Situe 3iiid|cv ;!ciliiii,n WOCHENENDE Samstag/Sonntag, 7./8. August 1982 Vom San Salvatore aus aufgenommene Abwärtsblitze: angesichts solcher Naturgewalt begreift man die Furcht selbst aufgeklärter Menschen vor dem Hochspannungsphänomen Blitz. Blitz und Donner Rüder: Nr. I-Kll und Hugo Der Blitz fuhr den Menschen von jeher in die Glieder, und sie fühlten sich, je nach Kulturstufe, hin und her gerissen zwischen elementarer Furcht und tiefer Verehrung, denn der Blitz erschien ihnen als todbringende, dämonische Kraft und war n doch gleichzeitig Teil des Fruchtbarkeit spendende Gewitters. In unzähligen bildlichen Darstellungen hat dieses Urphänomen Spuren hinterlassen, als Donnerkeil, Donnerder Natur seine stein und Teufelsfinger in der Alten und als Donnervogel in der Neuen Welt. Gemalte und gemeisselte Blitzfeuer und heilige Blitzgräber zeugen noch heute vom Zittern vor der zerschmetternden Kraft des Himmelsfeuers in der Antike, zumal im vorderasiatischen und griechisch-römischen Kulturkreis. Die Zahl der Blitz-, Donner-, Wind- und Regengottheiten ist Legion. Hinz forschend betrachtet L. Von Heini Hofmann Es gibt neun Götter, die Blitze senden, und elf Arten von solchen. Jupiter schleudert drei. So einfach war es, bevor die Wissenschaft sich der Erforschung der mächtigsten elektrischen Naturerscheinung annahm. 181 Auch später tauchte das himmlische Feuer in der Kunst immer wieder auf, in den Gewitterdarstellungen der Renaissance ebenso wie in der Malerei des Barocks, die für Blitzmotive gar eine besondere Vorliebe zeigte. Erst die moderne Malerei überliess die Blitzdarstellung der Photographie. Doch auch der Respekt vor dem Blitz wandelte sich im Laufe der Zeit. Schleuderten ihn im Altertum noch erhabene Götter, bekam der Blitz in Renaissance und Barock eine leicht komische Note, und das heitere Rokoko lässt spielende Putten Blitzchen um sich werfen, als wären sie harmlose Papierschlangen. Von der Romantik zur Moderne wandelte sich dann das Blitzverständnis grundlegend, der mystische Donnerkeil wurde zum erklärbaren luftelektrischen Vorgang. Nur einmal noch, in Wilhelm Buschs satirischer Bildergeschichte vom heiligen Antonius von Padua, tritt eine Blitzgottheit in Erscheinung und lässt den unheiligen Dr. Alopecius durch Blitzschlag ein böses Ende in Rauch und Asche nehmen . . Romantische Anfänge der Forschung Die ersten Aktivitäten im Zusammenhang mit gezielter Blitzforschung in der Schweiz reichen weit über fünfzig Jahre zurück und sind eng mit dem Namen des heute bald 84jährigen Professors Karl Berger verbunden, der sein ganzes Leben dem Naturphänomen Blitz gewidmet hat. Das Interesse galt vorerst der Messung von Blitzüberspannungen der grossen elektrischen Leitungen, das heisst, man wollte wissen, was in der Leitung vom Blitz überlagert wird. Initialzündung war die Anschaffung eines Dufourschen Kathodenstrahl-Oszillographen durch den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein (SEV) im Jahre 1926. Bereits 1928 konnten als erste Messresultate die Gewitterüberspannungen der 1200-V-Fahrleitung der Forchbahn Zürich Esslingen und der speisenden 8-kV-Drehstromleitung des Elektrizitätswerkes des m ; 4 V---. fäi§>; - d e Wettergott nur noch satirisch dar: «Huit! KnatWilhelm Busch stellt n teradoms! ein Donnerkeil! Und Alopecius hat sein Teil!» U&& Blitzschulz ist ein altes Problem und wurde zu allen Zeiten anden, gelöst nicht immer optimal . . Mit dem «Dramenexperiment» gelang Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982 es Benjamin Franklin 1752 erstmals. Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen. 54 Samstag/Sonntag, 7./K. August 1982 Nr. WOCHENENDE 181 0er Begründer der Schweizer Blitzforschung, der bald 84jährige Professor Karl Berger. Meile len durften, es sei denn salonfähige wie «Donner und Doria!» oder «Donnerwetter, Parapluie!». Fast ist man geneigt, sich an Antonius und Alopecius zu erinnern, wenn man zudem vernimmt, dass die Wallfahrtskirche ausgerechnet der immer noch aktiven Laienbruderschaft des guten Todes (Confraternita della buona morte) dient, die im 17. Jahrhundert gegründet worden war und deren Mitglieder jeweils die zum Tode Verurteilten zum Galgen begleiteten, welcher am Fuss des San Salvatore bei Cap San Martino stand. Natürlich blieb die Zeit auf dem San Salvatore nicht stehen. Die erfolgreiche Forschung verlangte stets nach neuen Einrichtungen. 1950 konnte auf dem Vorgipfel San Carlo ein zweiter Messturm aus Stahl errichtet werden, und in den Jahren 1957/ 58 bauten die PTT am Standort des ersten (hölzernen) Messturmes einen 90 Meter hohen Sendeturm. Damit ergab sich die Möglichkeit, den Stromshunt (Messwiderstand) für die Blitzstrommessungen auf der Spitze dieses Turms zu installieren. Jiidicr ,tciluiin Wie schützt man sich vor Blitzschlag? Fusl alle Blitzunfallc ereignen sich im Freien. Der Blitz schlagt vor allem an Stellen ein, welche die Umgebung wesentlich Ubcrrugcn. Nicht nur am Einschlagsort besteht Gefahr, sondern uuch im Umkreis von etwa dreissig Metern, lllii/unnille sind nicht immer tödlich. Wenn ein Teil cines Blitzstromes über den menschlichen Körper fliesst, können unwillkürliche Muskelreaktionen den Betroffenen mehrere Meter weit fortschleudern: daher sind auch Orte, wo in. in in die Tiefe stürzen könnte, zu meiden. Ganz ullgcmein halt man sich am besten an die von, der Blitzschutzkommissian des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins aufgestellten Hinweise fUr das Verhallen im Freien bei Gewittern: Unbedingt :u meiden sind: Einzelstehende Baume und Baumgruppen, Waldränder mit hohen Bitumen, Aussichtsturme und andere Objekte auf freiem Feld, Berggipfel und Berggrate, Freileitungsmasten, Kranen, Schwimmbader und Seen (besonders deren Ufer), ungeschützte Zelte und Boote mit Metallmasten, Aufenthalt neben dem Auto oder neben Weidezäunen, Tragen Überragender Gegenstande (Pickel, Ski, Fischerrute), Anlehnen an Felswände. Wo sucht man Schul:? hangenden Blechwtlndcn und in Autos mit Ganzmetallkarosserien, Traktoren mit Metalldach, Eisenbahnwagen, Ganzmctullwohnwugen, in Mctullkabincn von Seilbahnen, Schiffen oder Lastwagen, in Höhlen, wo man stehen kann (ohne duss der Kopf zu D e c k kommt), im Innahe an die e nern cines Waldes mit gleichmässig hohem Baumbestand, jedoch nicht in der e N a h einzelner Baume oder herabhängender Acste. Notlösungen Im Innern von Hutten, Kapellen, Scheunen (aber nicht an Aussenwände anlehnen I), unter Freileitungen (jedoch nicht in NUhe von Masten), durch Niederhocken mit geschlossenen Fussen in Bodenmulden, Hohlwegen oder am Fuss von Felsvorsprüngen (geschlossene FUssc, damit nicht via gespreizte Beine eine sogenannte Schrittspannung entstehen kann). ' Was tut man hei einem Blitzunfall Sofern der Unfall nicht tödlich ist, Wicdcrbclcbungs- und sofort mit beginnen: Erstchilfcmassnahmen Mund-zu-Mund-Beatmung, äus- sere Herzmassage, Scitcnlagcrung. vor Unterkühlung schützen. Abdecken von Verbrennungen mit sauberer Gaze, sofort Arzt rufen und bis zu seinem Eintreffen mit Wiederbelebungsmassnahmen fortfahren. In Wohnhäusern, Stahlskelettbauten, Baracken mit zusammen- Für den jungen Blitzforscher und seine Familie war ein Eisenbahnwaggon wohnlich eingerichtet worden. Als mobiles Labor diente ebenfalls ein ausrangierter