T R E F F P U N K T FO R SC H U N G | C H RO N O B I O LO G I E | Paradigmenwechsel im Verständnis der inneren Uhr Der 24-Stunden-Takt, der uns aufgrund der Erdrotation aufgezwungen wird, spiegelt sich in körpereigenen Rhythmen wie dem regelmäßigen Wechsel von Schlafen und Wachsein oder der tagesperiodischen Veränderung der Körpertemperatur, des Blutdrucks und der Ausschüttung von Hormonen wider. Diese Tagesrhythmen werden nicht direkt durch die Umwelt gesteuert: Wir besitzen ein endogenes Zeitmesssystem, das einen Rhythmus von etwa 24 Stunden erzeugen und aufrechterhalten kann. Im Gegensatz zu früheren Annahmen scheint es zur Steuerung dieser inneren Rhythmen nicht einen zentralen Schrittmacher zu geben, sondern vielmehr einen Dirigenten, der ein Orchester aus individuellen Uhren in verschiedenen Körperteilen im Takt hält. Grundlage der biologischen Zeitmessung ist die selbsterregte Schwingung von Proteinen, die im 24-StundenTakt ihre eigenen Gene an- und abschalten. Die im Tagesverlauf oszillierende Konzentration der „Uhrproteine“, genauer gesagt, die Phase der Oszillation bestimmt die körpereigene Zeit. Damit die innere Uhr im Takt mit der Außenwelt schlägt, wird sie mit Hilfe der Information über die Lichtverhältnisse jeden Tag auf exakt 24 Stunden eingestellt. Eine charakteristische Eigenschaft der inneren Rhythmik ist, dass sie auch in kon- ABB. 1 H I E R A RC H I S C H E S S YS T E M I N N E R E R U H R E N Licht Nahrungsaufnahme SCN des ale Sign Sign ale des SCN SCN Leber Niere rhythmische Körperfunktionen 76 | Biol. Unserer Zeit | 35. Jahrgang 2005 Nr. 2 | stantem Licht oder konstanter Dunkelheit fortbesteht; einzig die Periode der Oszillationen weicht etwas von den 24 Stunden im Tag-Nacht-Wechsel ab. Das Steuerzentrum der inneren Uhr ist im suprachiasmatischen Nukleus (SCN) im Hypothalamus lokalisiert, dessen Zellen über solche molekularen Oszillatoren verfügen. Man kann die Kontrollelemente, die für die rhythmische Produktion der „Uhrproteine“ verantwortlich sind, mit dem Reporterprotein Luciferase kombinieren, das bei der Umsetzung des Substrats Luciferin Licht aussendet. Anhand dieser „Digitalanzeige“ lassen sich die Oszillationen im intakten Gewebe verfolgen, ohne dass für die molekulare Analyse der „Uhrproteine“ selbst für jeden Zeitpunkt ein Tier nötig wäre. Es wurde gezeigt, dass die Oszillationen in einzelnen SCN-Neuronen über viele Tage bestehen blieben. Interessanterweise fand man in den meisten Körperorganen ebenfalls eine Rhythmik der Luciferase-Reporterkonstrukte, was darauf schließen ließ, dass die Organe ebenfalls über Uhren verfügen. Entnahm man Gewebeproben aus peripheren Organen und kultivierte sie in einem synthetischen Medium weiter, entzog sie also dem Einfluss des SCN, verschwand die Rhythmik nach und nach, die Uhren hörten also nach kurzer Zeit scheinbar auf zu ticken. Bisher ging man deshalb von einem hierarchischen System aus: Die „Hauptuhr“, der Master-Oszillator, im SCN diktiert den Nebenuhren den Takt (Abbildung 1). Diese Nebenuhren regulieren ihrerseits die Körperrhythmen, beispielsweise die Produktion von Verdauungsenzymen oder die Synthese von Hormonen. Man konnte allerdings nicht feststellen, ob die peripheren Organe tatsächlich nicht in der Lage waren, die Rhythmen über einen längeren Zeitraum aufrechtzuerhalten oder ob die Oszillationen in den einzelnen Zellen mit der Zeit so auseinanderdriften, dass sie sich gegenseitig auslöschen. Mittels eines Reportersystems, das das Luciferaseprotein in die natürliche Umgebung des Uhrproteins PERIOD2 der Maus einbaute und damit auch Effekte auf das Protein erfasst, die nicht