DEUTSCHLANDFUNK Hörspiel/Hintergrund Kultur Redaktion: Marcus Heumann Sendung: Freitag, 25.12.2015 11.05 – 12.00 Uhr Sansibar oder die letzte Doktrin Zwei deutsche Staaten und ihr Kalter Krieg Ein Feature von Tanya Lieske URHEBERRECHTLICHER HINWEIS Dieses Manuskript ist urheberrechtlich geschützt und darf vom Empfänger ausschließlich zu rein privaten Zwecken genutzt werden. Jede Vervielfältigung, Verbreitung oder sonstige Nutzung, die über den in §§ 45 bis 63 Urheberrechtsgesetz geregelten Umfang hinausgeht, ist unzulässig. © Deutschlandradio - Unkorrigiertes Manuskript - 1 Musik Fleurette Duke Ellington O-Ton Scholz Ich hatte hier mal mein Leben aufgeschrieben gehabt... für die Kinder und Enkel damit sie wissen, was ihr Papa und Opa einmal gemacht hat ... in diesen Erinnerungen ist natürlich auch zwei Jahre als Architekt in Sansibar ... ich denke gerne an die Zeit zurück. Musik Fleurette Africaine O-Ton Schoeller Der Auftrag lautete, von Alexander Böker, Unterabteilungsleiter Afrika, schauen Sie zu, dass auf Sansibar nicht die DDR die Möglichkeit hat, politisch sesshaft zu werden. Ansage Zitator 1 Sansibar oder die letzte Doktrin Zwei deutsche Staaten und ihr Kalter Krieg Ein Feature von Tanya Lieske Atmo Meeresrauschen O-Ton Schoeller Als ich auf Sansibar war, da hörte ich abends immer in meinem kleinen Hotel das Trommeln von den Segelschiffen, das waren die Dhaus, die aus Muskat mit dem Monsun herunter gekommen waren und mit dem Gegenmonsun, mit Elfenbein und anderen Produkten wieder nach Muskat zurückgingen und mit Sklaven, im Anfang. Atmo Meeresrauschen Autorin Sansibar, die Perle im Indischen Ozean. Seit Jahrtausenden ein Stützpunkt für Seeleute, ein Umschlagplatz für Händler. Gold, Elfenbein, Gewürze und 2 auch Sklaven wurden hier gehandelt. Es trafen und vermischten sich Kulturen aus Persien, aus Indien, aus Afrika, aus Europa. Es kamen und gingen Eroberer, Kolonialherren, Kaufleute. Kaum ein Name klingt für deutsche Ohren so verheißungsvoll, so fern und lockend wie dieser Sansibar. Zitatorin Dr. Carl Peters und die Deutsch-Ostafrikanische Gesellschaft Zitator Reichskanzler Bismarck und der Helgoland Vertrag Zitatorin Emily Ruete, die Sultanstochter in Hamburg Zitator Die Hamburger Firma O’Swald auf Sansibar Zitatorin Der Deutsche Friedhof auf Sansibar Zitator Alfred Andersch, Sansibar oder der letzte Grund Musik Mozambique Autorin Wer heute nach Sansibar fährt, hat meist weniger gewichtige historische Missionen, eher leichtes Gepäck mit Sonnencreme, Schnorchel und Maske, Reiseführer. In meinem Gepäck außerdem ein Mikrofon, denn in meinem Reiseführer stand geschrieben: Zitator Plattenbauten im Stadtteil Ng’ombe. 3 Zitatorin Die sansibarische Kooperation mit der damaligen DDR hat im Stadtteil Ng’ombe Plattenbausiedlungen von beträchtlicher Scheußlichkeit hinterlassen. Obwohl der Wasserdruck nicht bis in die oberen Stockwerke reicht und das Flurlicht grundsätzlich nicht funktioniert, ist es für Sansibari schick, hier zu wohnen. Zitator Sabine Heilig und Christina Gottschall: Sansibar. Mit offenen Augen durch die Welt. Unterwegs Verlag, 2013 Autorin Plattenbauten auf Sansibar – mitten im Indischen Ozean, sechster Breitengrad, tausende Kilometer von jeder deutschen Stadt entfernt? Das wollte ich genauer wissen. Doch zuerst heißt es willkommen in Afrika! Musik Jambo, Jambo Autorin Wer auf Sansibar ankommt, hat keine Ahnung, was das bedeutet. Wer wegfährt, weiß es ganz sicher. Jambo heißt Willkommen, wohl genährte europäische Touristin, auf der schönsten Gutelaune-Insel der Welt. Lass uns dein Taschengeld da! Hakuna Matata ist die sansibarische Formel für Take it easy, was immer du vor hast - es wird schon klappen. Was immer du wissen willst – du wirst es herausfinden. Atmo Sprachgewirr Musik Hindemith Autorin Einige Wochen und etliche Gespräche später sind einige Fakten geklärt. Ja, die DDR war hier. Ja, es stimmt, es gibt diese Häuser auf Sansibar. Ja, es ist schick für die Sansibari in dieses Häusern zu wohnen. Nein, es sind keine Plattenbauten. Es sind vor Ort gemauerte Häuser, 4 architektonische Einzelgänger, stumme Zeugen einiger irrwitziger Jahre, die die Deutschen, Abteilung Ost, in den sechziger Jahren des letzten Jahrhunderts mit der fernen Insel Sansibar verbinden. Eine kuriose Fußnote der Weltgeschichte! Um die Seite, auf der sie steht, zu verstehen, braucht man Zeitzeugen, Historiker, Diplomaten, Architekten. Man braucht die Schauplätze Sansibar, Bonn, Ostberlin. Man braucht die Freundschaftsbrigaden der FDJ, den Kalten Krieg - und man braucht einen Staatssekretär Namens Walter Hallstein. Zurück nach Deutschland. Zitator Walter Peter Hallstein, geboren 17. November 1901 in Mainz, gestorben 1982 in Stuttgart. Zitatorin Hallstein war von 1951 bis 1958 Staatssekretär im Auswärtigen Amt. Autorin 1955 fuhr Konrad Adenauer nach Moskau, um die letzten deutschen Kriegsgefangenen zurück zu holen. Die Sowjetunion hatte die DDR unmittelbar nach deren Gründung anerkannt. Nun wünschte Moskau volle diplomatische Beziehungen auch zu Bonn. Adenauer schluckte dies, doch die Sowjetunion sollte ein Einzelfall bleiben. Atmo Adenauer Die Regierung der sogenannten Deutschen Demokratischen Republik ist nicht aufgrund wirklich freier Wahlen gebildet worden. Die Bundesregierung ist daher nach wie vor die einzige frei und rechtmäßig gebildete deutsche Regierung, die allein befugt ist, für das ganze Deutschland zu sprechen. Autorin Vor diesem Hintergrund postulierte die Hallstein Doktrin, dass die Aufnahme diplomatischer Beziehungen von Drittstaaten zur DDR als unfreundlicher Akt der Bundesrepublik gegenüber betrachtet werden müsse. Gut anderthalb Jahrzehnte lang, von 1955 bis 1969, lieferten sich Bonn und 5 Ostberlin einen Wettlauf um ihre Anerkennung in der Welt. Einen beträchtlichen Erfolg erzielte Walter Ulbricht 1965, als Ägyptens Staatschef Nasser ihn mit allen Ehren in Kairo empfing. Zitator Israel war das eigentliche Thema. Zitatorin Die Pyramiden waren beleuchtet. Zitator Sansibar war noch davor. O-Ton Schoeller Die Hallsteindoktrin hat uns Jahre lang geholfen, den Alleinvertretungsanspruch der Bundesrepublik durchzustehen. Autorin ... sagt Legationsrat Franz Jochen Schoeller, der 1964 mit einem sensiblen Auftrag nach Sansibar geschickt wird. Auf der Insel hat es eine Revolution gegeben, nun wollen sich der kleine Inselstaat und die DDR wechselseitig anerkennen. Schoeller ist ein Diplomat, der die örtlichen Gegebenheiten gut kennt. Er hat 1961 kurz nach der Unabhängigkeit des Festlands Tanganijka von Großbritannien die erste Botschaft der Bundesrepublik in Daressalam aufgebaut und dort den charismatischen Präsidenten Julius Nyerere kennengelernt. 