Recycling ist gut! Mehr Recycling ist besser! Oder? Prof. Dr. Rainer Bunge UMTEC / Fachgruppe Rohstoffe und Verfahrenstechnik Ein Ausflug… …in das Grenzgebiet zwischen Ökologie und Ökonomie. 2 Ökobilanzen: Quantifizierung des ökologischen Schadens Beispiel Aluminiumherstellung 1 kg Aluminum aus Erz: 14'100 UBP Abbau Erzmine 2900 UBP Transport 53 UBP 67 UBP Transport Raffinerie 3310 UBP 5240 UBP Schmelze Alu Barren Deponie 2530 UBP Das Aluminiumrecycling verursacht nur etwa halb so viel Umweltbelastung wie die Alugewinnung aus Erz. 3 Zum Vergleich… Ein Schweizer mit durchschnittlichem Lebensstil verursacht ca. 1 Mio. UBP pro Monat. Dies entspricht: Aluminum aus Erz 71 kg Aluminium aus Recycling 146 kg Papier 80g/m2 60’000 Blatt Papier A4 Recyclingpapier 80g/m2 200’000 Blatt Papier A4 Fahrt mit einem durchschnittlichen Auto 2’300 km Bahnfahrt mit der SBB (1 Person) Rindfleisch 32’800 km 23 kg Kartoffeln 1’400 kg Elektrizität (Schweizer Strommix) 4’000 kWh Heizöl 870 kg Gold 10 g 4 Aufwand und Ertrag Beispiel Computerschrott Die Aufbereitung von Elektronikschrott geschieht im wesentlichen in zwei Stufen: Zerkleinerung (um die Wertstoffe «aufzuschliessen») Sortierung in verschiedene Wertstoffgruppen (Stahl, Kupfer, Aluminium…) Kosten: Energie, Maschinen, Löhne… Erlöse: Verkauf der Wertstoffkonzentrate Je mehr Wertstoff man aus dem Schrott extrahiert, umso: höher ist der Erlös umso grösser ist der Aufwand 5 Kosten, Erlöse und Gewinn… Gewinn = Erlös - Kosten SFr. Kosten Erlös maximaler Gewinn Rückgewinnungsgrad Wertstoffe 100 % Die Erlöse steigen proportional zum Rückgewinnungsgrad, die Kosten aber überproportional. Das wirtschaftliche Optimum liegt bei dem Rückgewinnungsgrad, bei dem der Gewinn maximal ist. 6 Zwischenbilanz wirtschaftliche Perspektive Eine rein betriebswirtschaftlich optimierte Aufbereitung eines Computers bestünde aus einer Grobzerkleinerung mit anschliessender Handauslese der Festplatten, der Platinen und der groben Metallteile. Der Rest würde in die KVA entsorgt. Bei dieser «Rosinenpickerei» würden allerdings nur rund 60% der Wertstoffe zurückgewonnen. Der Rest ginge verloren. Damit dieser Rest auch recyclet wird, muss das Elektronikschrottrecycling durch vorgezogene Entsorgungsabgaben unterstützt werden. Allerdings steigen die spezifischen Kosten mit höheren Rückgewinnungsgraden an. Und selbst bei dem nahezu perfekten Elektronikschrottrecycling in der Schweiz verbleiben noch Wertstoffe in der Abfallfraktion (ca. 10%). Zwischenbilanz: 100% Recycling ist unbezahlbar! 7 Der Öko – Fundi… Geld spielt keine Rolle! Angenommen dass Geld tatsächlich keine Rolle spielte. Welchen Extraktionsgrad sollte man zwecks ökologischer Optimierung anstreben? 8 Umweltbelastung durch Herstellung in UBP/kg Verkaufspreis vs. Umweltschädigung Metalle und mineralische Rohstoffe 1'000'000'000 Lebensmittel 1'000'000 10'000'000 1'000'000 100'000 100'000 10'000 1'000 10'000 100 10 0.01 Elektro(nik)produkte 1'000'000 1'000 Umweltbelastung durch Herstellung in UBP/kg Umweltbelastung durch Herstellung in UBP/kg 100'000'000 100'000 10'000 1 100 Verkaufspreis in SFr./kg 100 1 10000 10 100 1'000 Verkaufspreis in SFr./kg 10 100 Verkaufspreis in SFr./kg 1'000 Faustregel: je aufwändiger die Herstellung eines Produktes, um so teurer ist dessen Verkaufspreis und um so mehr Umweltschaden wurde bei der Produktion erzeugt. Also teuer=umweltschädlich! 9 Umweltbelastungspunkte …viel Recycling ist besser! Gewinn = Ertrag - Aufwand ökologischer Ertrag maximaler ökologischer Gewinn ökolog. Aufwand Rückgewinnungsgrad Wertstoffe 100% Der ökologische Ertrag pro kg extrahiertem Wertstoff steigt proportional zum ansteigenden Rückgewinnungsgrad. Der ökologische Aufwand steigt allerdings überproportional an, denn je kg extrahiertem Metall müssen immer mehr Energie und Chemikalien eingesetzt werden. Das ökologische Optimum liegt bei dem Rückgewinnungsgrad, bei dem der ökologische Gewinn maximal ist. 10 …aber zu viel Recycling ist doof! Bei höheren Rückgewinnungsgraden als dem ökologischen Optimum ist das Recycling weniger gut als die Gewinnung des Wertstoffe aus den Primärrohstoffen (und damit ökologisch unsinnig). 