SBB- Wagen. Kantons Zürich registriert werden. Nun dehnte man die Messungen auf SBB-Leitungen und verschiedene Kraftwerke aus. burger Physikprofessor G. W. Richman im Jahre 1753, der vom Blitz getroffen wurde, als er während eines Gewitters die Stärke der Wolkcnelektrizität zu messen versuchte. Heute hat man den Blitz «im Griff» und kann ihn im Labor sogar künstlich erzeugen. Um zu prüfen, ob Hochspannungsapparate einem Blitzschlag standhalten können, drückt man ihnen im Labor mit einem Stossgencrator eine normierte Blitzspannung auf. Allerdings sind diese künstlichen Blitze, im Gegensatz zu den kilometerlangen Naturblitzen, im besten Fall armselige Um den hiezu notwendigen Apparatetransport zu vereinfachen (allein die Oszillographen waren damals noch unförmige Monster), stellte die Abteilung Kraftwerke der SBB im Jahre 1930 dem jungen Ingenieur Berger zwei ausrangierte Bahnwagen zur Verfügung, den einen als Messwagen und für die Unterbringung der Instrumente, den andern als heimelig eingerichteten Wohnwagen. Wenn man sie mit der heutigen modernen Forschung der elektrischen Energieübertragung und Hochspannungstechnik vergleicht, die sich nur noch im Labor abspielt, muten die Anfänge der Blitzforschung im «Zigeunerwagen» recht romantisch an. So wurden nun bis 1937 Sommer für Sommer mobil an verschiedenen Hochspannungsleitungen in der Schweiz Blitzüberspannungen automatisch oszillographisch aufgezeichnet, was zu wesentlichen Resultaten führte. Man erkannte beispielsweise, dass Hochspannungsleitungen mit mehr als 50-kV-Betriebsspannung ausschliesslich durch direkte Blitzschläge gestört werden und dass die Dämpfung der vom Blitz erzeugten Wanderwellen längs der Leitung beträchtlich ist. Da also Leitungen, ausser am Ort des Einschlags, weniger blitzgefährdet sind als Stationen und Werke, galt es vor allem diese zu schützen. Dazu musste man Schutzapparate herstellen können, die auf den Blitzsrrom bemesse n sind. Also musste man von diesem wissen, wie steil er aufschiesst, wie lange er dauert und wie er aus Teilzusammengesetzt blitzen ist. Von diesen wiederum interessierten sowohl ihre Anzahl als auch ihre zeitlichen Abstände. Ausserdem wollte man die im Blitz umgesetzte Energie abschätzen. Kurz: Zur Lösung von Blitzschutzproblemen aller Art bedurfte es der Kenntnis des BUlzstroniverlaufs in allen Einzelheiten. Dazu genügte das Messen von Ueberspannungen, zudem meist weit entfernt vom Einschlagsort, nicht. Der BYitzstrom kann nur am Ort des Einschlags so genau wie nötig gemessen werden. Darum verliess man die Leitungen im Flachland und stieg 1938 auf die Berge, wo die Wahrscheinlichkeit, Blitze direk t erfassen zu können, grösser war. Auf fünf Bergspitzen (Säntis, Pilatus, Rigi, Rochers-de-Naye und San Salvatore) wurden nun Messeinrichtungen installiert, um die Blitzeinschlagshäufigkeit zu vergleichen. Bald merkte man, dass im Tessin pro Quadratkilometer und Zeiteinheit die meisten Blitze auftreten, da dort die Gewitterdichte am grössten ist. Also wurde die Blitzmessstation definitiv ins Tessin verlegt, und zwar auf einen freistehenden Berg, der die höchste Einschlagswahrscheinlichkeit bietet. Der spitze Monte San Salvatore bei Lugano war in dieser Beziehung ideal; zudem bot sich hier eine ausgezeichnete 360-Grad-Rundsicht für photographische Rundum-Untersuchungen an, und schliesslich erleichterte die vorhandene Seilbahn den Antransport Her technischen Einrichtungen. Messstation San Salvatore Mit Hilfe von Soldaten der Uebermittlungstruppen konnte im Januar 1943 auf dem Gipfel des 915 Meter über Meer gele- genen San Salvatore mit der Montage des ersten von zwei