschenkind jedoch die Intention des
Orang-Kindes missverstanden: Der geöffnete Mund war kein
Beißmund, sondern ein Spielgesicht (Abb. 5 b), und der beängstigend feste Griff des arborealen Tieres um Lanas Handgelenk
sollte sie bewegen, mit ihm die Balustrade der Terrasse emporzuklettern. Lana reagierte mit Weinen und Angst: Der Musculus
depressor anguli oris zieht die Mundwinkel nach unten, das typische Zeichen der Trauer, und über der Nasenwurzel bildet sich
das von Lersch „Notfalte“ genannte Zeichen. Es entsteht, wenn
die Augenbrauen durch den Musculus corrugator supercilii nach
innen und der mittlere Teil des Stirnmuskels (M. frontalis) in
Gegenbewegung nach oben gezogen werden.
Trauer wird mittels nach unten gezogener Mundwinkel
(vgl. „Depression“), Freude mit der antithetischen mimischen
Bewegung nach oben signalisiert. Dieses Gegensatzpaar folgt
dem von Darwin beschriebenen Prinzip der Antithese (Abb. 3)
[21]; in dem von ihm gewählten Fall Dominanz bzw. Submission beim Hund signalisierend. Irenäus Eibl-Eibesfeldt [1], Paul
Ekman mit Wallace Friesen [38] und andere Autoren haben die
Universalität dieser und anderer Ausdrucksweisen für basale
Emotionen transkulturell nachgewiesen. Besonders überzeugend war Eibl-Eibesfeldts Dokumentation des Verhaltens taub-
Abb. 5. Die Mimik beruht auf fest verankerten
neuromuskulären und neurophysiologischen
Verschaltungen, mit der wir unsere Gefühle
nonverbal ausdrücken und kommunizieren.
Zwischenartlich kann dies zu Missverständnissen führen. – a. Furchtgrinsen eines Schimpansen: Der Mund ist offen, die Canini sind
deutlich zu sehen. Aus diesem mimischen Signal entstand das menschliche Lächeln. – b.
Spielgesicht: Der Mund ist geöffnet und die
Lippen verbergen weitgehend die Zähne. Aus
diesem Signal entstand das menschliche Lachen. – c. Die einjährige Lana mit einem
gleichaltrigen Orang-Kind: Das Spielgesicht
des Orang-Utan zusammen mit dem festen
Handgriff wurde offensichtlich als bedrohlich
empfunden, wie das entsetzte Gesicht zeigt. –
d, e. Taubblind geborene Kinder, die uns angeborenermaßen ihre Gefühle über ihre Mimik
mitteilen. [Abb. a, b: ‚Chevalier-Skolnikoff, c:
W. Schiefenhövel, d, e: I. Eibl-Eibesfeldt]
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Konzepte und Geschichte
blind geborener Kinder [39, 40], die also die mimischen Zeichen
der anderen weder sehen (und nachmachen), noch mittels
sprachlicher Erklärung über deren kommunikative Funktion
informiert werden konnten (Abb. 5 d, e). Die armen, in permanenter Nacht und Stille lebenden Kinder weinen und lächeln
genauso wie ihre sehenden und hörenden Altersgenossen.
Einen stärkeren Beweis für die biologische Basis dieser Verhaltensweisen kann es nicht geben. Bereits Darwin hatte erkannt,
dass blinde Kinder eine wichtige Studiengruppe sein würden,
mit deren Hilfe man erkennen konnte, ob die spezifischen
menschlichen mimischen Zeichen ein Produkt der Imitation
von Gesehenem oder genuin biologisch gegründete Fähigkeiten
seien [21]. Er hatte sich daher an den Leiter einer Blindenschule
in London gewandt mit der Bitte um Auskunft. Darwin versäumt
nicht zu bemerken, dass dieser Gentleman ein angesehener
Pfarrer sei, und dass man daher seiner Auskunft vertrauen
könne, dass nämlich blinde Kinder bezüglich des Ausdrucks
ihrer Emotionen keinen Unterschied zu sehenden Kindern
aufwiesen.
Spielgesicht
Das von dem kleinen Menschenmädchen missverstandene
Spielgesicht des Orang-Kindes ist ein weiterer Beleg für die
phylogenetische Kontinuität der biopsychischen Ausstattung
von Tier (in diesem Fall Menschenaffe) und Mensch. Auch
Haustiere fordern ihre Besitzer durch mehr oder weniger zärtliches Zubeißen mit den Lippen auf, sich ihnen zuzuwenden.
Primatenkinder, sogar ältere Individuen dieser Arten, zeigen
mit derselben Mimik ihre Bereitschaft zu entspanntem, wenn
auch meist leicht agonistisch gefärbtem Spiel. Die Lippen sind
charakteristisch gerundet, d. h. sie verbergen die Zähne, insbesondere die gefährlichen Eckzähne (Canini). So wird ganz klar:
Der Mund ist nicht zum Zubeißen oder zu seiner Vorstufe, dem
aggressiven Drohen, geöffnet, sondern in der Absicht, Spielkameraden zum spielerischen Balgen aufzufordern. Jan van Hooff
hat überzeugend gezeigt, dass das menschliche Lachen aus just
diesem mimischen Signal der Tiere hervorgegangen ist [37].
Es ist also eine ritualisierte Form der Aufforderung zur stark
gebremst-aggressiven, eben spielerischen Auseinandersetzung
mit Interaktionspartnern. Dass wir oft über andere lachen –
einen einzelnen oder eine Gruppe – und uns auf ihre Kosten
belustigen, lässt die tierische, also stammesgeschichtliche Herkunft des kontrolliert agonistischen Verhaltens gut erkennen.