durch die Kontrollelemente des Gens gesteuert werden, gelang nun der Nachweis, dass in einzelnen Zellen isolierter Organe die Oszillation der Uhrproteine über mehrere Wochen aufrechterhalten wird [4]. Noch bemerkenswerter war die Beobachtung, dass die Oszillation der Uhrproteine auch in peripheren Organen Bestand hatte, die aus Tieren isoliert worden waren, denen der SCN entnommen worden war und die daher arhythmisch waren. Die Phasen der Oszillationen in den einzelnen Organen wichen jedoch stark voneinander ab, die Uhren in Leber oder Niere oder Lunge tickten also nicht mehr synchron miteinander. Diese Ergebnisse legten den Schluss nahe, dass der SCN nicht als Schrittmacher funktioniert, sondern als Dirigent eines Orchesters aus individuellen Uhren in verschiedenen Körperteilen, der dafür sorgt, dass alle Uhren im Takt bleiben [4]. Einen endgültigen Beweis, dass die Oszillation der Uhrproteine in peripheren Körperzellen so stabil ist wie die in Zellen des SCN, erbrachte kürzlich die Arbeitsgruppe von Ueli Schibler. Die Forscher hatten vor einiger Zeit die Beobachtung gemacht, dass in Fibroblasten-Zellkulturen eine Oszillation der Uhrproteine auftritt, wenn man die Zellen mit Serum behandelt [1]. Dieses System wurde ge- | nutzt, um das Ticken der Uhr in individuellen Zellen anhand von oszillierenden Reporterproteinen zu verfolgen. Dabei wies die Fibroblasten-Zellkultur insgesamt kaum eine rhythmische Aktivität der Reporterproteine auf (Abbildung 2). Auf Einzelzellebene wurde eine Oszillation der Reporterproteine beobachtet. Ihre Phase war jedoch in individuellen Zellen sehr verschieden, so dass in der gesamten Zellkultur kaum eine Rhythmik zu messen war: Nach der Behandlung mit Serum oszillierten die einzelnen Zellen in Phase, so dass als Nettoeffekt eine Addition der einzelnen Oszillationen und damit eine Oszillation der gesamten Zellkultur nachzuweisen war [2]. Unterstützt werden diese Resultate durch Experimente mit Fibroblasten-Zellkulturen, die aus den bereits erwähnten transgenen Mäusen mit dem PERIOD2-Luciferase-Reporterprotein gewonnen wurden [3]. Etwa zehn Tage nach der Behandlung mit Serum verschwindet die rhythmische Luciferase-Aktivität der Zellkultur. In den einzelnen Zellen oszilliert die Luciferase-Aktivität dabei weiter, während die Phasen mit der Zeit auseinander driften. Jede FibroblastenZelle ist also mit einer Uhr ausgestattet, die so beständig tickt wie die Uhr einer SCN-Zelle. Lediglich der Einfluss der Zellen auf Nachbarzellen scheint nicht so groß zu sein wie bei Zellen des SCN: eine intensive Kommunikation der SCN-Zellen erhöht die Genauigkeit ihrer Uhren. Was bedeuten diese Resultate für das Verständnis der Zeitmessung im intakten Organismus? Die Uhren in peripheren Organen sind weit unabhängiger als zuvor angenommen. Der SCN ist nicht erforderlich, um die Rhythmen aufrecht zu erhalten, sondern um die Uhren zu synchronisieren. Nur die Uhr im SCN wird direkt mit der Außenwelt synchronisiert. Dazu wird Licht vom Auge wahrgenommen und die Information an den SCN weitergeleitet, wo sie dechiffriert wird. Die Phase der SCN-Uhr wird an die Phase des Tag-NachtRhythmus angepasst. Die SCN-Uhr sendet dann Signale aus, die die Uhren in den einzelnen Organen einstellen. Die geringe Interaktion zwischen den Uhren in den Zellen der Organe könnte tatsächlich eine gewisse Flexibilität bedeuten. Die Hauptfunktion der Uhren in peripheren Organen scheint in der Antizipation von Nahrungsaufnahme und der Steuerung der Nahrungsverarbeitung zu bestehen. Entsprechend können die Uhren unabhängig vom SCN durch Nahrungsaufnahme eingestellt werden, um auf