GYMNASTIK 37 | Artikel »Lebenslanges Lernen ist notwendig«

Gymnastik Leitthema
Gymnastik Leitthema
»Lebenslanges Lernen ist notwendig«
Positive Wechselwirkung von geistiger und körperlicher
Aktivität im Alter
Für die GYMNASTIK im Gespräch Eva-Maria Homann mit Monica Fauss; Foto1: Anne Bermüller/pixelio.de, Foto 2: Friederike Röhr, Portrait: privat
werden im Alter immer komplexer. Dadurch verlangsamt
sich das Aufnehmen neuer Informationen. Die »Fluide
Intelligenz« lässt nach. Diese ist z. B. für die Geschwindigkeit der Wahrnehmung, Kombinationsfähigkeit, Orientierung in neuen Situationen, Wortflüssigkeit und das
schnelle Problemlösen zuständig. Dadurch wird beim
Lernen weniger behalten. Die »Kristalline Intelligenz«
hingegen, die z. B. für Erfahrungswissen, erlernte Fähig-
»Was Hänschen nicht lernt, lernt Hans nimmermehr”: Lange
wurde Alter mit körperlichem und geistigem Abbau verbunden. Heute weiß man: Lernen bis in das hohe Alter ist nicht nur
möglich, sondern sogar notwendig. Nur wer ein Leben lang lernt
und sich fordert, bleibt körperlich und geistig fit. Manche Gehirnkompetenzen entwickeln sich sogar erst in späten Lebensjahren. Häufig fehlt es jedoch an entsprechenden Angeboten.
GYMNASTIK: Frau Fauss, was kann unser Gehirn im Alter
leisten?
Monica Fauss: Von seiner biologischen Grundlage her ist
das menschliche Gehirn fähig bis zum Schluss zu lernen und
sich dadurch weiter zu entwickeln. Ein Leben lang entstehen
neue Nervenzellen und Verbindungen unter ihnen. Dabei
sind geistige Herausforderung und körperliche Betätigung
grundlegend, da sie diese Prozesse anregen. Damit sind nicht
ausgeklügelte Kurse und Trainings gemeint: Denn selbst mit
jeder neuen alltäglichen Situation – sei es eine neue Waschmaschine oder eine Fahrkarte, bei der man herausbekommen muss, wie sie aus dem Automaten zu lösen ist – kann
das Gehirn nicht umhin zu lernen: Es verschaltet sich neu
und entwickelt sich weiter.
GYMNASTIK: Bewegung wirkt sich günstig auf das Gehirn
aus, worauf kommt es da an?
Monica Fauss: Bewegung bewirkt, dass das Gehirn mit
mehr Sauerstoff und Nährstoffen versorgt wird. Das ist
wichtig, denn das Gehirn ist ein Energievielfraß: für seinen Anteil von nur etwa zwei Prozent am Körpergewicht
benötigt es 20 Prozent der gesamten Energie, zudem werden Nährstoffe in den Gehirnzellen zehn Mal schneller
verbraucht wie in anderen Körperzellen in Ruhestand.
Man weiß, dass Spazierengehen die Durchblutung um 20
Prozent erhöht und Ausdauersport wie Jogging sogar um
30 Prozent. Dabei werden vermehrt Proteine produziert,
die die Bildung von Blutgefäßen im Gehirn unterstützen
und damit das Wachstum der Gehirnzellen und ihrer Verbindungen. Gerade der Wechselwirkung von geistigen
und körperlichen Aktivitäten wird eine große Wirksamkeit zugesprochen, selbst bei der Vorbeugung von Demenzerkrankungen.
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Beispielsweise wurden bei der SimA-Studie von Wolf D. Oswald vom Institut für Psychogerontologie an der Universität
Nürnberg seit Anfang der 90er Jahre in unterschiedlichen
Gruppen die Auswirkungen von Gedächtnis- und Bewegungstrainings untersucht. Eine Gruppe absolvierte nur ein
Psychomotoriktraining, eine andere ein Gedächtnistraining
und eine dritte eine Kombination beider Trainingsformen.