Es ist bedauerlich, dass im allgemeinen Sprachgebrauch, auch
bei Profis der Sprache wie Journalisten, „Lächeln“ (blöderweise
medial derzeit oft als „Grinsen“ apostrophiert) und „Lachen“ in
einen semantischen Topf geworfen werden. Wenn man einmal
verstanden hat, welche wunderliche, tief in unserer Stammesgeschichte wurzelnde Herkunft diese beiden mimischen Zeichen
haben, wird man hoffentlich nicht mehr Opfer dieser Sprachverwirrung werden.
Evolutionäre Medizin: Frühe Kindheit
Auch das phylogenetisch-biologische Gewordensein unseres
Körpers ist im Blickfeld unseres Faches, sind doch evolutionäre
Medizin und evolutionäre Psychiatrie Schwestern der Human­
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ethologie. Getreu des Lorenz’schen Dictums: „Wenn was kaputt
ist an einer Maschine, kann man deren Funktion leichter erkennen“ lassen Erkrankungen (z. B. die epidemieartige Zunahme
von Adipositas, Diabetes, Allergien, Autoimmunerkrankungen
und Bluthochdruck mit seinen cardiovasculären Folgen) erkennen, wie bestimmte Entgleisungen als „mismatch“ zwischen
unserer plio-pleistozänen Ausstattung und der modernen
Lebenswirklichkeit zustandekamen.
Arbeiten zur natürlichen Geburt und der frühen Kindheit
stehen im Zentrum der evolutionären Medizin wie der Humanethologie, vor allem seit klar geworden ist, dass wir auf dem
Gebiet große Defizite haben und mit unserer Weise der Sozialisation Schäden an Leib und Seele verursachen [41], die sich
auch mit dem eingesetzten gewaltigen Aufwand an Personal
und Mitteln nicht oder nur schwer beheben lassen: durch
verschiedene Formen von emotionaler Vernachlässigung und
Gewalt, insbesondere sexueller Gewalt, traumatisierte Kinder, Schreikinder, Kinder mit frühen Symptomen digitaler und
anderer Sucht, ADHS, Autismus und anderen Persönlichkeitsstörungen. Gerade für die frühe Sozialisation sind die kulturenvergleichenden Arbeiten von besonderem Belang.
In den traditionalen Kulturen sind Kind-zentriertes Stillen
und andere Formen des Eingehens auf die Bedürfnisse des
Kindes selbstverständlich. Bisweilen stillen Mütter sogar im
Laufschritt, wenn sie aus dem Garten nach Hause eilen und der
Säugling die Brust haben möchte (Abb. 6 a). Kleinkinder haben
etwa während 60% der Tagesstunden Körperkontakt zu ihrer
Mutter und anderen Personen aus ihrem engen Familienkreis.
In der Nacht erhöht sich dieser Wert auf nahezu 100%, weil
die Babys in Körperkontakt mit ihren Müttern schlafen. Renate
Siegmund und ich haben auf den Trobriand-Inseln chronobiologische Messungen gemacht [42]. Die Mitglieder einer Familie
erhielten kleine wie eine Armbanduhr zu tragende Aktometer,
die alle Bewegungen der betreffenden nicht-dominanten Hand
und des Armes über mehrere Tage aufzeichneten. Abbildung 6 b
zeigt oben jeweils den Vater, der nachts fast reglos durchschläft,
während Mutter und Baby genau übereinstimmende Aktivitätssignale aufweisen: Der Säugling wird nachts wach, die Mutter
reagiert mit Lageänderung, Arrangieren der Position des Kindes
und Stillen, so dass die beiden Kurven sich nahezu decken. Eine
chronobiologische Symbiose, die hohe Qualität der Bindung
zwischen den beiden bezeugend. Während der Tagesstunden
verbringen Säuglinge etwa 15% der gesamten Zeit an der Brust,
dies sind Phasen der tatsächlichen Nahrungsaufnahme sowie
Phasen des nicht-nutritiven Trostsaugens [43].
In den westlichen Gesellschaften denken die meisten Menschen, Kinderaufziehen sei eine investive Einbahnstraße: Vom
Still„geschäft“ bis zum Säubern, Wickeln, Herumtragen, Trösten
und Beschäftigen müsse man einseitig Zeit und Energie aufbringen, die in das Baby gesteckt werden. Dieses Bild ist korrekturbedürftig, denn es berücksichtigt nicht, dass vom Kleinkind
protektive, günstige Wirkungen auf die Mutter ausgehen. Wenn
nach evolutionärem Muster gestillt und Co-Sleep praktiziert
wird, ist die Mutter vor der postpartalen Dysphorie besser
geschützt [44] als Mütter, die die bei uns immer noch weitgehend üblichen Formen der distanzierten Säuglingsfürsorge
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Schiefenhövel: Quo vadis, Humanethologie?
a
b
befolgen: – nur wenige Monate eher Uhr- als Kind-zentriertes
Bruststillen, – Baby in eigenem Bett oder sogar in eigenem
Zimmer, – generell wenig Eingehen auf die kindlichen Signale
aus Furcht vor via konditioniertem Reflex erzeugter Instrumentalisierung der Mutter und der Familie durch kindliches Weinen
und andere Signale des Unmuts.
Unser Leitbild ist das schön geschmückte Kinderbettchen im
eigenen Kinderzimmer, in dem z. B. ein nettes Mobile von der
Decke baumelt, auf das sich die Blicke des Babys richten sollen.
Jedoch ist nichts ängstigender, als in Dunkelheit allein gelassen
zu werden. Keine Primatenmutter macht so etwas, doch bei uns
ist es die Norm. Damit man im Wohn- oder Elternschlafzimmer
mitbekommt, wenn das Baby weint, hat man ein Babyphon
in der Steckdose, das die Vokalisationen des Säuglings überträgt. Wir versuchen, die spezifischen Anforderungen, die ein
Säugling an unsere physische und psychische Präsenz stellt,
durch technische Tricks zu erfüllen. Das wird in der Regel eine
schlechte Lösung sein. Nur in Körperkontakt ist Geborgenheit
möglich, wenn Ängste und anderes Unwohlsein das Baby plagen. Doch der Mensch hat statt beruhigend wiegender Arme die
Wiege, statt der Mutterbrust Saugflasche und Gummischnuller
und statt des Tragens am sich fortbewegenden Körper von Mutter, Vater und anderen primären Bezugspersonen den Kinderwagen erfunden. Statt des Singens und Erzählens kommen in
der letzten Zeit die digitalen Formen der Kinderbeschäftigung
hinzu (vgl. [45]).