1964 ist Schoeller 38 Jahre alt, er ist jung und doch erfahren, er ist ehrgeizig. Eine heikle Mission im Kalten Krieg? Mit Vergnügen. Atmo Ankunft Schoeller Autorin Heute ist Franz Jochen Schoeller fast neunzig Jahre alt. Die Möbel in seinem Wohnzimmer sind mit weißen Schonbezügen verhangen. Die großen Empfänge in Bonn sind Vergangenheit. Vergangen ist auch jene Bonner Republik, in deren Dienst er damals all seine Kräfte stellte. 6 O-Ton Schoeller Ich hatte natürlich im Rücken den Julius Nyere, diesen wunderbaren Mann und Präsidenten von Tanganijka, der hat mir auch sein Flugzeug zur Verfügung gestellt, damit ich nach Sansibar fliegen konnte, der hat mit dem Chef der Sansibaris, dem Sheikh Karume gesprochen, jawohl, der Schoeller kann kommen ... Er hat dieses Gespräch ermöglicht, aber ... das ist letzten Endes ohne Erfolg geblieben. Damals hat mich empfangen Karume, aber nicht alleine! Sondern auch mit Herrn Hanga, verheiratet mit einer Russin, die angeblich auch eine Agitatorin war, und mit ... da war noch ein Dritter. Autorin Der dritte im Bunde muss Abdulrahman Mohammed Babu gewesen sein. Babu, Hanga, Karume – sie sind das Dreigestirn der Revolution, das im Januar 1964 in wenigen Stunden auf Sansibar die Macht ergreift. Sie alle hegen Sympathien für den Kommunismus. Abdallah Kassim Hanga kannte Moskau, Babu Peking und der damals knapp sechzigjährige Abeid Amani Karume war in internationalen Gewerkschaftskreisen bekannt. Karume entwickelt sich schnell zu einem machtbewussten Politiker. Zitator Abeid Amani Karume, geboren 4. April 1905, gestorben 7. April 1972. Bis zu seiner Ermordung war er auch der erste Vizepräsident von Tansania. Atmo Film Defa Marschmusik Zitator Revolution, Befreiung, Unabhängigkeit. Am 12. Januar 1964 kam die Botschaft vom afrikanischen Inselvolk Sansibar und Pemba. Dann verkündete ihr Präsident Karume (O-Ton Karume) Freiheit und Arbeit. Wissen ist Macht. Lernen ist Bewaffnen gegen das Joch der Abhängigkeit: der Naturgewalt, der Krankheit, gegen den glücklosen Alltag. 7 Autorin Die DDR landet in Sansibar, warum ist das der Bundesrepublik misslungen? Hätte man den Sansibari Geschenke machen müssen? O-Ton Schoeller Ich hatte etwas mit, aber nicht genug. Und vor allem ... Ich bin zu spät gekommen. Autorin Welche Geschenke hatten Sie denn dabei, wissen Sie das noch? Schoeller Ja, das weiß ich sogar noch. 20.000 DM. Die habe ich dem Sheikh Karume gegeben, aber der hat sich da nicht durch beeinflussen lassen. Autorin Karume wird den fast 30 Jahre jüngeren Abdallah Kassim Hanga erschießen lassen und er wird Babu entmachten. Als Karume selbst 1972 ermordet wird, soll der tief gekränkte Babu den Finger mit am Abzug gehabt haben. Zitatorin Die Revolution frisst ihre Kinder. Zitator Wie immer. Zitatorin Und überall. O-Ton Schoeller Der Karume, der war ein handfester Seemann gewesen, und er hatte auch einen entsprechenden Händedruck, also auf den konnte man sich auch verlassen. Aber, der konnte den beiden in Ostdeutschland und in Russland trainierten Intellektuellen, da konnte er nicht widerstehen. Und er hat mir gesagt, ja, die DDR die werden wir nicht anerkennen. Da werden wir nichts tun. Und dann bin ich abgereist – komme hier an in Deutschland – und dann hatten sie es doch getan. 8 Autorin 1964 steht die Berliner Mauer seit drei Jahren. Erst vorletztes Jahr war die Kuba-Krise. Der Kalte Krieg ist auf seinem Höhepunkt. Musik Miriam Makeba, Afrika Autorin Durch die afrikanischen Staaten läuft eine Welle postkolonialer Befreiungsbewegungen. Jung und selbstbewusst, wollen sie sich ihre Politik nicht vorschreiben lassen. Die neue Republik Sansibar erkennt die DDR an. Das hat noch kein afrikanisches Land gewagt, Guinea ist einige Jahre zuvor zurück gerudert. Musik Miriam Makeba, Afrika O-Ton Ulrich von der Heyden Sansibar ist nun durch diese ganz besondere Situation, die Anfang der sechziger Jahre herrschte, die Sache so gelaufen, wie sie gelaufen ist. Die DDR hat sehr schnell nach der Unabhängigkeit Sansibars dieses Land anerkannt und hatte dadurch natürlich auch entsprechende Kontakte zu der Führung. Autorin Ulrich van der Heyden ist Historiker und ein Experte für die Geschichte der DDR in Afrika. Wir treffen uns in seinem kleinen, mit Akten vollgestopften Büro in der Humboldt-Universität. O-Ton Ulrich von der Heyden Man hat ja dann so etwas flapsig davon gesprochen, dass Sansibar eine DDR- Kolonie geworden ist. Denn in der Tat gab es ja nirgendwo sonst in der Welt auf einem kleinen Territorium 1000 Entwicklungshelfer aus der DDR. Das war ja höchst selten, ansonsten gab es solche Freundschaftsbrigaden von 20, 30 Leuten und nicht 1000 Leuten, die da auf 9 Sansibar stationiert waren. Angefangen von Ausbildern von Tauchern für die Fischerei-Wirtschaft aber auch für das Militär. Und selbst der DDRGeheimdienst war ja da und hat den Sicherheitsapparat mit aufgebaut. Es war auch das einzige Land in Afrika, wo es ein Kulturzentrum der DDR gegeben hat. Atmo Defa Heinz Reusch Schiffstuten Autorin