Der Schienengüterverkehr muss wett- bewerbsfähig bleiben

Positionspapier / Mai 2015
überarbeitete und aktualisierte Fassung
Der Schienengüterverkehr muss wettbewerbsfähig bleiben
Die Auswirkungen politischer Rahmensetzung auf die Produktionskosten der Güterbahnen
Impressum
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Die wesentlichen Aussagen im Überblick
Der Güterverkehr wird bis zum Jahr 2030 und darüber hinaus kräftig wachsen. Die daraus resultierenden verkehrs- und umweltpolitischen Probleme sind nur dann zu bewältigen, wenn ein
wettbewerbsfähiger Schienengüterverkehr einen möglichst hohen Anteil dieser Verkehrszuwächse übernimmt.
Im Gegensatz hierzu hat die Politik aber zahlreiche Entwicklungen zugelassen, eingeleitet oder
aktiv gefördert, die zu deutlichen Kostensteigerungen bei den Güterbahnen führen und deren
preisliche Wettbewerbsfähigkeit belasten. Gleichzeitig wurden und werden Kostenpositionen der
konkurrierenden Verkehrsträger entlastet, so dass hieraus eine weitere Schwächung der Wettbewerbsposition resultiert.
Als wesentliche Risiken für die Kostenentwicklung der Güterbahnen sind neben den Entgelten
für Infrastruktur und Energie insbesondere die im nationalen und europäischen Rechtsrahmen
verankerten Regelungen zur Herstellung der Interoperabilität zu erkennen.
Darüber hinaus ist der umweltschonende, klimaverträgliche und weitgehend „elektromobile“
Eisenbahngüterverkehr mit berechtigten Anforderungen zur Minderung seiner Lärmemissionen
konfrontiert. Der Sektor hat sich im Gleichklang mit der Politik dazu bekannt, bis 2020 die auf
dem deutschen Netz verkehrende Güterwagenflotte komplett mit Flüsterbremsen auszustatten
und damit die Voraussetzung für die Halbierung des Schienenverkehrslärms zu erfüllen. Dies
führt jedoch zu erheblichen Mehrkosten für den Eisenbahnsektor.
Kostenbestandteile je Zug-km im KV
2014 = 100
140
118
120
100
100
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80
18
23
20
20
17
19
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16
15
27
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20
17
20
25
28
29
IST 2010
IST 2014
2020
0
Sonstiges
Wagen (Lärmminderung)
Lokomotive (ETCS)
Energie
Infrastrukturentgelte
Die Kosten des Gütertransports auf der Schiene werden angesichts dieser Risiken ohne Gegenmaßnahmen bis zum Jahr 2020 um knapp 20 Prozent steigen. Bei einer angenommenen durchschnittlichen Inflationsrate von 1 Prozent pro Jahr erreicht der Kostenanstieg etwa den dreifachen Wert der allgemeinen Preissteigerung,
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Demgegenüber hat die Politik die Wettbewerbsposition der Wettbewerber auf Straße und Wasser
in den vergangenen Jahren gestärkt. So wurde der Lkw-Transport durch eine Absenkung der
Mautsätze deutlich entlastet. Die nach Äußerungen des Bundesverkehrsministers beabsichtigte
Zulassung sogenannter Lang-Lkw wird die Produktivität des Straßengüterverkehrs spürbar erhöhen. Binnenschiffe sind nach wie von der Mineralölsteuer befreit und zahlen nahezu keine
Entgelte für die Nutzung von Flüssen und Kanälen.
Die Güterbahnen unternehmen erhebliche Anstrengungen zur Steigerung ihrer Effizienz und zur
Verbesserung ihrer Wettbewerbsfähigkeit. Sie werden die notwendigen Voraussetzungen für
einen wachsenden Schienengüterverkehr jedoch nicht schaffen können, wenn die Politik den
ordnungspolitischen Rahmen immer wieder zu Lasten des Schienengüterverkehrs verändert.
Demgegenüber sind politische Entscheidungen gefordert, die das unternehmerische Engagement
der Bahnen unterstützen und zur Stärkung der Wettbewerbsposition des Schienengüterverkehrs
beitragen:
— Vor allem der Bund, aber auch die Länder müssen die Finanzierung der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur mit öffentlichen Haushaltsmitteln sicherstellen.
— Bestehende Instrumente zur Finanzierung und Planung der Infrastruktur (Bundeschienenwegeausbaugesetz, Bundesverkehrswegeplan 2015, Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz, Förderrichtlinie Kombinierter Verkehr, Richtlinie zur Förderung von Gleisanschlüssen) müssen auch zur beschleunigten Realisierung produktivitätssteigernder Investitionen – insbesondere in die Ermöglichung längerer Güterzüge - angemessen dotiert und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
— Mit einer vollständigen Befreiung des Schienengüterverkehrs sowohl von der Stromsteuer als
auch von der Mineralölsteuer auf Traktionsdiesel kann die deutsche Politik die hohe Mehrfachbelastung der Güterbahnen abbauen und deren Wettbewerbsposition stärken.
— Der Bund muss darauf hinwirken, dass bei der künftigen Migration von ETCS europaweit nur
noch ein einheitlicher Standard ohne nationale Sonderlösungen implementiert werden darf,
eine synchronisierte und zwischen den EIU abgestimmte Ausrüstung der Schienengüterverkehrskorridore erfolgt und die Übergangszeiten von den Alt-Systemen auf ETCS verringert
werden.
— Da die ETCS-Einführung für die Betreiber unwirtschaftlich ist, muss der Bund im Rahmen
eines Investitionsprogramms für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr die Umrüstung von Fahrzeugen mit ETCS fördern.
— Mit einer zeitlich befristeten öffentlichen Förderung der Betriebsmehrkosten nach Umrüstung von Güterwagen auf leise Bremssohlen kann die Bundesregierung einen wesentlichen
Beitrag zur Entlastung des Sektors und zur weiteren Beschleunigung der Lärmsanierung der
Güterwagenflotte leisten.
— Sofern die vorgesehene Evaluierung die fortschreitende Lärmsanierung der Güterwagenflotte
belegt und bestätigt, dass ihr Abschluss in 2020 absehbar ist, ist mit Blick auf die dauerhafte
Leistungsfähigkeit der Güterbahnen ein Verzicht auf die Umsetzung ordnungsrechtlicher
Maßnahmen vor 2020 unumgänglich.
— Um die Verlässlichkeit für alle Marktakteure herzustellen, muss die Bundesregierung möglichst frühzeitig eine belastbare Aussage treffen, wie ein Einsatzverbot lauter Güterwagen
nach 2020 in Deutschland rechtlich umgesetzt werden soll.