variierende Essenszeiten zu reagieren. Die Einzelzellstudien deckten ferner auf, dass die Synchronisierung von Körperfunktionen durch innere Uhren noch weitreichendere Konsequenzen hat [2]. Die Oszillationen der Uhrenproteine in Fibroblasten werden bei der Zellteilung an die Tochterzellen weitergegeben. Außerdem findet die Cytokinese, die Trennung der Tochterzellen, nur zu einer bestimmten Zeit statt. Die Ergebnisse bieten eine Erklärung, warum eine Störung der inneren Uhr beispielsweise in Mäusen mit defektem PERIOD2 Gen zu abnormaler Zellproliferation und zur Entstehung von Krebs führen kann. Dorothee Staiger, Bielefeld DIE INNERE UHR ABB. 2 T R E F F P U N K T FO R SC H U N G OS Z I L L AT I O N E I N E S U H R PROT E I N S I N F I B RO B L A S T E N Zellkultur Einzelzellen Bestimmung der Aktivität des Reporters für ein Uhrprotein durch Messung seiner Lumineszenz in einer FibroblastenZellkultur vor (links) und nach Behandlung mit Serum (rechts). Im unteren Teil ist die Aktivität in drei einzelnen Zellen dargestellt, im oberen Teil der Nettoeffekt, der in der ganzen Kultur zu messen ist. [1] A. Balsalobre, F. Damiola, U. Schibler, Cell 1998, 93, 929-937. [2] E. Nagoshi, C. Saini, C. Bauer et al., Cell 2004, 119, 693-705. [3] D. K. Welsh, S. H. Yoo, A. C. Liu et al., Curr. Biol. 2004, 14, 2289-2295. [4] S. H. Yoo, S. Yamazaki, P. L. Lowrey et al., Proc. Natl. Acad. Sci. USA 2004, 101, 5339-5346. | Innere Uhren sind bei vielzelligen Organismen weit verbreitet und im Erbgut verankert. Die innere Uhr erzeugt einen Rhythmus von etwa 24 Stunden, mit dem alle tagesperiodisch ablaufenden Vorgänge im Körper gesteuert werden. Grundlage der inneren Uhr ist die rhythmische Produktion von „Uhrproteinen”: „Uhrgene“ werden zu einer bestimmten Tageszeit abgelesen, d.h. in mRNA überschrieben. Die mRNA wird in Uhrproteine übersetzt. Erreicht die Konzentration dieser Proteine in der Zelle einen bestimmten oberen Schwellenwert, hemmen sie das Ablesen ihrer Gene und verhindern so einen weiteren Anstieg. Aufgrund der begrenzten Lebensdauer der Uhrproteine sinkt ihre Konzentration wieder. Unterschreitet sie einen bestimmten unteren Schwellenwert, wird die Repression der Gene aufgehoben, und der Zyklus kann wieder beginnen. Vielfältige Regulationsmechanismen sorgen dafür, dass dieser Zyklus 24 Stunden dauert. Ein Beispiel dafür ist die Kontrolle, zu welchem Zeitpunkt die Uhrproteine vom Ort ihrer Synthese im Cytoplasma in den Zellkern transportiert werden, damit sie ihre hemmende Wirkung auf die Uhrgene ausüben können. Die im 24-Stunden-Takt produzierten Uhrproteine regulieren andere Gene und Proteine in der Zelle, so dass diese ebenfalls tageszeitabhängig produziert werden. Die innere Uhr muss jeden Tag eingestellt werden, damit sie im Takt mit der Umgebung schlägt. Der Licht-DunkelWechsel ist dabei der wichtigste Zeitgeber. Tickt die innere Uhr in einer künstlichen Umgebung mit andauernder Beleuchtung oder andauernder Dunkelheit, folgt sie ihrem eigenen Takt: Ihre Periode, d.h. der Abstand zwischen zwei Maxima oder zwei Minima des Rhythmus, liegt zwischen etwa 21 und 28 Stunden. In der realen Welt wird die innere Uhr auf exakt 24 Stunden eingestellt. Dazu registrieren die Organismen, wann die Sonne aufgeht und untergeht. Auch andere periodisch sich verändernde Faktoren wie beispielsweise Temperaturzyklen können die innere Uhr einstellen. In höheren geographischen Breiten, in denen es im Sommer kaum dunkel wird, spielen periodische Temperaturveränderungen eine wichtige Rolle. Nr. 2 35. Jahrgang 2005 | | Biol. Unserer Zeit | 77
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