BERLINISCHE GALERIE LANDESMUSEUM FÜR MODERNE KUNST, FOTOGRAFIE UND ARCHITEKTUR STIFTUNG ÖFFENTLICHEN RECHTS PRESSEINFORMATION ALTE JAKOBSTRASSE 124-128 10969 BERLIN POSTFACH 610355 – 10926 BERLIN FON +49 (0) 30 –789 02–600 FAX +49 (0) 30 –789 02–700 [email protected] Ulrike Andres Leitung Marketing und Kommunikation Tel. +49 30-789 02-829 [email protected] Kontakt: Diana Brinkmeyer Referentin Marketing und Kommunikation Tel. 030 789 02-775 [email protected] Berlin, 11. September 2015 Ich kenne kein Weekend. Aus René Blocks Archiv und Sammlung. Ausstellungstexte ICH KENNE KEIN WEEKEND Vor 51 Jahren eröffnete René Block in einem kleinen Kellerraum in Berlin-Schöneberg die legendäre Ausstellung „Neodada, Pop, Décollage, Kapitalischer Realismus“. Fortan lernte das Berliner Publikum in seiner Galerie neueste Kunst von bis dahin unbekannten Künstlern kennen, etwa von Joseph Beuys, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Richard Hamilton, Nam June Paik oder Wolf Vostell. So wurde René Block zu einer zentralen Figur der NeoAvantgarde, ob als Galerist oder als Projektleiter beim Berliner Künstlerprogramm des Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) 1982–1992. Als Pionier des Multiples und Verleger von Druckgrafik ging es Block um die Demokratisierung und um ein neues Selbstverständnis der Kunst: Wie lässt diese sich über verschiedene Medien erweitern, wie lässt sie sich neu denken, in enger Nachbarschaft zu Literatur, Musik, Performance und Theater? Heute erscheint diese Interdisziplinarität der Bildenden Kunst selbstverständlich. Damals war Block ein entscheidender Vordenker und Vorkämpfer dieser Revolution. Während seiner internationalen Karriere – als Leiter der Kunsthalle Fridericianum in Kassel 1998– 2006, als Kurator zahlreicher Biennalen, etwa in Istanbul oder Sydney – hat René Block eine einzigartige Geschichte des Aufspürens, Zeigens, Sammelns und Ausstellens moderner Kunst geschrieben. In Materialien, Dokumenten, Fotografien und Filmen von 1964 bis 2014 aus dem Archiv Block, verbunden mit einzelnen Werken aus seiner Sammlung, wird diese Geschichte lebendig. 1 WWW.BERLINISCHEGALERIE.DE GRAFISCHES KABINETT Im Sommer 1963 kam René Block aus dem Rheinland nach Berlin, um sein Kunststudium fortzusetzen. Im Mai 1964 eröffnete er in der Kurfürstenstraße über Dieter Ruckhaberles Freier Galerie das „Cabinet René Block. Grafisches Kabinett der Freien Galerie“ und zeigte nacheinander zwei Ausstellungen mit Druckgrafik von Klaus Peter Brehmer und Bert Gerresheim. Block lernt Künstler, Kritiker und das Berliner Publikum kennen. In wenigen Wochen reift die Idee, sich von der Freien Galerie und ihrem Umfeld abzusetzen und eine eigene zu gründen, die im September 1964 unter dem Namen René Block eröffnete. Das „Cabinet“ gab zu den Ausstellungen zwei Sonderdrucke heraus, die für jeweils 10 Mark angeboten wurden. Als künstlerisches Experiment erschien darüber hinaus die erste maschinengedruckte Originalgrafik von Brehmer. Nur drei Mark kostete das farbige, signierte und nummerierte Blatt. In der Tageszeitung Spandauer Volksblatt erschien außerdem als Illustration zur Ausstellungsbesprechung ein Originaldruck von einem speziell gefertigten Druckstock. 