Blitz und Donner - Neue Zürcher Zeitung

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WOCHENENDE
Samstag/Sonntag, 7./8. August 1982
Vom San Salvatore aus aufgenommene Abwärtsblitze: angesichts solcher Naturgewalt begreift man die Furcht selbst aufgeklärter Menschen vor dem Hochspannungsphänomen Blitz.
Blitz und Donner
Rüder:
Nr.
I-Kll und Hugo
Der Blitz fuhr den Menschen von jeher in die Glieder, und
sie fühlten sich, je nach Kulturstufe, hin und her gerissen zwischen elementarer Furcht und tiefer Verehrung, denn der Blitz
erschien ihnen als todbringende, dämonische Kraft und war
n
doch gleichzeitig Teil des Fruchtbarkeit spendende
Gewitters.
In unzähligen bildlichen Darstellungen hat dieses Urphänomen
Spuren
hinterlassen, als Donnerkeil, Donnerder Natur seine
stein und Teufelsfinger in der Alten und als Donnervogel in der
Neuen Welt. Gemalte und gemeisselte Blitzfeuer und heilige
Blitzgräber zeugen noch heute vom Zittern vor der zerschmetternden Kraft des Himmelsfeuers in der Antike, zumal im vorderasiatischen und griechisch-römischen Kulturkreis. Die Zahl
der Blitz-, Donner-, Wind- und Regengottheiten ist Legion.
Hinz
forschend betrachtet
L.
Von Heini Hofmann
Es gibt neun Götter, die Blitze senden, und elf Arten von
solchen. Jupiter schleudert drei. So einfach war es, bevor die
Wissenschaft sich der Erforschung der mächtigsten elektrischen
Naturerscheinung annahm.
181
Auch später tauchte das himmlische Feuer in der Kunst immer wieder auf, in den Gewitterdarstellungen der Renaissance
ebenso wie in der Malerei des Barocks, die für Blitzmotive gar
eine besondere Vorliebe zeigte. Erst die moderne Malerei überliess die Blitzdarstellung der Photographie.
Doch auch der Respekt vor dem Blitz wandelte sich im
Laufe der Zeit. Schleuderten ihn im Altertum noch erhabene
Götter, bekam der Blitz in Renaissance und Barock eine leicht
komische Note, und das heitere Rokoko lässt spielende Putten
Blitzchen um sich werfen, als wären sie harmlose Papierschlangen. Von der Romantik zur Moderne wandelte sich dann das
Blitzverständnis grundlegend, der mystische Donnerkeil wurde
zum erklärbaren luftelektrischen Vorgang.
Nur einmal noch, in Wilhelm Buschs satirischer Bildergeschichte vom heiligen Antonius von Padua, tritt eine Blitzgottheit in Erscheinung und lässt den unheiligen Dr. Alopecius
durch Blitzschlag ein böses Ende in Rauch und Asche nehmen
. .
Romantische Anfänge der Forschung
Die ersten Aktivitäten im Zusammenhang mit gezielter Blitzforschung in der Schweiz reichen weit über fünfzig Jahre zurück
und sind eng mit dem Namen des heute bald 84jährigen Professors Karl Berger verbunden, der sein ganzes Leben dem Naturphänomen Blitz gewidmet hat. Das Interesse galt vorerst der
Messung von Blitzüberspannungen der grossen elektrischen
Leitungen, das heisst, man wollte wissen, was in der Leitung
vom Blitz überlagert wird.
Initialzündung war die Anschaffung eines Dufourschen Kathodenstrahl-Oszillographen durch den Schweizerischen Elektrotechnischen Verein (SEV) im Jahre 1926. Bereits 1928 konnten als erste Messresultate die Gewitterüberspannungen der
1200-V-Fahrleitung der Forchbahn Zürich Esslingen und der
speisenden 8-kV-Drehstromleitung des Elektrizitätswerkes des
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-
d e Wettergott nur noch satirisch dar: «Huit! KnatWilhelm Busch stellt n
teradoms!
ein Donnerkeil! Und Alopecius hat sein Teil!»
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Blitzschulz ist ein altes Problem und wurde zu allen Zeiten anden, gelöst
nicht immer optimal . .
Mit dem «Dramenexperiment» gelang
Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982
es Benjamin Franklin 1752 erstmals. Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen.
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Samstag/Sonntag, 7./K. August 1982
Nr.
WOCHENENDE
181
0er Begründer der Schweizer Blitzforschung, der bald 84jährige Professor
Karl Berger.
Meile
len durften, es sei denn salonfähige wie «Donner und Doria!»
oder «Donnerwetter, Parapluie!». Fast ist man geneigt, sich an
Antonius und Alopecius zu erinnern, wenn man zudem vernimmt, dass die Wallfahrtskirche ausgerechnet der immer noch
aktiven Laienbruderschaft des guten Todes (Confraternita della
buona morte) dient, die im 17. Jahrhundert gegründet worden
war und deren Mitglieder jeweils die zum Tode Verurteilten
zum Galgen begleiteten, welcher am Fuss des San Salvatore bei
Cap San Martino stand.
Natürlich blieb die Zeit auf dem San Salvatore nicht stehen.