Das zweite Deutschland sagt Danke. Atmo Defa Heinz Reusch Zitator im Film Baumaschinen und Baustoffe für neue Häuserblocks, Verkaufsstellen und Kinderkrippen werden im Hafen gelöscht. Ein Freundschaftsbeweis aus Übersee – Ein Geschenk unserer Republik. Autorin In der zweiten Hälfte des Jahres 1964 filmt ein Team der DEFA vor Ort. Atmo Musik Jambo Jambo Autorin Mittlerweile ist die erste Tube Sonnencreme aufgebraucht, und die Reporterin scharrt mit den Hufen. Sie will ihr Paradies am Strand verlassen! Sie will die sich auf die Spuren der Freundschaftsbrigaden begeben! Sie will – natürlich ohne ein Wort der Landessprache Suaheli zu sprechen – mit den Mietern der DDR-Wohnungen plaudern die, das wird sie noch erfahren, keine Plattenbauten sind. Zitatorin Keine Plattenbauten. Zitator Die Reporterin ist verrückt. Zitatorin Ein Schuss Wahnsinn gehört schon dazu. 10 Atmo Regen stark Autorin auf Atmo Doch- Geduld ist die Währung der Insel. Der Fahrer kann heute nicht, aber morgen bestimmt. Diverse Gesprächspartner können heute nicht, aber vielleicht übermorgen. Entspanne dich, ungeduldige Touristin aus dem fernen Europa. Take it easy. Hakuna Matata. Zitator Hakuna Matata. Zitatorin Außerdem regnet es jetzt. Zitator Tropischer Regen, und das in der Trockenzeit. Autorin auf Atmo Es regnet. Damit bleibt Zeit für einige Nachträge. Atmo Regen stark Zitator Nachtrag eins Okellos Zettel Atmo Telegrafengeräusche Autorin Die Nachricht von der Revolution auf Sansibar wurde nicht von Karume, Hanga oder Babu nach Ostberlin telegrafiert, sondern von einem selbst ernannten Marschall der neuen Republik Sansibar, John Okello. Hat Bonn da ein bisschen geschlafen? O Ton Heinz Schneppen Nein. Das würde ich nicht so sehen. Die Entwicklung kam ja selbst überraschend. 11 Autorin Heinz Schneppen ist Historiker und ehemaliger bundesdeutscher Botschafter in Tansania. Er hat nach dem Fall der Mauer Archive in Ost und West besucht und den Verlauf der diplomatischen Krise um Sansibar rekonstruiert, die immerhin zwei Jahre andauerte. O Ton Heinz Schneppen Es kam der Umsturz, von einem Tag auf den anderen schickt da jemand, von dem man später niemals wieder etwas gehört hatte, Herr Okello, schickt ein Telegramm nach Ostberlin, meldet die Revolution und bittet um Anerkennung, und für die Leute in Ostberlin war das natürlich ein Geschenk, nicht wahr! Zitator Nachtrag zwei Die blutige Revolution Zitatorin Es fließt Blut. Viel Blut. Zu viel Blut. Zitator John Gideon Okello, geboren 1937 in Uganda, gestorben wahrscheinlich 1971 Musik Fleurette Africaine Autorin auf Musik Die junge Revolutionspartei nennt sich Afro Shirazi Party, führt den Namen der afrikanischen Ureinwohner, die sich wiederum von den späteren Nachfahren der Sklaven absetzen, im Titel. Die Revolution auf Sansibar ist eine politische, eine soziale und eine ethnische Revolution. Über das Radio ruft John Okello am 12. Januar 1964 zum Mord an den Arabern der Insel auf. Schwangere und ältere Frauen sind zu verschonen, Jungfrauen von den Vergewaltigungen auszunehmen. Die Opfer je nach Schätzung zwischen 5.000 und 20.000 Menschen. Die Familie des Sultans flieht nach London. John Okello bezeichnete sich übrigens als Christ. Musik Kilimani Muslim School 12 Autorin Nach der Revolution ist die arabische und indische Oberschicht weitgehend ausgelöscht. Das Trauma sitzt tief, und es ist schwer, mit den Sansibari über dieses Thema ihrer Vergangenheit ins Gespräch zu kommen. Die Jungen wissen wenig davon, die Älteren vergraben ihre Hände in den Taschen. O Ton Frau Meffert On the morning of the revolution ... you cannot stay in your own house ... Manga we called him, so we had to take him in for protection. Autorin Eine Sansibari, die in Deutschland lebt: Zitatorin (Overvoice) Am Morgen der Revolution hörten wir im Radio, dass alle Schulen jetzt Sammelstellen waren, da mussten wir uns melden, wir konnten nicht in unseren Häusern bleiben. Meine Mutter war Direktorin in einer Schule für Mädchen, sie zog ihre Rotkreuzuniform an und ging zu ihrer Schule, und die wurde sehr schnell voll, von überall kamen die Leute herbei. Ich hatte einen Cousin, der war bei der Partei, und der hat uns vier Freiwillige geschickt, die unser Haus bewachten mit Gewehren. Unser Haus hatte nur drei kleine Zimmer, aber wir haben alle unsere Verwandten zu uns geholt. Wir waren dann mehr als sechzig Leute, und wir hatten diesen Nachbarn, der sah aus wie jemand aus dem Oman, er hatte ein typisch arabisches Gesicht, Manga nannte man diese Leute damals, den haben wir zu uns genommen, um ihn zu beschützen. Zitatorin Nachtrag drei Zitator Diplomatisches Tauziehen nach der Revolution. Zitatorin Es wird unübersichtlich. Musik: El Mozambique 13 Atmo Bonn: Historischer O-Ton Der Außen- und Verteidigungsminister der Vereinigten Republik Tanganjika und Sansibar führten heute im Auswärtigen Amt Gespräche mit Staatssekretär Carstens. Dabei ging es um die zukünftigen Beziehungen zwischen der Bundesrepublik und Daressalam. Vor der Vereinigung der beiden Staaten hatte Tanganjika das Zonenregime nicht anerkannt, während Sansibar diplomatische Beziehungen zur Zone unterhielt. Hören Sie dazu unseren Bericht aus der provisorischen Bundeshauptstadt. Autorin Im Januar 1964 verhandeln zwei deutsche und zwei afrikanische Staaten, das macht vier Hauptstädte, Daressalam und Sansibar Stadt, Bonn und Ostberlin. Es gibt vier Staatenlenker, Julius Nyerere in Daressalam, der Hauptstadt von Tanganijka; Abeid Amani Karume auf Sansibar. Walter Ulbricht in Ostberlin und Ludwig Erhard in Bonn. Julius Nyerere war Marxist und Katholik, er hatte in Edinburgh studiert, er kennt den Westen gut und war der Bundesrepublik gewogen. Atmo Bonn: Historischer O-Ton Für Bonn ist es ein Problem der besonderen Art, dass Sansibar die deutsche Sowjetzone anerkannt hat und dass in den laufenden