Die Teilnehmer der Kombinationsgruppe wiesen nach 15
Jahren die wenigsten Fälle von Demenz auf.
GYMNASTIK: Gibt es Unterschiede zwischen jungen und
älteren Lernenden?
Monica Fauss: Die neuronalen Verbindungen im Gehirn
keiten und Sprachverständnis zuständig ist, nimmt im
Verlauf des Lebens zu. Neues Wissen knüpft an alte Wissensbestände an und wird integriert, wenn es für bedeutsam erachtet wird.
Mehr als bei jungen Menschen gibt es große individuelle
Unterschiede zwischen einzelnen älteren Lernenden zu beachten. Ihr Lernverhalten wird z. B. vom gesundheitlichen
Zustand beeinflusst, aber auch davon, wie lerngewöhnt und
lernerfahren sie sind. Wer in jüngeren Jahren regelmäßig gelernt und es in späteren Jahren nicht aufgegeben hat, kann im
Alter neue Informationen schneller verarbeiten. Außerdem
ist dann die Bereitschaft, sich neuen Herausforderungen zu
stellen, wesentlich größer. So können ältere Lerngruppen extrem heterogen sein.
GYMNASTIK: Was sollte der Kursleiter in der Zusammenarbeit mit älteren Menschen beachten?
Monica Fauss: Wie schon beschrieben, verlangsamt sich das
Lernen. Daher ist mehr Zeit und Aufmerksamkeit für einzelne Lerninhalte und das Ausprobieren dieser nötig. Das
Erlernen von Neuem sollte praxis- und anwendungsorientiert erfolgen, das heißt nach individuellen Interessen, Fragestellungen, Zeitplänen und Möglichkeiten. Das vergrößert
wesentlich die Motivation und den Lernerfolg. Die neuen
Generationen der alten Menschen wollen keine Aufgaben
vorgesetzt bekommen, sondern aus sich heraus schöpfen
und entwickeln.
Je mehr das Neue an die eigenen Erfahrungen anknüpft,
umso leichter können sich ältere Menschen Neues aneignen. Der Kursleiter sollte Raum bieten, die eigenen Erfahrungen wahrzunehmen, wertzuschätzen und einzubringen.
Sie ermöglichen den Austausch mit anderen – ein Faktor,
der nach dem Ausscheiden aus festen Berufsstrukturen oder
wenn die Kinder aus dem Haus sind, immer wichtiger wird.
Beachten sollte man außerdem, dass sich ältere Menschen
selbst oft zu wenig zutrauen. Das hängt auch mit negativen
Altersbildern zusammen. Wenn man sich »alt« einschätzt,
verhält man sich »alt«, traut sich nichts Neues mehr zu und
lässt sich schnell verunsichern. Das betrifft ihre Offenheit
für Neues und ihre Merkfähigkeit und schlägt sich sogar
körperlich nieder, indem sich z.B. ihre Gehgeschwindigkeit verlangsamt. Zusammengefasst sollte man beim Stundenaufbau neben körperlicher Bewegung immer Folgendes
einbeziehen: Motivation, Emotionen ansprechen, Aufmerksamkeit fokussieren und für Belohnung in Form von Erfolgserlebnissen z.B. in Form von Zwischenetappen sorgen.
Bei Erfolgen wird Dopamin ausgeschüttet, das die Merkfähigkeit des Gehirns positiv beeinflusst.
GYMNASTIK: Stichwort Motivation: Wie kann ich ältere
Menschen animieren, vom Sofa herunter und fortdauernd
in den (Bewegungs-)Kurs zu kommen?