Blitzmasten begonnen werden, eines sechzig Meter hohen Holzturms mit einer zehn Meter langen Eisenrohrspitze, einem Ueberbleib- sel aus dem Abbruch des Stadtsenders von Bern. Dann folgte die Einrichtung der Arbeitsräume. Da für die Forschung sowohl Messungen als auch Photos benötigt wurden, unterteilte man das Institut in zwei entsprechende Abteilungen. In der Wallfahrtskirche auf dem Gipfel des San Salvatore fand man im Zwischenboden unter der Aussichtsterrasse den idealen Standort für das photographische Labor, mit freiem Ausblick in alle Himmelsrichtungen, so dass nicht bloss die Summe aller Erdeinschläge rundum erfasst, sondern zugleich auch deren Verteilung im Gelände registriert werden konnte. Aber nicht nur für den photographischen Teil des Instituts diente ein klerikales Gebäude. Auch die elektrische Messstation fand in einem rund 100 Meter von der Kirche entfernten Eremitengebäude Platz, einem ehemaligen Kloster. Also sozusagen ein «frommes» Institut, in dem wohl keine Blitzkraftwörter fal- lO-Meter-Blitze. Wie aber entsteht ein natürlicher Blitz? Im turbulenten Innern der Gewitterwolke werden Regentropfen und Eiskristalle zerrissen. Die grösseren Teile bleiben unten, die kleineren werden emporgewirbelt. Dadurch trennen sich die elektrischen Ladungen. Wird die Spannung zwischen zwei Wolkenteilen oder zwischen Wolke und Boden für das Isolationsvermögen der Luft zu gross, erfolgt eine Entladung, ein Funkenüberschlag, genannt Blitz. Man unterscheidet Wolken- und Erdblitze. Die letzteren erreichen die Erde, die ersteren nicht. Seinen Weg bahnt sich der Blitz, indem er sich in einem komplizierten Vorgang einen leitfähigen Kanal (Durchmesser wenige Zentimeter) bildet, den er ruckstufenartig vorantreibt, was auf den Aufnahmen mit bewegtem Film sauber dargestellt Mit dem dreipoligen Kathndenstrahlos;illographen wurden 1937 Gewittermessungen durchgeführt. von 1930 bis Photographisch wurde der Blitz auf zwei Arten eingefangen: Einerseits hielten Apparate mit ruhendem Film alle nächtlichen Blitzeinschläge dokumentarisch fest. Anderseits konnte dank Spezialkameras mit rasch sich bewegenden Filmen die Entstehung des Blitzkanals erfasst werden. Auch diese Aufnahmen waren nur bei Nacht möglich, wobei die Nächte in den Hauptgewittermonaten zudem relativ kurz sind. Die Photoapparate mussten mit geöffnetem Verschluss in Bereitschaft stehen. Weil die dabei entstehende Vorbelichtung durch Stadtlicht oder Wol- ken, welche indirekt von Blitzen aus anderen Himmelsrichtungen beleuchtet worden waren, störend wirkte, musste der Film alle fünf bis zehn Minuten vorgeschoben werden, auch wenn kein Blitz hatte aufgenommen werden können. Mit den Jahren wurde dieses Prozedere automatisiert und konnte zentral gesteu- ert werden. konnte zudem eine verbesserte «Streakkamera» mit rasch umlaufenden Filmen in Betrieb genommen werden. 1967 schliesslich baute man vier sogenannte Feldmühlen ein, spezielle Voltmeter, die den Verlauf der elektrischen Feldstärke auf dem Berg und in einer Entfernung von einigen Kilometern aufzeichneten, und zwar vor und während Blitzeinschlägen auf dem Berg. Dieser Verlauf ist sehr aufschlussreich und macht insbesondere das Annäherungstempo des Blitzes deutlich. 