Verhandlungen nun offenbar von einer Handelsmission der Zone in Daressalam die Rede ist. Kambona will wohl auch Verteidigungshilfe vom Bund. Autorin: Als sich Tanganijka und Sansibar im April 1964 zur neuen Nation Tansania zusammenschließen, hat Ostberlin schon die Flagge mit Hammer und Zirkel über Sansibar gehisst. Nyerere bittet Bonn um Geduld. Die vier Parteien wollen sich je nachdem: Zitatorin Verständigen Zitator Entzweien 14 Zitatorin Entwicklungshilfe geben Zitator Entwicklungshilfe annehmen Zitatorin Eine Botschaft öffnen Zitator Eine Botschaft schließen Zitatorin Ein Konsulat Zitator Eine Handelsvertretung Zitatorin Es allen recht machen Zitator Es niemandem recht machen Autorin Ausführlich recherchiert hat all dies Heinz Schneppen, nachzulesen in seinem Buch Sansibar und die Deutschen. Die Kurzfassung: Die DDR wird erst 1972 von Tansania anerkannt. Jedoch hat die Koexistenz der beiden deutschen Staaten hat de facto 1966 in Tansania begonnen, wo die Bundesrepublik nun eine diplomatische, die DDR eine konsularische Vertretung sowohl auf dem Festland als auch auf der Insel Sansibar besitzen. O-Ton Schneppen Es war das, was ich mal in dem Zusammenhang als die Quadratur des Kreises bezeichnet habe, und sie haben die Sache ihrem Naturell entsprechend eigentlich relativ gut gelöst. Zitator Die deutsch-deutsche Begegnung auf Sansibar ist der Anfang vom Ende der Hallstein Doktrin. Zitatorin Ende der Nachträge. Musik El Mozambique Atmo Der Abgeordnete Sansibars spricht auf dem 7. Parteitag der SED 15 Das Wort zur Begrüßungsansprache hat nun das Mitglied der Nationalexekutive ... Musik El Mozambique Atmo Rias Die Zone will, sie soll einen Rundfunksender auf Sansibar bauen. Wird das noch geschehen oder sollte der Bund das übernehmen? Sie hat sich verpflichtet, Kanisterstädte auf der Gewürzinsel durch fest gebaute Siedlungen zu ersetzen. Sollte die Bundesrepublik auch hier beweisen, dass sie mehr leisten kann? Autorin Im Juli 1966 bittet das Außenministerium der DDR das Politbüro um einen Kredit von 20 bis 25 Millionen Mark für die Lieferung von Industrieanlagen nach Sansibar. Auch ohne das genau umzurechnen ahnen wir: Zitator Das war viel Geld. Zitatorin Richtig viel Geld. Zitator Auf Sansibar werden jetzt Häuser gebaut. Zitatorin Die Deutschen kommen. Zitator Die Deutschen sind schon da. Defa Film Uhuru Kwa Sansibar von Heinz Reusch 1964 Zitator im Film Deutsche Fachleute unter der Leitung von Bauingenieur Gladitz leiten die Sansibari an. Die ersten 1500 Wohneinheiten entstehen auf dem Grundstein, den der Präsident Karume und der Botschafter der Deutschen Demokratischen Republik in Sansibar, Günter Fritsch, gelegt haben. 16 O Ton van der Heyden Na ja sagen wir mal so, zu DDR Zeiten kannte ich keinen, der nicht ja gesagt hätte, wenn er die Möglichkeit gehabt hätte, in einem offiziellen Auftrag nach Afrika zu gehen. Haben die meisten von geträumt, nur die wenigsten sind eben angesprochen worden. Es gab aber auch Ausnahmen, es gab sogar Leute, die sich beworben haben, und dann auch genommen wurden … . Musik El Mozambique Autorin Als Hubert Scholz 1966 nach Sansibar kommt, tummeln sich schon Ärzte, Lehrerinnen, Krankenpfleger, Ingenieure auf der Insel. Ruth Radvanyi, die Tochter von Anna Seghers, hat zwei Jahre als Kinderärztin auf der Nachbarinsel Pemba verbracht. Gleich in den ersten Tagen starb ein Kind auf ihrer Station – an Eisenmangel. Es war grausam, sagt Ruth Radvanyi 2006 in einem Interview. Als ich wieder zuhause war, dachte ich, entweder du gehst da durch oder nicht. Diese Begebenheit sei hier erwähnt, um etwas klarzustellen. Die DDR-Bürger haben auf Sansibar alles gegeben. O-Ton Scholz Ach, das war schon ein schönes Gefühl! Also die Hilfe, zu merken sie wird angenommen. Wenn etwas dringend war, haben wir uns, der Wilumat und ich, die Arbeit mit nach Hause genommen. Wir haben abends dran gesessen und am nächsten Tag die kompletten Zeichnungen mitgebracht. Da sagten die immer deutsche Zaubermänner! Über Nacht entwerfen die etwas, wo wir hier Tage oder Wochen dafür gebraucht hätten! Musik Jazz Chor Freiburg Autorin Abeid Amani Karume wünscht für die verarmten Afrikaner Wohnungen nach ostdeutschem Vorbild, sie sollen ihre Hütten im Slum von N’gombe ersetzen. Es folgt ein spannendes Kapitel Architekturgeschichte, das sich 17 auch um die Frage dreht, ob sich kulturelle Vorstellungen von Familie und ihrem Wohnraum exportieren lassen. Die DDR baut vor Ort in drei Phasen und mit unterschiedlichen Finanzierungsmodellen. Ab 1966, das ist die Zeit, in der Hubert Scholz und sein Chef Heinz Wilumat vor Ort waren, bezahlt die junge Regierung von Sansibar die Fachleute aus Deutschland. Entsprechend wünscht Abeid Amani Karume Mitsprache. O-Ton Meffert Die DDR-Architekten hatten ja ganz andere Vorstellungen. Da waren mehrere Bebauungspläne, aber darauf ließ sich der Herr Karume nicht ein. Autorin: Erich Meffert war fünf Jahre lang der deutsche Ehrenkonsul Sansibars, er ist Ingenieur und er kennt die Insel wie seine Westentasche. O-Ton Meffert Karume war selber ein großer Baumeister, er hielt sich für einen großen Baumeister. Und er wollte das, was er gesehen hatte, in Bukarest, in Moskau, in Sofia, er war ja herumgereicht worden als der große Revolutionär, und er wollte das genau so haben wie das dort an der Stalinallee ist. Musik El Mozambique Autorin Hubert Scholz hat an der Deutschen Bauakademie in Weimar studiert, natürlich versteht er sich auf die Anforderungen der modernen sozialistischen Bauweise. Doch vor Ort wird er versuchen, diese den Bedingungen des Klimas,den Eigenheiten der afrikanischen, islamischen Familie anzupassen. Immer wieder muss er sich mit dem Präsidenten auseinandersetzen. Es geht um die Geschosshöhe und um die Frage, ob Aufzüge in den Tropen eine gute Idee sind; es geht um eine Vision von der Zukunft der Insel und ihrer Bewohner. 