— Um den administrativen Aufwand zur Erfüllung öffentlicher Normen und Pflichten wirkungsvoll zu begrenzen, müssen Gesetzgeber und Verwaltungen ihr Bewusstsein für die wirtschaftlichen Folgen ihrer Entscheidungen schärfen.
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Der Schienengüterverkehr muss wettbewerbsfähig
bleiben
Der Güterverkehr wird sowohl im EU-Binnenmarkt als auch im globalen Maßstab in den kommenden Jahren weiter stark wachsen. Bis zum Jahr 2030 ist nach vorliegenden Prognosen des
Bundesverkehrsministers von einem Verkehrsleistungszuwachs in Deutschland in Höhe von
38 Prozent (bezogen auf die Verkehrsleistung des Jahres 2010) auszugehen.
Das zu erwartende Güterverkehrswachstum wirft – sofern strukturelle Änderungen im Hinblick
auf den Modal Split ausbleiben – erhebliche verkehrs- und umweltpolitische Probleme auf:
— Die für die Zukunft prognostizierten Güterverkehrszuwächse – vor allem auf der Straße –
stehen einer nachhaltigen Reduzierung der Klimabelastung des Verkehrs entgegen und gefährden die Einhaltung der Klimaschutzziele der Bundesregierung.
— Die energiepolitischen Herausforderungen lassen eine Fortschreibung der bisherigen Marktstrukturen im Güterverkehr nicht zu.
— Gerade der Straßenverkehr stößt an kaum überwindbare Kapazitätsgrenzen. Die Erreichbarkeit der Standorte von Industrie und Handel kann im Rahmen des bisherigen Mobilitätsmodells nicht gewährleistet werden. Dies wäre mit weitreichenden Konsequenzen für die weitere
Entwicklung von Wirtschaft und Gesellschaft verbunden.
In einem nachhaltigen Mobilitätskonzept, das sowohl ökologischen als auch sozialen und ökonomischen Belangen Rechnung trägt, muss und soll der klimaschonende, energieeffiziente und
weitgehend „elektromobile“ Schienengüterverkehr eine zentrale Rolle einnehmen. Das Bundesverkehrsministerium erwartet, dass der Schienengüterverkehr im Prognosezeitraum stärker
wächst als die übrigen Verkehrsträger und dementsprechend seinen Marktanteil leicht von 17,7
Prozent auf 18,4 Prozent erhöht. Dabei ist unterstellt dass die realen Transportpreise der Güterbahnen bis 2030 im Wagenladungsverkehr konstant bleiben und im Kombinierten Verkehr sogar
jährlich um 0,5 Prozent sinken. Das Weißbuch der EU geht mit dem Ziel, bis 2030 30 Prozent des
Straßengüterverkehrs über 300 km auf Eisenbahn und Binnenschiff zu verlagern sogar noch
deutlich weiter.
Die prognostizierten Zuwächse des Schienengüterverkehrs sind erfreulich, reichen aber keineswegs für eine Lösung der beschriebenen Verkehrs- und Umweltprobleme aus. Denn in absoluten
Werten wird die Transportleistung des Straßengüterverkehrs laut Prognose des Bundesverkehrsministeriums bis 2030 um 170 Mrd. Tonnenkilometer, die der Güterbahnen aber nur um 46
Mrd. Tonnenkilometer wachsen. Im Klartext: Um die verkehrspolitisch gewünschten Entlastungen zu erhalten, müsste das Schienengüterverkehrswachstum spürbar verstärkt werden, was
wiederum nur möglich ist, wenn sich die relativen Transportpreise der Güterbahnen deutlich
günstiger entwickeln als in der Prognose vorausgesagt.
Im Gegensatz hierzu hat die Politik aber zahlreiche Entwicklungen zugelassen, eingeleitet oder
aktiv gefördert, die in den kommenden Jahren zu deutlichen Kostensteigerungen bei den Güterbahnen führen und deren preisliche Wettbewerbsfähigkeit zusätzlich belasten werden.
Als wesentliche Risiken für die Kostenentwicklung der Güterbahnen sind neben den Entgelten
für Infrastruktur und Energie insbesondere die im europäischen Rechtsrahmen verankerten Regelungen zur Herstellung der Interoperabilität sowie der aus öffentlichen Vorgaben resultierende
administrative Aufwand der Bahnen zu erkennen.
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Darüber hinaus ist der umweltschonende und klimaverträgliche Eisenbahngüterverkehr mit
nachvollziehbaren Anforderungen zur Minderung seiner Lärmemissionen konfrontiert. Der Sektor hat sich dazu bekannt, bis 2020 die auf dem deutschen Netz verkehrende Güterwagenflotte
komplett mit Flüsterbremsen auszustatten und damit die wesentliche Voraussetzung für die Halbierung des Schienengüterverkehrslärms zu erfüllen. Knapp 90 Prozent der hieraus resultierenden Kosten müssen vom Sektor aufgebracht werden.
Die Bahnen haben in den vergangenen Jahren bereits kontinuierlich erhebliche Anstrengungen
unternommen, um ihre Marktposition trotz außergewöhnlicher Kostenbelastungen zu verteidigen oder gar auszubauen. Die auf veränderten politischen Rahmenbedingungen beruhenden Kostensteigerungen haben jedoch ein Ausmaß erreicht, das die Wettbewerbsfähigkeit der Güterbahnen gegenüber anderen Verkehrsträgern substantiell gefährdet.
Der VDV und seine Güterbahnen haben in diesem Papier die tatsächliche Kostenentwicklung des
Schienengüterverkehrs zwischen 2010 und 2014 sowie die derzeit bekannten Kostenrisiken für
den Zeitraum bis 2020 für einen Musterzug des kombinierten Verkehrs kalkuliert. Dieser Musterzug, den man in vergleichbarer Konfiguration täglich und überall in Deutschland in der Vorbeifahrt beobachten kann, steht nicht nur in unmittelbarer Konkurrenz zum Lkw, sondern auch
zum Binnenschiff. Der kombinierte Verkehr ist das weitaus stärkste Wachstumssegment des
Schienengüterkehrs. Ein Großteil der positiven Zukunftserwartungen an die Güterbahnen beruht
auf den erwarteten starken Transportleistungszuwächsen des kombinierten Verkehrs. Deshalb
bestehen bei verminderter Wettbewerbsfähigkeit gerade in diesem Segment große Risiken für die
weitere Entwicklung des Schienengüterverkehrs insgesamt.
