Verschiedenes KV-Blatt 01.2016 Sonderheft der Zeitschrift „Sexuologie“ 10 Jahre Präventionsprojekt Dunkelfeld „Kein Täter werden“ Im Jahr 2005 startete am Institut für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin der Charité Berlin das Präventionsprojekt Dunkelfeld „Kein Täter werden“. Es bietet Menschen, die sich sexuell zu Kindern hingezogen fühlen, darunter leiden und ohne juristische Auflagen Hilfe suchen, ein ambulantes therapeutisches Angebot. Das aus Anlass des Jubiläums erschienene Sonderheft der Zeitschrift „Sexuologie“ stellt das Angebot vor und beschreibt seine Wirksamkeit wie auch seine Grenzen. Prof. Dr. med. Dr. phil. Klaus M. Beier (siehe Foto), Direktor des Instituts für Sexualwissenschaft und Sexualmedizin an der Charité Berlin, äußert sich in einem Interview zum Vorlauf, zu ersten Erfolgen und zur Perspektive des Präventionsprojektes Dunkelfeld „Kein Täter werden“. Er machte Ende der 1990er-Jahre die Erfahrung, dass sich ab und an Männer am Institut vorstellten, die um ihre pädophilen Neigungen wussten und ärztliche Hilfe suchten, um nicht übergriffig gegenüber Kindern zu werden. Zu dieser Zeit gab es therapeutische Angebote nur für bereits verurteilte Sexualstraftäter, nicht aber vorbeugende für eigenmotivierte Männer mit pädophiler Neigung. Die öffentliche Hand zeigte sich unzuständig bei der Finanzierung des geplanten Unterstützungsprojektes, erst dank einer Anschubfinanzierung der VolkswagenStiftung konnte die Arbeit am Institut beginnen. Die Werbeagentur Scholz & Friends erarbeitete pro bono eine viel beachtete Kampagne zur Schaffung von Aufmerksamkeit, die Medien s prangen auf das Thema an, erste Anfragen potenzieller Patienten gingen ein. In den vergangenen zehn Jahren wandten sich 5.828 Pädophile, in aller Regel Männer, an das Präventionsnetzwerk „Kein Täter werden“, am Berliner Standort suchten 2.250 Menschen Hilfe. Mittlerweile gibt es neben der Berliner Charité weitere lokale Anlaufstellen in Kiel, Stralsund, Hamburg, Hannover, Düsseldorf, Leipzig, Gießen, Mainz, Regensburg und Ulm; der Erstkontakt erfolgt in der Regel per Telefon oder Email. Frühe Unterstützung kam von der Karlsruher Kinderschutzorganisation „Hänsel + Gretel“. Die therapeutische Arbeit mit den pädophilen Männern, teils in Einzel-, teils in Gruppensitzungen, erfolgt unter der Prämisse, dass (a) die individuelle sexuelle Neigung unwillentlich vorgegeben und (b) per se nicht verwerflich ist, solange (c) die Bereitschaft vorhanden ist, die erotischen Phantasien bezüglich Kindern und Jugendlichen nicht Realität werden zu lassen. Das Präventionsprojekt trägt den Namen „Dunkelfeld“, weil es sich anders als im Hellfeld nicht an justizbekannte verurteilte Straftäter im Sinne einer Rückfallverhinderung wendet, sondern potenziell pädophil Missbrauchende vor einem Übergriff erreichen will. Die Therapie, gegebenenfalls medikamentös unterstützt, zielt auf das Erwerben regulierender Kompetenzen in Richtung Verhaltenskontrolle bezüglich der eigenen Wünsche; oftmals ist den erwachsenen Pädophilen rational klar, dass ihr Begehren nicht umgesetzt werden darf, eine emotional wirksame Hemmung geht mit dieser Einsicht allerdings meist nicht einher. Das neue Heft der „Sexuologie“ zieht detailliert Bilanz der ersten zehn Jahre; es wird eindringlich belegt, wie die Zielgruppe der Hilfe suchenden Pädophilen erreicht werden kann, einzelne Fallvignetten rekonstruieren das Reifen und Verfestigen pädophiler Neigungen sowie die Intervention entlang der Bereitschaft der Patienten, sich helfen zu lassen. Das Projekt „Kein Täter werden“ hat, wie die „Sexuologie“ dokumentiert, Schule gemacht; so fördert das Bundesfamilienministerium seit 2014 das Projekt „Du träumst von ihnen“, das sich an Jugendliche mit einer sexuellen Ansprechbarkeit für das kindliche Körperschema wendet. Auch auf internationaler Ebene erweist sich das Präventionsprojekt Dunkelfeld „Kein Täter werden“ als vorbildlich, wie Nachfragen von Fachkollegen aus Finnland, England, Polen, Österreich und Frankreich belegen. Die Präventionsarbeit in Deutschland zielt nicht allein darauf, emotionale Defizite Foto: Privat 38 und Wahrnehmungsverzerrungen der Klientel im Verlauf der Therapie zu senken resp. zu verbessern, sondern auch den Konsum von Kinderpornografie als eine Abart des sexuellen Missbrauchs von Kindern einzudämmen. Es bleibt zu wünschen, dass die Arbeit des Präventionsprojektes Dunkelfeld „Kein Täter werden“ auch über 2016 hinaus (so lange fördert das Bundesjus tizministerium den Berliner Standort) fortgesetzt werden kann, denn aktive Tatvermeidung ist der beste Opferschutz. Und die Erfahrungen der sukzessive eingerichteten lokalen Standorte zeigen, dass die Nachfrage nach diesem vergleichsweise niedrigschwelligen Therapieangebot groß ist. Nach dem Willen der CDU-/CSU-Arbeitsgruppe Gesundheit des Deutschen Bundestages soll das Präventionsnetzwerk auf insgesamt 20 Anlaufstellen bundesweit, deren Finanzierung über das Gesundheitssystem läuft, ausgebaut werden. Der Erfolg der bisherigen Arbeit sollte die Präventionsarbeit peu à peu zur Regelleistung der GKV werden lassen, so der Initiator Klaus M. Beier, was allerdings aufgrund des anonymen Vorgehens unter ärztlicher Schweigepflicht unmöglich wäre; hier könnte eine Finanzierung über ein Modellvorhaben nach § 63 SGB V ein gangbarer Weg sein. Weitere Informationen zum Projekt im Netz unter www.kein-taeter-werden.de charité/red
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