Sturzprophylaxe im häuslichen Umfeld, in Pflegeeinrichtung und Klinik

 Information
n Information Sturzprophylaxe im häuslichen Umfeld,
in Pflegeeinrichtung und Klinik
Sehr geehrte Angehörige, sehr geehrte Bewohner bzw. Patienten,
Stürze im höheren Lebensalter stellen ein großes gesellschaftliches,
individuelles und pflegerisches Problem dar. Ein Sturz bedeutet für die
Betroffenen oftmals einen tiefen Einschnitt im Leben. Durch die Möglichkeit
eines verletzungsbedingten Funktionsverlustes ist eine selbstständige
Lebensführung häufig erschwert bis unmöglich. Manchmal wird daher sogar
die Versorgung in einem Pflegeheim notwendig.
Neben diesen individuellen drastischen Konsequenzen für die Betroffenen
verursacht die medizinische Versorgung von Sturzpatienten immense Kosten
für unser gemeinsames allgemeines Gesundheitswesen.
Zur Minderung des Sturzrisikos wollen wir Ihnen hiermit einige Ratschläge und
Informationen zur Sensibilisierung und weiteren Orientierung an die Hand
geben.
Standardisiertes Vorgehen
Die teilnehmenden Institutionen der Kampagne „STOPP dem STURZ!“ –
Aktionsbündnis der Klinik Haag i. OB und des Landkreises Mühldorf a.
Inn entwickelten mit den jeweilig eigenen Fachleuten unterschiedlicher
Berufsgruppen
ein
gemeinsames
standardisiertes
Vorgehen.
Die
Berücksichtigung der individuellen Erfahrung unserer Fachleute und aktueller
wissenschaftlicher Erkenntnisse ist für uns eine Selbstverständlichkeit.
1. Erkennen gefährdeter Personen
2. Erkennen möglicher Sturzursachen
3. Ableitung gezielter schützender Maßnahmen
1. Erkennen gefährdeter Personen
In meiner Wohnung, da kenne ich jeden Winkel – da falle ich doch nicht! Sturzprophylaxe im häuslichen Umfeld, in Pflegeeinrichtung und Klinik / Klinik Haag i. OB, Stand 11/2015 1
... dieses denken Sie vielleicht gerade auch. Unterschätzen Sie aber nicht die
Gefahr: denn in Verbindung mit neu aufgetretenen gesundheitlichen
Problemen können bestimmte Umgebungsfaktoren in Ihrer Wohnung zur
Gefahr werden.
Sie werden von Pflegeexperten betreut, die allesamt bei Ihnen eine schriftliche
standardisierte Sturzrisikoerfassung (Sturzrisikoerfassung nach Huhn)
regelmäßig durchführen. Anhand der Ergebnisse erfolgt die Eingruppierung in
eine bestimmte Risikogruppe. Diese Beurteilung und die jeweils persönliche
individuelle Einschätzung der Pflegekraft münden bei Notwendigkeit in weitere
kurze Untersuchungen des Gleichgewichts, die entweder von Ihrer Pflegekraft
oder Ihrem Therapeuten durchgeführt werden. Aus den aussagefähigen
Ergebnissen leiten wir spezifische Therapiemaßnahmen ab.
2. Erkennen möglicher Sturzursachen
Wir unterscheiden ganz grob gesagt zwei unterschiedliche Sturzursachen. Auf
der einen Seite führen akute bzw. chronische körperliche und geistige
Beeinträchtigungen zu Stürzen (intrinsische Stürze), andererseits liegen viele
Ursachen an der Umgebung der Person (extrinsische Stürze), die eher zu den
klassischen Stolperstürzen führen.
Sturzursachen, die in der Person selbst liegen:
 akute Erkrankung (Herzinfarkt, Schlaganfall etc.),
 Störungen der Körperhaltung und Gangunsicherheit in Folge von z.B.
Gelenkarthrosen, Lähmungen o.ä. (biomechanische Ursachen),
 Störung des Gleichgewichts,
 plötzliche Bewusstseinsstörung (Unterzucker bei Diabetikern, zu tiefer
Blutdruck etc.),
 Sehstörungen,
 Benommenheit und Verwirrtheitszustände (Demenz, Alkohol,
Medikamentennebenwirkung etc.),
 psychische Unsicherheit durch die Angst vor Stürzen,
 muskulärer Kraftverlust,
 u.v.a.
