bz Basel, vom: Samstag, 5. September 2015

42 KULTUR
BASEL | BASELLANDSCHAFTLICHE
SAMSTAG, 5. SEPTEMBER 2015
Wo der Lärm zu Hause ist
Architektur Mit filigranen Installationen forscht eine Ausstellung im Schweizerischen Architekturmuseum Basel
mit einer Aussenstation im Kleinbasel zum Klang im Raum und in der Architektur
ropäische Handelsdelegation sei vom
kaiserlichen Schloss erwartet worden.
Das Thema des Klangs in der Architek- Da man aber eine Begegnung der Gäste
tur ist bis heute nahezu unerforscht. mit der Bevölkerung verhindern wollte,
Das eine Kirche anders klingt als eine baute man vom Hafen zum Schloss eiAlphütte scheint logisch, und vor allem nen langen Gang aus weissen Tüchern,
beim Bau von Theatern und Tonhallen durch den die Delegation gehen musswird die Architektur dem Klang ange- te. Peter Ablinger stellte sich vor, dass
passt. Dabei hat jede Architektur ihre beidseits der Tücher die Menschen die
eigenen Geräusche, die physikalisch Ohren spitzten, um etwas über die jemessbar sind und subjektiv empfunden weils Fremden zu erfahren. Passiert
werden können. Diese Simultaneität man den ersten Raum, wird man mit
von Verifizierbarden natürlichen
keit und Gefühl Jede Architektur hat ihre
Geräuschen des
hat wohl dazu geRaumes konfroneigenen Geräusche, die
führt, dass der
tiert, im zweiten
Klang in der Ar- physikalisch messbar sind
Raum wurde der
chitektur – nicht und subjektiv empfunden
Gang mit schallabzu
verwechseln werden können.
sorbierenden Elemit dem Raum –
menten ausgestatbisher marginalisiert wurde. Da wir vor tet und der dritte Raum lässt Geräusche
allem die Sehorgane als Orientierungs- aus dem Aussenraum eindringen, in
hilfe verwenden und den Klang oft mit dem kleine Löcher in die FensterscheiLärm und mit Aggression gleichsetzen, ben geschnitten wurden.
haben wir die nuancierte Unterscheidung verlernt.
Wie klingt der Novartis-Campus?
Hier setzt die Ausstellung «Der Klang
Die Klangvariationen innerhalb dieder Architektur» ein, die im Rahmen ses langen Ganges sind frappant. Im
des neuen Festivals «ZeitRäume Basel – Eingangsbereich des Museums hängen
Biennale für neue Musik und Architek- drei grossformatige Fotografien von Antur» eröffnet wurde. Der in Berlin le- na Katharina Scheidegger. Zu sehen ist
bende Komponist Peter Ablinger hat der Turbinenraum des Kraftwerks in
durch die drei Mittelachsen des Archi- Birsfelden, der Festsaal der Safranzunft
tekturmuseums einen langen Gang aus in der Gerbergasse mit offenen Fensweissen Textilmembranen gebaut. Ins- tern sowie ein Blick auf die Dreirosenpiriert hat ihn dabei eine japanische brücke und den Novartis-Campus. Die
Legende des 18. Jahrhunderts. Eine eu- Motive sind visuell bekannt – wenige
wissen jedoch wie sich ihr Klang anhört. Die Fotos werden mit einer Installation von Bernhard Günther kombiniert, welche die Bildräume mittels eines Klangteppichs anreichert.
VON SIMON BAUR
Aussenstandort im Kleinbasel
In der sparsam konzipierten Ausstellung wird vor allem die Kombination
aus Klang und Raum thematisiert, mit
Architektur sind vor allem die Rauminstallationen gebaut. Eine historische
Aufarbeitung oder eine Konfrontation
mit historisch gewachsener Architektur
sucht man vergebens.
Der Aussenstandort der Ausstellung,
der Pavillon von HHF Architekten auf
der Kleinbasler Seite der Mittleren Brücke, löst dieses Desiderat auf einfache
Weise ein. Er wurde aus handelsüblichen Bambusstäben und Metallträgern
geschaffen, und dient als markanter
Orientierungspunkt für das Festival.
Der Ort, die Plattform gegenüber
dem Café Spitz, ist ganz bewusst gewählt: Auf der einen Seite dringt der
städtische Verkehr gegen das Gebäude,
auf der anderen Seite öffnet sich der
Blick auf die Weite und Stille des
Rheins. Hier gelingt den Architekten
und der Festivalleitung auf wundersame Weise die Verschränkung von Klang
und Architektur.
Ohren spitzen! Dieser Gang ist hellhörig, da aus Textilmembranen erstellt.
NIZ
Ausstellung. Der Klang der Architektur.