30.000 Zeitungsleser kamen so zu einem Kunstwerk. JOSEPH BEUYS Mit kaum einem künstlerischen Werk ist die Arbeit des Galeristen René Block so eng verbunden wie mit dem von Joseph Beuys. Seiner ersten Solo-Aktion in der Galerie, dem Fluxus-Gesang „Der Chef“ im Dezember 1964, folgten weitere Installationen, Aktionen und Konzerte: So das Konzert „Ich versuche Dich freizulassen (machen)“ (1969) in der Akademie der Künste, das wegen randalierender Zuschauer abgebrochen werden musste; oder die Aktion „Ausfegen“ (1972) auf dem Neuköllner Karl-Marx-Platz, die als Kommentar zu den Berliner Mai-Demonstrationen verstanden werden kann. Mit Beuys gelang Block 1974 zur Eröffnung seiner New Yorker Galerie der wohl wichtigste Auftritt als Galerist: Beuys‘Aktion „I like America and America likes me“ – bei der sich der Künstler mehrere Tage mit einem Kojoten in der New Yorker Galerie einschloss – machte beide international bekannt. Spektakulär ging es auch 1979 bei der endgültigen Schließung der Berliner Galerie zu, auf den Tag genau 15 Jahre nach der Eröffnung. Beuys schlug den Putz der Galerieräume ab und verpackte ihn in Kisten. Die Aktion hieß: „Ja, jetzt brechen wir hier den Scheiß ab“. BERLINER GALERIE UND KAPITALISTISCHER REALISMUS Der Begriff „Kapitalistischer Realismus“ wurde 1963 von Gerhard Richter, Sigmar Polke, Konrad Lueg und Manfred Kuttner geprägt, die unter diesem Label eine Reihe von künstlerischen Aktionen in Düsseldorf und Umgebung realisierten. Block war fasziniert von der Fähigkeit dieser Künstler, mit dem abgebildeten Gegenstand auch dessen Realität und die gegenwärtige gesellschaftliche Situation der Bundesrepublik (Wiederaufbau, Verdrängung des Nationalsozialismus) in die Kunst einzubeziehen. Daher zeigte er die Eröffnungsausstellung seiner Galerie am 15. September 1964 unter dem Titel „Neodada, Pop, Décollage, Kapitalistischer Realismus“. Er übertrug so den eher konsumkritischen Begriff aus dem Rheinland, wo das sogenannte Wirtschaftswunder besonders sichtbar war, in das geteilte, von der politischen Realität des Kalten Krieges geprägte Berlin. In diesem speziellen Westberliner Kontext wurde der Begriff „Kapitalistischer Realismus“ gesellschaftskritisch aufgeladen, nicht zuletzt durch die hinzugekommenen Künstler KP Brehmer, K.H. Hödicke und Wolf Vostell. 2 WWW.BERLINISCHEGALERIE.DE FRÜHE AKTIONEN Aktionskunst, Klangkunst, Performances, Happenings gehören in eine Kategorie von Kunst, die als solche erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entstand. Und im Berlin der 1960er- und 1970er-Jahre war es die Galerie Block, die als erste einen Schwerpunkt in diesem Bereich besaß. Bereits 1964, noch während der ersten Ausstellung der Galerie, fand auch die erste Aktion von Stanley Brouwn statt – „This Way Brouwn“ –, die prompt im Tumult endete. Viele Aktionen beschränkten sich nicht auf den Raum der Galerie und gingen stattdessen in den Stadtraum hinaus: Wolf Vostell führte ein Happening auf einem Schrottplatz durch, Nam June Paik vor dem Brandenburger Tor. Bazon Brock ließ experimentelles Theater auf dem Kurfürsten-damm spielen und umwickelte die Haushaltsgegenstände einer Wohnung mit Stacheldraht. Das Berliner Forum-Theater am Kurfürstendamm wurde zur zweiten Spielstätte der Galerie Block und beherbergte Filmabende, Konzerte, Festivals und Performances. Die musikalische Bandbreite der Konzerte reichte von Jazz über moderne Klassik bis zum Elektronik-Sound von Tangerine Dream. Gilbert & George traten dort als „Living Sculptures“ auf, es gab Filme von Richard Hamilton und Dan Graham zu sehen. 1970 fand dort das Fluxus-Festival „Festum Fluxorum“ statt. LIDICE Die Ausstellung „Hommage à Lidice“ (1967) bezieht sich auf ein von den Nationalsozialisten verübtes Massaker: 1942 wurden alle Bewohner der tschechischen Ortschaft Lidice ermordet und das Dorf vernichtet. 