1962 r Das Phänomen Blitz und Donne Als erster kam der englische Geistliche D. William Wall auf die Idee, der Blitz sei eine Form des elektrischen Funkens. Auch Stephen Gray dachte ähnlich: «si licet magnis componere parva», und der Leipziger Physikprofessor Johann widmete in seinen physikaliHeinrich Winkler schen Schriften ein ganzes Kapitel der Frage, «ob Schlag und Funken der verstärkten Elektrizität für eine Art des Donners und des Blitzes zu halten sind». gelang es Dem Amerikaner Benjamin Franklin 1752 erstmals, Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen, indem er an einer leitfähigen nassen Schnur einen Drachen steigen liess und dabei aus einem angehängten Schlüssel Funken ziehen konnte. Zum Glück tat er das nicht während eines Gewitters, sonst hätte ihn dasselbe Schicksal ereilt wie den Peters- (1666 (1703 (1706 werden konnte. Kommt diese Gleitentladung in die Nähe des Bodens, schlägt ihr von unten her häufig eine Fangentladung entgegen, die den Kanal fertigstellt und damit die stromstarke Hauptentladung einleitet. Verschiedene Seitenverzweigungen erreichen den Boden nicht und enden blind in der Luft. Nach einer Sekundenbruchteile währenden Erholungspause können, nach Auffrischung des Kanals, weitere stromstarke Entladungen erfolgen, wobei die Zahl dieser Teilentladungen verschieden gross ist. Ueber relativ ebenem Gelände erfolgt die Kanalbildung in der Regel durch den Vorstoss negativer Ladung von der Wolke zum Boden, die lichtstarke Hauptentladung dagegen durch das Aufsteigen positiver Ladung vom Boden. Man spricht in diesem Fall von einem Abwärtsblitz. Aber: «Es schlägt nicht immer ein, wenn es donnert», sagt schon ein altes Sprichwort. Das trifft zu, wenn sich ein Blitz zwischen zwei Wolken entlädt, aber auch, wenn der Blitz «aus-» statt einschlägt; denn über steilen Bergen oder an hohen Türmen kann das lokale elektrische Feld so hoch werden, dass dort nicht nur die als Elmsfeuer bekannten Glimmentladungen, sondern richtige Blitze, sogenannte Aufwärtsblitze, entstehen. Entdeckt wurden sie an einem Schiffsmast auf dem Meer, und auf dem Empire State Building in New York wurden sie erstmals photographisch (auf rasch bewegtem Film) nachgewiesen. Auf dem San Salvatore sind bis zu 80 Prozent aller beobachteten Blitze Aufwärtsblitze, die sich an den beiden Messtürmen bilden und zu den Gewitterwolken hinaufwachsen, das heisst ihren Kanal ruckstufenartig von unten nach oben bilden. Diese Aufwärtsblitze sind, im Gegensatz zu den Abwärtsblitzen, nach oben verzweigt. Meist handelt es sich um «langdauernde» Blitzströme, denen Stossentladungen überlagert sein können, wenn der Aufwärtsblitzkanal geladene Wolkenteile erreicht. Eigentlich müsste man bei diesen Aufwärtsblitzen nicht von einem Blitzeinschlag in, sondern von einem Blitzoujschlag aus dem Turm sprechen. Der Blitzeinschlag ist eine Stossentladung, und zwar ein Gleichstromstoss. Am häufigsten schwanken die Stromstärken von Erdblitzen um 30 000 Ampere, können aber in seltenen Fällen auch mehr als 200 000 Ampere erreichen. Bei Wolkenblitzen fehlen die stromstarken Hauptentladungen, ihre Stromstärke liegt bloss zwischen 20 und einigen 100 Ampere. Die Zahl der Blitze ist von Gewitter zu Gewitter sehr verschieden; es gibt Gewitter mit mehreren tausend Entladungen, wovon etwa ein Viertel Erdblitze und drei Viertel Wolkenblitze. Wenn ein Blitz in die Erde einschlägt, entsteht im Boden ein Spannungstrichter, wobei mit zunehmender Entfernung vom Einschlagsort die Spannung abnimmt. Steht nun ein Lebewesen, ein Mensch oder beispielsweise eine Kuh, unter einem Baum in diesem Spannungsfeld und überbrückt die Spannungsverteilung im Boden mit einem Schritt, führt dies zur sogenann- Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982 teilung Situe ^ürrfjcr WOCHENENDE SaiMUg/SonnUg, 7./8. August ten Schrittspannung, die sich bei Vierbeinern auch beim Stehen 1982 Nr. 181 55 (SEV) und vom Verband der schweizerischen Elektrizitätswerke (VSE), während rund dreier Jahrzehnte, bis 1972, Blitz-Grundlagenforschung