Dämmung kann aussen oder innen sinnvoll sein

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Dämmung kann aussen
oder innen sinnvoll sein
Text Achim Pilz*
Eine aussen liegende Wärmedämmung ist bei etwa 30 Prozent der Sanierungen
nicht möglich. In solchen Fällen ist eine innen liegende Wärmedämmung
angesagt. Diese wurde in den letzten Jahren zu bauphysikalisch robusten
Systemen entwickelt. Zu beachten sind dabei besonders das Management von
Tauwasser, der Feuchteschutz und Fragen der Nachhaltigkeit.
und erhaltenswerte Fassaden beispielsweise können aus ästhetischen Gründen nur innen gedämmt werden. Ebenso Dach-Ausbauten, bei denen der Aufwand zu gross ist, zum Beispiel für eine
Erneuerung der Eindeckung.
Bei Häusern auf Grundstücksgrenzen
fehlt schlicht der Platz für eine Aussenwärmedämmung. In einzelnen Wohnungen in grossen Gebäuden mit verschiedenen Eigentümern ermöglicht nur eine
ID deren energetische Sanierung. In der
Tabelle auf der gegenüberliegenden Seite sind die wichtigsten Vor- und Nachteile von innen und aussen liegenden
Feuchtigkeit hinter der
Innendämmung ist auszuschliessen. Die Dampfbremsfolie wurde mit
Durch eine energetische
Sanierung mit einer Innenwärmedämmung ist der
expressive Charakter der
Strassenfassade dieser
1920er-Jahre-Villa erhalten
worden. Siehe auch Text
Seiten 9/10.
(Bild: Gudrun de Maddalena)
In der Regel – weil bauphysikalisch einfacher – wird im Zuge energetischer
Sanierungen die Aussenseite des Gebäudes gedämmt, beispielsweise als verputzte Aussenwärmedämmung (VAWD).
Diese ist kostengünstig, schlank und
einfach zu erstellen.
Eine Innendämmung (ID) wird eingebaut, wenn eine aussen liegende Wärmedämmung entweder nicht wirtschaftlich, nicht sinnvoll oder nicht möglich
ist. Das ist bei zirka 30 Prozent des
Bestands der Fall. Denkmalgeschützte
* Freier Architekturjournalist in Stuttgart (D).
[email protected]
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Kleberaupen an das Mauerwerk angeschlossen. Hier
musste stellenweise mit
einer Acrylfuge nachgebessert werden. (Bild:
Manderscheid Architekten)
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Von innen ist die Wand zur
Strasse mit Mineralschaumplatten verkleidet.
(Bild: Gudrun de Maddalena)
Wichtigste Vor- und Nachteile von innen und aussen liegenden Dämmungen
Dämmen
Aussen
Innen
Vorteile
· bauphysikalisch einfacher
· kaum Wärmebrücken
· denkmalgerecht
· ohne Gerüst
· moderne, klare, reduzierte Architektur · historische Fassaden mit ihrer Detailgewinnt an Schnittigkeit
vielfalt bleiben erhalten
Nachteile
· Massive Aussenwände wirken innen
· schnelle Aufheizung
als Wärmepuffer
· Historische Fassade wird verdeckt
· ggf. Probleme mit Verschmutzung
· partiell ausführbar
· ggf. geringere Dämmwirkung
· mehr Wärmebrücken
· relativ dünne Schutzschicht
· Raumverlust
· reduziert sommerlichen Hitzeschutz
· ggf. Feuchteschäden in der Fassade
Wärmedämmungen zusammengefasst.
Die Tabelle auf Seite 8 stellt die Eigenschaften häufig eingesetzter Dämmmaterialien dar.
Entwicklung von Innendämmungen
ID werden vermehrt eingebaut. Sie sind
im Lauf der Zeit zu bauphysikalisch robusten Systemen entwickelt worden. Die
Herausforderung bei ID ist das Management der Feuchte in der Wand und auf
ihrer Innenseite.
Lange Jahre war die Strategie
des Feuchteschutzes im Hochbau
die der Feuchtevermeidung mit diffusionsdichten Systemen (s. Tabelle Seite 9). Damit waren ID anfällig für Schäden wie versteckter Schimmel durch Leckagen. Heute hat sich die Strategie
prinzipiell zum «Feuchtemanagement»
gewandelt. Dazu werden Kondensattolerierende oder diffusionshemmende Systeme eingesetzt (ebenfalls Tabelle Seite 9). Mit diesen neuen Ansätzen ist
eine dauerhafte ID besser planbar, etwa
gemäss dem umfassenden, demnächst
erscheinenden Merkblatt «Innenwärmedämmung» des SMGV (s. Seite 12). Es
stellt Konstruktionen detailliert vor.
