Programmheft Die Wiedervereinigung der beiden Koreas

Christopher Haninger (inszenierung)
Nach Assistenzen u. a. am Thalia Theater Hamburg, am
Burgtheater Wien und an den Münchner Kammerspielen
arbeitet Haninger seit 2007 als freier regisseur. Er inszenierte u. a. in Konstanz, Augsburg, Jena und Köln. Seine
Dramatisierung von Dirk reinhardts »Edelweißpiraten«
wurde 2015 zum Heidelberger Stückemarkt eingeladen.
in Saarbrücken zeigte er u. a. Kleists »Michael Kohlhaas«
und Ferdinand von Schirachs »Verbrechen« in der sparte4
sowie zahlreiche inszenierungen im rahmen des
Primeurs-Festivals, zuletzt das Siegerstück 2014 »open
House«.
Matthias Werner (raum und Kostüme)
Nach dem Architekturstudium am Bauhaus Weimar und
Bühnenbildassistenzen u. a. an der Schaubühne am
Lehniner Platz Berlin und am SST arbeitet Werner seit
2004 als Bühnen- und Kostümbildner (u. a. am Schauspiel
Stuttgart, Maxim Gorki Theater Berlin, Schauspielhaus
Zürich und am Ballhaus Naunynstraße). Zusammenarbeit
mit Jan Neumann, Anna Bergmann, Daniela Löffner,
Helena Waldmann, Neco Celik und Petra Wüllenweber.
Werner entwirft auch Szenenbilder für Film.
Bo Wiget (Musik)
Bo Wiget ist Cellist, Komponist und Performer. Seit 1989
Projekte im Jazz, rock und in der Neuen Musik. Seit 2000
ist er als Theatermusiker für Schauspiel-, Tanz- und Musiktheaterprojekte tätig. Zusammenarbeit mit Christoph
Frick, riMiNi ProToKoLL, Anders Paulin, Christina rast,
Meg Stuart, Leopold von Verschuer, WUNDErBAUM (NL).
Außerdem Kompositionsaufträge für diverse Ensembles
sowie CD-, Film und Hörspiel-Produktionen. Mit seinem
Performance-Duo Beide Messies tritt er international auf
Festivals, Konzert- und Theaterbühnen auf. Platon:
Von den Kugelmenschen
Denn zunächst gab es damals drei Geschlechter unter
den Menschen, während jetzt nur zwei, das männliche
und das weibliche; damals kam nämlich als ein drittes
noch ein aus diesen beiden zusammengesetztes hinzu.
(...) Ferner war damals die ganze Gestalt jedes Menschen
rund, indem rücken und Seiten im Kreise herumliefen.
(...) Sie waren daher auch von gewaltiger Kraft und
Stärke und gingen mit hohen Gedanken um, so dass
sie selbst an die Götter sich wagten. Zeus nun und die
übrigen Götter hielten rat, was sie mit ihnen anfangen
sollten. (...)
Endlich nach langer Überlegung sprach Zeus: »ich will
jeden von ihnen in zwei Hälften zerschneiden, und so
werden sie zugleich schwächer und uns nützlicher
werden, weil dadurch ihre Zahl vergrößert wird, und sie
sollen nunmehr aufrecht auf zwei Beinen gehen.« Nachdem er das gesagt, schnitt er die Menschen entzwei, wie
wenn man Beeren zerschneidet, um sie einzumachen,
oder Eier, mit Pferdehaaren. (...)
Seit so langer Zeit ist demnach die Liebe zueinander
den Menschen eingeboren und sucht die alte Natur zurückzuführen und aus zweien eins zu machen und die
menschliche Schwäche zu heilen.