Sturzursachen, die aus der Umgebung der Person kommen:
 Stolperfallen (Teppiche, lose Kabel, Stufen etc.),
 schlecht sitzende Schuhe (oder keine Schuhe, nur Socken),
 Kleidung (zu lang, eng und zu weit),
 Veränderung in der Wohnung (Umstellen der Möbel, anderes Zimmer),
 falsche Hilfsmittel oder falscher Gebrauch,
 fehlende Beleuchtung,
 u.v.a.
Meist führt aber nicht ein einzelner Grund zu einem Sturz, sondern
verschiedene Ursachen verstärken sich gegenseitig.
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Information Beispiel:
Ein älterer Mensch hebt beim Gehen seine Füße nicht mehr
ausreichend
an
(Störung
des
notwendigen
koordinierten
Bewegungsablaufs) > stolpert daher über eine Teppichfalte (Störung
durch die Umgebung) > kann wegen seiner Hüftarthrose den Sturz nicht
mehr abfangen (Störung der Gleichgewichtsreaktion) > und stürzt.
Sie sehen, dass es sich bei den Sturzereignissen meist um eine Verkettung
unglücklicher Umstände handelt. Geschultes Fachpersonal ist aber in der
Lage, bereits vor dem Sturzereignis Risikokonstellationen zu erkennen, um
sturzpräventive Maßnahmen einzuleiten. Auch wenn meist viele Ursachen
gleichzeitig vorliegen, hilft schon das alleinige Ausschalten eines Risikofaktors,
um eine Vielzahl von Stürzen zu verhindern.
3. Ableitung gezielter schützender Maßnahmen
3.1 Anpassung des Wohnumfeldes
Stolperfallen sind hier vor allem lose, rutschige Teppiche, hohe Kanten durch
Teppiche sowie glatte Böden, insbesondere nach einer Nassreinigung. Eine
Wohnraumbegehung wird zum Beispiel von Mitarbeitern der Sanitätshäuser,
von den Pflegeberatern der Krankenkassen und der Seniorenberatung des
Landratsamts Mühldorf durchgeführt. Denken Sie bitte daran, dass die Kosten
bestimmter Maßnahmen zur Veränderung der Wohnraum bedingten
Sturzursachen auch von den Krankenkassen nach ärztlicher Verordnung
übernommen werden.
3.2 Festes Schuhwerk
Bitte achten Sie auf fest sitzende Schuhe. Diese sollten sich durch eine
bequeme Handhabung – die besten Schuhe nützen nicht, wenn sie nicht
getragen werden –, und einen festen Fersenhalt auszeichnen.
Aber bitte Vorsicht! Oft lesen Sie über spezifische weitere Details der
Schuhe, die die Stürze reduzieren sollten. Hierbei ist aber eine pauschale
Empfehlung gefährlich, da diese Eigenschaften immer individuell an die
vorliegende biomechanische Gangproblematik angepasst werden müssen.
Die Entscheidung für einen flachen Schuh oder Schuh mit leichtem Absatz,
Gummisohle oder Ledersohle etc. sollte unbedingt dem medizinischen
Fachpersonal überlassen werden.
3.3 Benutzung eines geeigneten Hilfsmittels
Patienten werden häufig mit einem Hilfsmittel (Rollator, Rollstuhl, Gehstock,
Gehbock o. ä.) versorgt. Die Anpassung und die Schulung der Handhabung
müssen durch Physiotherapeuten erfolgen. Ebenso ist es wichtig, die
Handhabung des Hilfsmittels mit Therapeuten und Pflegekräften zu üben und
zu trainieren.
Wir bitten Sie, auch zu Hause auf die entsprechende Verwendung der
Hilfsmittel zu achten.
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Aber bitte Vorsicht! Kaufen Sie sich nicht eigenständig ein Hilfsmittel, ohne
dass die Indikation ärztlicherseits überprüft worden und die entsprechende
Schulung durch Fachpersonal erfolgt ist. Dies ist gefährlich.
Weitere häufige Hilfsmittel
Im Zusammenhang mit den Hilfsmitteln spielen auch Sehhilfen und Hörgeräte
eine große Rolle. Auch hier sollte zur Minimierung des Sturzrisikos auf eine
korrekte Anpassung und die Funktionsfähigkeit geachtet werden.
Gegebenenfalls kann auch die Verordnung eines Pflegebettes mit der
Möglichkeit der Absenkung des Bett-Niveaus hilfreich sein, um bei Stürzen
aus dem Bett die Verletzungsgefahr möglichst gering zu halten.
