PDF der Predigt

Predigt von Pfarrer Guido Quinkert am 12. Sonntag nach Trinitatis,
den 23. August 2015 im Gemeindezentrum Fulerum
„Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen –
deine Altäre, HERR Zebaoth,
mein König und mein Gott.“
Psalm 84,4
Wenn es Abend wird und alles getan ist, liebe Gemeinde, dann kehren
wir wieder zurück nach Hause. Ein langer ruhiger Strom von Autos
bewegt sich über die A 40, die einen fahren in östlicher, die anderen in
westlicher Richtung, aber alle (fast alle) haben das gleiche Ziel: sie
fahren nach Hause.
Es ist ganz egal, ob sie nach Bochum oder an den Niederrhein fahren so
wie ich, alle freuen sich, in ihre eigenen vier Wände zurück zu kommen,
zu den Menschen oder den Haustieren, die zusammen mit ihnen
wohnen, an den eigenen Herd, an dem sie sich vielleicht noch etwas
kochen werden oder vielleicht ist der Tisch schon gedeckt mit Brot und
Wein und Wurst und Käse.
Am Abend kehren wir alle zurück in unsre vertraute Umgebung. Alles in
unserem Haus und im Garten ist uns wohlbekannt, und es scheint, als
ob nicht nur die Menschen und Tiere, sondern auch die Dinge uns
kennen und uns willkommen heißen, wenn wir heimkehren.
Im Licht der untergehenden Sonne erhält alles einen freundlichen Glanz.
Die abendliche Rückkehr nach Hause hat etwas Uraltes und Mythisches.
Immer sind Menschen am Abend zurückgekehrt an den heimischen
Herd.
Tagsüber haben sie gesät und geerntet, gejagt und gekämpft, gekauft
und verkauft, gelernt und gelehrt – am Abend aber lassen sie die
äußeren Dinge liegen und kehren zurück in das Innere ihrer Häuser.
Wir kehren zurück zu uns, wir kommen wieder bei uns selber an, wir
gelangen wieder an den Ort, an dem wir nicht nur Mensch sein dürfen,
sondern ganz in unsrem ureigenen Wesen.
Die abendlichen Lampen in unseren Wohnungen erleuchten auch unser
Inneres und unser Herz.
Hanns Dieter Hüsch hat ein wunderschönes Abendlied gedichtet, das
wie kein anderes, das ich kenne, beschreibt, wie, wenn es dunkel wird,
alle Lebewesen heimkehren an ihren vertrauten Ort und zu sich.
Die letzte Strophe des Gedichtes steht auch auf der Hüsch-Stele auf
dem Hanns Dieter Hüsch Platz in Moers:
Schmetterling kommt nach Haus
Kleiner Bär kommt nach Haus
Känguruh kommt nach Haus
Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Kabeljau schwimmt nach Haus
Elefant läuft nach Haus
Ameise rast nach Haus
Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Fuchs und Gans kommen nach Haus
Katz und Maus kommen nach Haus
Mann und Frau kommen nach Haus
Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Alles schläft und alles wacht
Alles weint und alles lacht
Alles schweigt und alles spricht
Alles weiß man leider nicht
Alles schreit und alles lauscht
Alles träumt und alles tauscht
Sich im Leben wieder aus
Es sitzt schon der Abend auf unserem Haus
Schmetterling fliegt nach Haus
Wildes Pferd springt nach Haus
Altes Kind kommt nach Haus
Die Lampen leuchten – der Tag ist aus
Wenn es Abend wird und alles getan ist, liebe Gemeinde, dann kehren
wir alle – Schmetterling, wildes Pferd und altes Kind – wieder nach
Hause zurück.
Unsere innere Kompassnadel ist heimwärts gerichtet: wir können es gar
nicht erwarten, dass wir wieder bei unseren Lieben sind, bei Mann oder
Frau, Kindern, Hunden und Katzen.
Wir freuen uns darauf, wieder bei uns selbst anzukommen und unsere
innere Mitte wiederzufinden.
Statt nach der Unruhe unsrer Arbeit uns in neue Aufregungen zu
stürzen, sollten wir lieber noch einen ruhigen Spaziergang durch die
friedliche Natur machen. Wenn der Stern des Abends still leuchtet, dann
fällt es uns auch leichter, die Nähe Gottes zu spüren.
Oder wir gehen einer stillen Beschäftigung zu Hause nach. Besser als
immer lauteres und schrilleres ‚Home Entertainment’ ist es, in aller Ruhe
auf dem Sofa ein Buch zu lesen, am Wohnzimmertisch ein Brettspiel
zusammen zu spielen oder in seinem stillen Kämmerlein noch eine halbe
Stunde zu meditieren.
Dann finden wir wie von selbst zu uns selbst zurück und kehren heim in
unser wahres Wesen.
Dann sprechen wir auch wie von selbst mit den Emmausjüngern:
„Herr, bleibe bei uns, denn es will Abend werden und der Tag hat sich
geneigt.“
Oder wir sprechen von ganz alleine die Worte Gerhard Tersteegens –
des neben Hanns Dieter Hüsch anderen großen gebürtigen Moersers:
Nun sich der Tag geendet,
mein Herz zu dir sich wendet
und danket inniglich;
dein holdes Angesichte
zum Segen auf mich richte,
erleuchte und entzünde mich.
Ich schließe mich aufs Neue
in deine Vatertreue
und Schutz und Herze ein;
die irdischen Geschäfte
und alle finstern Kräfte
vertreibe durch dein Nahesein.
Dass du mich stets umgibest,
dass du mich herzlich liebest
und rufst zu dir hinein,
dass du vergnügst alleine
so wesentlich, so reine,
lass früh und spät mir wichtig sein.
Ein Tag, der sagt dem andern,
mein Leben sei ein Wandern
zur großen Ewigkeit. O Ewigkeit, so schöne,
mein Herz an dich gewöhne,
mein Heim ist nicht in dieser Zeit.
Ja, auch das, liebe Gemeinde: Mein Heim ist nicht in dieser Zeit!
Der Abend ist auch die Zeit, uns daran zu erinnern, dass – wie schön
und gemütlich unser Heim auch sein mag – unser wahres Zuhause
niemals in dieser Zeit liegt, sondern immer in der großen Ewigkeit
Gottes. Letztlich sind wir nur zu Hause in unserem tiefen Selbst, sind
geschützt und geborgen in unserer göttlichen Mitte, der nichts und
niemand etwas anhaben kann.
Deshalb: Auch wenn wir uns freuen, wenn wir abends in östlicher oder
westlicher Richtung über die A 40 nach Hause fahren, dass wir heim zu
unseren Lieben und in unsere vertraute Umgebung kommen – wir dürfen
nicht vergessen, dass unser wahres Zuhause in uns selber liegt, in
unserem wahren Wesen, das eins ist mit dem All und mit Gott.
In der Stille des Abends – bei einem Spaziergang oder einer ruhigen
Beschäftigung in unserem Wohnzimmer – können wir es erahnen und
spüren, wir können darauf horchen und es schauen.
„Der Vogel hat ein Haus gefunden
und die Schwalbe ein Nest für ihre Jungen –
deine Altäre, HERR Zebaoth,
mein König und mein Gott.“
Psalm 84,4
Und der Friede Gottes, …