betrieben. Leiter der Station war Professor Karl Berger, zugleich Dozent für Hochspannungstechnik an der auswirkt (zwischen Vorder- und Hintergliedmassen). Vom «heissen» und vom «kallen» Blitz ETH. Für den Volksmund ist die Sache einfach: «Heisse» Blitze können etwas anzünden, weil sie heiss sind, «kalte» aus dem n gegenteilige Grund nicht. Die wissenschaftliche Erklärung lauStrom x Zeit) ist bei beiden ungetet anders: Die Ladung gleich. fähr Beim «heissen» Blitz ist der Strom schwacher (nur einige 100 Ampere), dafür von längerer Dauer (einige Zehntelsdarum hat der Blitz Zeit, etwas sekunden bis eine Sekunde) anzuzünden. bei gleicher Ladung der Beim «kalten» Blitz dauert Strom nur etwa eine Tausendstelsekunde, er hat also, obschon er bis zu lOOOmal stürker ist, keine Zeit, etwas in Flammen zu setzen. Die sehr hohen Temperaturen im Funken (ca. 20 000° Celsius) bewirken eine Luftausdehnung, wodurch grosse mechanische Kräfte frei werden, die Häuserbalken und Baume spalten und zersplittern können. Anders ausgedrückt: Den «heissen», das heisst stromschwächeren Blitz kann man mit einem Schweisslichtbogen vergleichen, den «kalten», das heisst stromstarken, mit einer Explosion. Bleibt noch die Spannung: Diese ist beim Blitz unklar. Man müsste sie zwischen Wolke und Erde messen können, doch diese Millionen Volt kann man bloss schätzen. Messbar ist einzig der Strom des Blitzes, der ja auch bis zum Boden herunter und somit in Reichweite der Messgeräte kommt. Aber auch bei anderen «Volksweisheiten» heisst es aufpassen: Während die Bauernregel «Je mehr Donnerwetter, desto fruchtbarer das Jahr» wohl stimmen mag, da Gewitter das für den Pflanzenwuchs lebensnotwendige Regennass mit sich bringen, könnte es böse Folgen haben, wenn man sich bei Blitzschlag an die Volksmundregel hielte: «Vor den Eichen sollst du weichen, doch die Buchen sollst du suchen.» Diese «Weisheit» stammt wohl daher, dass man Blitzeinschläge an glatten Buchenstämmen stets weniger gut sah als an Bäumen mit borkiger Rinde, welche beim Blitzeinschlag in grossen Fetzen weggefegt wird. Daraus schloss man irrtümlich, Buchen würden weniger vom Blitz getroffen. Das stimmt keineswegs. Man sollte während eines Gewitters überhaupt nicht unter Bäume stehen, schon gar nicht unter freistehende. Der Donner, der auf den Blitz folgt, wird durch die mit Schallgeschwindigkeit sich fortpflanzende Druckwelle im Blitzkanal erzeugt. Da dieser eine grosse, unter Umständen kilometerlange Ausdehnung erreicht, entsteht ein langgezogenes Donnerrollen, weil der Schall von verschieden weit entfernten Quellen an unser Ohr dringt. Dazu kommt der verstärkende Echoeffekt von Hügeln und Bergen. Man kann den Donner mit dem Uebeschallknall eines Flugzeugs vergleichen, nur dass diesem das rollende Abklingen fehlt: man hört nur den doppelten Dass die Schweizer Blitzforschung weltweite Anerkennung genoss, beweisen die Einladungen Professor Bergers in alle Welt, von Amerika bis Japan, und seine beiden Ehrendoktortitel von der Technischen Hochschule München und der Universität Uppsala. Noch heute «blitzen» seine Augen auf, wenn der gebürtige Rheintaler, der im kommenden November seinen 84. Geburtstag feiert, von seinem Beruf erzählt, der ihm Berufung war. Er vergisst dabei auch nicht, seine Mitarbeiter zu rühmen, die in der Messstation in all den Jahren die praktische Arbeit verrichteten, wie zum Beispiel der Elektrotechniker Hugo Binz, der in den letzten zehn Jahren des Instituts als Photograph «Blitzbilder im wahren Sinn des Wortes» schuf. (- m Blitzschutz ist wichtig für alle Nationen, eine zwingende Notwendigkeit für Kraftwerke, Pulverfabriken, Luftfahrt