Kreuz & Quer

Kreuz & Quer
Der Podcast aus dem Bistum Trier
Kalle Grundmann - 26. September 2015
altfried g. rempe
Mein Vater war ein heimatloser Aramäer
ich bin Kalle Grundmann von der Rundfunkarbeit des Bistums Trier. - „Mein Vater war ein heimatloser
Aramäer“ (Dtn 26,5). Das ist das grundlegende Bekenntnis, die tief verwurzelte Erfahrung des Volkes
Gottes, des Volkes Israel. Mit diesem „heimatlosen Aramäer“ ist Jakob, vielleicht aber auch Abraham
gemeint oder alle beide. Denn heimatlos zu sein, auszuwandern, zu fliehen, das haben beide Erzväter
erlebt. Von Abraham, dem Urvater des Volkes Gottes, dem gemeinsamen Stammvater von Juden,
Christen und Muslimen wird erzählt, dass er ausgewandert ist aus seiner Heimat in ein Land, das Gott
ihm gezeigt hat. Am Anfang der Geschichte zwischen Gott und seinem Volk steht nicht das gelobte
Land, sondern der Weg dorthin.
Von Jakob, dem Enkel Abrahams wird erzählt, dass er am Ende seines Lebens wegen einer
Hungersnot sein Land verlassen musste. Als klassischer Wirtschaftsflüchtling zieht er mit seiner
großen Familie in das reiche Ägypten. Dort hat das Volk einige Generationen ganz gut gelebt, aber
dann kamen Unterdrückung und Ausbeutung. Man blieb fremd in Ägypten, mit der Integration hat es
wohl nicht so geklappt. Vielleicht durften oder vielleicht wollten sie sich nicht integrieren. Man weiß es
nicht genau. Auf alle Fälle hat Moses das Volk dann aus Ägypten herausgeführt. Vierzig Jahre – so
heißt es – dauerte die Flucht. In meinem Kopf steigen die Bilder der großen Flüchtlingscamps in der
Türkei, dem Libanon, Jordanien und anderen Ländern auf. Flüchtlingslager, die es zum Teil schon seit
Jahrzehnten gibt.
Und mit der Flucht aus Ägypten ist noch lange nicht Schluss mit der Wanderungsgeschichte des
Volkes Gottes. Im 6. Jahrhundert vor Christus kommt es zur babylonischen Gefangenschaft. Man
verliert einen Krieg und viele werden nach Babylonien verschleppt. Nach einigen Jahrzehnten kommen
die bzw. ihre Kinder und Kindeskinder wieder frei. Kehren nach Hause zurück und müssen neu
integriert werden, denn das Leben ist in der alten Heimat ja weiter gegangen.
Fremd sein, unterwegs sein, keine Heimat haben ist die Urerfahrung des Volkes Gottes. Von daher ist
es ganz selbstverständlich, dass die Bibel sehr eindeutig ist, wenn es um die Hilfeleistungen für
Fremde, für Flüchtlinge, geht: „Der Fremde, der sich bei euch aufhält, soll euch wie ein Einheimischer
gelten und du sollst ihn lieben wie dich selbst; denn ihr seid selbst Fremde in Ägypten gewesen. Ich
bin der Herr, euer Gott.“ So steht es im Buch Levitikus (Lev 19,34). Klarer und unmissverständlicher
kann man es wohl nicht ausdrücken. Du sollst den Fremden lieben wie dich selbst. Begründung: Du
bist selbst ein Fremder in Ägypten gewesen – vergiss das nicht!
Und in dieses Volk mit der Geschichte wird Jesus hineingeboren, den wir Christen den Gesalbten –
Christus - nennen. Und der ist nur mit der Geschichte und aus der Geschichte dieses seines Volkes
heraus zu verstehen. Jesus ist Jude. Und auch bei ihm spielen in seinen Kindheitsgeschichten
Wanderungen und Flucht eine große Rolle. Da müssen seine Eltern nach der Weihnachtsgeschichte
„Kreuz & Quer“ – 26.9.2015 – Seite 2
des Lukas von Nazareth nach Bethlehem, um sich registrieren zu lassen. Und auf dem Weg kommt
der kleine Jesus in einem Stall zur Welt, weil in der Herberge kein Platz für sie ist. Wenn in knapp drei
Monaten dieser Satz in den feierlichen Weihnachtsgottesdiensten vorgelesen wird, dann werden wir
sie vor uns haben, die Bilder von schwangeren Frauen und Familien mit Säuglingen auf der Flucht.
Menschen, die häufig nur mit ein Paar Plastiktüten unterwegs sind und an die Türen des reichen
Europas klopfen.
Und es geht weiter: In der Kindheitsgeschichte, die der Evangelist Matthäus erzählt, da kommt es zur
Flucht von Joseph, Maria und dem Jesuskind. Der Flucht nach Ägypten vor dem Kindesmörder
Herodes. Jesus ist ein Flüchtlingskind.
Von daher: Der Einsatz für Fremde und Flüchtlinge gehört zum festen Bestandteil der jüdischchristlichen Tradition. Und ich bin froh, dass dies in meiner und in den andern christlichen Kirchen
ganz selbstverständlich praktiziert wird. Von Papst Franziskus in Rom, über die Bischöfe in
Deutschland bis hin zu den vielen Ehrenamtlichen in den Gemeinden.
Aber nicht nur wir Christen engagieren uns für Flüchtlinge. Viele machen dabei mit, die von sich selbst
sagen, keinen besonderen Bezug zu Kirche und Christ-sein zu haben. Aber auch sie stehen mit ihrem
Tun in der jüdisch-christlichen Tradition und so helfen sie mit – um es mit den Worten Jesu zu sagen –
dass das Reich Gottes passiert. Und das ist das Entscheidende.