Monica Fauss: Differenzieren Sie von Anfang an Ihre Zielgruppe. Hinter dem Begriff »Senioren« stehen zwei bis drei
unterschiedliche Generationen, das betrifft nicht nur
das kalendarische Alter, sondern auch verschiedene biografische und soziale (Lern-)Prägungen. Die Teilnehmer wollen in der Gruppe weder unter- noch überfordert sein.
Sorgen Sie dafür, dass Ihr Angebot für alle erreichbar ist.
Das betrifft Raum (barrierefrei), Zeit (möglichst tagsüber)
und Formen der Werbung für das Angebot (Internet?, Flyer,
Schriftgrößen, Übersichtlichkeit). Denken Sie daran, dass
die jetzigen Seniorengenerationen negative Lernerfahrungen aus der Schule und Ängste mitbringen. Vermeiden Sie
daher unbedingt prüfungsähnliche Situationen und geben
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Aktiv bleiben – mit Sport und
Spaß durch alle Lebensphasen
Die Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung initiiert
und fördert Projekte im Bereich Sport und Alter
Text/Abbildungen: Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung
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finden Sie in GY
MNASTIK Nr
. 36.
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Eine Faschingsstunde mit dem Schwungtuch – Seniorengymnastik mit der Emotion-Akademie Hofheim
Sie den Teilnehmenden stattdessen Gelegenheit, sich über
persönliche Erfahrungen auszutauschen und sich gegenseitig zu bestärken, z. B. in ungezwungenen, unbeobachteten
kleinen Gruppen. Beachten Sie, dass vorhandene negative
Altersbilder der Lernenden (und Lehrenden) das Lernverhalten beeinflussen. Sie bestimmen mit, wie sich Senioren
fühlen und was sie sich zutrauen. Geben Sie ihnen Möglichkeiten, ihr Selbstwertgefühl zu stärken und mit ihren Anliegen ernst genommen zu werden.
GYMNASTIK: Wo sehen Sie Entwicklungspotential in Bezug auf Lebenslanges Lernen und entsprechende Kursangebote?
Monica Fauss: Gerontologen wie Prof. Andreas Kruse von
der Universität Heidelberg haben herausgefunden: Umso
gebildeter desto gesünder sind die Menschen im Alter
und desto höher ist ihre Lebenserwartung. Deshalb be-
handelt der letzte Altenbericht der Bundesregierung den
Zusammenhang zwischen Bildung und Gesundheit sehr
ausführlich: »Die Bedeutung des lebenslangen Lernens
für die Gesundheit und Leistungsfähigkeit im Alter wird
zunächst aus der Tatsache deutlich, dass die Ausbildung
eines gesunden Lebensstils lebenslang protektiv wirkt.«
Daraus folgern die Autoren: »Kompetenzen für die eigene
Gesundheit entwickeln, bedeutet die Fähigkeit, Wünsche,
Bedürfnisse und Erwartungen zum Ausdruck zu bringen,
sich zu informieren, zu wählen, entscheiden, urteilen zu
können, mitzubestimmen, zu steuern und zu kontrollieren.« In Unternehmen oder beispielsweise Volkshochschulen nimmt die Zahl der Seminare zu, die sich an Ältere
wenden vor allem mit dem Thema Gesundheit, Bewegung
und Prävention. Handlungsbedarf gibt es allerdings noch
bei Angeboten für Bildungsungewohnte und Hochaltrige.
Hier ist auf der ganzen Linie auch der fundiert ausgebildete
Gymnastiklehrer gefragt. ■
Die Autorin
Monica Fauss, M.A., geboren 1959, ist Kulturwissenschaftlerin, Publizistin,
Referentin, Trainerin, Meditationsanleiterin und Coach. Ihr Spezialgebiet
sind die Themen Demografie und Lebenslanges Lernen. Für ihre Arbeiten
über den Wandel der Altersbilder erhielt sie 2005 den »Publizistikpreis Senioren". Ihr Buch »Lernen ist Leben. Know-how für die 2. Lebenshälfte«
erschien 2007. Im Jahr 2013 war sie Mitgründerin des Netzwerks »Neue Alterskultur«.