Jeder von uns ist demnach nur eine Halbmarke von
einem Menschen, weil wir zerschnitten, wie die Schollen, zwei aus einem geworden sind. Daher sucht denn
jeder beständig seine andere Hälfte. Soviele nun unter
den Männern ein Schnittstück von jener gemischten
Gattung sind, welche damals mannweiblich hieß, die
richten ihre Liebe auf die Weiber, und die meisten
Ehebrecher sind von dieser Art, und ebenso wiederum
die Weiber, welche mannsüchtig und zum Ehebruch
geneigt sind. Soviele aber von den Weibern ein Schnittstück von einem Weibe sind, die richten ihren Sinn
nur wenig auf die Männer, sondern wenden sich weit
mehr den Frauen zu, und die mit Weibern buhlenden
Weiber stammen von dieser Art. Die Männer endlich,
welche ein Stück von einem Mann sind, die gehen dem
Männlichen nach, und solange sie noch Knaben sind,
lieben sie, als Schnittstücke der männlichen Gattung,
die Männer und haben ihre Freude daran, neben den
Männern zu ruhen und von Männern umschlungen
zu werden, und es sind dies gerade die trefflichsten
von den Knaben und Jünglingen, weil sie die mannhaftesten von Natur sind. Manche nennen sie freilich
schamlos, aber mit Unrecht, denn nicht aus Schamlosigkeit tun sie dies, sondern aus mutigen, kühnem und
mannhaftem Geistestriebe, mit welchem sie dem ihnen
Ähnlichen in Liebe entgegenkommen. Ein Hauptbeweis
hierfür ist der, dass solche allein, wenn sie herangewachsen sind, Männer werden, die sich den Staatsgeschäften widmen. (...)
Wenn nun dabei einmal der liebende Teil auf seine
wirkliche andere Hälfte trifft, dann werden sie von
wunderbarer Freundschaft, Vertraulichkeit und Liebe
ergriffen und wollen, um es kurz zu sagen, auch
keinen Augenblick von einander lassen. (...)
Und so führt die Begierde und das Streben nach dem
Ganzen den Namen Liebe. Und vor Zeiten, wie gesagt,
waren wir eins; nun aber sind wir um unserer Ungerechtigkeit willen getrennt worden von dem Gott, wie
die Arkader von den Lakedaimoniern.
JOËL
POMMERAT
DiE WiEDEr
VErEiNiGUNG
DEr BEiDEN
KorEAS
aus: Platon, Symposion (Das Gastmahl), übersetzt von Franz Susemihl,
in: Platons Werke, Stuttgart 1855 (gekürzt und bearbeitet)
PREMIERE
25.9.2015
Staatstheater
Joël Pommerat
DIE WIEDERVEREINIGUNG DER BEIDEN
KOREAS
Deutsch von Isabelle Rivoal
Mit
Inszenierung
Raum und Kostüme
Musik
Dramaturgie
Regieassistenz und Abendspielleitung
Bühnenbildassistenz
Inspizienz
Souffleuse
Cino Djavid
Gertrud Kohl
Georg Mitterstieler
Christiane Motter
Klaus Müller-Beck
Saskia Petzold
Nina Schopka
Heiner Take
Christopher Haninger
Matthias Werner
Bo Wiget
Ursula Thinnes,
Bettina Schuster
Grigory Shklyar
Ina Reichert,
Nicole Martini
Christiane Groß
Christine Ast
Technischer Direktor Ralf Heid / Stellvertretender Leiter Beleuchtungsabteilung Friedrich Wirth / Leiter Tonabteilung Walter
Maurer / Leiter Kostümabteilung Markus Maas / Leiterin Maske
Birgit Blume / Leiter Requisite Peter Michael Bartosch
Bühneninspektor und stellvertretender technischer Direktor
Christoph Frank / Technische Einrichtung und Technische
Leitung AFW Dieter Elsenbast / Licht Hans-Jörg Zöhler /
Ton Kurt Trenz / Requisite Klaus-Dieter Einicke, Jasmina
Ouachemi / Maske Sabine Dillenseger-Waltner, Christin
Meißner / Gewandmeister Elisabeth Bitdinger, Christiane
Hepp, Bettina Kummrow / Ankleider Michael Heißler,
Sabrina Neukirch
Werkstättenleitung Peter Frenzel / Produktionsleiter Christian
Held / Dekorationsabteilung Christoph Foss / Malsaal Peter
Frenzel / Schlosserei Fabian Koppey / Schreinerei Armin Jost /
Leitung Statisterie Andreas Tangermann
Uraufführung: 17. Januar 2013, odéon Théâtre de
l’Europe, Paris
Zum Stück:
»Wir waren wie zwei Hälften, die sich verloren hatten und die sich
wiederfanden. Es war, als wenn Nordkorea und Südkorea ihre
Grenzen öffnen und sich wiedervereinigen würden, als wenn Leute,
die sich jahrelang nicht sehen durften, wieder zusammenkommen
würden.«
Joël Pommerat blättert ein so komisches wie trauriges
Kaleidoskop der Liebe in all ihren Spielarten auf: Eine
Frau trennt sich von ihrem Mann nach zwanzig Jahren,
weil sie ihn nie lieben konnte, eine andere erfährt an
ihrem Hochzeitstag, dass ihr Bräutigam mit all ihren
Schwestern ein Verhältnis hatte. Ein Lehrer muss sich
gegen den Vorwurf der Pädophilie verteidigen, einem
katholischen Priester gelingt es nicht, die Beziehung zu
einer Prostituierten zu lösen und ein Ehemann erklärt
geduldig jeden Tag aufs Neue seiner dementen Frau,
wer er ist … Es gibt keinen roten Faden als die Liebe und
unsere Vorstellung davon. Mit nur wenigen Sätzen spitzt
sich ein Konflikt zu, bis auf dem Spannungshöhepunkt
schon wieder die nächste Tragödie, die nächste Komödie
beginnen kann.
