Wie Krisen-PR-Experten den Streit ums Sommermärchen bewerten

Wie Krisen-PR-Experten den Streit ums
Sommermärchen bewerten
von Ingo Rentz
Dienstag, 20. Oktober 2015
Der Anfang der "Spiegel"-Titelgeschichte "Das zerstörte Sommermärchen"
Foto: Der Spiegel
"Das zerstörte Sommermärchen" lautet die aktuelle Titelgeschichte des "Spiegel".
Der schwere Vorwurf darin: Deutschland hat sich die WM 2006 erkauft. Seither
beschäftigt sich die Republik mit den Korruptionsvorwürfen, während der DFB
versucht, den PR-Gau wieder einzufangen. HORIZONT Online hat Experten für
Krisenkommunikation gefragt, welches Bild die Beteiligten in der Sache abgeben und ob die Erinnerung an den WM-Sommer 2006 wirklich getrübt wird.
In einem am 17. Oktober auf der DFB-Homepage veröffentlichten Interview wies
Niersbach die Vorwürfe aufs Schärfste zurück. Auf die Frage, ob es damals
Stimmenkauf und schwarze Kassen gegeben habe, antwortet Niersbach: "Das kann
ich absolut und kategorisch ausschließen. Ich kann versichern, dass es im
Zusammenhang mit der Bewerbung und Vergabe der WM 2006 definitiv keine
'Schwarzen Kassen' beim DFB, dem Bewerbungskomitee noch dem späteren
Organisationskomitee gegeben hat."
Das war an jenem Tag, als der "Spiegel" erstmals am Kiosk lag. Einen Tag zuvor war
bereits die elektronische Version verfügbar. Just an jenem Morgen, gegen 11 Uhr,
hatte der DFB selbst per Pressemitteilung von der unklaren Zahlung der 6,7 Millionen
Euro berichtet. Möglicherweise, heißt es in der Mitteilung, sei das Geld "nicht dem
angegebenen Zweck (FIFA-Kulturprogramm) entsprechend verwendet" worden. In
Zusammenhang mit der WM-Vergabe habe die Summe jedoch nicht gestanden.
"Sommer, Sonne, Schwarzgeld": Die Kernpunkte der "Spiegel"-Story
In seiner Titelgeschichte berichtet der "Spiegel", vor der Vergabe der WM 2006 habe
der damalige Adidas-Chef Robert Louis-Dreyfus dem deutschen Bewerbungskomitee
10,3 Millionen Schweizer Franken geliehen - als Privatmann. Das Geld sei in einer
schwarzen Kasse gelandet, von wo aus es verwendet worden sein soll, um die
Stimmen vier asiatischer Fifa-Mitglieder zu kaufen, damit sie für Deutschland als
WM-Austragungsort stimmten. 2005 habe der Deutsche Fußball-Bund das Geld, nun
umgerechnet 6,7 Millionen Euro, zurückgezahlt. Jedoch nicht an Louis-Dreyfus
direkt, sondern an ein "diskretes Fifa-Konto". Die Anordnung zu der Überweisung
habe eine handschriftliche Notiz von Wolfgang Niersbach aufgewiesen, seinerzeit
Vize-Chef des WM-Organisationskomitees und heute DFB-Präsident. Das Geld sei
"das vereinbarte Honorar für RLD", die Initialen des 2009 verstorbenen Robert LouisDreyfus.
Seither hat Niersbach sein Dementi noch einmal bekräftigt und angekündigt, die
Behauptungen aus der "Spiegel"-Geschichte zu widerlegen. Neben der
publizistischen Auseinandersetzung - "Spiegel"-Bericht vs. Niersbach-Interview und
diverse Pressemitteilungen - wird es wohl auch eine juristische geben. Der DFB hat
bereits den Medienanwalt Christian Schertz in Stellung gebracht, der die
Veröffentlichung des Hamburger Nachrichtenmagazins prüfen soll.
Hat der DFB richtig reagiert? Und wie sollte der Verband nun weiter vorgehen? Und
welches Bild gibt der "Spiegel" derzeit ab? Lesen Sie im Folgenden die
Einschätzungen renommierter Kommunikationsexperten.
Die Kommunikationsstrategie des DFB
Die Vorgehensweise des DFB ist vergleichsweise offensiv, der Verband igelt sich
jedenfalls nicht komplett ein und versucht, die Sache auszusitzen. Doch erzielt die
Kommunikationsstrategie auch die gewünschte Wirkung? Die von HORIZONT Online
befragten Experten sind skeptisch: "Die Chance sich als Aufklärer in eigenen Sache
zu präsentieren wurde verpasst. Stattdessen bringt man einen Medienanwalt in
Stellung und der DFB–Präsident gibt sich selber ein Interview. Das hat etwas von
einem hilflosen Schauspiel", sagt etwa der Binger PR-Berater Hasso Mansfeld.