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Risiken für die preisliche Wettbewerbsfähigkeit des
Schienengüterverkehrs
2.1 Infrastrukturentgelte
Hintergrund
Die Eisenbahnen des Bundes, einschließlich der Infrastrukturbetreiber, sind nach dem Grundgesetz als Wirtschaftsunternehmen in privatrechtlicher Form zu führen. Europäisches und nationales Recht geben vor, dass die Eisenbahninfrastrukturunternehmen – unter Berücksichtigung
öffentlicher Finanzierungsbeiträge – die ihnen entstehenden Kosten decken müssen.
Fahrplanerstellung, Betriebsführung und Instandhaltung der Infrastruktur werden in Deutschland vollständig aus Nutzungsentgelten finanziert. Die Nutzungsentgelte tragen darüber hinaus
in nennenswerter Größenordnung zur Finanzierung der Investitionen in die Bundesschienenwege bei. Die DB Netz AG weist im Geschäftsbericht für das Jahr 2013 Bruttoinvestitionen in Höhe
5,3 Mrd. Euro aus. Die Nettoinvestitionen definiert als Bruttoinvestitionen abzüglich der Baukostenzuschüsse Dritter erreichen mit gut 1 Mrd. Euro einen Anteil von etwa 20 Prozent an den
Bruttoinvestitionen. Dieser Betrag muss vollständig aus Nutzungsentgelten refinanziert werden.
Mit dem Abschluss der LuFV II (Leistungs- und Finanzierungsvereinbarung zwischen dem Bund
und den Eisenbahninfrastrukturunternehmen der DB AG für einen Fünfjahreszeitraum beginnend am 1.1.2015) wurde festgelegt, dass der Nachsteuergewinn der EIU der DB AG vollständig an
den Bund abzuführen und auch vollständig wieder in das Bestandsnetz zu reinvestieren ist. Im
Finanzierungstableau für die Ersatzinvestitionen in die Bundesschienenwege sind Dividendenzahlungen der DB AG an den Bund in Höhe von jahresdurchschnittlich 440 Mio. Euro enthalten.
Diese Dividendenausschüttungen zur Bestandsnetzfinanzierung sind zusätzlich zu der in der
mittelfristigen Finanzplanung veranschlagten jährlichen Dividendenausschüttung (2016-2018:
350 Mio. Euro) vorgesehen. Sie sind Beleg für den stetigen Ausbau der Nutzerfinanzierung auf
der Schiene, so dass auch künftig von steigenden Infrastrukturnutzungsentgelten auszugehen ist.
Bei den nichtbundeseigenen Eisenbahninfrastrukturen liegen die öffentlichen Finanzierungsanteile in der Gesamtbetrachtung deutlich niedriger. Trotz der seit 2013 gewährten Bundesförderung und freiwilliger Zuschüsse in einzelnen Bundesländern ist die Vorhaltung der NEInfrastruktur grundsätzlich unternehmerische Aufgabe und muss aus den Einnahmen aus Infrastrukturnutzungsentgelten finanziert werden. Bei den nichtbundeseigenen Eisenbahnen liegt der
Anteil der Nutzerfinanzierung und der tatsächliche Trassenpreis deshalb im Durchschnitt über
dem der bundeseigenen Bahnen.
Die Nutzungsentgelte und deren Entwicklung sind von wesentlicher Bedeutung für die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs in Deutschland. Die Bundesnetzagentur weist in ihrer Marktuntersuchung Eisenbahnen 2014 eine indexierte Steigerung der Infrastrukturentgelte
für den Schienengüterverkehr im Durchschnitt aller Betreiber der Schienenwege in Deutschland
– berechnet als Quotient aus Trassenentgelten und Betriebsleistung - von 2010 bis 2014 in Höhe
von gut 10 Prozent aus. Zum Vergleich: Der Verbraucherpreisindex stieg im Vergleichszeitraum
um knapp 7 Prozent. Die Infrastrukturentgelte der Infrastrukturunternehmen sind also im hier
betrachteten Zeitraum wegen der nicht ausreichenden öffentlichen Finanzierung deutlich stärker
gestiegen als das durchschnittliche gesamtwirtschaftliche Preisniveau.
Wettbewerblich brisant werden diese Kostensteigerungen vor allem auch im intermodalen Vergleich mit LKW und Binnenschiff. Die Senkung der Lkw-Maut zum 1.1.2015 wird den Straßengüterverkehr trotz der ab Mitte 2015 geplanten Einbeziehung zusätzlicher Bundesstraßen in das
7
Mautsystem mit 100 bis 300 Mio. Euro pro Jahr entlasten. Binnenschiffe sind nach wie vor von
Abgaben für die Nutzung von Flüssen – mit hoher Relevanz der Rheinschifffahrt – befreit.
Dabei ist nicht berücksichtigt, dass sich unternehmensindividuell, insbesondere bei wachsender
Nutzung hochpreisiger Streckenkategorien und Trassenprodukte, aufgrund des veränderten
Trassenpreismixes deutlich höherer Kostensteigerungen ergeben können. Dies gilt gerade für den
kombinierten Verkehr, der nicht nur über leistungsfähige Streckenkategorien abgewickelt wird,
sondern gleichermaßen hohen Qualitätsansprüchen der Frachtkunden genügen muss. Hinzu
können Nebenkosten für die Benutzung der Eisenbahninfrastruktur kommen, die zwar bei einer
ausschließlichen Betrachtung der Trassenpreise nicht zu Buche schlagen, in der Preiskalkulation
der Güterbahnen aber dennoch in vollständigem Umfang zu berücksichtigen sind, wie beispielsweise Stornierungsentgelte oder Kosten für Änderungen an der bestellten Trasse. Schließlich sind
auch die Kosten für die Nutzung von Serviceeinrichtungen (Häfen, Abstellgleise, Zugbildungseinrichtungen, Terminals etc.) zu berücksichtigen.
Die künftige Entwicklung der Infrastrukturkosten birgt aufgrund der beschriebenen Zusammenhänge für die Bahnen ein erhebliches Risikopotenzial. Es ist davon auszugehen, dass die Infrastrukturnutzungskosten der Güterbahnen auch im Zeitraum bis 2020 – insbesondere im Vergleich zu den anderen Verkehrsträgern - überproportional steigen und die Wettbewerbsposition
der Güterbahnen belasten werden. Dabei sind mögliche regulierungsgetriebene Änderungen der
Trassenpreissysteme zu Lasten des Schienengüterverkehrs noch nicht berücksichtigt.
Kosten
Die Entgelte für die Nutzung der Eisenbahninfrastruktur belaufen sich bei den Güterbahnen derzeit im Durchschnitt auf knapp 20 Prozent der gesamten Produktionskosten. Sollte die bisherige
Entwicklung der Preise für die Infrastrukturnutzung auch in Zukunft fortgesetzt werden, ist für
den KV-Musterzug bis zum Jahr 2020 von einer weiteren Steigerung der Infrastrukturnutzungskosten von etwa 16 Prozent auszugehen. Dies entspricht einer Steigerung der gesamten Produktionskosten von 3,1 Prozent.