Die Beachtung des Schlagregens ist
bei Sichtfachwerk besonders wichtig.
Dort wird die Fassade über Fugen regelmässig feucht, die Aussenflächen sind
saugfähig und die Aussenwände meist
nur mässig gedämmt. Bei hohem angestrebtem Wärmeschutzniveau oder unklaren Verhältnissen muss ein rechnerischer Nachweis erfolgen. In exponierten
Lagen und bei hoher Schlagregenbelastung ist eine Berechnung grundsätzlich
sinnvoll und die Verwendung von diffusionsfähigen Materialien unerlässlich.
miert. Bei den Anschlüssen ist deshalb
besondere Sorgfalt nötig. Dämmplatten
sollten vollflächig verklebt werden. Um
Wärmebrücken und damit Kondensationsmöglichkeiten zu reduzieren, sollten Flanken von einbindenden Wänden
und Decken, Leibungen sowie Nischen
rückseitig und seitlich gedämmt werden.
Feuchteempfindliche Bauteile wie
Holzbalkenköpfe sind besonders umsichtig zu behandeln. Die meisten kapillaraktiven Systeme müssen vom Holz
entkoppelt werden. Systeme mit einer
hohen Sorptionsleistung wie mit Lehm
können direkt angeschlossen werden.
Auch der Einbau von Lüftungsanlagen
hält die Luft trockener und reduziert so
eine Belastung durch Kondensat.
Fragen der Nachhaltigkeit
In den Medien wird viel über Nachhaltigkeit berichtet. Für die Menschen der Zukunft werden Fragen der Gesundheit und
der Umwelt immer wichtiger. Deshalb
Auch die Leibungen wurden
mit 6 cm gedämmt. (Bild:
Manderscheid Architekten)
Feuchteschutz beachten
Der Luftaustausch hinter einer ID muss
vermieden werden. Wenn warme, feuchte Innenraumluft in den kalten Wandbereich eindringen kann, entsteht dort Kondensat, auch Tauwasser genannt. Dann
ist langfristig ein Schaden vorprogramA P P L I C A
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Aufbau der Fachwerkwand
mit Innendämmung: geschlämmter Sumpfkalk,
Dieser 260 Jahre alte, denk-
Kalkgipsputz, Lehmbauplat-
malgeschützte Hof wurde
ten, Zellulosedämmung,
innen mit Zellulose ge-
Riegelwerk mit Strohlehm-
dämmt, um die Proportion
Ausfachung, Kalkaussen-
vor allem im Bereich des
putz auf Schilfrohrgewebe.
Sockels und Dachüberstan-
(Modell: Schauer + Volhard
des zu erhalten. Siehe Text
Architekten)
Seite 10. (Bild: Schauer +
Volhard Architekten)
sollten sie darüber informiert werden,
welche umweltrelevanten Bestandteile
die gewählte Dämmvariante enthält. Viele Dämmstoffe enthalten ökologisch und
toxikologisch wirksame Hilfsstoffe: Zellulose etwa enthält das toxische Borax.
Einige Hersteller verwenden inzwischen
Ammoniumphosphat als alter natives
Flammschutzmittel.
Ökologische Umstellung
Polyurethan enthält einen Katalysator
und als Flammschutz halogenierte Phosphorsäureester (TCPP und TCEP). Bei
Mineralfaser-Dämmstoffen, die vor dem
Jahr 1995 in Häusern eingebaut worden sind, ist davon auszugehen, dass
freigesetzter Faserstaub als potenziell
krebserzeugend zu bewerten ist. Entsprechende Schutzmassnahmen sind
bei ihrer Sanierung durchzuführen. Zwi-
schen 1995 und 2000 stellte die Branche auf moderne künstliche Mineralfasern um. Sie sind ökologisch vorteilhafte Produkte, die hinsichtlich umwelt- und
gesundheitsrelevanter Aspekte gut abschneiden.
HBCD verboten
EPS und XPS enthielten in der Schweiz
bis etwa Mitte 2014 das Flammschutzmittel Hexabromcyclododecan (HBCD).
Seit dem 21. August 2015 ist HBCD gemäss der europäischen Chemikalienverordnung Reach verboten. In PS-Dämmstoffen darf es noch übergangsweise für
fünf Jahre eingesetzt werden.
