Weihnachten 2015

„Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen…“ – Vor seinem Leiden und
Sterben erzählt Jesus in einem Gleichnis, wie es sein wird, wenn er einmal wiederkommt, um
die Welt zu retten und zu richten, was dann noch zählt. Und Jesus nennt die Bedingung,
unter der jemand zugelassen wird zum ewigen Leben. Die Anerkennung als Bürger des
Reiches Gottes, die Aufenthaltsgenehmigung für den Himmel, erwirbt der Mensch allein
durch die Barmherzigkeit: „Ich war hungrig“, sagt Jesus, „und ihr habt mir zu essen gegeben;
ich war durstig und ihr habt mir zu trinken gegeben; ich war fremd und obdachlos und ihr
habt mich aufgenommen… Was ihr dem Geringsten getan habt, das habt ihr mir getan.“
In der Weihnachtspost der vergangenen Tage hat mich ein Bericht am allermeisten gefreut.
Der „Sozialdienst katholischer Frauen“, der skf, berichtet von Familien, die als Gastfamilien
minderjährige Flüchtlinge aufnehmen. Familien aus Kroge und aus Lohne sind dabei. Sie
haben Jungen im Alter von 15, 16 und 17 Jahren in ihr Haus und in ihre Familie
aufgenommen. Das war und ist mutig und aufwendig. Wenn ich heute sagen soll, wie und
warum wir Weihnachten feiern, dann fallen mir diese Familien ein und das Wort Jesu im
Gleichnis vom Weltgericht: „Ich war fremd und obdachlos und ihr habt mich aufgenommen.“
Weihnachten heißt: Gott nimmt Wohnung bei mir. Gott kommt ungefragt in die Welt und in
mein Leben, vielleicht auch ungebeten. Er nimmt Wohnung bei mir. Er bleibt nicht in der
Krippe und im Tabernakel. Er geht mit, will bei mir zu Hause einziehen – schöne Bescherung!
Das hat mir gerade noch gefehlt… Wirklich? Hat er mir gefehlt? – „Gott kann ja erst mal bei
den armen Schluckern anfangen…“ Gerade in den armen Schluckern will Gott mir begegnen;
gerade mit denen will er bei mir einziehen. Auch das noch! Das heißt doch, dass mit Gott die
Not der Welt mir auf die Pelle rückt. Gott nimmt Wohnung bei mir und er bringt auch noch
Menschen mit: Heimatlose, Flüchtlinge, Migranten… - Wenn ich das zulasse, ist nachher
nichts mehr so, wie es war! Gott bringt mir die Welt ins Haus; und das stellt mein Leben
garantiert auf den Kopf. Gott ist im Kommen unter den Armen und den Heimatlosen –
damals und heute. Er will es so: sein Platz ist bei den Kleinen, den Hilflosen, den Schwachen.
In seinem Kommen mischt Gott mein Leben und die Kirche auf! Die Not der Flüchtlinge
„weckt die tote Christenheit aus dem Schlaf der Sicherheit“. Christliche Gemeinden finden
wieder ihr Innerstes, wo sie herausgehen aus bürgerlicher Sattheit an die Ränder der
Gesellschaft. Wenn es so etwas wie ein „christliches Abendland“ gibt, dann an dieser Stelle!
Darum gibt es seit ein paar Monaten den „Verein Lohner Flüchtlings- und Familienhilfe“.
Hilfe hat hier Gesichter und Namen, buchstäblich Hand und Fuß. Vielleicht ist das gemeint,
wenn das Evangelium sagt: „Und das Wort ist Fleisch geworden und hat unter uns gewohnt.“
Weihnachten ist keine Idylle, keine Puppenstube, kein unwirklicher heile-Welt-Traum. Die
Krippe zeigt uns bittere Not und Ausweglosigkeit: Herbergssuche damals und heute. Gott
wird Kind, ist in seiner Liebe wehrlos, aber diese Liebe wird alles verändern und jede andere
Macht überwinden. Die Revolution der Liebe ist lautlos, unscheinbar, zum Scheitern
verurteilt und doch im Letzten siegreich. Dafür ist Gott in Jesus Christus Mensch geworden,
dafür ist er gestorben und auferstanden.
Auch in Haus Marienstein in Endel bei Visbek sind bei den Schönstatt-Schwestern
unbegleitete minderjährige Flüchtlinge untergebracht. Sie werden dort gut versorgt und
betreut. Haus Marienstein liegt mitten im Wald. Vor einigen Tagen war Jagd in Endel. Keiner
hatte daran gedacht, den Jugendlichen zu erklären, dass und warum Jäger unterwegs waren.