Kostenbestandteile je Zug-km im KV
2014 = 100
118
140
100
120
23
100
89
80
18
20
20
17
19
14
60
16
15
27
40
20
17
20
25
28
29
IST 2010
IST 2014
2020
0
Sonstiges
Wagen (Lärmminderung)
Lokomotive (ETCS)
Energie
Infrastrukturentgelte
8
Handlungsbedarf
Bund und Länder haben im Rahmen ihrer jeweiligen Finanzierungsverantwortung erheblichen
Einfluss auf das Niveau der Infrastrukturentgelte. Die Höhe ihrer Beiträge zur Finanzierung der
Bestandsnetze der Eisenbahnen sowie der Bau- und Ausbauinvestitionen schlägt sich mittelbar
im Niveau der Trassenpreise nieder. Mit der Formulierung von Dividendenansprüchen – wie
beispielsweise im Rahmen der LuFV II – besteht eine klare Erwartungshaltung gegenüber der
Ergebnisentwicklung der Eisenbahninfrastrukturunternehmen, die deren Kalkulation unmittelbar beeinflusst. Damit entscheidet die öffentliche Hand maßgeblich über die Wettbewerbsfähigkeit des Schienengüterverkehrs gegenüber anderen Verkehrsträgern.
Aus Sicht des VDV und seiner Güterbahnen heiß das konkret:
— Vor allem der Bund, aber auch die Länder müssen die Finanzierung der öffentlichen Eisenbahninfrastruktur mit öffentlichen Haushaltsmitteln sicherstellen.
— Bestehende Instrumente zur Finanzierung und Planung der Infrastruktur (Bundeschienenwegeausbaugesetz, Bundesverkehrswegeplan 2015, und Schienengüterfernverkehrsnetzförderungsgesetz, Förderrichtlinie Kombinierter Verkehr, Richtlinie zur Förderung von Gleisanschlüssen) müssen auch zur beschleunigten Realisierung produktivitätssteigernder Investitionen – insbesondere in die Ermöglichung längerer Güterzüge - angemessen dotiert und bedarfsgerecht weiterentwickelt werden.
2.2 Energie
Hintergrund
Überdurchschnittlich – um ca. 20 Prozent - sind in den vergangenen Jahren (2010 bis 2014) die
Kosten für den Fahrstrom des KV-Musterzugs gestiegen. Der Anteil an den Produktionskosten
des KV-Musterzugs in diesem Zeitraum hat sich um einen Prozentpunkt auf nunmehr 17 Prozent
erhöht.
Risiken für die künftige Entwicklung der Kosten für elektrische Energie bestehen hinsichtlich
der generellen Entwicklung der Energiepreise sowie der Kosten der Energiewende. Die aktuell
geführte Debatte zum zukünftigen Strommarktdesign beinhaltet auch preisliche Risiken für den
elektrisch betriebenen Schienengüterverkehr. Auch der notwendige Netzausbau kann die Kosten
für elektrische Energie weiter erhöhen.
Demgegenüber gehen von der Liberalisierung des Bahnstrommarktes nach aktueller Einschätzung der Unternehmen kurzfristig preisdämpfende Wirkungen aus, die jedoch mit erheblichen
Unsicherheiten bei der Entwicklung der Netznutzungsentgelte für das Bahnstromnetz einhergehen. So entfallen von den derzeitigen Kosten des Energiebezugs für die elektrische Traktion etwa
60 Prozent auf die Netzdurchleitung und 40 Prozent auf den eigentlichen Bahnstromverbrauch.
Daneben ist auch die mittel- bis langfristige Preisentwicklung im Energiemarkt aus heutiger
Sicht aufgrund zahlreicher Faktoren durch große Unsicherheiten gekennzeichnet.
Ein erheblicher Kostenanstieg ist in den vergangenen beiden Jahren durch die Umlage nach dem
Erneuerbare-Energien –Gesetz (EEG) entstanden. Durch die vollständige Einbeziehung der
Bahnstromkraftwerksmengen in das Umlagesystem des EEG haben sich die Kosten aus der EEG9
Umlage sprunghaft erhöht. Aufgrund der Novellierung des EEG wurde zudem die von den Schienenbahnen ab 2015 zu zahlende Umlage und damit die auf sie entfallende Belastung in Summe
weiter erhöht.
Gerade der Verkehrsträger, der mit weitem Abstand den höchsten Anteil erneuerbarer Energien
einsetzt, wird als einziger Verkehrsträger unmittelbar und verstärkt zur Finanzierung der Energiewende herangezogen und damit in seiner Wettbewerbsfähigkeit geschwächt. Demgegenüber
bleiben die konkurrierenden Verkehrsträger auf Straße und Wasserstraße nicht nur beim EEG
außen vor. Der aktuelle Verfall des Ölpreises führt dort sowohl aktuell als auch in mittelfristiger
Perspektive zu einer deutlichen Kostenentlastung und Stärkung der preislichen Wettbewerbsposition.
Wie bereits beim EEG trifft auch das Klimaschutzinstrument Emissionshandel vor allem und einseitig den elektrisch betriebenen Schienenverkehr. Als einziger Verkehrsträger wird er vom
Emissionshandel vollständig erfasst. Der Straßenverkehr unterliegt ebenso wenig dem Emissionshandel wie die Schifffahrt. Seit 2013 müssen die Kraftwerke für die von ihnen benötigten
CO2-Zertifikate vollständig kostenpflichtig aufkommen. Die dadurch entstehenden Kosten führen zu einer weiteren Verteuerung des Fahrstroms. Davon sind auf dem deutschen Netz nahezu
90 Prozent der Schienengüterverkehrsleistung betroffen.
15,00
11,42
15
4,56
Polen
1,01
Litauen
0,50
Spanien
1,00
0,50
Rumänien
Ungarn
0,50
Luxemburg
1,00
0,50
Irland
Bulgarien
0,50
Frankreich
0,00
2,50
5
4,47
10
Estland
Euro pro Megawattstunde
Belastung der Bahnen mit Stromsteuern im internationalen Vergleich
Österreich
Deutschland
Griechenland
Ver. Königreich
Schweden
Slowenien
Slowakei
Portugal
Niederlande
Lettland
Italien
Finnland
Dänemark
Tschechien
Belgien
0
Quelle: Allianz pro Schiene auf Basis v on CE Delf t 2012.