Die humanethologische Forschung zeigt an eindrucksvollen
Beispielen, wie sozial und pädagogisch kompetent sich Mütter
und andere Bezugspersonen in traditionalen Gesellschaften
Kindern gegenüber verhalten. In einem Film von Irenäus EiblEibesfeldt sieht man zwei Halbgeschwister, die sich streiten.
Der ältere Bruder hat etwas zu essen, die kleinere Schwester
will etwas davon haben. Der Bub dreht sich weg. Eine der Mütter kommt ins Spiel, lässt sich das Stück Nahrung geben und
bricht es in zwei Hälften. Wahrscheinlich würde ein Großteil
der europäischen Zuschauer vermuten: „Na klar, jetzt gibt sie
dem einen Kind was und dem anderen auch“. Genau das macht
sie aber nicht. Sie gibt beide Portionen dem Vorbesitzer zurück,
respektiert also die überall auf der Welt gültige Besitznorm. Jetzt
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Abb. 6. Die Mutter-Kind-Beziehung in traditionalen Gesellschaften lässt sich als
eine Art Symbiose kennzeichnen. – a. Kind-zentriertes
statt Uhr-zentriertes Stillen.
Über rund 60% der Tageszeit
ist das Kind in Körperkontakt
mit der Mutter oder einer anderen Bezugsperson. – b.
Beim gemeinsamen Schlaf
zeigen Mutter und Kind
hochgradig übereinstimmende Aktivitätssignale (mother BL/Infant BW), die Aktivitätssignale des Vaters (Father GW) weichen davon
deutlich ab. Aus [42]
hat der Bub zwei Teile und kann abgeben. Beide essen friedlich,
eine wunderbare Lösung. In pädagogischen Lehrbüchern liest
man, dass Kleinkinder nicht in der Lage sind zu teilen, weil sie
zu egoistisch seien [46]. Haben die Autoren und Autorinnen
noch nie erlebt, welche ungeheure Freude Babys haben, Essen
mit einem anderen Menschen zu teilen? Man muss sich wundern: Der ethologische Blick der guten Beobachtung scheint oft
zu fehlen.
Trauer, Umgang mit dem Tod
Trauer bei Verlust eines geliebten Menschen ist ein weiteres Universale. Man liest bei Herodot (Historien 5,3 – 10 [47]),
dass eine Gruppe der Thraker, der Vorfahren der Rumänen,
bei der Geburt eines Kindes wegen der auf es zukommenden
betrüblichen Ereignisse geweint und beim Tod eines Menschen
gelacht haben soll. Eine sehr zweifelhafte Schilderung, vermutlich einer der typischen Versuche, den Angehörigen einer in
Luxus lebenden Hochkultur den Spiegel einer kraftvoll-heroischen Gesellschaft vor Augen zu halten. Die biopsychische
Reaktion auf den unwiederbringlichen Verlust eines geliebten
Menschen ist universale Trauer (Abb. 7). Dieser Schmerz ist
schlimmer als körperlicher Schmerz. Wir weinen aus einem
egoistischen Motiv, weil wir den Kontakt zu einen „significant
other“ wie es in der englisch-sprachigen Literatur treffend heißt,
verloren haben. Die exquisite Fähigkeit so intensiv zu trauern
verrät uns, dass wir animal sociale sind. Wir weinen nicht
wegen des ungewissen Schicksals der toten Seele, wir weinen,
weil wir verlassen worden sind. In Neuguinea und – wie ich aus
den Gesprächen mit Psychotherapeuten weiß – auch bei uns
hat die Trauer häufig eine aggressive Note. Man will den Tod
des geliebten Menschen nicht akzeptieren. In Neuguinea werden dann oft Anschuldigungen gemacht wegen angeblichen
Todeszaubers, und es werden „Hexen“ und „Hexer“ getötet
oder in den Selbstmord getrieben – nach wie vor, trotz eines
intensiv gelebten Christentums. In unseren Ländern schleppen Hinterbliebene eine meist versteckte Trauer-Aggression,
Kombination zweier elementarer archaischer Motive, mit sich
herum und können sie dann oft nur in psychotherapeutischen
Sitzungen verarbeiten.
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Religion, die universale Suche nach Erklärungen
Eine bereits von Lukrez entwickelte Hauptthese zur Entstehung der Religion bezieht sich auf die Angst vor dem Tod
(vgl. [48]). Nach meinen Erfahrungen in Neuguinea seit 1965
sterben fast alle Menschen dort ruhig, gefasst und lehnen sich
nicht gegen ihr Schicksal auf. Obwohl nach ihren traditionellen
religiösen Vorstellungen ihre Seele keine schöne Zukunft vor
sich hat. Für den Christenmenschen gibt es eine beruhigende
Perspektive – er wird irgendwann zur rechen Seite Gottes sitzen,
wenn er auf Erden kein allzu großer Sünder war. Trotzdem ist
das Sterben bei Christen in unseren Ländern oft mit viel Angst
besetzt. Ein Paradox.
Die Seele der Eipo hat ein kaltes, unkörperliches Dasein, sie
sehnt sich nach Umarmung durch einen geliebten Menschen,
danach, ein Kind im Arm zu halten, an einem Fest teilzunehmen, gutes Essen und Gesellschaft zu genießen, mit anderen
zu scherzen und zu lachen. Keine so schöne Vorstellung für das
Weiterleben des Ichs. Trotzdem sind die Menschen ruhig im
Angesicht ihres Todes. Ich glaube, es ist die normative Kraft des
Faktischen, die das bewirkt: Sterben ist überall. Pflanzen sterben, Tiere sterben, Menschen sterben. Auf dieser Erfahrungsbasis lässt sich wohl auch der eigene Tod leichter akzeptieren.
