Bitte analysieren und vergleichen Sie die beiden

PD Dr. Alex Zepter – Universität zu Köln – Philosophische Fakultät – Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
Master BM 1: Vorbereitung auf das Praxissemester – WS 2015/16
Bitte analysieren und vergleichen Sie die beiden Textproduktionen des türkischstämmigen Schülers Koray (8,3 Jahre, 3. Klasse), entstanden in einer Ferienschule in der Gemeinschaftsgrundschule
an St. Theresia in Köln, Herbst 2014.
1. Schreibresultat im Anschluss an die Lektüre des Bilderbuchs „Für Hund und Katz ist auch
noch Platz“ und die Bildbetrachtung (Abb.2).
Die Hexe sucht ihren Hut.
Die Hexe findet nicht sein Hut.
Die Hexe kommt nicht weiter.
Da ist ein Vulkan.
Sie fliegt über den Vulkan.
Der Hut ist im Vulkan.
Die Hexe fliegt in den Vulkan. Das ist so heiß, dass der Besen kaputt geht. Die Hexe fällt in den Vulkan. (Orthographie bereinigt)
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PD Dr. Alex Zepter – Universität zu Köln – Philosophische Fakultät – Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
Master BM 1: Vorbereitung auf das Praxissemester – WS 2015/16
2. Schreibresultat im Anschluss an die ausführliche Betrachtung des „Höhepunktbildes“
(Abb.3) und einem szenischen Spiel in der Kleingruppe (6 Kinder)
Die Hexe
Es war einmal eine liebe Hexe. Sie fliegt über den Fluss. Sie verliert ihren Zauberstab, weil sie den
Zopf halten muss. Es ist so windig, dass sie auf den Berg stoßen. Es war windiger und der Zauberstab ist mitgeflogen. Dann ist der Zauberstab fliegt auf den Berg [auf den Berg [ge]fliegt/geflogen].
(Orthographie bereinigt)
Leitfragen für die Analyse und den Vergleich:
1. Welche Texthandlungen und Textprozeduren finden sich auf inhaltlich-literarischer Ebene
und auf textuell-grammatischer Ebene? Was lässt auf die Anbahnung von Kompetenzen im
bildungssprachlichen Register schließen?
2. Auf welcher Stufe im Entwicklungsmodell von Augst et al. würden Sie die beiden Texte jeweils einordnen?
3. Welche Rolle hat Koray vermutlich im szenischen Spiel zum Höhepunktbild eingenommen?
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PD Dr. Alex Zepter – Universität zu Köln – Philosophische Fakultät – Institut für Deutsche Sprache und Literatur II
Master BM 1: Vorbereitung auf das Praxissemester – WS 2015/16
Kriterien für die Analyse von Kindertexten – Texthandlungstyp Erzählen
 Wie hat sich das Kind zu der Schreibaufgabe verhalten (motiviert, zögerlich, unwillig …)?
Inhaltlich-literarische Ebene, Texthandlungen und Textprozeduren:
 Makrostruktur (Einleitung, Hauptteil, Schluss) erkennbar? (Passende) formelhafte Erzählindikatoren bzw. Einstiegs- und Ausstiegsprozeduren?
 (Passende) Überschrift gewählt?
 Erzählwürdigkeit (reportability) beachtet?
 Planbruch (Plötzlichkeit) erkennbar? Spannungsbogen, Ereignischarakter erkennbar? Nur
inhaltlich oder auch sprachlich umgesetzt?
 Pointe erkennbar? Nur inhaltlich oder auch sprachlich umgesetzt?
 Haben Heldinnen/Helden/Orte einen Namen (Personalisierung)?
 Werden Gefühle beschrieben, Emotionen geschildert (psychologische Valenz, emotionale
Qualifizierung)?
 Direkte Rede eingespeist?
 Witzige Einfälle/Ideen?
 Wortschatz (nicht-alltägliche Wörter oder Phrasen)?
 Wiederholungsstrukturen (der Vogel flog und flog)?
 Vergleiche (Es klang so wie ein Vogel)
 Phraseologismen (die Hand nicht vor den Augen sehen)
Welche inhaltlichen Nachfragen (Verständnisfragen) bieten sich zu dem Kindertext an?