Eine weitere Möglichkeit, das Verletzungsrisiko bei einem möglichen Sturz
gering zu halten, ist das Tragen von sogenannten Hüftprotektoren. Hierbei
handelt es sich um speziell entwickelte Unterwäsche, an welcher seitlich im
Bereich der Hüften Taschen für harte oder weiche Schutzelemente angebracht
sind. Diese mindern bei einem seitlichen Sturz auf die Hüfte die Gefahr einer
Hüft- oder Oberschenkelfraktur.
3.4 Orientierungshilfen
Insbesondere für die Nacht ist es wichtig, Orientierungshilfen zu geben.
Ausreichende Beleuchtung kann zum Beispiel durch ein Nachtlicht erfolgen,
Badezimmer- oder Toilettentüren sollten nach Möglichkeit geöffnet bleiben, um
so ein Rückwärtsgehen mit erhöhter Sturzgefahr zu vermeiden.
Gerade in der Nacht sollten die Hilfsmittel zum Gehen griff- und einsatzbereit
neben dem Bett vorhanden sein.
3.5 Altersgerechte Assistenzsysteme für ein gesundes, unabhängiges
Leben (AAL): altersgerechte und -taugliche Hilfsmittel
Hierunter werden Konzepte, Produkte und Dienstleistungen verstanden, die
durch neue Technologien das soziale Umfeld miteinander verbinden und eine
höhere Sicherheit der Versorgung bieten. Das können neuartige
telemedizinische Lösungen sein, technische Helfer, die einen Teil der
Hausarbeit übernehmen oder intuitiv bedienbare Kommunikationsmittel, die
den Kontakt mit dem sozialen Umfeld erleichtern. Das bekannteste Produkt ist
eine Halskette oder ein Armband mit einem Notfallsender. Bei Notsituationen
kann der Betroffene bei der zugeschalteten Zentrale auf seinen Hilfsbedarf
aufmerksam machen.
Des Weiteren gibt es z.B. Sensorbetten bzw. -matten, die ein eigenständiges
Aufstehen eines sturzgefährdeten Betroffenen sofort anzeigen, Automatiken
mit selbstständigem Abschalten des Ofens nach einer bestimmten Zeitspanne
und Übertragungen bestimmter relevanter Gesundheitsdaten an Zentralen zur
rechtzeitigen Identifizierung potentiell gefährlicher Gesundheitsentwicklungen.
Nähere Informationen hierzu finden Sie auf der
Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter:
www.aal-deutschland.de
Internetseite
des
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Information 3.6 Abklärung der Sturzursachen im Ganglabor der Klinik Haag i. OB
Bei älteren Menschen mit schon mehrfachen Erkrankungen und
Beeinträchtigungen gibt es Situationen, in denen die Sturzursache nicht sofort
offensichtlich ist. Genau in dieser Situation ist die ambulante oder stationäre
Vorstellung zur ausführlichen Diagnostik im Ganglabor der Klinik Haag
notwendig. Als überregionales Zentrum für Altersmedizin, ZNS-Erkrankungen
und Mobilität mit der Expertise einer zertifizierten Gangdiagnostik und
Gangrehabilitation arbeiten wir konzeptionell eng zusammen. Weitere
Informationen hierzu finden Sie unter: www.gehen-fuer-jeden.de
Bitte unterstützen Sie unser Fachpersonal, wenn Sie von diesem auf das
Thema Sturzprophylaxe angesprochen werden. Denn nur durch ein
gemeinsames Gespräch und abgesprochenes Vorgehen können wir die
bestmöglichste Versorgung zur Reduktion von Stürzen erreichen.
In diesem Prozess sind Sie als Angehöriger sehr wichtig. Denn es geht nicht
nur um die alleinige Informationsvermittlung. In vielen Fällen benötigen wir Ihre
aktive Mitarbeit: z.B. bei der Beseitigung potentieller häuslicher
Gefahrenquellen, der Bereitstellung eines geeigneten Schuhwerks und
funktionsfähiger Batterien für das Hörgerät etc.
Für das Wohl unserer Patienten und Ihrer Angehörigen bitten wir Sie um eine
gute Zusammenarbeit. Wir werden Stürze nie gänzlich vermeiden können,
aber wir können viel dafür tun, das Sturzrisiko zu mindern bzw. die
Verletzungsfolgen möglichst gering zu halten.
Uns als Gesundheitsinstitution ist es sehr wichtig, das Thema „Stürze im Alter“
ernst zu nehmen und die aktuellen wissenschaftlichen Erkenntnisse
umzusetzen. Daher sind wir aktives Netzwerkmitglied in der Kampagne
„STOPP dem STURZ!“ – Aktionsbündnis der Klinik Haag i. OB und des
Landkreises Mühldorf a. Inn.