Auch Karl-Heinz Heuser, langjähriger Deutschlandchef der PR-Agentur BursonMarsteller und heute selbstständig, stellt dem DFB kein gutes Zeugnis aus: "Ich
erkenne, ehrlich gesagt, keine Strategie. Ad hoc zu kommunizieren, an den
Vorwürfen sei nichts dran, ist eher ein Reflex denn strategisch fundiert."
Hasso Mansfeld (Bild: Mansfeld)
Der Meinung ist auch Dirk Popp: "Der Krisen-PR-Motor hat schon zu Beginn
ordentlich gestottert. Man hat lange versucht, das Thema unter der Decke zu halten
und konnte anschließend nicht glaubwürdig erklären, dass an den Vorwürfen nichts
dran ist", so der CEO von Ketchum Pleon Germany.
Anders sieht Richard Gaul die Sache. Der gelernte Journalist und langjährige BMWKommunikationschef findet, der DFB habe bislang "noch nicht viel falsch gemacht".
Allerdings fehle nach wie vor die glaubwürdige Erklärung dafür, wofür die 6,7
Millionen Euro überhaupt gebraucht wurden. Und auch Popp sieht Anzeichen dafür,
dass der DFB versuche, kommunikationstechnisch wieder in die Spur zu kommen:
"Jetzt schlägt der DFB mit voller Wucht zurück. Heute mit der 'Bild'-Titelseite und
auch sonst gibt es kaum ein Medium, kaum eine Sendung, in der nicht ehemalige
Fußballprofis, Moderatoren, Journalisten und Freunde Ehrenerklärungen für
Niersbach, Beckenbauer und Co. abgegeben."
Was der DFB jetzt tun sollte
Hier gibt es aus Sicht der Experten nur einen gangbaren Weg: Aufklärung,
Transparenz, Glaubwürdigkeit. "Grundsätzlich gilt in Krisensituationen, dass man
eindeutig, belastbar, vor allem nachhaltig und ohne Widersprüche kommunizieren
muss", gibt Martin Schleinhege, Mitglied der Experten-Vereinigung KrisenTaskforce, die Marschrichtung vor.
Zudem müsse der DFB nach Meinung der Befragten darauf achten, nicht zum
Getriebenen der Entwicklungen zu werden. "Der DFB muss aktiver Teil des
Aufklärungsprozederes sein und nicht sich auch noch selber in die Rolle des
Rechtfertigers manövrieren. Die DFB-Pressearbeit muss schneller, aktiver und
dynamischer werden", so Mansfeld. Heuser rät außerdem dazu, "die Anzahl der
Meinungsäußerungen und -äußerer zu reduzieren": "Es sollte nur der DFB sprechen,
alle anderen sollten sich Stillschweigen auferlegen und abwarten, wie sich die Dinge
entwickeln."
Karl-Heinz Heuser (Bild: Heuser)
Ein absolutes No-Go sei, die Sache auszusitzen, so Popp: "Der 'Spiegel' wird
wahrscheinlich nachlegen, was weitere Veröffentlichungen anderer Medien nach sich
ziehen wird." Schon jetzt sei unwahrscheinlich, dass die Aufregung sich schon
wieder beruhigen werde, vermutet der Krisen-PR-Experte: "Man darf nicht
vergessen: Kommt so eine Geschichte erst einmal ins Rollen, fühlen sich plötzlich
viele andere Whistleblower ermutigt, ihre Informationen durchzustechen."
Welches Bild gibt der "Spiegel" ab?
Dass die Story aus der Luft gegriffen ist, ist kaum vorstellbar. Wenn ein hoch
respektiertes, international geschätztes Nachrichtenmagazin wie der "Spiegel" eine
solche Geschichte sogar auf den Titel hebt, ist sich die Redaktion ihrer Sache wohl
ziemlich sicher. Vieles bleibt jedoch im Vagen: Die Geschichte äußert einen Verdacht
- handfeste Beweise für Schmiergeldzahlungen bleibt sie allerdings schuldig.
Wenig verwunderlich, dass es zu Nachfragen kam, wie etwa bei der Gesprächsrunde
im Rahmen der Sendung "Sky90". Zugeschaltet war dort der Journalist Jens
Weinreich, der an der "Spiegel"-Geschichte als Rechercheur und Autor beteiligt war.
Auf kritische Nachfragen von Moderator Patrick Wasserziehr reagierte Weinreich
ziemlich gereizt, was auch an der Präsenz des DFB-Anwalts Schertz lag. Wie die dem DFB traditionell recht nahestehende - "Bild" heute ziemlich süffisant ausbreitet,
gab Weinreich zu, nicht überprüft zu haben, ob sich auf der als Beleg angeführten
Zahlungsanweisung an die Fifa im Jahre 2005 auch wirklich Wolfgang Niersbachs
Handschrift befand.(Einen Video-Mitschnitt der Diskussion gibt es bei Sky Sport HD
auf Youtube)
Dirk Popp (Bild: Ketchum Pleon)
Wie Weinreich in dem Gespräch allerdings auch zu Recht sagt: Der "Spiegel" hat in
der Geschichte einen Geldfluss offengelegt, der den DFB in Erklärungsnöte bringt.