Ich glaube daher nicht, dass die Religion ihre primäre Wurzel
in der Angst vor dem Tod hat. Eher schon in der Vorstellung,
dass etwas der Person weiterlebt – offenbar ist es für den Homo
sapiens unmöglich anzunehmen, dass der Tod das endgültige Ende aller personalen Existenz ist; das ist er in keiner der
bekannten Kulturen. Der eigentliche oder zumindest ebenso
bedeutsame Urgrund der Religiosität scheint mir die bei uns
Menschen so stark ausgeprägte Suche nach Kausalität zu sein.
Wir Menschen brauchen Erklärungen, machen uns ständig
Gedanken darüber, warum alles so ist, wie es ist, formulieren
Theorien über die Beziehungen der Erscheinungsformen des
Unbelebten, des Belebten und des Übernatürlichen. Dazu ein
Beispiel: Im Jahre 1976 erschütterten zwei schwere Erdbeben
das Gebiet der Eipo; beängstigende Ereignisse auch für uns
Europäer. Entsprechend den Vorstellungen ihrer damals noch
animistischen Religion glaubten die Eipo, es gebe einen Riesen,
der schlafe unten in der Erde. Wenn der Memnye, der „Tabu-Riese“ sich im Schlaf bewege, gebe es ein Erdbeben. Den Erkenntnissen der Wegener‘schen Plattentektonik entspricht das zwar
nicht, aber es ist eine ähnlich beruhigende Erklärung für das
Schreckliche, Staunenswerte und Rätselhafte. Das menschliche
Gehirn, das Organ für die Suche nach Ordnung im Chaos der
Welt, sucht verzweifelt nach Sinn und Kausalität. Wenn man
im Fall eines Erdbebens die Erklärung hat, der Riese schläft
normalerweise, der ist nur ein bisschen aufgewacht, dann wird
er schon wieder einschlafen, kann man damit leben. Das Kausalitätsbedürfnis des menschlichen Gehirns ist meiner Ansicht
nach das primum movens der Religiosität. Sie ruht sicher auch
auf anderem evolutionspsychologischen Fundament; der gruppenselektionistische Vorteil einer in einer bestimmten Religion
zusammengeschweißten Gruppe gehört auf jeden Fall dazu.
Der Mensch projiziert, wie bereits die antiken Religionskritiker erkannten, seine Ängste, Wünsche und Vorstellungen
gänzlich anthropomorph auf die Folie der Gottesvorstellungen:
den testosterongesteuerten Zeus, die rachsüchtige Hera, allmächtige Götterfiguren des Hinduismus, den rächenden alttestamentarischen, nur seine Kinder beschützenden, also tribalen
Gott, den gütigen, seinen Sohn zum Opfer machenden Gott
des neuen Testaments, den sozialrevolutionären, unbequemen
Jesus. Auch die tricksenden, menschlich-übermenschlichen
Schöpfergeister und die ungezählten Natur- und Seelengeister
der Religionen der Papua und anderer traditionaler Kulturen
legen beredtes Zeugnis des Bedürfnisses ab, der Welt als Supermenschen gedachte, Wunder bewirkende, erklärende Beweger
und Instanzen zugrunde zu legen. Ganz
wie Ludwig Feuerbach es trotz Publikationsverbots und anderer Bekämpfung
a
b
erstaunlich klar und kühn geschrieben
hat [49]: „Die religiösen Glaubensinhalte
vermitteln also eine Botschaft, sie geben
Aufschluss über das ‚Wesen‘ des Menschen“
– eben nicht über Gott. (Zu den verschiedenen Aspekten der nun evolutionsbiologisch inspirierten Suche nach den Wurzeln der Religiosität vgl. [50]).
Die klassischen europäischen Religionen verlieren mit dem Verlust der
Glaubwürdigkeit ihrer Erklärungsangebote, ihres Wahrheitsanspruchs, dem
Festhalten an von vielen als unrealistisch
angesehenen Dogmen, wegen besonders luxuriöser Lebensführung sowie vor
allem im Fall der katholischen Kirche
wegen der schrecklichen Fälle sexueller
Gewalt gegen Jungen Gläubige in erstaunAbb. 7. Der tiefe Schmerz beim Verlust eines geliebten Menschen ist universal. Der Umgang mit
lichem Tempo. Die neuen Bundesländer
der Trauer und das Abschiednehmen von den Toten ist in den Gesellschaften aber sehr unterschiedlich. – a. Trauernder Eipo. – b. Baumbestattung, Teil einer langandauernden Zeremonie.
sowie Tschechien sind schon weitgehend
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atheistisch. Offenbar haben 45 Jahre Marxismus und real
existierender Sozialismus ausgereicht, die latent auch früher
schon vorhandene Skepsis gegenüber der protestantischen
und katholischen Kirche zu bekräftigen. Interessanterweise
geht die Entwicklung in den anderen ehemals von der Sowjetunion mit ihrer Staats„religion“ des marxistischen Materialismus beherrschten Staaten diametral entgegengesetzt vor sich:
Von Russland bis Rumänien sprießen prächtige orthodoxe Kirchen in die Höhe, alte werden aufwendig renoviert. In Bukarest
machen nach wie vor viele Menschen das Kreuzzeichen, wenn
sie an einem Gotteshaus vorbei gehen, und in Polen ist der
ohnehin stark in der Bevölkerung verwurzelte Katholizismus
deutlich erstarkt nach der politischen Wende. In westeuropäischen Ländern fällt es dagegen den Menschen zunehmend
schwer, an einen personalen Gott, das Weiterleben nach dem
Tode oder die Auferstehung zu glauben. Nach Infratest Dimap
glauben 67% der Westdeutschen und nur 25% der Ostdeutschen an „einen Gott“, 29% der Westdeutschen und 73% der
Ostdeutschen sind nicht in dieser Weise gläubig [51].