Weitere hilfreiche Informationen finden Sie im Internet unter folgenden Links:
www.aktivinjedemalter.de
www.gerontotechnik.de
www.wohnungsanpassung.de
www.gehen-fuer-jeden.de
www.aal-deutschland.de
Anbei erhalten Sie eine Checkliste mit einzelnen aus unserer Erfahrung
relevanten Tipps ausgehändigt.
Ihr Pflegeteam
in Kooperation mit der
Kampagne „STOPP dem STURZ!“ – Aktionsbündnis der Klinik Haag
i. OB und des Landkreises Mühldorf a. Inn
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Checkliste „Maßnahmen zum Schutz vor Stürzen“
Die Aufstellung kann nicht alle etablierten Möglichkeiten enthalten.
Sie erhalten aber einen Überblick und ein gewisses Verständnis
der Herangehensweise, die Ihnen sicherlich in Ihrer persönlichen
Situation weiter helfen wird.
 Pflegebedürftige, die aus dem Krankenhaus / der Reha / der
Kurzzeitpflege entlassen werden und aus pflegerischen Gründen zu
Hause ein anderes Zimmer bekommen, müssen eingewiesen werden,
als wären sie in einer fremden Umgebung.
 Telefon und / oder Glocke und Lichtschalter in Reichweite anbringen, so
dass sich der Pflegebedürftige jederzeit bei Wünschen, Problemen und
Schwierigkeiten melden kann, ohne aufstehen zu müssen.
 Entfernen langer
darstellen.
Telefonkabel
/
Elektrokabel,
die
Stolperfallen
 Entfernen von Teppichen in Absprache mit dem Pflegebedürftigen und
den Angehörigen oder Nutzen von rutschhemmenden Matten unter den
Teppichen. Teppichkanten befestigen.
 Vermeiden nasser Böden (z.B. nasse Bodenreinigung, Sekret oder
Ausscheidung).
 Veränderungen im Patientenzimmer: durch zusätzliche Hilfsmittel
(Nachtstuhl, Urinflasche ans Bett etc.). Morgens vornehmen, denn so
hat der Pflegebedürftige Zeit, sich daran zu gewöhnen.
 Beobachtung
von
Reaktionen
auf
Medikamente
und
Informationsweitergabe an den Hausarzt. Schlafmittel nicht zu spät
verabreichen.
 Verwendung von rutschfesten Matten oder Aufkleber in Dusche und
Badewanne.
 Nutzen von Einsteigehilfen im Bad (Badestufen, Lifter, Brett, Sitz etc.).
 Anbringen benötigter Haltegriffe, Handläufe in Zimmern, Bad, Toilette
und Fluren.
 Tragen gut
Hausschuhe.
sitzender
Schuhe
und
Verzicht
auf
ausgeleierte
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Information  Für ausreichende und nicht blendende Beleuchtung sorgen (Nachtlicht
etc.).
 Feststellen der immer vorhandenen Bremsen an Hilfsmitteln (Betten,
Toilettenstuhl, Rollator, Rollstuhl etc.) vor dem Aufstehen.
 Absenken des Pflegebetts nach Pflegetätigkeiten in das gewohnte
tiefste Niveau / Höhe.
 Wegklappen der Fußstützen an Hilfsmitteln vor dem Aufstehen.
Vorsicht: Hilfsmittel kann nach vorne kippen.
 Anleitung bei der Verwendung von Gehhilfen.
 Achtsamkeit bezüglich einer sauberen Brille und eines intakten
Hörgeräts.
 Tipps bei Treppen: Geländer auf beiden Seiten anbringen, Treppenlifter
einbauen lassen, steile Treppen nur in Begleitung nutzen.
 Achten auf regelmäßige Fußpflege zur Vorbeugung von schmerzhaften
und bewegungseinschränkenden Wunden.
 Prüfen der Passform von Schuhen.
 Tragen von Kleidung mit genügend Bewegungsfreiheit.
 Individuelle Anpassung von Inkontinenzhilfsmittel. Vermeiden zu enger
oder zu weiter Windelhosen, die rutschen bzw. das Gehen behindern.
 Tragen von Hüftprotektoren zur Vermeidung von Oberschenkelhalsfrakturen.
 Regelmäßige Bewegungsübungen: Training für das Gleichgewicht,
Reaktionsschulung, Kraftverbesserung, Mobilitätsverbesserung bzw.
-erhalt.

Zweitschlüssel an eine Vertrauensperson für Notfälle.
Sprechen Sie uns bitte bei weiteren Fragen an!
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