Gleichzeitig ist und bleibt die Energiesteuerbelastung für den Schienengüterverkehr in Deutschland verglichen mit anderen europäischen Staaten hoch. Mit 11,4 Euro pro Megawattstunde wird
der Fahrstrom in Deutschland deutlich höher als in anderen europäischen Ländern besteuert. In
vielen Staaten zahlen die Güterbahnen gar keine Steuern auf den Fahrstromverbrauch. In nahezu
allen anderen europäischen Ländern werden deutlich niedrigere Steuersätze angewandt. Einzig
in Österreich sind mehr Steuern auf Fahrstrom zu entrichten.
10
Kosten
Die vollständige Auktionierung der Emissionszertifikate gemäß Neufassung der Emissionshandelsrichtlinie 2003/87/EG hat ab 2013 zu einem deutlichen Anstieg der Energiekosten für den
elektrischen Schienengüterverkehr geführt. Der Verfall der Zertifikatepreise hat die Belastungen
für den Schienenverkehr jedoch vorübergehend begrenzt. Für den Schienengüterverkehr in
Deutschland ist aktuell dadurch von einer zusätzlichen Belastung von rund 30 Millionen Euro pro
Jahr auszugehen. Aktuelle politische Entscheidungen sind jedoch darauf ausgerichtet, die Funktionsfähigkeit des europäischen Emissionshandels zu verbessern. Durch Verknappung der Zertifikate sollen deren Preise und deren Steuerungswirkung erhöht werden. Für den Zeitraum bis
2020 gehen wir von einer Verdoppelung der Kosten des Emissionshandel aus.
Mit Beginn des Jahres 2015 sind die Belastungen der Schienenbahnen durch die stärkere Einbeziehung in die EEG-Umlage gestiegen. Die Mehrbelastungen für alle Schienenbahnen belaufen
sich auf gut 70 Millionen Euro pro Jahr. Auf die Güterbahnen entfallen hiervon knapp 25 Mio.
Euro.
Insgesamt ist für den Zeitraum zwischen 2014 und 2015 auch unter Berücksichtigung der aus der
Energiewende resultierenden Kostenrisiken sowie der aus der Liberalisierung des Bahnstrommarktes hervorgehenden Effekte von einer weiteren - wenn auch vergleichsweise moderaten Steigerung der Energiepreise für den Schienengüterverkehr auszugehen.
Kostenbestandteile je Zug-km im KV
2014 = 100
118
140
100
120
23
100
89
80
18
20
20
17
19
14
60
16
15
27
40
20
17
20
25
28
29
IST 2010
IST 2014
2020
0
Sonstiges
Wagen (Lärmminderung)
Lokomotive (ETCS)
Energie
Infrastrukturentgelte
Die Energiekosten des Musterzugs werden dennoch auch im Zeitraum zwischen 2014 und 2020
vor allem getrieben durch EEG-Umlage und Emissionshandel um knapp 15 Prozent steigen. Dies
entspricht einer Steigerung der gesamten Produktionskosten des KV-Musterzuges von 2,5 Prozent.
11
Dabei ist zu berücksichtigen, dass die Bedeutung der Energiekosten für die Wettbewerbsposition
der Güterbahnen gegenüber Lkw und Binnenschiff angesichts der zumindest temporär stark gesunkenen Beschaffungskosten für Dieseltreibstoffe erheblich gewachsen ist.
Handlungsbedarf
Eine Korrektur der energiepolitischen Rahmenbedingungen für die Schiene ist notwendig, um
eine verkehrs-, wirtschafts- und auch klimapolitisch sinnvolle Optimierung des Gesamtverkehrssystems zu erreichen.
Die Zusatzbelastung aus dem EEG für den energieeffizienten und klimafreundlichen Schienenverkehr, der als einziger Verkehrsträger im großen Umfang bereits heute erneuerbare Energien
einsetzt, muss dringend zumindest auf das Niveau vor der EEG-Reform zurückgeführt werden.
Die auf europäischem Recht beruhende einseitige Benachteiligung des Schienengüterverkehrs
beim Emissionshandel muss bei der anstehenden Reform des Emissionshandels korrigiert werden. Solange die anderen Verkehrsträger nicht in vergleichbarem Umfang in das Instrument
einbezogen sind, ist der Schienenverkehr von den Belastungen freizustellen. Zumindest sind
durch Ausnutzung der nationalen Handlungsspielräume bei der Energiebesteuerung die Zusatzlasten der Schiene aus Gründen des Umwelt- und Klimaschutzes zu kompensieren. Erlöse aus
dem Emissionshandel sind zur Stärkung des klimafreundlichen Schienenverkehrs zu verwenden.
Die Energiebesteuerung des Schienengüterverkehrs in Deutschland muss vor allem beim Fahrstrom, aber auch beim Traktionsdiesel den Steuersätzen in den europäischen Nachbarländern
zumindest angeglichen werden. Mit einer vollständigen Befreiung des Schienengüterverkehrs
von der Stromsteuer und von der Besteuerung des Traktionsdiesels kann die deutsche Politik die
hohe Mehrfachbelastung der Güterbahnen abbauen und deren Wettbewerbsposition stärken.
2.3 Harmonisierung der Zugsicherungssysteme im europäischen Eisenbahnnetz
Hintergrund
Im europäischen Eisenbahnnetz kommen neben sechs Stromsystemen etwa 20 unterschiedliche
Zugsicherungssysteme zum Einsatz. Im grenzüberschreitenden Verkehr müssen deshalb entweder Lokomotiven mit mehreren Zugsicherungssystemen eingesetzt oder die Lokomotiven an den
Systemgrenzen gewechselt werden. Mit der Verabschiedung der sogenannten Interoperabilitätsrichtlinie und den entsprechenden Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität (TSI)
haben die europäischen Beschlussgremien die rechtlichen Voraussetzungen u. a für die Harmonisierung der Zugsicherungssysteme geschaffen. Im Mittelpunkt steht dabei die Ausrüstung des
transeuropäischen Eisenbahnnetzes mit dem europäischen Zugsicherungssystem ETCS. Bei Neuund Ausbaustrecken ist die Ausstattung mit ETCS Pflicht. Darüber hinaus sollen wichtige Verkehrskorridore des grenzüberschreitenden Schienengüterverkehrs gemäß EU-Verordnung teils
bis 2015 teils bis 2020 mit ETCS ausgestattet werden.
In Deutschland wird ETCS auf den Güterverkehrskorridoren des konventionellen Schienennetzes
zwar parallel zum bestehenden Zugsicherungssystem installiert. Längerfristig ist jedoch davon
auszugehen, dass die Altsysteme abgeschaltet werden. Bei den Vorhaben VDE 8.1 und 8.2 (Ebenfelde – Erfurt, Erfurt – Leipzig) sowie der künftigen Hochgeschwindigkeitsstrecke von Wendligen nach Ulm wird ETCS als exklusives Zugsicherungssystem zum Einsatz kommen.