1967 verfasste der Vorsitzende des internationalen Lidice-Komitees einen Aufruf an Künstler, Werke für ein geplantes Museum am Gedenkort in Lidice zu stiften. Block unterstützte diese Aktion und lud 21 Künstler ein, sich zu beteiligen. Die Ausstellung „Hommage à Lidice“ war eine Geste der Versöhnung. Es entstand eine einzigartige Sammlung von Werken der westdeutschen Avantgarde, die Block im Frühjahr 1968 selbst nach Prag brachte. Nach dem Einmarsch der Sowjetischen Truppen galt die Sammlung als verschollen. Anlässlich ihrer Wiederentdeckung im Jahr 1996 erweiterte Block die Sammlung mit der Ausstellung „Pro Lidice“ um 31 künstlerische Positionen der jüngeren Generation. Das Konvolut bildet heute den Kern der dortigen Kunstsammlung. Mit der aktuellen Ausstellung „Remember Lidice“ in den Räumen der Edition Block erfährt die Sammlung nach wiederum drei Jahrzehnten eine erneute Aktualisierung. BLOCKADE ‘69 Im Jahr 1969 fand in der Galerie René Block die Ausstellungsfolge „Blockade ’69“ statt. Acht Künstler erhielten die Möglichkeit, nacheinander jeweils für vier Wochen den Galerieraum zu bespielen. Die Idee war die untrennbare Verbindung von Werk, Präsentation und Raum. Beuys zeigte den Flügel, der in der Akademie der Künste während des Konzerts „Ich versuche dich freizulassen (machen)“ beschädigt worden war, zusammen mit Relikten dieser Aktion. Blinky Palermo markierte mit minimalen Wandzeichnungen Ecken und Kanten des Raumes, inspiriert durch eine gleichzeitig abgespielte Komposition von Henning Christiansen. K.H. Hödicke installierte mittels eines Hühnerkäfigs mit weißem Federvieh ein lebendes Kunstwerk im weißen Raum. IMI Knoebel projizierte leere Dias als Lichtereignis. 3 WWW.BERLINISCHEGALERIE.DE Reiner Ruthenbeck entwickelte eine Raumblockade aus gespannten Stoffstreifen. Sigmar Polke „stellte sich vor, dass ein Teilchen diesen Raum umkreist,“ und platzierte diese Botschaft in einzelnen Buchstaben auf dem Boden. Durch diese Veränderungen des immer gleichen Ortes ließ sich Kunst als Handlung, Erfahrung und geistiger Prozess begreifen. MULTIPLES UND EDITIONEN Multiples oder Auflagenobjekte – eine wesentliche Neuerungen der bildenden Kunst des 20. Jahrhunderts – folgen einer demokratischen Idee: preiswerte Kunst für jedermann. Das Multiple umgibt somit eine Aura des Rebellischen, denn es funktioniert als Gegenentwurf zum teuren Original. In der Arbeit von René Block nehmen Multiples einen besonderen Platz ein. Zum einen hat er seit 1966 zahlreiche Auflagenobjekte herausgegeben und gemeinsam mit Künstlern und Künstlerinnen entwickelt. Zum anderen hielt Block immer wieder die kulturelle Bedeutung des Multiples hoch, sei es bei der von ihm mitinitiierten „Fachmesse für multiplizierbare Kunst“ in Berlin 1972 oder bei seiner Ausstellung „Multiples“ über die Geschichte des Auflagenobjekts im Neuen Berliner Kunstverein 1974. Die Edition Block verlegte 1968 Joseph Beuys' erstes Multiple, „Evervess II 1“; mit Nam June Paiks „Der Denker (TV-Rodin)“ gab Block 1976/78 das erste Video-Multiple überhaupt heraus. Zu den bekanntesten Auflagenobjekten der Edition Block gehört der „Schlitten“ von Joseph Beuys, der 1969 in Anlehnung an die Installation „Das Rudel“ entstand. KLANGKUNST „Von der Spieluhr zum akustischen Environment“ lautete der Untertitel der Ausstellung „Für Augen und Ohren“, die René Block 1980 in der Akademie der Künste Berlin realisiert hat. Und in der Tat umfasst der Bereich der Klangkunst sehr unterschiedliche Dinge: Konzerte, Klangobjekte, Happenings, Installationen. Schon Joseph Beuys‘ erste Aktion in der Galerie Block – „Der Chef“ – war auch eine HörAktion, sie hatte den Untertitel „Fluxusgesang“. Klangkunst verschiedenster Art wurde von René Block nach Berlin gebracht, beginnend mit dem ersten Konzert in der Galerie 1965 von Nam June Paik und Charlotte Moorman. Konzerte in den Räumen der Galerie und im Forum-Theater gehörten zum festen Programm der Galerie Block. 