Dies sei eine "neue Qualität" in der Berichterstattung, so Weinreich. Dennoch meint
Gaul, die Geschichte trage bislang noch nicht, was sie versprochen habe. "Wenn der
Spiegel da jetzt nicht nachlegen kann - sei es, weil er noch weitere harte Fakten hat,
oder sie jetzt bekommt -, dann kann er ein Problem bekommen", so Gauls
Einschätzung. Popp haut in die gleiche Kerbe: "In der ganzen Story regiert das
Fragezeichen, manche Fragen beantwortet sich das Magazin einfach selbst. Das ist
zwar unterhaltsam und interessant, aber wesentliche Punkte darin scheinen
doch sehr wacklig." Insofern hat der Markenkern des Nachrichtenmagazins (Claim:
"Keine Angst vor der Wahrheit") aus der Sicht Popps durchaus "ein paar dicke
Schrammen" bekommen.
Ist das Sommermärchen nun wirklich kaputt?
Das ganze Land ein Fahnenmeer, friedlich auf den Straßen feiernde Menschen,
herrliches Wetter, tolle Spiele... kaum jemand wird nicht mit nahezu ausschließlich
positiven Gefühlen an den WM-Sommer 2006 in Deutschland zurückdenken. Für die
magischen vier Wochen hat sich hierzulande der Begriff "Sommermärchen"
eingebürgert, quasi als Synonym für eine Zeit, die fast zu schön war, um es zu
glauben. Endlich hatten sich die Deutschen auch selbst wieder gern.
Insofern dürfte die Schlagzeile des "Spiegel"-Titels für den einen oder anderen wie
ein Schlag ins Gesicht anfühlen: "Das zerstörte Sommermärchen". Kann es
wirklich wahr sein, dass dieser Sommer auf einem Betrug fußte, auf einem illegalen
Vorgang? Es kann nicht sein, was nicht sein darf, werden sich viele selbst Mut
zureden.
Die andere Frage ist: Stimmt es überhaupt, dass das Sommermärchen durch die
Korruptionsvorwürfe Schaden nimmt? Stellt der gemeine Fußball-Fan wirklich die
Verbindung her zwischen dubiosen Geldflüssen und einer riesengroßen Party in
Schwarz-Rot-Gold?
Nein, sagen die PR-Experten unisono. "2006 haben wir ja nicht die Tatsache
gefeiert, auf welche Art und Weise der DFB die WM nach Deutschland geholt hat",
so Mansfeld. "Das Sommermärchen war die große internationale Fußballparty, die
wir in Deutschland gefeiert haben. Wir packen doch jetzt nicht mehr die DeutschlandFlaggen ein, nur weil rauskommt, dass der DFB nun doch kein Hort der Heiligen ist."
Heuser sagt: "Das 'Sommermärchen' ist eben ein Märchen und das lebt von der
individuellen Vorstellungskraft der Menschen und deren Erlebnisse aus der Zeit. Die
kann einem keiner mehr nehmen, deshalb wird es vielleicht angekratzt, aber es
wird keinen besonderen Schaden nehmen."
„Beim Sommermärchen ging es ja nicht nur um Fußball, es war ein Befreiungsschlag
der Deutschen in Richtung ihrer Vergangenheit. Das bleibt.“
Dirk Popp
Popp geht sogar einen Schritt weiter und bemüht die historische Bedeutung der WM
2006 für die Nation: "Zum einen bleibt das positive Gefühl; das Erlebnis, als
fröhliches, offenes Land in der Welt angekommen zu sein. Beim Sommermärchen
ging es ja nicht nur um Fußball, es war ein Befreiungsschlag der Deutschen in
Richtung ihrer Vergangenheit. Das bleibt." Und: "Zum anderen geht längst keiner
mehr davon aus, dass bei der FIFA irgendetwas mit rechten Dingen zugeht. Daran
ändert auch ein Spiegel-Artikel nichts." Einzig Schleinhege ist vorsichtig skeptisch:
"Es sind aus meiner Sicht viele Dinge ungeklärt, deshalb steht hinter dem
Sommermärchen zunächst mal ein Fragezeichen."
Der Experte für Krisenkommunikation plädiert vielmehr dafür, das zu bewerten, was
man sicher wisse. "Wenn wir aus dem Fall Wulff lernen wollen, dann dies:
Vorschnelle Verurteilungen aufgrund von Interpretationen und Wertungen dürfen
Fakten nicht ersetzen. Mich treibt bei Analysen als Krisen-Kommunikator immer die
Frage um: Cui bono - wem nutzt die Geschichte? Wahrscheinlich eine interessante
Frage auch für den DFB und den Spiegel." ire