12
 In einigen Ländern gibt es zusätzlich einzelne Strecken oder Teilnetze mit spezifischen Stromsystemen. So
werden beispielsweise in den Niederlanden die Betuwe-Route und HSL Nord-Zuid mit 25 kV 50 Hz ACBahnstrom betrieben.
Mit der Betuweroute und der Lötschbergstrecke sind bereits heute wesentliche Streckenbereiche
des internationalen Schienengüterverkehrs (Korridor Rotterdam – Genua) ausschließlich mit
ETCS ausgestattet. Mit der Fertigstellung der neuen Alpentransversale durch den Gotthard im
Jahr 2017 wird im Nord-Süd-Verkehr durch die Schweiz der Einsatz von ETCS obligatorisch.
Bereits zum Fahrplanwechsel 2012/2013 ist der ETCS-Betrieb auf wesentlichen Strecken des
internationalen Schienengüterverkehrs in Österreich, u. a. auf der Strecke Kufstein – Brenner,
aufgenommen worden.
Wenngleich die mit der ETCS-Strategie verbundene Zielsetzung der EU-weiten Harmonisierung
der Sicherungssysteme grundsätzlich zu begrüßen ist, ist festzustellen, dass derzeit tatsächlich
länderspezifische, nicht zueinander kompatible ETCS-Varianten installiert werden. Statt eines
schlanken durchgehend einheitlichen Systems entstehen aufwändige Systeme mit länderspezifischen Zusatzpaketen, die in Verbindung mit deren technischer Weiterentwicklung zusätzliche
Komplexität erhalten. Anschaulich in die Softwarewelt übertragen und auf den Güterverkehrskorridor Rotterdam – Genua bezogen, wäre dies mit jeweils spezifischen Windows13
Betriebssystemen für die Niederlande, für Deutschland, für die Schweiz und für Italien vergleichbar, die zudem auf unterschiedlichen Entwicklungsstufen wie Windows 7, Windows Vista und
Windows 8 beruhen..
Schon die fortschreitende infrastrukturseitige ETCS-Ausstattung macht deutlich, dass die Güterbahnen ihre im internationalen Schienengüterverkehr zum Einsatz kommenden Fahrzeuge
zusätzlich zu den heutigen Sicherheitssystemen zwingend mit ETCS ausrüsten müssen. Neue
Lokomotiven müssen, sofern sie nach dem 1. Januar 2012 in Auftrag gegeben oder nach dem 1.
Januar 2015 in Betrieb genommen werden, zusätzlich mit ETCS ausgerüstet sein. Ausnahmen
gelten u. a. für Rangierloks oder Fahrzeuge, die ausschließlich für den innerstaatlichen Verkehr
oder den grenzüberschreitenden Regionalverkehr bestimmt sind. Altfahrzeuge müssen demnach
zusätzlich mit ETCS nachgerüstet werden, wenn sie Strecken befahren, die ausschließlich mit
ETCS betrieben werden.
Die Nachrüstung von Lokomotiven mit ETCS ist zunächst mit erheblichen Kosten verbunden.
Demgegenüber sind in Deutschland kurz- und mittelfristig weder auf der betrieblichen noch auf
der kommerziellen Seite wirtschaftliche Vorteile zu erwarten. Der Nutzen der ETCS-Ausrüstung
wird sich erst in weiterer Zukunft, d. h. nach Ausrüstung der wesentlichen europäischen Korridore mit einem gemeinsamen schlanken System, bei den Unternehmen bemerkbar machen. Ohne
Gegensteuerung wird ETCS deshalb die relative Wettbewerbsposition des Schienengüterverkehrs
in den beiden folgenden Dekaden spürbar belasten.
Kostenbestandteile je Zug-km im KV
2014 = 100
118
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100
120
23
100
89
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16
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20
17
20
25
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IST 2010
IST 2014
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Sonstiges
Wagen (Lärmminderung)
Lokomotive (ETCS)
Energie
Infrastrukturentgelte
Kosten
Während die infrastrukturseitige ETCS-Ausrüstung bei den bundeseigenen Infrastrukturbetreibern zumindest im Grundsatz unter den grundgesetzlichen Gewährleistungsauftrag für die Eisenbahninfrastruktur fällt, sind die Kosten der Nachrüstung der Fahrzeuge mit ETCSKomponenten von den jeweiligen Fahrzeughaltern zu tragen.
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Dabei sind in naher Zukunft Loks für Österreich, weitere Loks für die Schweiz (Gotthard) sowie
Dänemark umzurüsten. Nach 2020 u.a. in Belgien und wegen des dann erforderlichen Ersatzes
der LZB auch der Großteil der in Deutschland zum Einsatz kommenden Streckenloks. Die Kosten
für die Nachrüstung einer Streckenlokomotive mit ETCS belaufen sich derzeit auf 400.000 Euro
je Lok. Für Spezialkonfigurationen wie z.B. in Dänemark sind deutlich höhere Kosten zu veranschlagen. Bei Leasing-Fahrzeugen betragen die Mehrkosten für die ETCS-Ausstattung derzeit
etwa 40.000 Euro pro Jahr und Lokomotive.
Bei der Kalkulation der Kosten für den Musterzug wurden die ETCS-Kosten analog zum Umrüstungsstand auf die betrachteten Zeiträume vor und nach 2014 umgelegt. Da der Großteil der Güterverkehrslokomotiven erst nach 2014 mit ETCS ausgerüstet wird, werden die ETCS-bedingten
Lokomotivkosten erst im Zeitraum bis 2020 signifikant, nämlich um etwa 20 Prozent ansteigen.
Die Produktionskosten des Musterzugs werden allein durch die Ausrüstung der Lokomotive mit
ETCS um knapp 3,2 Prozent zulegen.
Handlungsbedarf
Die Politik hat Entscheidungen getroffen, die insbesondere in den kommenden Jahren zu erheblichen Unternehmensaufwendungen für die Nachrüstung von Bestandsfahrzeugen und für eine
Übergangszeit auch zur Mehrfachausrüstung von Neufahrzeugen führen werden.