Schweizerisches Architekturmuseum. Bis
18. Oktober. www.sam-basel.org
Teilnehmen an jenem Klang, der das Bild ist
Mein Lieblingswerk aus dem Kunstmuseum (30) Der Kunsthistoriker Gottfried Boehm wählt das Bild von Paul Klee: «Alter Klang»
«
Paul Klee liebte die kleinen Formate und gab ihnen eine eigene
Kraft, ohne der heute verbreiteten Tendenz zu wandbeherrschenden Werken
zu folgen. Seine Malerei wählte die
Tonlage der Kammermusik, die Nähe
der Menschen, bewohntes Ambiente.
So auch das Gemälde ‹Alter Klang›
(1925), das während der Bauhausjahre
entstanden ist. Im Wettstreit mit Kandinsky und anderen fand er zu sich
selbst und zu einer starken Gemeinsamkeit. Allen ging es darum, die
Grundlagen bildnerischer Gestaltung
zu erkunden und von dorther neu zu
beginnen. Aus diesem Geist entstand
auch der ‹Alter Klang›.
Seine Einfachheit ist unübersehbar.
Klee verzichtet völlig auf Figuren, Gesichter oder Geschichten und nimmt
ein Quadrat von 38 Zentimeter Seitenlänge beim Wort,
das wiederum in
160 verschiedenfarbige Quadrate
unterteilt ist. Eine
rationale Anordnung ohne ‹Inhalt›. Aber woher
kommt ihre Magie?
Das Bild reizt die
Fantasie
nicht,
Gottfried
sondern möchte
Boehm.
ZVG
so gesehen werden, wie man Musik hört: an die Klänge
hingegeben. Was aber klingt da? Aus
der Stille der Malerei? Das Gemälde
hellt sich von den dunklen Rändern zur
Mitte hin auf. Nicht schrittweise, sondern fliessend, sodass ein sonorer
Dämmer nie weicht. Das liegt auch an
den Farben des zweiten Registers,
nämlich Violett, Ocker und Grün, die
auf zarte Weise das kräftige erste Register, die hier völlig ausgesparten Rot,
Blau und Gelb sekundieren. Farbe ist
für ihn materielle Energie, die sich zwischen piano und fortissimo stimmen
lässt.
Die Stimmung besteht hier aus einer
beherrschenden Spannung zwischen
undurchdringlichem Dunkel und einer
daraus aufsteigenden, farbigen Ord-
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Mein Lieblingswerk
Mit der bz-Serie «Mein Lieblingswerk
aus dem Kunstmuseum» wollen wir
während der Zeit der Schliessung des
Basler Kunstmuseums dessen Schätze
in unser Bewusstsein rufen. Dies, obwohl einige Meisterwerke aktuell im
Museum der Gegenwartskunst (Moderne) und im Museum der Kulturen (Alte
Meister) zugänglich sind. Jede Woche
stellt eine bekannte Persönlichkeit aus
der Region ihr Lieblingswerk aus der
Sammlung vor. Am 15. August erklärte
der Basler Regierungspräsident Guy
Morin, weshalb ihm «Die Dents du Midi
von Chesières aus» von Ferdinand
Hodler besonders gefällt. Das Bild
mahne uns, zur Natur Sorge zu tragen,
erklärte uns der Grünen-Politiker. Am
22. August wählte die ehemalige Regierungsrätin Barbara Schneider Emil Noldes «Vorabend (Marschlandschaft)».
Letzten Samstag sagt Verena Stössinger, Autorin, Lektorin und Fachfrau für
skandinavische Literatur, was sie an
Edvard Munchs Bild «Szene aus Ibsens
‹Gespenster›» fasziniert. Heute bringt
uns Gottfried Boehm, emeritierter Professor für Neuere Kunstgeschichte der
Uni Basel, Klee auf besondere Art näher. (BZ)
Paul Klee (1879–1940), «Alter Klang», 1925. 38.3 x 38 cm; Öl auf Karton auf Rahmen genagelt.
nung, in welcher die Quadrate zur Erscheinung kommen. Wir sehen sie auf
uns zukommen oder abtauchen. Und
wir vollziehen ihren unerschöpflichen
Rhythmus mit. Diese Beobachtung lie-
fert auch den Schlüssel für die Betrachter. Wenn sie die subtilen Kontraste realisieren, dann nehmen sie an dem Ereignis, an jenem Klang teil, der das Bild
ist. Sein Zauber ist alt, wie der Titel an-
MARTIN P. BÜHLER/KUNSTMUSEUM BASEL
deutet. Alt meint hier: milde, gelassen
und erfahrungssatt. Welche Erfahrung?
Diejenige, dass Bilder auf staunenswerte Weise sichtbar machen, unsere Augen öffnen können.»