18 O-Ton Scholz Es sind die Bauten in Kilimanis, in denen wir beide beteiligt waren, Heinz Wilumat und ich. Es sind die kleinen Häuser auf dem Lande, damals hatte Wilumat begonnen in Bambi, das war der Bau der Jugend, da hat die FDJ Brigade gebaut und Wilumat hatte entworfen gehabt, und als ich kam, hatte Herr Karume die Absicht, wir bauen mehrere Städte von zehntausend Einwohner auf der Insel. Wir haben gesagt, so viele Einwohner gibt es gar nicht, was soll das? Man kann doch nicht ganze Dörfer entvölkern, die Menschen zusammen ziehen. Aber da war er ein bisschen stursinnig. O-Ton Meffert Und der Karume hat da ständig drin rumgefunkt. Da kam er eines Tages an der Baustelle vorbei als die Fundamente ausgegraben wurden. Und der Bauleiter - weil keine Bodenuntersuchungen gemacht werden konnten, das war nicht möglich - der konnte nur beten, dass das alles funktioniert. Aber zur Sicherheit hat er eine Menge Baustahl in die Baugruben reingelegt. Und da kam unglücklicherweise Herr Karume vorbei, sah - der wusste, dass der Baustahl sehr teuer ist, der wurde ja importiert, kam aus Indien. Und er hat die angeschnauzt – wie könnt ihr unser Geld hier im Boden versenken? Alles Eisen wieder raus. Zum Glück hält der Boden, das ist Korallenfelsen, und der ist stark genug, um die Last der Bauten aufzufangen. Aber es hätte auch schief gehen können! Musik Jambo Jambo (Radio) Atmo Regen schwach mit Tür Zitatorin Die Sonne scheint. Zitator Es geht los. Zitatorin Na endlich. 19 Autorin Ich habe einen Fahrer und einen Übersetzer. Erstes Ziel Bambi. Hier baute einst der Nachwuchs, die Brigade der Freundschaft der FDJ. Bambi ist in freiwilliger Arbeit von 20-25-jährigen DDR-Bürgern entstanden. Atmo Auto Innen Autorin Samir wird uns fahren, er freut sich schon auf das Ende des Ramadans. Ruben ist mein Übersetzer. Ramadan hat für ihn keine Bedeutung, er ist Christ und gehört damit zur religiösen Minderheit auf Sansibar. Immer wieder schiebt Ruben mir diskret eine Flasche Wasser zu. Es ist Vormittag und schon sehr heiß, die Sonne flimmert über den Asphalt, später über die roten, staubigen Landstraßen. Essen und Trinken sollte auch für Touristen bis zum Sonnenuntergang warten, jedenfalls wenn man sich in der Öffentlichkeit bewegt. Atmo Straßengeräusche Autorin Draußen zieht Afrika vorbei, komplett überfüllte Dalla-Dallas, Mopeds, Frauen, die ihre Waren in Körben tragen, alte Männer, die unter Wellblechhütten kauern. Auf kleinen Feuern werden Mais und Fleischspieße gebraten, es liegt ein betörender, überreifer Geruch in der Luft. Wie all dies wohl auf die Helfer aus der DDR gewirkt haben muss? Sie haben ein noch vom Krieg gezeichnetes Deutschland ausgetauscht gegen dieses Spektakel an Leben und Farbe. Die Heimat war richtig weit weg. Nachrichten von zuhause gab es über das Konsulat oder über wochenalte Zeitungen, Hubert Scholz bekam hin und wieder die Ostsee-Zeitung von seiner Mutter zugeschickt. Der junge Architekt und seine Frau berichten in ihrem Tagebuch, wie wichtig das von Peter Sebald geführte Haus der Freundschaft als Stätte der Begegnung war. 20 O-Ton Scholz (Papierrascheln) Das waren so die normalen Einladungen, da haben wir also auch Empfänge gegeben für die Afrikaner. Heinz Wilumat und Hubert Scholz und Dr. Peter Sebald, der Leiter des Hauses der Freundschaft laden ein zu einer Filmparty. Da wurden Filme gezeigt über das Bauen in der DDR ... (Papierrascheln) Wo habe ich denn die Karte hier? Bambi war natürlich unser großes Vorzeigeprojekt in Sansibar selbst, hatte ich gesagt. Aber, ich bin überzeugt, das, was wir damals gut fanden, wovon wir überzeugt waren, dass es richtig ist, dass Sie heute feststellen werden, es war nicht alles so glücklich gelaufen. Es sind 50 Jahre vergangen, und wenn wir heute Wohnbauten errichten, und 50 Jahre an den Bauten nichts machen, dann sehen die auch heruntergekommen aus wie sonst noch was. Atmo Ankunft Bambi und Babu Autorin Bambi liegt etwa 20 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt, die Straßen werden immer kleiner und holpriger. Irgendwann taucht zwischen mannshohen Bananenstauden eine Reihe geduckter, zweigeschossiger Häuser auf. Beim Aussteigen gibt es einen Moment des Wiedererkennens. Hier stehen eindeutig deutsche Häuser. Sie sind in die Jahre gekommen. Der Putz blättert, und in Fensterläden, die Schutz vor der Hitze bieten sollen, fehlen Lamellen. Kinder sind schnell zur Stelle, und auf einer Steinstufe sonnt sich ein alter Mann. Er trägt Hemd, eine Hose und die traditionelle Kopfbedeckung islamischer Männer. Er blinzelt in die Sonne und lässt sich von der merkwürdigen Prozession, die auf ihn zukommt, nicht aus der Ruhe bringen. Ruben begrüßt ihn respektvoll mit dem Titel „Babu“. Atmo Babu Ruben Babu heißt Großvater – Die Deutschen sind seine besonderen Freunde … 21 Autorin Ich frage Babu, wie jeden älteren Menschen, den ich treffe, nach seinen Erinnerungen an die Revolution. O-Ton Babu Autorin Ruben übersetzt meine Fragen. Später lasse ich mir alles, was Babu sagt, noch einmal übersetzen. Babu ist ein Anhänger der Revolution, die Schwarzen seien damals wie Sklaven behandelt worden. Er verwendet eine metaphorische Sprache, wenn es darum geht, das Blutvergießen zu umschreiben Wir haben sie vernichtet, wir haben ihren Geist vertrieben, sagt Babu, und es klingt, als sei er selbst beteiligt gewesen. Dann kam unser verehrter Präsident Karume, und der hat beschlossen, dass in Bambi nur die Revolutionäre von Bambi bauen dürfen, weil sie an der Revolution beteiligt waren. O-Ton Babu Autorin Babu war ab 1957 der Vorsitzende der Afroshirazi-Partei in Bambi. Er hat mitgeholfen, diese Häuser zu bauen, er war jung, und er kann sich gut an die jungen Freiwilligen aus der DDR erinnern. Es war eine sehr schöne Zeit, sagt Babu. Es gab keine Rassendiskriminierung. O-Ton Babu