Die jungen Wilden von Berlin Mit Offenheit für Neues, kreativen Ideen und Initiativen für Venture Capital – auch die lokale Volksbank mischt hier mit – hat sich Berlin zur europäischen Start-up-Metropole Nummer eins gemausert. Wie es dort abläuft und was wir daraus lernen können. Text: Hermann Fritzl Foto:istockphoto.com B erlin ist mit seinem lässigen Lebensgefühl die Welthauptstadt der Karibik. Dazu kommen Internationalität, Offenheit, Aufgeschlossenheit für Neues, Toleranz, ständiger Wandel, Experimentierfreude, eine lebendige Kunst- und Partyszene und niedrige Lebenshaltungskosten. Und auch das Unfertige, das Improvisierte, das Nicht-Gelingen-Wollen - wie das Beispiel des Berliner Flughafens zeigt -, gehören zum Geist der Stadt. „Wenn eine Stadt eine Kultur des Scheiterns erlaubt, dann ist es Berlin“, sagt Jürgen Allerkamp, der Chef der Investitionsbank Berlin. Diese einzigartige Mischung macht Berlin zu einem Magneten für Menschen aus der ganzen Welt, die sich der Faszination Start-up verschrieben haben - als Gründer, Mentoren, Investoren, Mitunternehmer, Business Angels, Mitarbeiter. Berlin ist ein renommierter Wissenschafts-und Forschungsstandort, die Stadt hat zusätzlich Rahmenbedingun36 cooperativ 4/15 „Auch Banker sind zunächst dumm und müssen lernen, wie die Szene funktioniert.“ - Andreas Laule, Berliner Volksbank gen und Gründernetzwerke geschaffen, die manche Kenner der Szene bereits von einem „Berlin Valley“ sprechen lassen, in Anspielung auf das kalifornische Silicon Valley. Denn in keiner anderen Stadt Europas fließt derzeit in Startups so viel Wagniskapital wie in Berlin. Banken mit Start-up-Initiativen Die Finanzinfrastruktur ist bereits vorhanden: Von den regionalen Banken wie der Berliner Volksbank, der Berliner Sparkasse oder der Weberbank wurden Gründerzentren geschaffen. Die Deutsche Bank hat eine eigene Startup-Unit gegründet, Förderungen laufen über die IBB oder die Bürgschaftsbank. Crowdfunding-Initiativen bieten alternative Finanzierungsmöglichkeiten, die Berliner Volksbank ist bei der Plattform Bergfürst beteiligt. Die Bank startete im Oktober auch eine eigene Venture-Capital-Gesellschaft. Insgesamt 20 Millionen Euro will sie in junge Unternehmen stecken. Pro Start-up hält die Bank zwischen 250.000 und einer Million Euro bereit. Auf bis zu vier Millionen könnte die Genossenschaftsbank ihr Investment aufstocken, heißt es. International „Wir wollen in Start-ups mit Digitalisierungsthemen investieren“, so Andreas Laule, Geschäftsführer der Wagniskapital-Gesellschaft. Dazu zählen für ihn auch Fintechs, also Software-Unternehmen, die als Bezahldienstleister oder Kreditvermittler Banken Konkurrenz machen wollen. Die Unternehmen müssten allerdings erste Umsätze erwirtschaften, bevor die Volksbank einsteige, sagt Laule. Für die Start-ups kann die Volksbank auf ein großes regionales Netzwerk im Mittelstand zurückgreifen - potentielle Kunden, denn viele KMU haben stark mit der Digitalisierung zu kämpfen. Für ihren Venture-Capital-Arm hat sich die Volksbank Unterstützung an Bord geholt: „Redstone Digital screent den Markt und übernimmt die Analyse“, erklärt Laule. Der Berliner Wagniskapitalgeber sei allerdings nicht an den Deals beteiligt. „Auf Direktbeteiligungen bezogen sind auch Banker zunächst dumm und müssen lernen, wie die Szene funktioniert“, sagt Laule. Zu Anfang habe die Bank die Renditeerwartungen runtergeschraubt: Sie würden deutlich unter denen klassischer VCs liegen. Abgesehen von dem Gewinn setze die Bank darauf, die Start-ups zu einem späteren Zeitpunkt als Kreditkunden zu gewinnen. Zalando zeigt, wie‘s geht Berlin jedenfalls wächst mit seinen Start-ups. In Sichtweite des Checkpoint Charlie wird 2016 mit dem „Rocket Tower“ Europas größter Start-up-Campus mit 22.000 Quadratmetern entstehen. Rocket Internet entwickelt als Inkubator Internetunternehmen, insbesondere in den Bereichen Online-Handel, Lebensmittellieferungen und Dienstleistungen. Der Börsengang im Herbst 2014 und eine anschließende Kapitalerhöhung brachten dem Konzern der Brüder Oliver, Marc