usw. Vor allem als Störquelle elektronischer Einrichtungen hat der Blitz weltweit grosse Bedeutung. Kein anderes Land hat so viele Blitzstrommessungen gesammelt wie die Schweiz. Sie half auch mit, die Europäische Blitzschutzkonferenz zu gründen, der heute rund IS europäische Länder angehören; sie tagt alle zwei Jahre, hat sich jüngst in «International Conference on Lightning Protection» (ICLP) umgetauft und arbeitet eng mit dem 1981 von der Commission electrotechnique internationale (CEI) gegründeten internationalen Blitzschutzkomitee zusammen, das weltweit gültige Empfehlungen für den Blitzschutz ausarbeiten soll. Wo immer auf der Welt von Blitzforschung gesprochen wird, fällt der Name Schweiz. Und doch ist etwas Merkwürdiges geschehen: Bis 1954 hatten der Elektrotechnische Verein und der Verband der Elektrizi- Schlag von Bug- und Heckwelle. Hörbar ist der Donner nur in, relativ geringer Entfernung, nämlich rund zehn .Kilometer weit. Zudem ist die Hörbarkeit, von der Windrichtung abhängig und um. so geringer, je fascher die Temperatur mit der Höhe abnimmt. Der Donnerschall breitet sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 330 Metern in der Sekunde aus. Aus der Zeit, die zwischen Blitz und Donner verstreicht, kann man deshalb die Entfernung des Gewitters abschätzen. Faustregel: Anzahl Sekunden x 330. Zählt man beispielsweise 12 Sekunden, erhält man die Zahl 3960, was bedeutet, dass die Entfernung knapp vier Kilometer beträgt. Das Ende einer Aera Wenden wir uns wieder der eigentlichen Blitzforschung zu. Die Messstation auf dem San Salvatore hat unter dem Patronat der Forschungskommission für Hochspannungsfragen (FKH), gegründet vom Schweizerischen Elektrotechnischen Verein auf dem Gipfel des Monte San Salvatore neben der Wallfahrtskirche der «Bruderschaft des guten Todes». Sende- und Blitzmessturm w: Im ehemaligen Messraum des elektrotechnischen Labors auf dem San Salvatore: Faradaykäfig mit oszillographischen Einrichtungen. Das Sprichwort: «Es schlägt nicht immer ein, wenn es donnert», hat dann recht, wenn sich ein Blitz zwischen zwei n W o l k e entlädt. tätswerke das Blitzforschungsinstitut finanziert. Bis 1972 sprang auch der Nationalfonds mit Krediten ein. Dann versiegte die Quelle. Aufgabe der Forschungskommission war es gewesen, den Blitz im Hinblick auf den Schutz von Gebäuden und Einrichtungen zu erforschen; dieser Auftrag ist so gründlich erfüllt worden, dass es keine neuen Forschungsaufgaben und somit auch keine Geldgeber mehr gab und gibt. Darum ist das legendäre, schon vor Jahren stillgelegte Institut auf dem San Salvatore in diesem Sommer endgültig aufgehoben worden. Blitzgeschichte zu Es sieht aus, als sei die schweizerische Ein schöner Abwärtsblitz, erkennbar an den nach unten gerichteten Verästelungen. Typischer Aufwärtsblitz, nach oben verzweigt, austretend aus der Spitze des Turms auf dem San Salvatore. Ende. Doch in den letzten Jahren wurde in Florida eine Methode zur Lokalisierung von Blitzschlägen in 20 bis 300 Kilometern Entfernung dahingehend weiterentwickelt, dass auch die Stromstärke dieser Fernblitze aus ihrem Magnetfeld bestimmt werden kann. Die Resultate dieser Fernmessmethode, die inzwischen auch in Norwegen und Schweden angewendet wird, scheinen mit den direkten Messwerten unserer Blitzforschung übereinzustimmen. Wenn sich dies bestätigen sollte, hätten somit die schweizerischen Messwerte nicht nur lokale Bedeutung und das wäre für die Schweizer Blitzforschung wahrlich eine schöne Belohnung. >; Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982
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