Autorin Die Wohnungen sind beliebt, sagt Babu, denn es gibt fließend Wasser und Strom. Er muss keine Miete zahlen. Der Präsident habe ihnen hier eine zweite Hauptstadt versprochen, es sollte eine Moschee geben, eine Bank, eine Polizeistation, doch zu seinem großen Pech wurde ihm der Geist genommen. So formuliert es Babu. 22 O-Ton Babu Autorin Die Deutschen sollten zurückkommen und ihre Stadt fertig bauen, scherzt Babu, und dann gibt es eine für ihn traurige Geschichtslektion – die Deutschen von damals sind in der Geschichte verschwunden. O-Ton Babu Ich möchte Babu noch fragen, ob ich mit ihm einmal durch das Haus gehen kann? Ob er mir das Haus von innen zeigen wollte? Ruben: „Ach, er wohnt hier eigentlich nicht…“ Autorin Pech gehabt. Der taktvolle Ruben hält nichts davon, einfach an eine Tür anzuklopfen. Ich überrede ihn, mich zu einem Rundgang um das Haus zu begleiten. Und dann folgt ein glücklicher Zufall. Ein alter Mann schaut aus dem Fenster. Ruben kennt ihn aus seinem Heimatdorf, und kurz darauf stehen wir in seinem Zimmer. Die Kinder von Bambi schauen neugierig durch ein Fenster, die Scheibe ist kaputt, notdürftig ist Zeitungspapier darüber geklebt. Ruben erläutert unser Anliegen, und ich darf mich setzen. Atmo Zimmer Said O-Ton Said - Ruben Ja, bitte. - Kann ich Ihnen ein bisschen näher kommen? Autorin Es ist ein kleiner, dunkler Wohnraum. Einige Sessel, ein Fernseher. Die Wände sind nackt, einziger Schmuck ist ein Bild des Republikgründers Karume an der Wand. Der habe ihm die Wohnung geschenkt, vor langer Zeit, erklärt unser Gastgeber stolz. Eingezogen ist er erst vor zwei Jahren. Er war lange weg, 20 Jahre hat er auf dem Festland verbracht, weitere 20 23 Jahre auf der Nachbarinsel Pemba. Fünf erwachsene Söhne, hat er, sie sind alle beim Militär. O-Ton Said Autorin Vor uns sitzt ein kleiner Mann mit wachen, verschmitzten Augen hinter einer riesigen Brille, die auf seiner Nase schaukelt. Er bittet darum, nicht mit seinem Namen genannt zu werden, darum heißt er hier Said. Die Häuser sind gut gebaut, aber es gibt auch Mängel, sagt er. Die Zimmer sind für afrikanische Familien zu klein, und derzeit spart er Geld für neue Wasserleitungen, er will sich fließend Wasser in die Wohnung holen. Dann frage ich ihn nach seinem Beruf. Ist er auch Soldat gewesen? O- TonSaid Ruben: er hat studiert, in Deutschland, neun Monate Autorin Nach einer kleinen Weile stellt sich heraus, dass Said in einer politischen Mission in Deutschland Ost war. Es war 1965, sagt er, er gehörte zur ersten Gruppe, die in die DDR fahren durfte. Er hat Ostberlin und andere deutschen Städte gesehen, durfte auch einen Ausflug nach Westberlin machen. O-Ton Said Zitator Overvoice Die Deutschen hatten hier auch ein Camp. Die Deutschen haben sehr viele Dinge gemacht, hier in Bambi, auch in Upenja im Norden. Die Deutschen waren früher an vielen Orten präsent. Es gab ein Camp nahe Stone Town. Dort haben die Deutschen eine Militärbasis eröffnet für das Ministerium für Staatsicherheit. Deshalb sind wir nach Deutschland gekommen, um alles über Sicherheitsangelegenheiten zu lernen. Dann kamen die Russen, die Chinesen, alle kommunistischen Länder sind hierhergekommen. Ich will 24 unbedingt noch sagen, diese Sicherheitssachen und dass ich in Deutschland studiert habe, das musste ich zu der Zeit verheimlichen, Es sollte nicht in den Nachrichten verbreitet werden. Ich musste mich bedeckt halten. Autorin Im Übrigen wünscht sich auch Said, dass die Deutschen zurückkommen und weitere Häuser bauen. Musik Hindemith Zitatorin Da war er also. Zitator Der Geheimdienst. Zitatorin Aufgebaut von Markus Wolf persönlich. Zitator Ein heikles Thema auf Sansibar. Autorin In den nächsten Tagen werde ich versuchen, mit einigen Sansibari darüber zu sprechen. Es gestaltet sich schwierig. Sie wissen nichts oder das Gespräch versiegt. Upalalezi sollen die Jungs vom Geheimdienst heißen. Sie sind immer zu zweit unterwegs, sie tragen kleine Oberlippenbärte. Und weiter? Ich versuche es bei meinem jungen Gastgeber, der uns abends nach Sonnenuntergang immer einen famosen Fisch brät. They took people, sagt unser Freund und gibt mit großer Geste Kardamom zum Fisch. Menschen sind also verschwunden. Als ich ihn bitte, mir das noch einmal ins Mikro zu sagen, wird es schwierig. Unser Gastgeber hält allen Temperaturen bestens stand, doch jetzt treten ihm Schweißtropfen auf die Stirn. O-Ton Ali They were ... 25 Zitator Overvoice Sie waren nach der Revolution auf der Insel, und sie haben im Auftrag der Partei gehandelt. Es gab mehrere Parteien, und wenn jemand gegen die Regierungspartei war, dann gab es Untersuchungen und Leute sind verschwunden. Zitatorin Markus Wolf, Spionagechef im Geheimen Krieg. Erinnerungen. Zitator Eine negative Folge unserer Unterstützung wurde uns schnell bewusst, doch ändern konnten wir sie nicht mehr. Der Sicherheitsapparat Sansibars nahm eine für das Land unverhältnismäßige Größe an. Musik Muezzin Autorin Den Abend verbringen wir in Stone Town. Die Steinerne Stadt ist das Herz der Hauptstadt von Sansibar. Ein Gewirr kleiner Gassen. Die Häuser, erbaut aus Korallensteinen, zeugen von vergangener Baukunst. Kostbar geschnitzte Türen, Simse, Zinnen, über denen abends der Ruf der Muezzins ertönt. Musik Goun Arkasa Dosti Autorin Sultan Said bin Sultan verlegte 1840 das Königshaus von Oman nach Stone Town. Hier verliebte sich der Hamburger Kaufmann Heinrich Ruete in die schöne Sultanstochter Salme, ihr Mädchenzimmer im Palast kann man noch besichtigen. Über allem liegt eine morbide Melancholie, denn die Pracht ist vorbei. Der Sultanspalast steht leer, Stone Town zerfällt. Mauern bröckeln, Dächer stürzen ein, kaputte Fenster schauen ratlos in die schmalen Gassen. Mit den Indern und Arabern wurden die ursprünglichen 26 Hausherren aus Stone Town vertrieben. Wer seine Elite vernichtet, löscht