100% 11 SFr.; UBP …und so geht es richtig! maximaler wirtschaftlicher Gewinn maximaler ökologischer Gewinn «Unterstützung» Rückgewinnungsgrad Wertstoffe 100 % Die «Unterstützung» ist eine Vergütung zusätzlich zum Metallerlös, welche den Recycler dazu bewegt mehr Metall zu extrahieren, als durch den Metallerlös allein gerechtfertigt wäre (z.B. VRG). 12 Auch Geld ist eine «limitierte Ressource»! Die bisherigen Betrachtungen zielten auf die interne Optimierung eines Recyclingsystems ab (z.B. anstreben der ökologisch optimalen Aufarbeitungstiefe bei Elektronikschrottkomponenten). Wenn beliebig viel Geld für Umweltmassnahmen zur Verfügung stünde, könnte man jede Massnahme zum Nutzen der Umwelt einzeln optimieren – auch falls diese Massnahme im Vergleich mit anderen Umweltmassnahmen ineffizient ist. In der Realität ist allerdings der für die Umweltbranche verfügbare finanzielle Betrag limitiert, denn die hier aufgewendeten Mittel konkurrieren mit anderen legitimen Zielen, z.B. Verbesserungen im Gesundheitssystem, in der Ausbildung, bei der inneren Sicherheit, Unterstützung der Sozialwerke usw. usw. Daher prioritär Umweltmassnahmen Kosten/Nutzen-Effizienz anzustreben. Kosten mit einer möglichst Nutzen 13 guten hoch billig aber schlecht vs. teuer aber gut Teuer und minimaler Nutzen für die Umwelt: wird sowieso nicht gemacht! Kosten Separatsammlung Kugelschreiberminen Ökologisch besser aber teuer! Stoffliche Verwertung: Kunststoff-Recycling Thermische Verwertung: Kunststoffe in Kehrichtverbrennung tief Ökologisch schlechter aber billig! Billig und grosser Nutzen für die Umwelt: wird sowieso gemacht! Goldrecycling tief hoch Nutzen für die Umwelt Heikel ist der gelbe Bereich zwischen «ökologisch gut aber teuer» und «ökologisch schlecht aber billig». Status Quo: Entscheid aufgrund Lobbying entlang politischen Leitplanken. 14 Vier Massnahmen in Vergleich: Welche ist am effizientesten? Mehrausgaben in SFr. C B A,B A C D D 1 Mio. Umweltnutzen: vermiedene UBP Kosten/Nutzen-Effizienz: D besser als A = B besser als C 15 Kosten Logistik+ Behandlung in SFr. pro Tonne Kosten vs. Mengen Nespressokapseln Batterien Alu PET Elektro Weissblech Hauskehricht Glas Papier Bauabfälle Tonnen pro Jahr Bei der Separatsammlung kleiner Mengen explodieren die Logistikkosten! 16 Showdown! Welche der folgenden Separatsammlungen ist am effizientesten? Berücksichtigt wurden folgende sechs Recyclingsysteme: • Elektro(nik) • Glas • Batterien • PET • Alu • Weissblechdosen Basis: 1. Eingesparte UBP gemäss Leistungsbericht 2015 Swiss Recycling 2. Aufgewendete SFr. gemäss Jahresberichten der Mitglieder Swiss Recycling 17 Kosten/Nutzen-Effizienz von Schweizer Separatsammlunssystemen Recycling 5 Recycling 3 Recycling 2 Recycling 4 Recycling 1 Recycling 6 0 200 400 600 800 ausgegebene SFr. pro 1 Mio eingesparte Umweltbelastungspunkte Die Effizienz streut zwischen rund 50 SFr./1 Mio. eingesparte UBP und 700 SFr./1 Mio. eingesparte UBP. 18 Fazit 100% Recycling ist unbezahlbar, denn die Grenzkosten zur «Rettung» je kg Wertstoff steigen mit zunehmendem Rückgewinnungsgrad exponentiell an. 100% Recycling ist ökologisch unsinnig, da schlechter als die Bereitstellung des Wertstoffes aus Primärrohstoffen. Die Unterstützung des Recycling sollte so hoch sein, dass sich das wirtschaftliche Optimum mit dem ökologischen Optimum deckt. Die Kosten für ein Recyclingsystem steigen bei kleinen Abfallmengen rasant an, denn die Logistikkosten werden viel höher als die Aufbereitungskosten. Beim Entscheid, ob eine Umweltmassnahme umgesetzt werden sollte oder nicht, ist die Kosten/Nutzen-Effizienz zu berücksichtigen (SFr. pro eingesparten UBP). 19
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