BERLINISCHE GALERIE

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Berlin, 11. September 2015
Ich kenne kein Weekend.
Aus René Blocks Archiv und Sammlung.
Ausstellungstexte
ICH KENNE KEIN WEEKEND
Vor 51 Jahren eröffnete René Block in einem kleinen Kellerraum in Berlin-Schöneberg die
legendäre Ausstellung „Neodada, Pop, Décollage, Kapitalischer Realismus“. Fortan lernte
das Berliner Publikum in seiner Galerie neueste Kunst von bis dahin unbekannten Künstlern
kennen, etwa von Joseph Beuys, Gerhard Richter, Sigmar Polke, Richard Hamilton, Nam
June Paik oder Wolf Vostell. So wurde René Block zu einer zentralen Figur der NeoAvantgarde, ob als Galerist oder als Projektleiter beim Berliner Künstlerprogramm des
Deutschen Akademischen Austauschdiensts (DAAD) 1982–1992. Als Pionier des Multiples
und Verleger von Druckgrafik ging es Block um die Demokratisierung und um ein neues
Selbstverständnis der Kunst: Wie lässt diese sich über verschiedene Medien erweitern, wie
lässt sie sich neu denken, in enger Nachbarschaft zu Literatur, Musik, Performance und
Theater?
Heute erscheint diese Interdisziplinarität der Bildenden Kunst selbstverständlich. Damals
war Block ein entscheidender Vordenker und Vorkämpfer dieser Revolution. Während
seiner internationalen Karriere – als Leiter der Kunsthalle Fridericianum in Kassel 1998–
2006, als Kurator zahlreicher Biennalen, etwa in Istanbul oder Sydney – hat René Block
eine einzigartige Geschichte des Aufspürens, Zeigens, Sammelns und Ausstellens moderner
Kunst geschrieben.
In Materialien, Dokumenten, Fotografien und Filmen von 1964 bis 2014 aus dem Archiv
Block, verbunden mit einzelnen Werken aus seiner Sammlung, wird diese Geschichte
lebendig.
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GRAFISCHES KABINETT
Im Sommer 1963 kam René Block aus dem Rheinland nach Berlin, um sein Kunststudium
fortzusetzen. Im Mai 1964 eröffnete er in der Kurfürstenstraße über Dieter Ruckhaberles
Freier Galerie das „Cabinet René Block. Grafisches Kabinett der Freien Galerie“ und zeigte
nacheinander zwei Ausstellungen mit Druckgrafik von Klaus Peter Brehmer und Bert
Gerresheim. Block lernt Künstler, Kritiker und das Berliner Publikum kennen. In wenigen
Wochen reift die Idee, sich von der Freien Galerie und ihrem Umfeld abzusetzen und eine
eigene zu gründen, die im September 1964 unter dem Namen René Block eröffnete.
Das „Cabinet“ gab zu den Ausstellungen zwei Sonderdrucke heraus, die für jeweils 10
Mark angeboten wurden. Als künstlerisches Experiment erschien darüber hinaus die erste
maschinengedruckte Originalgrafik von Brehmer. Nur drei Mark kostete das farbige,
signierte und nummerierte Blatt. In der Tageszeitung Spandauer Volksblatt erschien
außerdem als Illustration zur Ausstellungsbesprechung ein Originaldruck von einem speziell
gefertigten Druckstock. 30.000 Zeitungsleser kamen so zu einem Kunstwerk.
JOSEPH BEUYS
Mit kaum einem künstlerischen Werk ist die Arbeit des Galeristen René Block so eng
verbunden wie mit dem von Joseph Beuys. Seiner ersten Solo-Aktion in der Galerie, dem
Fluxus-Gesang „Der Chef“ im Dezember 1964, folgten weitere Installationen, Aktionen und
Konzerte: So das Konzert „Ich versuche Dich freizulassen (machen)“ (1969) in der
Akademie der Künste, das wegen randalierender Zuschauer abgebrochen werden musste;
oder die Aktion „Ausfegen“ (1972) auf dem Neuköllner Karl-Marx-Platz, die als Kommentar
zu den Berliner Mai-Demonstrationen verstanden werden kann.
Mit Beuys gelang Block 1974 zur Eröffnung seiner New Yorker Galerie der wohl wichtigste
Auftritt als Galerist: Beuys‘Aktion „I like America and America likes me“ – bei der sich der
Künstler mehrere Tage mit einem Kojoten in der New Yorker Galerie einschloss – machte
beide international bekannt.