Premiere: 25. September 2015 in der Alten Feuerwache
Aufführungsdauer: ca. 2 Stunden, keine Pause
Aufführungsrechte: MERLIN VERLAG Bühnenvertrieb, Gifkendorf
iMPrESSUM
–
S P i E L Z E i T 20 1 5/ 20 16 :
HErAUSGEBEr:
Saarländisches Staatstheater GmbH – Dagmar
Schlingmann, Generalintendantin / Dr. Matthias Almstedt, Kaufmännischer
Direktor
rEDAK TioN:
picture GmbH
Ursula Thinnes
GrAFiK:
FoToS:
Björn Hickman, stage
Leis & Kuckert Grafikdesign
Es ist ein vermeintlich einfaches Thema, dessen sich
Pommerat hier angenommen hat: die Liebe. Gibt es etwas
Neues über die Liebe zu sagen? Was kann man schreiben
über ein Thema, zu dem scheinbar schon alles gesagt
wurde? Pommerat interessiert sich nicht für das, was alle
zu wissen glauben. ihm geht es um das rätselhafte, um
das Unaussprechliche von Anziehung, Lust und Verbundenheit, und so ist sein Stück voller Überraschungen,
hinterlistiger Geheimnisse und wankender Gewissheiten.
Der Autor:
Joël Pommerat – Écrivain du spectacle
1963 geboren, wurde Pommerat bereits mit 18 Jahren
Schauspieler und begann mit 23 Jahren regelmäßig zu
schreiben. 1990 wurde sein erstes Theaterstück uraufgeführt, im gleichen Jahr gründete er die Compagnie Louis
Brouillard, mit der er mittlerweile auf den großen internationalen Festivals zu Gast war, u. a. auch beim Festival
Perspectives in Saarbrücken. Auf Einladung Peter Brooks
war Pommerat Artist in residence an den legendären
Bouffes du Nord in Paris, und das Festival d’Avignon
widmete ihm 2006 eine Werkschau. Über zwanzig Stücke
hat er inzwischen für das Theater geschaffen, zahlreiche
Preise und Auszeichnungen erhalten, allein dreimal den
renommierten Prix Molière. Zwei seiner Stücke wurden
auch beim Festival Primeurs in der Alten Feuerwache
vorgestellt: 2007 »Die Händler« als Live-Hörspiel von Sr2
Kulturradio und 2010 »Kreise/Fiktionen« in einer Werkstattinszenierung mit dem Ensemble des Staatstheaters.
Für Pommerat ist das Schreiben keine einsame Tätigkeit
und seine Schauspieler sind mehr als nur interpreten
seiner Texte. Pommerat sieht sich als Schriftsteller der
Aufführung, als »écrivain du spectacle«, Schreiben und
inszenieren sind für ihn nicht zu trennen. Seine Tinte
sind die Schauspieler, sein Papier ist die Bühne. Pommerats Stücke entstehen im gegenseitigen Befeuern im
Team, gemeinsam mit den Darstellern, die er als Mitautoren versteht. in der Probenarbeit mit dem Ensemble wird
jede Skizze, jeder Satz szenisch überprüft, bevor der Dialog einer Szene endgültig fixiert wird. Pommerats Stücke
sind meisterhafte Partituren des menschlichen Lebens.
Mit wenigen einfachen Sätzen gelingt es ihm, Figuren zu
schaffen, die den Zuschauer nachhaltig beschäftigen.