und Alexander Samwer rund 2,2 Milliarden Euro. Die Samwer-Brüder haben das Ziel, zu den ganz großen Internet-Firmen zu werden und Amazon oder eBay Konkurrenz zu machen. Die Brüder investierten 2008 in zwei junge Männer, die in einem kleinen Büro in Berlin-Mitte eine Website betrieben, über der sie Schuhe verkauften, die sie im Keller lagerten. Die Pakete trugen sie eigenhändig zur Post. Heute beschäftigt Zalando 4.000 Mitarbeiter in Berlin und präsentierte eben den Entwurf für einen eigenen Bürokomplex, der ab Mitte 2018 Platz für 5.000 Mitarbeiter auf 100.000 Quadratmetern bieten soll. Viele Mitarbeiter der rund 2.000 Berliner Start-ups sind Freelancer. Äußerst populär sind daher Co-Working-Spaces, manche haben Kultstatus wie St. Oberholz oder das Kreuzberger Betahaus, das eine Mischung aus Wiener Caféhaus, Bibliothek, Home Office und Uni sein will. Die Beta-Philosophie: „Wertschöpfung findet an unterschiedlichen Orten, zu unterschiedlichen Zeiten, in wechselnden Teamkonstellationen und ohne feste Anstellung statt. Diese neue Form der Arbeit sucht ständig nach neuen realen und virtuellen Orten. Benötigt werden offene, digital vernetzte und kollaborative Arbeitsorte, die flexibel sind und als Inkubationsplattformen für Netzwerk, Innovation und Produktion dienen.“ Das Betahaus bietet aber auch traditionellen Unternehmen Freiraum für experimentelle Projekte, deren Durchführung im eigenen Haus oft nicht möglich ist. Spannend ist umgekehrt für Start-ups die Zusammenarbeitsmöglichkeit mit Großunternehmen, die Accelerator-Programme bieten wie etwa Axel Springer Plug & Play, Deutsche Bahn Mindbox, Microsoft Ventures, ProSiebenSat1-Accelerator. Gründer-Guru predigt Einfachheit Mit seiner „Teekampagne“ trat Günter Faltin schon 1985 den Beweis an, dass in der Einfachheit die höchste Vollendung liegt - auch für Unternehmen. Der Berliner Entrepreneurship-Professor, der seinen Studenten anhand eines konkreten Beispiels zeigen wollte, wie Unternehmensgründung funktioniert, spezialisierte sich auf Darjeeling-Tee und bietet nur diese eine Sorte in Großpackungen an. Durch die großen Abnahmemengen kann die „Teekampagne“ den Zwischenhandel umgehen und so Kosten einsparen, die sich beim Produktpreis bemerkbar machen. So hat die „Teekampagne“ nicht nur den tradierten Teehandel angegriffen und ist zum größten Darjeeling-Importeur weltweit geworden, sondern hat auch bei anderen Geschäftsansätzen Pate gestanden, die das Modell übernommen haben. Im Jahr eins der Finanzkrise, also 2008, hat Faltin seine Erfahrungen und Erkenntnisse als Unternehmer unter dem Titel „Kopf schlägt Kapital“ publiziert, mittlerweile ein Kultbuch. Faltin: „ Wir leben im 21.Jahrhundert. Die Institutionen der Gründerberatung stammen aus dem 20.Jahrhundert. Die Vorstellungen, wie man gründet, noch aus dem 19.Jahrhundert.“ Faltins Stiftung Entrepreneurship, hat es sich zur Aufgabe gemacht hat, konzept-kreatives Gründen bekannt zu machen. Hierzu haben der ehemalige Hochschullehrer und sein Team ein Trainingsprogramm entwickelt, das aus jedem motivierten Menschen mit einer Idee einen wahren Gründer machen kann - den Entrepreneurship Campus als virtuelle Community mit einer jährlichen Präsenzphase in Form des Entrepreneurship Summit. Mit rund 1.500 Teilnehmern und 150 Referenten zählt das Event zu den größten Gründerveranstaltungen in Europa. Faltin: „Was Sie als Gründer wirklich brauchen, ist ein durchdachtes und ausgereiftes Konzept. Einfälle und Ideen gibt es viele, gute Gründungskonzepte dagegen sind ausgesprochen rar.“ Faltin empfiehlt, aus vorhandenen Komponenten zu gründen, statt alles selbst aufzubauen. „Die Aufgabe des Gründers besteht darin, erstens ein Konzept, das aus Komponenten zusammengestellt werden kann, auszudenken, zweitens, die Partner zu finden, die diese Komponenten professionell anbieten und drittens, das Zusammenspiel der Komponenten zu koordinieren und zu kontrollieren. Es sind fast keine Investitionen mehr erforderlich. Kopf schlägt Kapital.“ cooperativ 4/15 37
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