Spektakulär ging es auch 1979 bei der endgültigen Schließung der Berliner Galerie zu, auf
den Tag genau 15 Jahre nach der Eröffnung. Beuys schlug den Putz der Galerieräume ab
und verpackte ihn in Kisten. Die Aktion hieß: „Ja, jetzt brechen wir hier den Scheiß ab“.
BERLINER GALERIE UND KAPITALISTISCHER REALISMUS
Der Begriff „Kapitalistischer Realismus“ wurde 1963 von Gerhard Richter, Sigmar Polke,
Konrad Lueg und Manfred Kuttner geprägt, die unter diesem Label eine Reihe von
künstlerischen Aktionen in Düsseldorf und Umgebung realisierten. Block war fasziniert von
der Fähigkeit dieser Künstler, mit dem abgebildeten Gegenstand auch dessen Realität und
die gegenwärtige gesellschaftliche Situation der Bundesrepublik (Wiederaufbau,
Verdrängung des Nationalsozialismus) in die Kunst einzubeziehen. Daher zeigte er die
Eröffnungsausstellung seiner Galerie am 15. September 1964 unter dem Titel „Neodada,
Pop, Décollage, Kapitalistischer Realismus“. Er übertrug so den eher konsumkritischen
Begriff aus dem Rheinland, wo das sogenannte Wirtschaftswunder besonders sichtbar war,
in das geteilte, von der politischen Realität des Kalten Krieges geprägte Berlin. In diesem
speziellen Westberliner Kontext wurde der Begriff „Kapitalistischer Realismus“
gesellschaftskritisch aufgeladen, nicht zuletzt durch die hinzugekommenen Künstler KP
Brehmer, K.H. Hödicke und Wolf Vostell.
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FRÜHE AKTIONEN
Aktionskunst, Klangkunst, Performances, Happenings gehören in eine Kategorie von Kunst,
die als solche erst in der zweiten Hälfte des zwanzigsten Jahrhunderts entstand. Und im
Berlin der 1960er- und 1970er-Jahre war es die Galerie Block, die als erste einen
Schwerpunkt in diesem Bereich besaß. Bereits 1964, noch während der ersten Ausstellung
der Galerie, fand auch die erste Aktion von Stanley Brouwn statt – „This Way Brouwn“ –,
die prompt im Tumult endete. Viele Aktionen beschränkten sich nicht auf den Raum der
Galerie und gingen stattdessen in den Stadtraum hinaus: Wolf Vostell führte ein Happening
auf einem Schrottplatz durch, Nam June Paik vor dem Brandenburger Tor. Bazon Brock ließ
experimentelles Theater auf dem Kurfürsten-damm spielen und umwickelte die
Haushaltsgegenstände einer Wohnung mit Stacheldraht.
Das Berliner Forum-Theater am Kurfürstendamm wurde zur zweiten Spielstätte der Galerie
Block und beherbergte Filmabende, Konzerte, Festivals und Performances. Die musikalische
Bandbreite der Konzerte reichte von Jazz über moderne Klassik bis zum Elektronik-Sound
von Tangerine Dream. Gilbert & George traten dort als „Living Sculptures“ auf, es gab
Filme von Richard Hamilton und Dan Graham zu sehen. 1970 fand dort das Fluxus-Festival
„Festum Fluxorum“ statt.
LIDICE
Die Ausstellung „Hommage à Lidice“ (1967) bezieht sich auf ein von den
Nationalsozialisten verübtes Massaker: 1942 wurden alle Bewohner der tschechischen
Ortschaft Lidice ermordet und das Dorf vernichtet.
1967 verfasste der Vorsitzende des internationalen Lidice-Komitees einen Aufruf an
Künstler, Werke für ein geplantes Museum am Gedenkort in Lidice zu stiften. Block
unterstützte diese Aktion und lud 21 Künstler ein, sich zu beteiligen. Die Ausstellung
„Hommage à Lidice“ war eine Geste der Versöhnung. Es entstand eine einzigartige
Sammlung von Werken der westdeutschen Avantgarde, die Block im Frühjahr 1968 selbst
nach Prag brachte. Nach dem Einmarsch der Sowjetischen Truppen galt die Sammlung als
verschollen.