Das alternativ verwendete Flammschutzmittel ist ein bromiertes Polymer.
Nach bisherigem Kenntnisstand hat es
nicht die problematischen Umwelteigenschaften von HBCD.
Vor- und Nachteile der gebräuchlichsten Dämmstoffe
Polystyrol
Mineralwolle
Holzfaser
Überwiegend für Aussen
Vorteile
Zelluloseflocken
Überwiegend für Innen
· kostengünstig
· gute Dampfdiffusion
· gute Dampfdiffusion
· gute Dampfdiffusion
· gute Dampfdiffusion
· wasserresistent
· geeignet für Recycling
· besonders umweltver-
· wasserresistent
· in Hohlräume einblas-
· guter Dämmwert
· viele Formteile erhält-
· formstabil
· nicht brennbar
träglich
· guter sommerlicher
· robust für Innendämmung
bar
· besonders umweltver-
Hitzeschutz
lich
Nachteile
Kalziumsilikat,
Mineralschaum
· brennbar
· mit Flammschutzmittel
· teurer als Polystyrol
oder Holzfaser
· im Vergleich schlechterer Dämmwert
· feuchte-empfindlich
· umweltverträglich
· im Vergleich schlechterer Dämmwert
träglich
· im Vergleich schlechterer Dämmwert
· feuchte-empfindlich
· brennbar
· mit Boraten
Quellen: BFE, Umweltbundesamt (D).
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Diffusionsoffen sind Kalkschlämme und -putz. Auch
die übrigen Materialien leiten Kondensationsfeuchte
kapillaraktiv zu Oberflächen,
wo sie abtrocknen kann.
(Bild: Schauer + Volhard
Architekten)
Systematische Unterscheidung und Charakteristika von Innendämmungen
System
Funktionsprinzip
Beispiele
Vorteile
Kritisch
Kondensat tolerierend
Management des anfallen-
· Mineralschaumplatte
Bauphysikalisch robust
· Bei Aussenhaut mit gros-
– Diffusionsoffen
den Tauwassers durch hy-
· Kalziumsilikat-Platte
drophile, diffusionsfähige,
kapillaraktive Stoffe
· Wärmedämmputz
(kapillaraktiv)
ser Wasseraufnahmefähigkeit
· Bei Mietwohnungen, denn
· Holzweichfaserplatte
Diffusionsoffenheit muss
gewährleistet sein; Verbot
· Zellulose
· Leichtlehmsteine
diffusionsdichter Farben
· Frosteinwirkung auf Tauwasser im Grenzschichtbereich Kleber/Traggrund
Kondensatbegrenzend –
Begrenzung der Tauwas-
Mineralfaserdämmung im
Deckschicht alle Optionen
Dampfbremse muss unbe-
Diffusionsbegrenzend
serbildung durch diffusionshemmende Schicht
Ständerwerk mit Dampfbremse
möglich
dingt unverletzt bleiben
Kondensatverhindernd –
Vermeidung von Tauwas-
Schaumglas, VIP
Hohe Dämmwirkung
Bei hoher Schlagregen-
Diffusionsdicht
serbildung durch absolut
diffusionsdichte Schicht
belastung, da nur geringes
Austrocknungspotenzial
nach innen
Quelle: Dr. Anatol Worch
Auch die Oberflächen von VAWD enthalten in der Regel umweltrelevante Bestandteile. Pastöse Putze und Farben
etwa sind mit bioziden Wirkstoffen ausgestattet. Das Schweizer Ökotoxzentrum
der Eawag erforscht, wie die Wirkstoffe
in die Umwelt gelangen. Hydrophile Systeme für die Oberfläche benötigen weniger Biozide.
Grundsätzlich ist für bauökologische
Belange das ökologische Fachinformationssystem www.wecobis.de interessant und hilfreich. Es ist aktuell und
internetbasiert frei zugänglich. Herstellerneutrale Informationen zu Umweltund Gesundheitsrelevanz von Baupro-
duktgruppen und Grundstoffen stellen
dort ein Deutsches Bundesministerium
und die Bayerische Architektenkammer
zur Verfügung. Zu beachten ist im Zusammenhang mit nachhaltiger Innendämmung auch das Natureplus-Label
(s. Kästchen Seite 10).