Kontakt: Monica Fauss, Telefon: 089 69372785, E-Mail: [email protected]
Internet: www.monica-fauss.de, www.lernen-ist-leben.de
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Monica Fauss
Engagement im Gesundheitsbereich hat bei der Familie Becker
eine lange Tradition. Seit rund 30 Jahren steht der Name Dr.
Becker für qualitätsgesicherte Dienstleistungen rund um das
wichtigste Gut des Menschen – seine Gesundheit. Die Dr. Becker Unternehmensgruppe bietet heute mit den Unternehmen
Dr. Becker Klinikgesellschaft, Dr. Becker PhysioGym, Dr. Services und Vitalis Wohnparks in allen Lebens- und Altersphasen des Menschen individuelle Gesundheits-, Präventions- und
Betreuungsangebote.
und individuelle Stärken und Schwächen sichtbar machen.
Der Alltags-Fitness-Test wurde in den USA entwickelt und
an über 7000 Amerikanern in 21 Bundesstaaten getestet. Er
enthält erstmalig Fitness-Standards, die auf Grundlage des
aktuellen Funktionsniveaus / Fitness-Levels Prognosen über
Die Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung wurde 2002 vom
Ehepaar Becker mit dem Ziel gegründet, die Lebensqualität
älterer Menschen aktiv zu verbessern. Auf diese Weise wollten die Stifter den Mitmenschen etwas von ihrem wirtschaftlichen Erfolg zurückgeben.
In den ersten Gründungsjahren beschäftigte sich die Stiftung mit dem Thema »Alter und Beruf«. Zu dem Themenbereich wurden Tagungen veranstaltet, Förderpreise vergeben
und das Online-Tool AGECERT entwickelt, welches Unternehmen zur Überprüfung der altersgerechten Personalentwicklung dient.
Stiftung engagiert sich für Bewegung und Alter
Seit zwei Jahren unterstützt und fördert die Stiftung Forschung und Projekte zum Thema Sport und Alter. Im September 2014 wurde zur ersten Standortbestimmung eine
Tagung zum Oberthema Sitzkreis oder Marathon im olympischen Sportmuseum in Köln veranstaltet. An dieser Tagung nahmen die Kenntnisträger aus allen hierfür relevanten Forschungsbereichen und der Praxis teil, um über das
Aktivitätsverhalten der Bevölkerung in den einzelnen Altersstufen zu diskutieren. Dabei zeigte sich, dass sich Menschen insbesondere im Alter zu wenig bewegen. Aus den
Erkenntnissen der Tagung und Befragungen bei Sportvereinen und Verbänden wurde der Bedarf einer Altersstrukturanalyse für Sportvereine erkannt. Zurzeit ist die Stiftung in
der Abstimmung zur Konzipierung eines entsprechenden
Online-Tools.
Gemeinsam mit dem Deutschen Olympischen Sportbund (DOSB) und Dr. Christoph Rott hat die Marie-Luise
und Ernst Becker Stiftung den Alltags-Fitness-Test nach
Deutschland geholt. Mit dem Test kann man einfach und
unkompliziert die für den Alltag wichtige Fitness überprüfen
Dr. Petra Becker bildet gemeinsam mit ihrer Mutter Marie-Luise Becker und
Dr. Ursula Becker den Vorstand der Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung.
die Selbstständigkeit im Alter erlauben. Damit der Test auch
online durchgeführt werden kann, entwickelt die Stiftung
gerade in Zusammenarbeit mit dem DOSB ein entsprechendes Tool. Weitere Informationen zum Test findet man auch
jetzt schon auf der Internetseite: www.dosb.de/AFT ■
Weitere Informationen zur Arbeit der Marie-Luise und Ernst Becker Stiftung
und alle Vorträge zur Tagung sind unter www.becker-stiftung.de zu finden.
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