Die Bahnen halten es angesichts der immensen Kostenbelastungen für notwendig,
— dass europaweit nur noch ein einheitlicher Standard ohne nationale Sonderlösungen implementiert werden darf,
— eine synchronisierte und zwischen den EIU abgestimmte Ausrüstung der Schienengüterverkehrskorridore erfolgt,
— die Übergangszeiten von den Alt-Systemen auf ETCS verringert werden,
— eine öffentliche Beteiligung an den Kosten: Der Bund muss im Rahmen eines Investitionsprogramms für den grenzüberschreitenden Schienengüterverkehr die Umrüstung von Fahrzeugen mit ETCS fördern. Ferner sollte die EU ihre Förderungen auf die Fahrzeugausrüstung ausdehnen.
Darüber hinaus sind Politik und Bahnindustrie in der Verantwortung mit den ihnen jeweils zur
Verfügung stehenden Instrumenten für eine signifikante Kostensenkung der fahrzeugseitigen
Ausrüstung zu sorgen.
Im Einzelnen sieht der VDV hierzu folgende Ansatzpunkte:
— Standardisierung der Soft- und Hardware
— Modularisierung des Systems
— Standardisierung der Schnittstellen
— Einsatz von Standard-Industriekomponenten
— Konsequente Umsetzung vereinfachter Zulassungs- und Inbetriebnahmeprozesse
— Vereinfachung der Tests und der Interoperabilitätsnachweise
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2.4 Lärmminderung
Hintergrund
Die Minderung des Schienenverkehrslärms ist eines der wesentlichen Anliegen der Verkehrspolitik. Die Bundesregierung will den Schienenlärm bis 2020 deutschlandweit halbieren. Ab diesem
Zeitpunkt sollen laute Güterwagen das deutsche Schienennetz nicht mehr befahren dürfen.
Der Eisenbahnsektor hat sich ausdrücklich zu dem Ziel bekannt, bis 2020 die auf dem deutschen
Netz verkehrende Güterwagenflotte komplett mit Flüsterbremsen auszustatten und damit die
Voraussetzung für die Halbierung des Schienenverkehrslärms zu erfüllen.
Ende 2014 waren bereits gut 20 Prozent der Güterwagenflotte der in VDV und VPI organisierten
Unternehmen auf leisen Sohlen unterwegs. Die Lärmsanierung der Flotten – insgesamt sind auf
dem deutschen Netz ca. 180.000 Güterwagen betroffen - wird kontinuierlich fortgesetzt.
Die Bundesregierung will ausweislich des Koalitionsvertrages im Jahr 2016 den Stand der Lärmsanierung der auf dem deutschen Netz verkehrenden Güterwagen prüfen. Für den Fall, dass bis zu
diesem Zeitpunkt nicht mindestens die Hälfte der Güterwagen umgerüstet sind, hat die Koalition
die Umsetzung ordnungsrechtlicher Maßnahmen noch in dieser Legislaturperiode angekündigt.
Der Eisenbahnsektor hat die Umrüstung bis 2020 zugesichert. Er hat aber gleichzeitig darauf
hingewiesen, dass ein darüber hinaus beschleunigter Hochlauf der Lärmsanierung zahlreiche
Unternehmen wirtschaftlich überfordern würde. Der kurzfristige Erlass ordnungsrechtlicher
Maßnahmen würde die Wettbewerbsposition des Schienengüterverkehrs massiv beeinträchtigen. Nach den in einer Studie untersuchten Szenarien sind erhebliche Transportzeitverlängerungen und damit verbundene Kostensteigerungen zu befürchten. Aufkommensverluste von mindestens 30 Prozent sind zu erwarten.
Kosten
Die Lärmsanierung der Güterwagenflotten ist mit erheblichen Mehrkosten verbunden. Bei der
erstmaligen Ausrüstung eines Güterwagens mit LL-Sohlen fallen gegenüber dem bloßen Austausch herkömmlicher Graugussbremssohlen Mehrkosten an, die sich bei einem vierachsigen
Wagen auf knapp 1700 Euro belaufen. Die Hälfte der reinen Umrüstkosten wird im Rahmen eines
Förderprogramms der Bundesregierung aus öffentlichen Mitteln finanziert. Darüber hinaus fallen
bei allen Güterwagen, die mit Flüsterbremsen ausgestattet sind, signifikant höhere Betriebskosten an, weil Radsätze häufiger inspiziert und reprofiliert werden müssen und die VerbundstoffBremssohlen deutlich teurer sind. Diese Betriebsmehrkosten belaufen sich unter Berücksichtigung der auflagenbedingten Mehrkosten aus der Zulassung auf 0,7 Eurocent/Achskilometer. Bei
kontinuierlicher Lärmsanierung der Flotte fallen im gesamten Zeitraum zwischen 2013 und 2020
für Umrüstung und Betrieb insgesamt zusätzliche Kosten von knapp 1 Mrd. Euro an.
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Kostenbestandteile je Zug-km im KV
2014 = 100
118
140
100
120
23
100
89
80
18
20
20
17
19
14
60
16
15
27
40
20
17
20
25
28
29
IST 2010
IST 2014
2020
0
Sonstiges
Wagen (Lärmminderung)
Lokomotive (ETCS)
Energie
Infrastrukturentgelte
Bei der Kalkulation der Kosten für den Musterzug wurden die Lärmminderungskosten analog
zum Umrüstungsstand auf die betrachteten Zeiträume vor und nach 2014 umgelegt. Die beschriebenen Lärmminderungsmaßnahmen haben im Zeitraum bis 2014 zu einem Kostenanstieg
von ca. 15 Prozent geführt. Für den Zeitraum zwischen 2014 und 2020, in dem die Lärmsanierung
der Güterwagenflotte vollständig abgeschlossen wird, erwarten wir zusätzliche Kosten in Höhe
von etwa 36 Prozent. Die gesamten zugbezogenen Produktionskosten steigen hierdurch um etwa
7,2 Prozent.
Handlungsbedarf
Der Eisenbahnsektor in Deutschland hat sich zur vollständigen Lärmsanierung seiner Güterwagenflotten bis zum Jahr 2020 bekannt. Kurzfristig greifende ordnungsrechtliche Vorgaben sind
vor diesem Hintergrund nicht angezeigt. Die Politik hat ein Einsatzverbot lauter Güterwagen auf
dem deutschen Netz angekündigt, ohne dessen rechtliche Ausgestaltung weiter zu konkretisieren. Um hier Verlässlichkeit für alle Marktakteure herzustellen, muss die Bundesregierung möglichst frühzeitig eine belastbare Aussage treffen, wie ein Einsatzverbot lauter Güterwagen nach
2020 in Deutschland rechtlich umgesetzt werden soll.
Eine schnelle Lärmsanierung, die bereits in 2016 zu einem Anteil leiser Wagen von mindestens
50 Prozent führt, würde den Eisenbahnsektor wirtschaftlich überfordern. Lärmmindernde ordnungsrechtliche Maßnahmen würden die Güterbahnen dauerhaft schwächen.