immer auch einen Teil des eigenen kulturellen Gedächtnisses. Musik Goun Arkasa Dosti O-Ton Schoeller Der Sultan, ein sehr feiner älterer Herr, der hat mich einmal eingeladen, mit ihm durch die Gassen zu fahren. Er hatte ein rotes Auto, ein englisches Auto. An jedem Laden hielt er an und stellte mich vor als der Vertreter Deutschlands. Und im Augenblick der Revolution, da wurde der junge Sultan nach London geschickt, als Flüchtling. Atmo Stone Town Autorin Eine Tropennacht fällt schnell über Stone Town. Immer noch steht kein Mond am Himmel, auch der morgige Tag wird in den Ramadan fallen. Ich soll Mama Karume treffen, wie die Witwe des Republikgründers zärtlich genannt wird. Ich habe mich vorbereitet auf die Begegnung mit der ehemaligen First Lady. Mich nach Ansprache, Kleidung, dem Protokoll erkundet. Zu ihr bringen soll mich Barraka Shamte, er war 1964 in der Jugendorganisation der Afro Shirazi Party und er gilt als enger Vertrauter der Familie Karume. Barraka selbst hat eine Entourage, Männer in weißen Djellabas mit gewichtigen Bäuchen tauchen auf, ein kleiner Wagen mit getönten Scheiben. Dann stehen wir in einem mit Papieren und Zeitungsausschnitten überhäuften Hinterzimmer in Stone Town. Vor mir ein kleiner, drahtiger Mann in seinen Siebzigern. O-Ton Barraka Shamte .... My name is Barraka Mohamed Shamte, I am the son of the late prime minster of the overthrown government of Sansibar in 1964 .... 27 Autorin Tatsächlich, ein Blick in die Geschichtsbücher zeigt: Die Afro-Shirazi-Party hat 1964 nicht die britische Kolonialregierung gestürzt, wie in einigen Medien der DDR gerne suggeriert wurde. Die Briten zogen sich damals selbst zurück, es gab ab 1961 eine konstitutionelle Monarchie mit dem Sultan als Staatsoberhaupt und einer demokratisch gewählten Regierung. O-Ton Barraka Shamte Autorin Vor mir steht der Sohn des letzten Premiers von 1963. Gegen ihn putschte die ASP im Januar 1964. Barraka war damals ein junger Mann. Atmo Auto, Straßengeräusche, Dialog mit Barraka Stimme Autorin Off to Mama Karume? Stimme Rubena Yes Stimme Barraka eh, no Ali Karume, I tried to find Mama Karume last night, but I did not get her, I met Mr. Ali Karume personally on the party last night Autorin Der Plan hat sich geändert, weil Abmachungen auf Sansibar einen fließenden Charakter haben. Ich treffe nicht Mama Karume, sondern ihren jüngeren Sohn. Ali Karume, ist 65 Jahre alt und er hat den Beruf des Diplomaten erlernt. Irgendwie hat es sich rumgesprochen, dass Ali Karume heute die Tür aufmacht, denn die Männer in weiß wollen dabei sein. Atmo Hinein ins Haus Autorin Ein großes Haus, nein, eine Villa. Mit Kiesauffahrt und zwei bewaffneten Polizisten, die uns durchwinken. Eine breite Flügeltür, Säulen, eine große Empfangshalle mit wuchtigen Sesseln im Stil der Sechziger Jahre. 28 Atmo Begrüßung Ali Karume So I have a small office, it depends on how many we are ... Autorin Ali Karume lebt im Haus seines verstorbenen Vaters, Amani Abeid Karume. Der Ort wirkt prunkvoll und museal. Es ist, als habe die Zeit hier still gestanden, als warte der Sohn darauf, dass der lange Schatten des Vaters wieder über die Schwelle fällt. Ali Karume führt uns in sein Arbeitszimmer. Hier steht ein großer, leerer Schreibtisch. Atmo / O-Ton Karume This is a picture I took with president Bush at the Christmas Reception in the White House ... I was then Chargé d’Affaires ... Autorin Ali Karume zeigt mir seine Fotogalerie. Ali Karume mit Johannes Rau und Angela Merkel, Ali Karume mit George und Barbara Bush. Er erzählt, dass er mit Präsident Obama studiert hat. Er kennt die Weltbühne, Brüssel, Berlin, das Weiße Haus, den Vatikan. O-Ton Karume Yes. The German Pope ... Zitator (Overvoice) Als ich den deutschen Papst getroffen habe, dachte ich, es wäre am besten, ihn nur kurz zu begrüßen. Aber er hat eine Unterhaltung mit mir begonnen. Und ich war wirklich überrascht. Ich hätte nie gedacht, dass ich, ein Muslim von Sansibar, das Oberhaupt der Katholischen Kirche treffen und mich mit ihm unterhalten würde! Autorin Ali Karume ist ein großer, massiger, irgendwie traurig wirkender Mann. Er lässt sich in einen Sessel sinken. Er wirkt jovial, freundlich, pflegt dabei ein übertriebenes Understatement. Über allem liegt eine spürbare Aura von 29 Macht, die meine Begleiter über jeden seiner Scherze lachen lässt. Ali Karume lässt keinen Zweifel daran, dass er der Herr der Lage ist. Zitatorin Die Situation ist ungemütlich. Zitator Aber interessant. Zitatorin Charisma hat er auch. Musik Fleurette Africaine Autorin Let’s start, sagt Ali Karume, und ich habe eine Stunde, um meine Fragen zu stellen. Ich frage ihn nach den Deutschen und Sansibar, ich frage nach der DDR und der Bundesrepublik, wir sprechen über Helgoland, die Hallstein Doktrin, den ersten Botschafter der DDR, Günter Fritsch. Zu allem kann Ali Karume erschöpfend Auskunft geben. Er spricht in geschliffenen Wendungen, streut Anekdoten ein. Ich frage ihn nach den Bauplänen seines Vaters, den er gerne den Präsidenten der Republik nennt, und Ali Karume nutzt seine Antwort um seinen Freund Barraka Shamte einzubinden, und um die Pracht des Hauses, in dem er lebt, zu erklären. O-Ton Karume My father had some ideosyncracies as a human being and I got some of that myself as part of my DNA. He was a very personable ... they build 150 apartments Zitator Overvoice Mein Vater hatte so seine Vorlieben, und das habe ich auch in meinen Genen. Er war ein sehr umgänglicher Typ, hat sich mit jedem gut verstanden, der Gentleman da drüben war wie ein Sohn für ihn. Mein Vater wollte etwas für seine Leute tun. Er kam aus den Slums von N’gambo, und er sagte sich Ich lebe jetzt in einem State House, ich möchte auch für meine Leute etwas Gutes tun. Die Deutschen boten ihm Militär an, das wollte er nicht, davon haben wir genug! Botschafter Fritsch hat uns Schiffe angeboten, und der Präsident sagte Nein! Was ich brauche, sind Häuser!! 