Anlässlich ihrer Wiederentdeckung im Jahr 1996 erweiterte Block die Sammlung mit der
Ausstellung „Pro Lidice“ um 31 künstlerische Positionen der jüngeren Generation. Das
Konvolut bildet heute den Kern der dortigen Kunstsammlung.
Mit der aktuellen Ausstellung „Remember Lidice“ in den Räumen der Edition Block erfährt
die Sammlung nach wiederum drei Jahrzehnten eine erneute Aktualisierung.
BLOCKADE ‘69
Im Jahr 1969 fand in der Galerie René Block die Ausstellungsfolge „Blockade ’69“ statt.
Acht Künstler erhielten die Möglichkeit, nacheinander jeweils für vier Wochen den
Galerieraum zu bespielen. Die Idee war die untrennbare Verbindung von Werk, Präsentation
und Raum.
Beuys zeigte den Flügel, der in der Akademie der Künste während des Konzerts „Ich
versuche dich freizulassen (machen)“ beschädigt worden war, zusammen mit Relikten
dieser Aktion. Blinky Palermo markierte mit minimalen Wandzeichnungen Ecken und Kanten
des Raumes, inspiriert durch eine gleichzeitig abgespielte Komposition von Henning
Christiansen. K.H. Hödicke installierte mittels eines Hühnerkäfigs mit weißem Federvieh ein
lebendes Kunstwerk im weißen Raum. IMI Knoebel projizierte leere Dias als Lichtereignis.
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Reiner Ruthenbeck entwickelte eine Raumblockade aus gespannten Stoffstreifen. Sigmar
Polke „stellte sich vor, dass ein Teilchen diesen Raum umkreist,“ und platzierte diese
Botschaft in einzelnen Buchstaben auf dem Boden.
Durch diese Veränderungen des immer gleichen Ortes ließ sich Kunst als Handlung,
Erfahrung und geistiger Prozess begreifen.
MULTIPLES UND EDITIONEN
Multiples oder Auflagenobjekte – eine wesentliche Neuerungen der bildenden Kunst des
20. Jahrhunderts – folgen einer demokratischen Idee: preiswerte Kunst für jedermann. Das
Multiple umgibt somit eine Aura des Rebellischen, denn es funktioniert als Gegenentwurf
zum teuren Original.
In der Arbeit von René Block nehmen Multiples einen besonderen Platz ein. Zum einen hat
er seit 1966 zahlreiche Auflagenobjekte herausgegeben und gemeinsam mit Künstlern und
Künstlerinnen entwickelt. Zum anderen hielt Block immer wieder die kulturelle Bedeutung
des Multiples hoch, sei es bei der von ihm mitinitiierten „Fachmesse für multiplizierbare
Kunst“ in Berlin 1972 oder bei seiner Ausstellung „Multiples“ über die Geschichte des
Auflagenobjekts im Neuen Berliner Kunstverein 1974.
Die Edition Block verlegte 1968 Joseph Beuys' erstes Multiple, „Evervess II 1“; mit Nam
June Paiks „Der Denker (TV-Rodin)“ gab Block 1976/78 das erste Video-Multiple
überhaupt heraus. Zu den bekanntesten Auflagenobjekten der Edition Block gehört der
„Schlitten“ von Joseph Beuys, der 1969 in Anlehnung an die Installation „Das Rudel“
entstand.
KLANGKUNST
„Von der Spieluhr zum akustischen Environment“ lautete der Untertitel der Ausstellung
„Für Augen und Ohren“, die René Block 1980 in der Akademie der Künste Berlin realisiert
hat. Und in der Tat umfasst der Bereich der Klangkunst sehr unterschiedliche Dinge:
Konzerte, Klangobjekte, Happenings, Installationen.
Schon Joseph Beuys‘ erste Aktion in der Galerie Block – „Der Chef“ – war auch eine HörAktion, sie hatte den Untertitel „Fluxusgesang“. Klangkunst verschiedenster Art wurde von
René Block nach Berlin gebracht, beginnend mit dem ersten Konzert in der Galerie 1965
von Nam June Paik und Charlotte Moorman.
Konzerte in den Räumen der Galerie und im Forum-Theater gehörten zum festen Programm
der Galerie Block. 1970 zeigte Block eine Serie von Klangkunst-Installationen: Die
„akustischen Räume“ wurden unter anderem von K. H. Hödicke und Wolf Vostell gestaltet.