Die Jugendlichen gerieten in Panik, als sie die Schüsse hörten. Ein Vierzehnjähriger
verschwand und konnte zwei Tage lang nicht gefunden werden… Was müssen diese Kinder
erlebt haben, bevor sie zu uns gekommen sind!
Gott wird Kind. In einem Stall kommt er zur Welt, bei den Staatenlosen, den Randgestalten.
Schon bald ist sein Leben in Gefahr, nur Flucht kann das nackte Leben retten!
An der Krippe stehen wir vor der unglaublichsten Geschichte der Welt: Gott wurde Mensch.
Der Schöpfer des Weltalls kommt in die Welt als wehrloses und hilfloses Menschenkind!
Bischof Klaus Hemmerle sagt: Die Krippe bleibt letztlich ein Spielzeug, ein Kulturgegenstand,
ein unwirklicher Kindertraum, wenn man vom Anschauen der Krippe nicht zum Anschauen
des Mitmenschen kommt. Im Lebensschicksal des Mitmenschen: der Kollegin, des
Mitschülers, des Flüchtlings und sogar meines Gegners ist Gott selber mein Nächster
geworden, und ich kann ihn nicht finden, ihm nicht begegnen, nicht mit ihm reden, wenn ich
nicht aufbreche zu meinem Nächsten...
Bei einem Aufruf des skf im Oktober meldeten sich in kurzer Zeit 39 Familien, die Interesse
haben, Gastfamilie für einen minderjährigen Flüchtling zu sein, eben auch Familien aus
Lohne und aus Kroge. Die Kroger erzählen von ihren ersten Erfahrungen als Gastfamilie:
„Wenn die Familie plötzlich von 5 auf 7 Personen wächst, dann ist der Kühlschrank gerne mal
zu klein… Neu ist, dass wir wieder gemeinsam zu den Mahlzeiten am Tisch sitzen… Die
gemeinsame Mahlzeit ist immer eine gute Gelegenheit, die Vokabeln für den Hausgebrauch
mit viel Spaß an der Sache zu festigen. Mittlerweile kann unser Sohn auf Persisch bis 12
zählen und bei unsern Gästen lernen, wie man sein Zimmer in Ordnung hält, denn darin sind
die beiden wirklich unglaublich! Es sind oft ganze Kleinigkeiten, die ihnen große Freude
bereiten, wie z. B. eine neu Fußmatte oder Hausschuhe…“
Die Mutter der Familie in Lohne berichtet: „Zu uns kam ein Junge aus einer ländlichen
Region in Azad Kaschmir. Die Freiheit von Zwängen, materiellen Wünschen und
Besitzdenken spürt man ständig. Mein erstes Gefühl war Scham darüber, dass wir so viel
besitzen. Plötzlich hinterfrage ich so viele Dinge, die mich umgeben und die bei genauerer
Betrachtung überflüssig sind… Adnan hat uns erzählt, wie stark der Zusammenhalt in seiner
Familie ist – Familie ist in seiner Kultur das Allerwichtigste. Er hat sehr schnell gemerkt, dass
bei uns ganz andere Dinge im Alltag wichtig sind – Arbeit, Schule, Sport, Hobbies. Eigentlich
sind bei uns alle ständig unterwegs oder sonst wie beschäftigt. Zeit zum Reden ist knapp. Das
braucht Adnan hingegen wie Wasser zum Trinken…“
Wie die Familien beschreiben, verändert sich auch das Leben und das Land der Gastgeber,
und das ist gut so! Flüchtlinge haben oft nur ihr Leben retten können, und doch bringen sie
einen großen menschlichen Reichtum mit. Geduld und langer Atem, natürliche Neugier und
persönliche Herzensweite bereichern Gäste und Gastgeber. Sie lernen Neues – über die
andern und über sich selbst! Es gibt viele ermutigende Beispiele, wie Menschen in diesen
Tagen den Auftrag Jesu ganz wörtlich nehmen und ihre Türen öffnen. Sie haben die
Weihnachtsgeschichte in den Alltag hinein übersetzt.
Ich schließe meine Gedanken zu Weihnachten mit einem Gebet:
„Danke, Gott, dass du in unsere Welt und in mein Leben kommst. Nimm Wohnung bei mir
und öffne mein Herz für alle Menschen, in denen du mir begegnen willst! Mach dich breit
unter uns, finde hier deine Herberge, denn wo man dich einlässt, da ist Frieden auf Erden.“