Doch an die wahrsagerische Kraft des Horoskops (in
Deutschland 19% [52]) oder andere esoterische Weissagungen,
Versprechen oder Welterklärungen glauben erstaunlich viele. In
Leutstetten bei Starnberg gibt es eine „heilige“ Quelle. Täglich
kommen Autos z. T. mit Anhängern dort an und füllen Behälter
mit dem Wasser. Das Gesundheitsamt hat eine Analyse in Auftrag gegeben: Das Wasser ist verseucht mit Coli-Keimen. All das
tut dem Run auf die von den „heiligen drei Bethen behütete“
Quelle (www. Muetterblitz.de) keinen Abbruch. Homo sapiens
folgt nach wie vor einem paläolithischen Impuls der Daseinsbewältigung. Die Aufklärung hat nicht wirklich stattgefunden.
In der katholischen Kirche ist der Exorzismus immer noch eine
offiziell anerkannte Form der Krankenbehandlung. Das Böse
aus dem Körper zu vertreiben oder auf taschenspielerische
Art daraus hervorzuzaubern (Extraktionszauber) ist ein weltweit verbreitetes Prinzip; es wird eine augen- und sinnfällige
Therapie durchgeführt. Dem Homo symbolicus sind fast alle
Analogien recht, wenn er in Not ist. Hauptsache man kann sich
irgendwie Rettung versprechen.
Der von der Humanethologie genutzte transkulturelle und
evolutionäre Zugang zu den semantischen Zuschreibungen, die
unser Gehirn permanent vollzieht, kann helfen, die wenigen
typischen Grundvorstellungen zu beschreiben und zu erklären,
mit denen unser Gehirn die Welt zu verstehen und zu kontrollieren versucht. Es sind eben nicht unzählig viele Topoi, die in den
Religionen der Welt entwickelt wurden, sondern ein begrenzter
Satz an universalen gedanklichen Mustern, die überall auftauchen. Erstaunlich nur, dass das seit ein paar Jahrhunderten stets
präziser gewordene wissenschaftliche Weltbild in den Köpfen
so vieler Menschen in unseren modernen Zivilisationen noch
so wenig Verankerung gefunden hat. Die Beharrungskraft evolvierter magischer Vorstellungsmodi in unserem Gehirn ist ganz
erstaunlich.
Interessant aus der Perspektive der Humanethologie ist auch,
dass viele lokale kriegerische Auseinandersetzungen seit dem
Zweiten Weltkrieg entlang der Religionsgrenzen geführt werden. Der Bürgerkrieg in Nordirland wurde von Soziologen und
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Politikwissenschaftlern als ein sozioökonomisch ausgelöster
Konflikt dargestellt: zwischen reichen Engländern und armen
Iren. Das ist meiner Meinung nach eine völlig unzureichende
Beschreibung. Die Zugehörigkeit zu unterschiedlichen Religionen (und seien sie eigentlich Schwestern wie die Shia und die
Sunna) und die damit auf Engste verquickte ethnische Identität
sind der eigentliche Motor der Feindschaft, des tiefsten Hasses,
wie wir ihn jetzt ja auch im Nahen Osten und in vielen anderen
Ländern sehen. Die Identität stiftende Religion, ganz gleich
welcher Art und Provenienz, schweißt wie wohl keine zweite
vergleichbare vom Menschen erlebte und gestaltete Institution ihre Anhänger zu einer ungemein widerstandsfähigen
und im Fall des Falles schlagkräftigen Einheit zusammen. Das
Alte Testament und der inhaltlich daraus hervorgegangene
Islam sind Musterbeispiele für die ethnozentrische Ausrichtung:
Immer wieder wird die Ermahnung ausgesprochen, die Religion
des Stammes zur Not bis auf den letzten Blutstropfen gegen die
Ungläubigen zu verteidigen. Der Krieg der Religionen, den wir
mittlerweile trotz beschwichtigender Versicherungen seitens
Politik und Theologie ja im Grunde genommen schon haben,
von Fanatikern selbst auf unserem Boden geschürt, bezieht aus
den tribalen Überlebensstrategien unserer fernen Vorfahren
seine vulkanische, schwer zu kontrollierende Kraft. Und es sieht
nicht so aus, als würde das zumindest partiell wissenschaftlich
begründete Modell des rationalen und toleranten Umgangs zwischen Gruppen, Völkern und Staaten bei den Fundamentalisten
jeglicher Couleur irgendeinen Widerhall finden.
Dennoch: Religiosität ist adaptiv. Jenen unserer Vorfahren,
die solche Vorstellungen hatten, ging es wohl besser, sie waren
nicht so sehr von unerklärlichen Vorgängen geängstigt wie ihre
weniger gläubigen Zeitgenossen, lebten stressfreier mit den eingängigen Erklärungsmodellen, die ihnen die jeweilige Religion
zur Verfügung stellte, ob ein Erdbeben erzeugender Riese in
der Erde oder der die Wogen des Meers auftürmende erzürnte
Poseidon. So ist es, das muss man als Ungläubiger neidvoll
anerkennen, noch heute: Menschen, die glauben, leben, statistisch gesehen, länger, haben ein glücklicheres Leben und
mehr Kinder [53]. Als rationale, opportunistische Entscheidung
kann man eine sekundäre Hinwendung zur Religion wohl
kaum vollziehen. Wer zu wenig der adaptiven Basisreligiosität,
Spiritualität, wie man heute lieber sagt, in sich trägt, wird den
Wandel vom Atheisten zum Gläubigen wohl nur unter besonderen Bedingungen durchmachen können – etwa in der finalen
Verunsicherung angesichts des Todes. So geschieht es ja auch
des Öfteren.