1970 zeigte Block eine Serie von Klangkunst-Installationen: Die „akustischen Räume“ wurden unter anderem von K. H. Hödicke und Wolf Vostell gestaltet. Ab Mitte der 1980er-Jahre konzipierte René Block die gemeinsam mit der Technischen Universität veranstaltete Festivalreihe "Inventionen", die bis 2010 fortgeführt wurde. FLUXUS Die Kunstbewegung Fluxus begann im New York der 1950er-Jahre und entwickelte sich schnell zu einem international verzweigten Netzwerk. Fluxus überschreitet die Grenze zwischen darstellender und bildender Kunst, daher gehören Aktionen, Happenings und Festivals zum festen Bestandteil dieser Bewegung. Der Name Fluxus (lateinisch: fluxus = fließend) deutet bereits an, dass hier die Übergänge zu Musik, Theater und zum alltäglichen Leben fließend sind. 4 WWW.BERLINISCHEGALERIE.DE Die Galerie Block zeigte zahlreiche Fluxus-Werke und -Aktionen, unter anderem von George Brecht, Robert Filliou, Wolf Vostell, Nam June Paik, Yoko Ono und Dieter Roth sowie vom Vordenker der Fluxus-Bewegung, George Maciunas. So wurde Berlin zu einem Zentrum für Fluxus in Deutschland, neben Düsseldorf und Wiesbaden. In seiner New Yorker Galerie zeigte René Block amerikanische Fluxus-Künstler und -Künstlerinnen, die in ihrer eigenen Heimat von keiner Galerie vertreten wurden. In den 1980er und 1990er Jahren präsentierte Block als Kurator Fluxus-Retrospektiven – unter anderem 1982 in Wiesbaden, wo zwanzig Jahre zuvor das erste Fluxus-Festival Deutschlands stattgefunden hatte. BIENNALEN In der Welt der zeitgenössischen Kunst nehmen Biennalen einen besonderen Platz ein. Es handelt sich dabei nicht bloß um Ausstellungen, die im zweijährigen Rhythmus stattfinden. Vielmehr funktionieren Biennalen spätestens seit den 1990er Jahren als Gradmesser für den Zustand der bildenden Kunst – an verschiedenen Orten der Welt. Angelehnt an die Biennale von Venedig, eines der weltweit bedeutenden Kunstereignisse, ist „Biennale“ zum Synonym für große, international vernetzte Sammelausstellungen geworden. René Block war bei der Konzipierung und Durchführung mehrerer Biennalen beteiligt. Die Schau „Zugehend auf eine Biennale des Friedens“ fand 1985 im Hamburger Kunstverein statt. Die Biennalen in Sydney (1990) und Istanbul (1995) betreute René Block als künstlerischer Leiter. Die Cetinje-Biennale (2004) bildete den Abschluss der Balkan-Trilogie, für die Biennale im koreanischen Gwangju (2000) kuratierte Block einen Teilbereich. Diese Biennalen präsentierten die lokalen Kunstszenen einem internationalen Publikum. Die international ausgerichteten Ausstellungen gaben wiederum Impulse an die jeweiligen Kunstszenen vor Ort. KUNST AN DER PERIPHERIE Von 1998 bis 2005 leitete René Block das Museum Fridericianum (seit 2001 Kunsthalle Fridericianum) in Kassel. Nach der Realisierung verschiedener internationaler Biennalen bot sich ihm hier die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum hinweg eine komplexe Programmstruktur für einen Ort zu konzipieren. Block begann 1998 mit der Schau „Echolot oder 9 Fragen an die Peripherie“, die Künstlerinnen aus dem Iran, dem Libanon, der Türkei, Ägypten, China, Korea und Australien vorstellte und anhand der Werke Themen wie geografische Peripherie, kulturelle Identität und westlicher Kunstbetrieb behandelte. Mit der Ausstellung „In den Schluchten des Balkan. Eine Reportage“ begann 2003 die „Balkan-Trilogie“, eine über ein Jahr andauernde Erkundung der Kunstszene Südosteuropas. Blocks Aufmerksamkeit für Peripheres ist jedoch nicht allein geografisch zu denken, sondern bezieht sich auch auf mediale Grenzgänger und Außenseiter – auf künstlerische Positionen, die an den Wahrnehmungsrändern des westlichen Kunstbetriebs liegen oder als nicht repräsentativ gelten, wie zum Beispiel Performance, Klangkunst und Fluxus. 5 WWW.BERLINISCHEGALERIE.DE
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