Mit einer zeitlich befristeten öffentlichen Förderung der Betriebsmehrkosten könnte die Bundesregierung einen wesentlichen Beitrag zur Beschleunigung der Lärmsanierung der Güterwagenflotte leisten.
Sofern die vorgesehene Evaluierung die fortschreitende Lärmsanierung der Güterwagenflotte
belegt und bestätigt, dass ihr Abschluss in 2020 absehbar ist, ist mit Blick auf die dauerhafte
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Leistungsfähigkeit der Güterbahnen ein Verzicht auf die Umsetzung ordnungsrechtlicher Maßnahmen vor 2020 unumgänglich.
2.5 Wachsender administrativer Aufwand der Güterbahnen zur Erfüllung öffentlicher Auflagen und Normen
Hintergrund
In den vergangenen Jahren ist der administrative Aufwand zur Erfüllung unterschiedlicher
Pflichten für die Güterbahnen kontinuierlich gestiegen. Wichtige Kostentreiber sind einerseits
stetig steigende Sicherheitsanforderungen, die gerade beim – statistisch belegt - sichersten Verkehrsträger an der Fiktion absoluter Sicherheit ausgerichtet sind. Das vor diesem Hintergrund
geforderte Risikomanagement treibt nicht nur die Kosten. Es bremst gleichzeitig produktivitätssteigernde Innovationen und verhindert somit Kostensenkungen, die die Güterbahnen im intermodalen Wettbewerb stärken könnten.
Andererseits handelt es sich um Bestimmungen, die eng mit der Zielsetzung der Europäischen
Institutionen zur Schaffung eines einheitlichen Europäischen Eisenbahnraums verbunden sind.
Letzterem dient nicht nur die europäische Harmonisierung des ordnungspolitischen und regulatorischen Rahmens, sondern auch die Herstellung der betrieblich-technischen Interoperabilität
des Eisenbahnwesens. In vielen Fällen verursachen diese Prozesse erhebliche Aufwendungen,
ohne dass – zumindest kurz- und mittelfristig – adäquater Nutzen entsteht.
Hinzu kommen zahlreiche nationale Regelungen, die häufig auch aus überschießender Umsetzung europäischer Vorgaben resultieren. Die Erfüllung des regulatorischen Rahmens ist gerade
mit Blick auf kleine und mittlere Unternehmen in vielen Fällen an abstrakten Zielen, nicht aber an
pragmatischen und effizienzorientierten Lösungen orientiert.
Schließlich unterliegen die Eisenbahnen generell, und darunter auch die Güterbahnen, umfangreichen Informations- und Dokumentationspflichten, die nur mit erheblichem Aufwand – gerade
auch im Hinblick auf fortlaufende Unterhaltung und Pflege - erfüllt werden können.
Beispielhaft seien die folgenden Regelungsbereiche genannt:
— Sicherheitsbescheinigung (Antragsverfahren, Erfüllung der Anforderungen)
— Benutzung der Infrastruktur (z. B. Administrative Aufwendungen im Rahmen des Performance Regimes)
— Fahrzeuginstandhaltung (ECM-Zertifizierung, Rückverfolgbarkeit der Radsatzdaten, Radsatzprüfung gemäß EVIC, Referenzdatenbank für rollendes Material)
— EU-Triebfahrzeugführerschein-Verordnung
— Zugsicherungssysteme in Fahrzeugen (Fahrzeuggeräte, PZB Ausrüstungen)
— Umsetzung der europäischen Vorgaben zu den Telematikanwendungen im Güterverkehr
(TAF TSI)
— Crash-Normen für Fahrzeuge
— Informations- und Dokumentationspflichten (z. B. Meldeverpflichtungen zum Fahrzeugregister oder aus den Umwelt-, Verkehrs-, Energie- und Dienstleistungsstatistikgesetzen)
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Kosten
Aus den genannten Pflichten fallen bei den Eisenbahnverkehrsunternehmen überwiegend Mehrkosten aus steigendem Personalbedarf an. Sie werden in diesem Papier nur nachrichtlich erwähnt. Angesicht der Komplexität der Umsetzung in den einzelnen Unternehmen wurde an dieser Stelle auf eine Quantifizierung verzichtet.
Die bei den Infrastrukturunternehmen anfallenden Mehrkosten (regulatorische Anforderungen,
Erfüllung sonstiger rechtlicher Verpflichtungen) werden über die Infrastrukturentgelte an die
Eisenbahnverkehrsunternehmen weitergegeben und sind mit Blick auf den KV-Musterzug bereits beim Kostentreiber Infrastrukturentgelte berücksichtigt.
Handlungsbedarf
Die Güterbahnen haben im höheren Entfernungsbereich, gerade also auch im grenzüberschreitenden Verkehr, natürliche Vorteile insbesondere gegenüber dem Lkw. Die Aktivitäten der EU zur
Gewährleistung der Interoperabilität im gemeinsamen europäischen Markt sind aus dieser Perspektive zwar grundsätzlich positiv zu bewerten. Es fehlt jedoch an einer grundsätzlichen Strategie, die interoperable Weiterentwicklung der technisch-betrieblichen Vorgaben (TSI) systematisch und zielgerichtet mit der Perspektive der Produktivitätssteigerung des Schienengüterverkehrs zu verbinden. Dazu gehören insbesondere auch der Abbau bestehender und die Vermeidung neuer Interoperabilitätshemmnisse in den Regelwerken und Betriebsvorschriften.
Grundsätzlich soll das bereits hohe Sicherheitsniveau der Eisenbahn weiter verbessert werden.
Zusätzliche Vorschriften beeinträchtigen jedoch die Wettbewerbsfähigkeit der Eisenbahnen im
Vergleich zu anderen (weniger sicheren!) Verkehrsträgern. Im Ergebnis führt dies zur sinkenden
Sicherheit des Verkehrs insgesamt. Die Sicherheit des Eisenbahnbetriebs in Deutschland ist unter Zugrundelegung eines risikobasierten Ansatzes durch klare und eindeutige, auf die jeweils
eingesetzte Technik abgestimmte Regelwerke zu gewährleisten.
Die Eisenbahnen benötigen einen klaren Ordnungsrahmen und eine auch an Effizienzkriterien
ausgerichtete Regulierung. Die regulatorischen Vorgaben und deren Umsetzung sind vor allem
gegenüber kleinen und mittleren Unternehmen zu prüfen und soweit vertretbar mit aufwandsarmen Ausnahmeregelungen zu versehen.
Generell müssen Gesetzgeber und Verwaltungen das Bewusstsein für die wirtschaftlichen Folgen
ihrer Entscheidungen schärfen.
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