Die Künste
Eine weitere Facette universaler menschlicher Lebensäußerungen sind die Künste [28, 54]. Warum wollen wir schön
sein und verändern unser biologisch gegebenes Äußeres auf
vielfältige Weise (Abb. 8), durch Haartracht, Kleidung, Schmuck,
Bemalung, Piercing? Warum sieht man in allen Kulturen, dass
Alltagsgegenstände und Behausungen durch Formgebung,
Farben, Schnitzen und andere Verzierung von einem reinen
Gebrauchsobjekt in ein Kunstwerk verwandelt werden? Ellen
Dissanayake hat das „artification“ genannt [55]. Etwas schöner,
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Konzepte und Geschichte
auffälliger machen, als es von Natur aus ist, ist offenbar ein
ganz starkes biopsychisch verankertes Motiv bei uns Menschen.
Singen, instrumentale Musik sind, wie die Autorin vermutet,
aus der für uns Menschen typischen Ritualisierung normalen Verhaltens in spezielle Kommunikationspakete entstanden, wie sie zum Beispiel in der vokalen und verbalen Interaktion („Motherese“) mit Säuglingen zu beobachten ist: höhere
Stimmlage, langsames, betontes Sprechen, Wiederholungen.
Dieser Kommunikationsmodus könnte ein Baustein unserer
typischen Kunstsinnigkeit und Kunstfertigkeit sein. Melodisch
ansprechend, rhythmisch sicher und kraftvoll singen können,
einen emotional aufrührenden oder witzigen Text dazu erfinden
und aufregend tanzen sind sehr wahrscheinlich Eigenschaften,
die seit der Frühzeit von den anderen, insbesondere möglichen
Sexualpartnern, als attraktiv empfunden werden (vgl. [56 – 62]).
Abb. 8. Artifikation: Sein
naturgegebenes Äußeres
zu verändern, wie auch
Dinge des Alltags zu verschönern und ihnen einen
persönlichen Stempel zu
geben, ist ein universell
verbreitetes menschliches
Bedürfnis.
Physisch schön zu sein, wegen körperlicher Vorzüge bewundert zu werden, ist fest verankert in unserem Repertoire an
dringenden Wünschen – so sehr, dass die Ikonen der modernen
Glitzerwelt als Projektionen dieses Wunsches bis zur Anbetung
verehrt und in der Schönheitsindustrie unfassbar hohe Summen verdient werden. In den USA betragen die geschätzten
Ausgaben für kosmetische Eingriffe etwa 10 Milliarden Euro,
in Deutschland zwischen 800 Millionen und 1,8 Milliarden
[63]; dazu kommen die Einnahmen der Kosmetikindustrie,
in Deutschland ca. 7,2 Milliarden [64]. In der paläolithischen
Höhle war neben Intelligenz, sozialem Geschick, Kreativität
und Vitalität physische Attraktivität sicherlich ähnlich wichtig
wie heute. Durch Symmetrie von Gesicht und Körper, schöne
Haut und Haare, geschmeidige Bewegungen und ähnliche
Eigenschaften signalisierten Frau und Mann Gesundheit, Fitness und Fertilität. Jemand, der dazu noch einen Schmuck trug,
zog wohl die Augen der anderen in besonderem Maße auf sich
und wurde dadurch vermutlich begehrenswerter. Denn einen
wertvollen Schmuck aus oft schwer zu beschaffenden Rohmaterialien selbst herstellen zu können oder gute soziale Kontakte zu
haben, über die der Schmuck bezogen werden konnte, bezeugte
Geschick, Geschmack und/oder hohen eigenen Rang oder Ver190
bindungen zu Personen mit Zugang zu seltenen Ressourcen. Es
ist daher nicht verwunderlich, dass Schmuck, wie Marian Vanhaeren zeigen kann, schon vor 100 000 Jahren hergestellt und
getragen wurde und im Europa des Aurignacien eine erstaunliche Vielfalt erreichte [65]. Mittlerweile wurde in der KrapinaHöhle in der Tschechischen Republik sogar ein noch älterer
Schmuck, wahrscheinlich ebenfalls eine Halskette, gefunden,
die aus den Krallen eines Adlers hergestellt war; nicht nur von
einem Vogel (den man vielleicht verendet gefunden hatte),
sondern von mehreren Individuen dieser eindrucksvollen Tiere
[66]. Symbolik par excellence, und das bei den Neandertalern,
denen man bis vor kurzem nur eine ziemlich krude Intelligenz
zugetraut hatte ... mittlerweile mutieren sie langsam zu den
Intellektuellen der Eiszeit – Homo symbolicus überall und schon
ganz früh.
Auch wer besondere Fähigkeiten hatte, etwa die Maler (oder
vielleicht Malerinnen?) der atemberaubenden Bilder in den
Grotten von Chauvet und Lascaux, jene, die Venusfigurinen
und andere Darstellungen aus Stein, Elfenbein und ähnlichem
Material formen konnten, oder jene, die ums Feuer sitzende
Gruppe mit gekonntem Tanz, einem erotisch aufgeladenem
Lied (vgl. [30]), einem Märchen oder einer Mythe (vgl. [67])
bezaubern konnten, wurden, das kann man im Schluss von
heute auf damals getrost annehmen, bewundert und begehrt
und hatten, statistisch gesehen, vermutlich besonders gute
Chancen, mit einem präferierten Partner, einer präferierten
Partnerin Kinder zu bekommen und erfolgreich großzuziehen.
Warum die für uns so typische Kunstfertigkeit auf verschiedenen Gebieten und die Liebe zur Kunst Teil der conditio humana
ist, lässt sich also aus diesem evolutionären Ansatz recht plausibel erklären. Dazu kommt die identitätsstiftende, gruppenbindende Funktion vieler der Aktivitäten, die das Künstlerische im
Menschen ausmachen: Zusammen singen, tanzen, rhetorisch
ansprechende Reden hören, sich von Werken der visuellen
Kunst in den Bann nehmen lassen, insbesondere wenn die
Bilder und Bauten in sakrale Zeremonien und Traditionen eingepasst sind, führt im Allgemeinen zu einer Festigung der Bande
innerhalb der Gruppe. So kann also auch ein gruppenselektionistischer Effekt angenommen werden, der für das Funktionieren der gemeinsam agierenden Personen ein entscheidender
Vorteil in der Konkurrenz gegen andere sein kann (vgl. [2]).