Nach diesem theoretischen Teil folgen nun zwei Beispiele von Dämmungen
aus der Praxis:
Mineralschaum: 1920er-Jahre-Villa
Aus ästhetischen Gründen sollte eine für
die 1920er-Jahre typische StadthausFassade zur Strasse hin erhalten bleiben
(siehe Bilder Seiten 6/7). Anstatt die Vil-
la komplett aussen einzupacken, liessen die ausführenden Architekten Manderscheid Partnerschaft ihre expressive
Schaufassade innen mit 6 Zentimeter
Mineralschaumplatten dämmen. Die übrigen drei Fassaden erhielten eine VAWD
mit Polystyrol. Diese wurde je 30 cm um
die beiden Hausecken herum geführt,
damit sich die Dämmungen überlappen.
Für die Innendämmung beantragten
die Planer eine Ausnahmegenehmigung
und zogen einen Bauphysiker zu Rate. Er
beurteilte Risikopunkte wie zum Beispiel
die Balkenköpfe. Nach seinen Anweisungen wurden die Mineralschaumplatten
umlaufend stumpf mit Dichtband an die
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Natureplus-Label: Besonders
nachhaltige ID-Systeme
Das Natureplus-Siegel zertifiziert Innendämmungen aus Holzfaser- und
Schaumglasplatten als besonders
nachhaltig. Auch einige VAWD mit Kork-,
Bauteile angeschlossen und die Leibungen damit gedämmt. Nur das Fensterbrett erhielt aus Stabilitätsgründen eine
Wediplatte. Einbindende Wände und Decken erhielten keine Dämmkeile. In den
zweilagigen Innenputz wurde ein Gewebe eingebettet.
Holzfaser- oder Hanf-Dämmplatten sowie mit Schilf- oder Mineralschaumplat-
Zellulose: denkmalgeschützter Hof
ten wurden ausgezeichnet.
Für die energetische Sanierung eines
260 Jahre alten denkmalgeschützten
Hofs planten die Architekten Schauer +
Vollhard eine Innendämmung der Aussenfassade und auch zum kühleren Treppenhaus.
Die West- und Nordfassade des Riegelbaus schützt ein auf einem Schilfrohrgewebe aufgebrachter Kalkputz.
Er verhindert auch das Eindringen von
Schlagregen. Ein Lehmverstrich auf der
Innenseite dichtet zusätzlich gegen Wind
ab. Die Innendämmung besteht aus mindestens 6 cm Zellulosefaser, die hin-
www.natureplus.org
ter Lehmtrockenbauplatten eingeblasen wurde. Diese Materialien können
eventuell im Gefach kondensierende
Feuchtigkeit kapillar an die Oberfläche
transportieren. Sie tolerieren Kondensat und sind diffusionsoffen. Wärmebrücken sind weitgehend minimiert, indem
die Innendämmung direkt an die Dämmung der Bodenplatte, Deckenbereiche
und der Dachschrägen anschliesst. Die
wenigen Wand- und Deckenanschlüsse
bestehen aus warmen Materialien wie
Holz und Leichtlehm.
Im Sockelbereich der Dämmebene
wurden die Leitungen für die Heizung
verlegt. Sie tragen zur Temperierung der
Wand bei. Die Lehmplatten schützen
ein Kalkgipsputz und eine geschlämmte Sumpfkalkfarbe.
■
Weitere Literatur
Der Arbeitskreis Innendämmung im Fachverband WDVS hat im Juni 2015 seinen «Leitfaden Innendämmung» aktualisiert. Auf über
60 Seiten werden unter anderem die neue Technische Richtlinie des Fachverbandes und viele Projekte mit Vorbildcharakter vorgestellt
sowie technische Themen wie Montage ohne Dampfsperre behandelt. Bauphysikalische Herausforderungen sind besonders die Schichtenfolge sowie die Detailpunkte an Dämmschichtunterbrechungen. Der «Leitfaden 2.0 Innendämmung» kann in der Geschäftsstelle des
Fachverbandes WDVS e.V., Fremersbergstrasse 33, D-76530 Baden-Baden, per Mail an [email protected] bestellt werden.
Herunterladen unter www.innendaemm-systeme.de.
Gründliche Studie zu Ausführungen mit ID im grossen Gebäudebestand an Gründerzeithäusern von Rainer Oswald, Matthias Zöller,
Geraldine Liebert, Silke Sous: Energetisch optimierte Gründerzeithäuser, baupraktische Detaillösungen für Innendämmungen.
Abschlussbericht, Forschungsinitiative Zukunft Bau F 2781, 2011, 135 Seiten, zahlreiche Abbildungen,
Fraunhofer IRB Verlag ISBN 978-3-8167-8462-3 und kostenloser Download.
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