Ab Mitte der 1980er-Jahre konzipierte René Block die gemeinsam mit der Technischen
Universität veranstaltete Festivalreihe "Inventionen", die bis 2010 fortgeführt wurde.
FLUXUS
Die Kunstbewegung Fluxus begann im New York der 1950er-Jahre und entwickelte sich
schnell zu einem international verzweigten Netzwerk. Fluxus überschreitet die Grenze
zwischen darstellender und bildender Kunst, daher gehören Aktionen, Happenings und
Festivals zum festen Bestandteil dieser Bewegung. Der Name Fluxus (lateinisch: fluxus =
fließend) deutet bereits an, dass hier die Übergänge zu Musik, Theater und zum alltäglichen
Leben fließend sind.
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Die Galerie Block zeigte zahlreiche Fluxus-Werke und -Aktionen, unter anderem von George
Brecht, Robert Filliou, Wolf Vostell, Nam June Paik, Yoko Ono und Dieter Roth sowie vom
Vordenker der Fluxus-Bewegung, George Maciunas. So wurde Berlin zu einem Zentrum für
Fluxus in Deutschland, neben Düsseldorf und Wiesbaden. In seiner New Yorker Galerie
zeigte René Block amerikanische Fluxus-Künstler und -Künstlerinnen, die in ihrer eigenen
Heimat von keiner Galerie vertreten wurden.
In den 1980er und 1990er Jahren präsentierte Block als Kurator Fluxus-Retrospektiven –
unter anderem 1982 in Wiesbaden, wo zwanzig Jahre zuvor das erste Fluxus-Festival
Deutschlands stattgefunden hatte.
BIENNALEN
In der Welt der zeitgenössischen Kunst nehmen Biennalen einen besonderen Platz ein. Es
handelt sich dabei nicht bloß um Ausstellungen, die im zweijährigen Rhythmus stattfinden.
Vielmehr funktionieren Biennalen spätestens seit den 1990er Jahren als Gradmesser für
den Zustand der bildenden Kunst – an verschiedenen Orten der Welt. Angelehnt an die
Biennale von Venedig, eines der weltweit bedeutenden Kunstereignisse, ist „Biennale“ zum
Synonym für große, international vernetzte Sammelausstellungen geworden.
René Block war bei der Konzipierung und Durchführung mehrerer Biennalen beteiligt. Die
Schau „Zugehend auf eine Biennale des Friedens“ fand 1985 im Hamburger Kunstverein
statt. Die Biennalen in Sydney (1990) und Istanbul (1995) betreute René Block als
künstlerischer Leiter. Die Cetinje-Biennale (2004) bildete den Abschluss der Balkan-Trilogie,
für die Biennale im koreanischen Gwangju (2000) kuratierte Block einen Teilbereich. Diese
Biennalen präsentierten die lokalen Kunstszenen einem internationalen Publikum. Die
international ausgerichteten Ausstellungen gaben wiederum Impulse an die jeweiligen
Kunstszenen vor Ort.
KUNST AN DER PERIPHERIE
Von 1998 bis 2005 leitete René Block das Museum Fridericianum (seit 2001 Kunsthalle
Fridericianum) in Kassel. Nach der Realisierung verschiedener internationaler Biennalen bot
sich ihm hier die Möglichkeit, über einen längeren Zeitraum hinweg eine komplexe
Programmstruktur für einen Ort zu konzipieren.
Block begann 1998 mit der Schau „Echolot oder 9 Fragen an die Peripherie“, die
Künstlerinnen aus dem Iran, dem Libanon, der Türkei, Ägypten, China, Korea und
Australien vorstellte und anhand der Werke Themen wie geografische Peripherie, kulturelle
Identität und westlicher Kunstbetrieb behandelte. Mit der Ausstellung „In den Schluchten
des Balkan. Eine Reportage“ begann 2003 die „Balkan-Trilogie“, eine über ein Jahr
andauernde Erkundung der Kunstszene Südosteuropas.
Blocks Aufmerksamkeit für Peripheres ist jedoch nicht allein geografisch zu denken,
sondern bezieht sich auch auf mediale Grenzgänger und Außenseiter – auf künstlerische
Positionen, die an den Wahrnehmungsrändern des westlichen Kunstbetriebs liegen oder als
nicht repräsentativ gelten, wie zum Beispiel Performance, Klangkunst und Fluxus.
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