Abschließende Bemerkungen
In der derzeitigen Forschungslandschaft befindet sich die
Humanethologie wie ihre tierische Schwester, die Ethologie,
und ebenso wie die Anthropologie nicht gerade im Aufwind der
herrschenden Strömungen, die von Zeitgeist und Forschungspolitik erzeugt werden. Organismische Forschung hat es schwer im
Konkurrenzkampf gegen hochauflösende teure Disziplinen wie
Molekularbiologie und Neurowissenschaften. Der Blick auf die
Oberfläche, die Ganzheit von Individuen und Spezies darf zwar
nicht verlorengehen, dessen ist man sich in der akademischen
Welt partiell gewiss – doch eine Umkehr des Trends ist vorerst
nicht in Sicht. Das von Konrad Lorenz immer wieder angemahnte (von ihm selbst allerdings nicht immer beherzigte) Studium des „Viechs“ in seinem Habitat ist ein Kennzeichen auch
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Schiefenhövel: Quo vadis, Humanethologie?
der Humanethologie. Die von Irenäus Eibl-Eibesfeldt unter Mitarbeit des Teams der damaligen Forschungsstelle für Humanethologie in der Max-Planck-Gesellschaft zusammengetragenen
Filmdokumente und ethnographisch-sozialanthropologischen
Daten aus fünf modellhaften Kulturen und einigen weiteren
Gesellschaften [6] sind ein Paradebeispiel für diesen ganzheitlichen Zugang: Natürliches Verhalten wurde in natürlicher
Umgebung festgehalten. Damit ist ein Gegengewicht geschaffen
zu den vor allem in der psychologischen und evolutionspsychologischen Forschung vorherrschenden Fragebogenerhebungen.
Die internationale Gesellschaft für Humanethologie (ISHE)
fördert diesen wissenschaftstheoretisch bedeutsamen Zugang
ebenfalls: Die jedes Jahr ausgelobten Preise werden vor allem an
jüngere Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler vergeben,
die „real life“-Studien durchführen [68].
Im Kanon der Universitäten ist die Humanethologie zwar nicht gut vertreten,
aber es gibt erfreuliche Ausnahmen: Seit 25 Jahren wird die im Curriculum
der Universität Innsbruck verankerte, von Gerhard Medicus initiierte
und von ihm und mir (früher auch in Kooperation mit Margret Schleidt)
gehaltene „Einführung in die Humanethologie“ gelesen. Viele Diplom-,
Master- und Doktorarbeiten sind aus dieser Veranstaltung hervorgegangen. An der Universität Wien wurde auf Initiative von Karl Grammer die
Humanethologie zu einem in die Anthropologie eingegliederten Lehrfach.
An der Universität Osnabrück werden unter Leitung von Heidi Keller
kulturenvergleichend-humanethologische Feldstudien durchgeführt, an der
LMU München wird die Humanethologie durch Johanna Forster vertreten,
die auch an der Universität Graz eine Vorlesung mit humanethologischen
Schwerpunkten hält, sowie – im Rahmen der Musikwissenschaft – durch
Gerhard Apfelauer; sie spielt an der LMU auch in den Forschungsarbeiten
an den Abteilungen von Gisela Gruppe und Thomas Cremer eine Rolle. In
der Gruppe Humanethologie des Max-Planck-Instituts für Ornithologie in
Seewiesen ist das „Eth-Arts Team“ (Gerhard Apfelauer, Johanna Forster,
Christian Lehmann, Wulf Schiefenhövel und Christa Sütterlin) als Teil der
Arbeitsgemeinschaft Humanethologie in der Gesellschaft für Anthropologie
(GfA) aktiv, führt internationale Tagungen zum Thema Ethologie der Künste
durch und hat kürzlich einen Band dazu herausgegeben [28].
Die Reichsuniversität Groningen bildet seit knapp 20 Jahren Studierende
der biologischen Verhaltenswissenschaften auch in Humanethologie aus;
der Kurs findet zunehmend Interesse, so dass 2015 die Teilnehmerzahl bei
über 80 lag. Im weiteren europäischen und außereuropäischen Ausland ist
die Humanethologie Teil des universitären Curriculums u. a. in Italien an der
Universität Bologna, im Vereinigten Königreich (Oxford, Cambridge, Stirling/
Schottland), in der Tschechischen Republik an der Karls Universität Prag,
in Rumänien (Bukarest, Cluj-Napoca/Klausenburg), in den USA (Clemson
University, Clemson/SC, University of Michigan, Ann Arbor/MI, Wayne State
University, Detroit/MI, University of Wisconsin, Madison/WI, University of
Maine, Orono/ME), in Kanada (York University, Toronto) und in Brasilien
(University of Sao Paolo, Federal University of Pará, Belém). In Belém fand im
August 2014 der 22. Internationale ISHE-Kongress statt. Das 5. Internationale
Summer Institute der ISHE wird im Mai 2015 von griechischen Kolleginnen
und Kollegen in Athen ausgerichtet.