30 Ich zeige Euch den Ort. Und das haben die Deutschen dann getan, sie gingen nach Kikwajuni und sie bauten 150 Wohnungen. Autorin Ich frage ihn nach dem Geheimdienst. Karume sagt ja, den habe es gegeben, aber die Afrikaner seien Analphabeten gewesen und nicht in der Lage, einen Sicherheitsapparat zu bedienen. O-Ton Karume ... So when our friends from the GDR came in, unfortunately most of their recrutes did’nt have the right education ... Musik Fleurette Africaine Autorin Vor mir sitzt ein Mann, der die Welt so lange erzählt, bis sie passt. Durch seine Geburt und den Namen, den er trägt, hat Ali Karume Zugang zu Wohlstand und Macht. Wie einst die Söhne der Sultansfamilie geht ein Karume seinen Weg, Alis Bruder Amani war zehn Jahre lang Präsident von Sansibar. Es soll zu Unregelmäßigkeiten bei den Wahlen gekommen sein. Zitator Die Geschichte ist ein widerspenstiges Ding. Zitatorin Hat die Angewohnheit, sich zu wiederholen. Zitator Wenn man nicht aufpasst. O-Ton Karume There is no more land to distribute ... Autorin Es wird Zeit, zu gehen. Ich habe Hubert Scholz versprochen, nach seinen Häusern, nach der Siedlung Kilimani zu sehen. Atmo Ankunftsgeräusche, Grüße 31 Autorin Und da stehen sie, neben einer großen Ausfallstraße, die Häuser von Kilimani. Barraka begrüßt seine Parteifreunde aus der ASP, eine Gruppe Männer, die sich im Schatten eines Baumes unterhalten. Dann verheddert Barraka sich in den Bauabschnitten, aber das macht nichts. Ich weiß genau was ich sehe, das ist Kilimani, die zweite Bauphase der Deutschen auf der Insel. Hier bauten ab 1966 die Architekten Heinz Wilumat und Hubert Scholz. Sie haben die Himmelsrichtung beachtet und Ornamente im Treppenaufgang gesetzt, sie haben an die afrikanische Großfamilie gedacht, an Balkone, die ein offenes Feuer erlauben und an Rückzugsorte für die muslimische Frau. Hier waren zwei junge Architekten mit Herz und Verstand unterwegs. O-Ton Scholz Und das war Herr Karume zu Besuch in unserem Büro, das Herr Wilumat und da ist Herr Karume, also das war sein Besuch in unserem Büro, wo er sich erkundigt hat, was machen wir. Autorin Und auch das ist leider wahr, die Häuser sind in schlechtem Zustand. Sie scheinen auf dem Weg zu urbanen Slums, zerfallen wie die Steinerne Stadt, der diese Häuser als Symbole der neuen Zeit trotzen sollten. Denn Alles, was wir Menschen der Zeit nicht unentwegt entreißen, nimmt diese sich zurück. Atmo Meeresrauschen Musik Fleurette Africaine Autorin Zeit für ein Fazit. 32 O-Ton van der Heyden Na, da würde ich nicht mit meinen Worten sprechen sondern mit einem der ersten Sansibari, mit denen ich gesprochen habe. 1990 gab es eine Konferenz hier in Berlin, und da ging es auch um deutsch-deutsche Entwicklungspolitik. Und da hat ein Sansibari gesagt, so etwas, was die DDR damals gemacht hat, ist nie wieder auf der Welt passiert und wäre doch so ein schönes Beispiel dafür, wie man Entwicklungspolitik umsetzen könnte. O-Ton Schoeller Aus meiner Sicht, ich habe es ja nun mitgemacht, muss ich sagen, es war ein echter Schauplatz, da haben wir eine wirkliche Niederlage eingesteckt. O-Ton Scholz Als Architekt war die Zeit in Afrika die Schöpferischste, weil ich in kurzer Zeit sehen konnte, was ich gemacht hab. Und auch merkte, dass das, was wir gemacht haben, dringend gebraucht wurde. Zitatorin Keine Plattenbauten. Zitator Mit dem Grundlagenvertrag ist der Wettlauf um die Anerkennung beendet. 1972 verlassen die meisten Deutschen das Land. O-Ton Schneppen Um den Prediger Salomo zu zitieren Alles hat seine Zeit. Und in der Zeit, als die Hallstein Doktrin erfunden wurde, praktiziert wurde, war sie die richtige Antwort auf ein bestehendes Problem. Autorin ... weil es Sansibar gab, Sansibar in der Ferne, Sansibar hinter der offenen See, Sansibar oder den letzten Grund. 33 Atmo Gesang Autorin Und dann ist es doch soweit – die neue Mondsichel steht schmal am Himmel. Sansibar feiert das Ende des Ramadan. Die kleinen Mädchen sind frisiert und zeigen sich in neuen, glitzernden Kleidern. Die Frauen tragen ihre schönsten Kangas und die Männer ihre besten Hemden. Die Insel singt und lacht. Ich freue mich mit. Atmo Papierrascheln Karte von Sansibar Autorin Hubert Scholz hat mir übrigens seine Karte geschenkt. Ich werde sie in großen Ehren halten. Und aufheben, für den Fall, dass ich noch einmal hinfahren werde, nach Sansibar. Absage Sansibar oder die letzte Doktrin Zwei deutsche Staaten und ihr Kalter Krieg Ein Feature von Tanya Lieske Sie hörten eine Produktion des Deutschlandfunks 2015. Es sprachen: Ilse Strambowski, Thomas Balou Martin, Martin Schaller und die Autorin Ton und Technik: Wolfgang Rixius und Angelika Brochhaus Redaktion und Regie: Marcus Heumann Die Autorin dankt ihren Gesprächspartnern sowie Stefanie Duckstein, Athman Omar und Anja Thompson für ihre freundliche Unterstützung bei der Recherche. Special thanks to Ruben, Kombo and Pat. 34 Bibliografie Alfred Andersch Sansibar oder der letzte Grund, 160 Seiten, Diogenes Verlag, Zürich, 1957 Sabine Heilig / Christina Gottschall Sansibar. Mit offenen Augen durch die Welt. Unterwegs Verlag, 2013 Ulrich van der Heyden / Franziska Benger (Hg) Kalter Krieg in Ostafrika, Die Beziehungen der DDR zu Sansibar und Tansania. LIT Verlag, Berlin, 2009 Heinz Schneppen Sansibar und die Deutschen. Ein besonderes Verhältnis 1844 – 1966 LIT Verlag Berlin 2006 Markus Wolf Spionagechef im Kalten Krieg. Erinnerungen. Econ Taschenbuch, Düsseldorf, 1998 Musik African Call, Jazzchor Freiburg Fleurette Africaine, Duke Ellington African Skies, The Brecker Brothers Jambo Jambo, Safari Sound Band Afrika, Miriam Makeba Nur El Nujum, Abdullah Achmed / Seif Saleh Goun Arkasa Dosti, Naseer Ahmed / Asim Baloch 35
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