Textuell-grammatische Ebene, Textprozeduren:
 Linear (parataktisch) oder komplex (hypotaktisch) strukturiert?
 Welche Satzbaupläne dominieren (z.B. Subjekt – Prädikat – Akkusativobjekt)?
 Tempusverwendung? Präsens (sie sucht), Perfekt (habe…gesucht, ist...gelaufen), Präteritum (sie suchte), Plusquamperfekt (wir hatten gesucht)
 Verweismittel verwendet?
 Anaphorisch (rückverweisend): die Katze < sie – ihr
 Kataphorisch (vorverweisend): sie > die Katze
 Kohärenzmittel: Konjunktionen (koordinierend, z. B. und, aber; oder subordinierend, z.B.
weil, als); Adverbien, Adverbiale (z.B. morgen, dann, am nächsten Tag)?
 Adjektive/Adverbien (attributiv) verwendet (z.B. das mutige Mädchen)?
 Distanzstellung bei der Verbalklammer (konnte schließlich entkommen)?
 Verbzweitkonstruktionen: Spitzenstellung eines Adverbials oder Objekts mit Subjektinversion (Plötzlich ruft sie …)?
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Master BM 1: Vorbereitung auf das Praxissemester – WS 2015/16
 Aktiv vs. Passiv (Sie sucht vs. Sie wird gesucht)?
 DaZ-Perspektive: z.B. Verbvalenz: Sie finden den Weg (Akkusativ-Objekt) oder
Präposition mit Kasus: z.B. … mit dem Fahrrad („mit“ verlangt den Dativ)
Vorschlag: Was kann das Kind als Nächstes lernen? Inhaltlich-literarisch, textuell-grammatisch?
Modell der Entwicklung von Erzählkompetenzen im Bereich von Phantasie-Erzählungen von
Augst et al. (2007: 51-53), aufbauend auf Boueke et al. (1995):
1. Stufe
(Un-)Zusammenhängendes assoziatives erzählerisches Einzelnes; oft geschichtenübliches Repertoire; formelhafte sprachliche „geschichtenübliche“ Wendungen; sehr oft Ich-Erzählungen als (außergewöhnliche) Alltagsgeschichten ohne sprachlichen Planbruch und ohne Pointe.
2. Stufe
Zusammenhängendes kohärentes erzählerisches Geschehen auf der Zeitachse ausgewählter notwendiger Ereignisse mit geschichtenüblichem Repertoire; formelhafte sprachliche, geschichtenübliche Wendungen, neben Ich-Erzählungen als außergewöhnliches Alltagsgeschehen auch ErErzählungen, beides mit beginnender Fiktionalität; meist noch „und-dann“-Verknüpfung; gelegentlich nicht vollendete Erzählungen; in vielen Fällen inhaltliche Planbrüche, seltener Pointen, jedoch
noch nicht sprachlich realisiert.
3. Stufe
Zusammenhängendes erzählerisches Geschehen auf der Zeitachse mit einem sprachlich klar herausgearbeiteten Planbruch, jedoch mit keiner oder einer inhaltlich wie sprachlich sehr schwachen
Pointe, die wenig Überraschendes enthält; es überwiegen Er-Erzählungen mit fiktionalem Charakter; die „und-dann“-Verknüpfung wird durch temporale Adverbien und Konjunktionen abgelöst.
Die Texte sind oft gerahmt (vor allem Einleitung – seltener Schluss) und enthalten teilweise eine
Coda.
4. Stufe
Zusammenhängendes erzählerisches Geschehen mit versprachlichtem Planbruch, Aufbau von
Spannung, klarer inhaltlicher und sprachlicher Pointe, die meist ein Überraschungsmoment enthält; meist Er-Erzählungen mit fiktionaler Struktur; das Erzähltempus ist eindeutig Präteritum; die
Texte sind gerahmt, oft mit Coda; durch Rede und Gegenrede wird eine szenische Dramaturgie
aufgebaut; in manchen Texten wird ein durchgängiger Erzählton erreicht.
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