Themen wie die ausgeprägte soziale Natur und Familiarität
des Menschen, die Kulturen übergreifenden Universalien, Sexualität und Liebe, aber auch die so verstörende Neigung mancher
Menschen, Kindern sexuelle Gewalt anzutun, die natürliche
Geburt, die frühe Sozialisation, Aggression und Aggressionskontrolle, der körpersprachliche, insbesondere der mimische
Ausdruck der Emotionen, die vor allem in Sprache und Kunst
zum Vorschein kommende Symbolträchtigkeit unseres Denkens, das besonders in Situationen tiefer seelischer Ergriffenheit
sich Bahn brechende Bedürfnis, psychische Erschütterung mitNaturwissenschaftliche Rundschau | 68. Jahrgang, Heft 4, 2015
Abb. 9. Humanethologie lehrt den Blick auf uns selbst. Improvisierte
Vorführung von humanethologischen Filmen, die in den 1960er und
-70er Jahren aufgenommen worden sind. Gebannt und fasziniert entdecken die Zuschauer sich und ihre Geschichte; Eipomek, 2013. [Photos,
soweit nicht genannt: W. Schiefenhövel]
tels packender Metaphorik und nicht in Prosa auszudrücken,
der primär nicht-arbiträre Charakter der Semantik der Sprachen, unsere Anfälligkeit für Ideologien, unser Geschick mittels
sozialer und politischer Strategien schwierig zu erreichende
Ziele zu verfolgen, und das nach wie vor stark wirksame zentripetale Identifikationsgeschehen in ethnischen und religiösen
Gruppen sowie die wegen der Tendenz zur Maximierung im
Jetzt begrenzte Fähigkeit für kluge zukünftige Planungen (vgl.
[69]): All dies sind wissenschaftliche und gesellschaftliche Felder, zu denen die kulturvergleichende Humanethologie auch
weiterhin bedeutende Beträge leisten wird. Gerhard Medicus
hat in seinem Buch Was uns Menschen verbindet. Human­
ethologische Angebote zur Verständigung zwischen Leib- und
Seelenwissenschaften [23] die Erklärungskraft des evolutionären
Forschungsansatzes auch und gerade für die psychischen und
geistigen Elemente unserer menschlichen Existenz beispielhaft
genutzt und baut in sorgfältiger Vermeidung des Evolutionsbiologen oft angekreideten „biologischen Reduktionismus“ eine
Brücke über die geisteswissenschaftlich-naturwissenschaftliche
Kluft zu Disziplinen wie Psychologie und Philosophie.
Die Anthropologie als Wissenschaft vom ganzen Menschen
ist im Zuge ihres Auseinanderdriftens in vielen Ländern leider
zerrissen; es haben sich feindlich gegenüberstehende Lager
gebildet. Die z. B. in vielen ethnologischen Instituten Deutschlands verbreitete postmodern-dekonstruktivistische Herangehensweise lehnt eine evolutionbiologisch-humanethologische
Sicht des Menschen mit stammesgeschichtlich gewordenen
Eigenschaften oft rundweg oder weitgehend ab und rückt sie
in die Nähe gefährlicher politischer Ideologie, wie es schon in
den 70er Jahren praktiziert wurde [70]. In der Humanethologie
besteht allgemeiner Konsens, dass Homo sapiens als das lernfähigste Wesen, das die Evolution hervorgebracht hat, selbstverständlich auch von seiner Umwelt, von der jeweiligen Kultur
beeinflusst wird. Die hochinteressanten Weisen der Interaktion
zwischen Genen (und bis zu einem gewissen Grad auch den
epigenetischen, nach einigen Generationen wieder aus dem
Genom verschwindenden Mechanismen) und Umwelt, zwi191
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Konzepte und Geschichte
schen nature und nurture wird uns bis ans Ende unserer Tage
begleiten. Aufgabe der Wissenschaft ist, auf der Grundlage
guter, durch neue Forschungsergebnisse bestätigter oder falsifizierter Empirie ein immer besseres Verständnis dessen zu erreichen, was wir Menschen wirklich sind, wie wir wahrnehmen,
fühlen, denken und uns verhalten (vgl. Abb. 8).
Bedeutsam für die Zukunft des Faches ist die bereits erwähnte Übernahme des einzigartigen humanethologischen Filmarchivs durch die Senckenberg Gesellschaft für Naturforschung
in Frankfurt. Damit erhalten die dortigen hochkarätigen Arbeiten zur Rolle der Kultur in der frühen Ausbreitung der Menschen (vgl. das in enger Zusammenarbeit mit Archäologen und
Paläoanthropologen der Universität Tübingen durchgeführte
und von der Akademie der Wissenschaften Heidelberg geförderte internationale ROCEEH Programm, www.roceeh.net) eine
bedeutende Erweiterung. Es ist geplant, der weltweit beachteten
Abteilung für Paläoanthropologie am Senckenberg eine neue
Abteilung für Humanethologie hinzuzufügen. Wenn sich das
realisieren ließe (die Chancen stehen nicht schlecht), wäre der
Humanethologie, die über viele Jahrzehnte eine stabile Basis in
der Max-Planck-Gesellschaft hatte, eine neue in der deutschen
Forschungslandschaft bestens verankerte und international
agierende Plattform gegeben. Quo vadis? – Dahin soll’s gehen.
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Prof. Dr. med. Wulf Schiefenhövel (geb.1943 im Siegen) studierte von 1963
bis 1969 Humanmedizin in München und Erlangen und hielt sich 1965 zum
ersten Mal in Neuguinea auf, wo er Feldstudien zur Ethnomedizin durchführte, die ihn zu einem Mitbegründer der Ethnomedizin in Deutschland
machten. 1974 – 1980 Forschungen im Rahmen des DFG-Projekts Mensch,
Kultur und Umwelt im zentralen Hochland von West-Neuguinea und
Der Autor bei einem Interview mit einer Eipo-Frau, 2009.
seither regelmäßige Feldaufenthalte dort. Seit 1977 Mitarbeiter in der
Abteilung Humanethologie von I. Eibl-Eibesfeldt, 2002 Leiter der AG
Humanethologie am Max-Planck-Institut für Ornithologie (dem früheren MPI für Verhaltensphysiologie) in Andechs. Habilitation an der LMU
in München, seit 1991 dort Professor. Autor und Herausgeber zahlreicher Bücher und Mitbegründer der Zeitschrift Curare – Zeitschrift für
Medizinethnologie.
Max-Planck-Institut für Ornithololgie, Eberhard-Gwinner-Straße, 82319
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