Die erfolgreiche Forschung verlangte stets nach neuen Einrichtungen. 1950 konnte auf dem Vorgipfel San Carlo ein zweiter
Messturm aus Stahl errichtet werden, und in den Jahren 1957/
58 bauten die PTT am Standort des ersten (hölzernen) Messturmes einen 90 Meter hohen Sendeturm. Damit ergab sich die
Möglichkeit, den Stromshunt (Messwiderstand) für die Blitzstrommessungen auf der Spitze dieses Turms zu installieren.
Jiidicr ,tciluiin
Wie schützt man sich vor Blitzschlag?
Fusl alle Blitzunfallc ereignen
sich im Freien. Der Blitz schlagt
vor allem an Stellen ein, welche die
Umgebung wesentlich Ubcrrugcn.
Nicht nur am Einschlagsort besteht
Gefahr, sondern uuch im Umkreis
von etwa dreissig Metern, lllii/unnille sind nicht immer tödlich.
Wenn ein Teil cines Blitzstromes
über den menschlichen Körper
fliesst, können unwillkürliche Muskelreaktionen
den
Betroffenen
mehrere Meter weit fortschleudern: daher sind auch Orte, wo
in. in in die Tiefe stürzen könnte, zu
meiden. Ganz ullgcmein halt man
sich am besten an die von, der Blitzschutzkommissian des Schweizerischen Elektrotechnischen Vereins
aufgestellten Hinweise fUr das Verhallen im Freien bei Gewittern:
Unbedingt :u meiden sind:
Einzelstehende
Baume und
Baumgruppen, Waldränder mit hohen Bitumen, Aussichtsturme und
andere Objekte auf freiem Feld,
Berggipfel und Berggrate, Freileitungsmasten, Kranen, Schwimmbader und Seen (besonders deren
Ufer), ungeschützte Zelte und
Boote mit Metallmasten, Aufenthalt neben dem Auto oder neben
Weidezäunen, Tragen Überragender Gegenstande (Pickel, Ski, Fischerrute), Anlehnen an Felswände.
Wo sucht man Schul:?
hangenden
Blechwtlndcn
und
in Autos mit Ganzmetallkarosserien, Traktoren mit Metalldach, Eisenbahnwagen, Ganzmctullwohnwugen, in Mctullkabincn
von Seilbahnen, Schiffen oder
Lastwagen, in Höhlen, wo man stehen kann (ohne duss der Kopf zu
D e c k kommt), im Innahe an die e
nern cines Waldes mit gleichmässig
hohem Baumbestand, jedoch nicht
in der e
N a h einzelner Baume oder
herabhängender Acste.
Notlösungen
Im Innern von Hutten, Kapellen, Scheunen (aber nicht an Aussenwände anlehnen I), unter Freileitungen (jedoch nicht in NUhe
von Masten), durch Niederhocken
mit geschlossenen Fussen in Bodenmulden, Hohlwegen oder am
Fuss von Felsvorsprüngen (geschlossene FUssc, damit nicht via
gespreizte Beine eine sogenannte
Schrittspannung entstehen kann).
'
Was tut man hei einem Blitzunfall
Sofern der Unfall nicht tödlich ist,
Wicdcrbclcbungs- und
sofort mit
beginnen:
Erstchilfcmassnahmen
Mund-zu-Mund-Beatmung,
äus-
sere Herzmassage, Scitcnlagcrung.
vor Unterkühlung schützen. Abdecken von Verbrennungen mit
sauberer Gaze, sofort Arzt rufen
und bis zu seinem Eintreffen mit
Wiederbelebungsmassnahmen fortfahren.
In Wohnhäusern, Stahlskelettbauten, Baracken mit zusammen-
Für den jungen Blitzforscher und seine Familie war ein Eisenbahnwaggon
wohnlich eingerichtet worden.
Als mobiles Labor diente ebenfalls ein ausrangierter SBB- Wagen.
Kantons Zürich registriert werden. Nun dehnte man die Messungen auf SBB-Leitungen und verschiedene Kraftwerke aus.
burger Physikprofessor G. W. Richman im Jahre 1753, der vom
Blitz getroffen wurde, als er während eines Gewitters die Stärke
der Wolkcnelektrizität zu messen versuchte.
Heute hat man den Blitz «im Griff» und kann ihn im Labor
sogar künstlich erzeugen. Um zu prüfen, ob Hochspannungsapparate einem Blitzschlag standhalten können, drückt man ihnen
im Labor mit einem Stossgencrator eine normierte Blitzspannung auf. Allerdings sind diese künstlichen Blitze, im Gegensatz
zu den kilometerlangen Naturblitzen, im besten Fall armselige
Um den hiezu notwendigen Apparatetransport zu vereinfachen (allein die Oszillographen waren damals noch unförmige
Monster), stellte die Abteilung Kraftwerke der SBB im Jahre
1930 dem jungen Ingenieur Berger zwei ausrangierte Bahnwagen zur Verfügung, den einen als Messwagen und für die Unterbringung der Instrumente, den andern als heimelig eingerichteten Wohnwagen. Wenn man sie mit der heutigen modernen
Forschung der elektrischen Energieübertragung und Hochspannungstechnik vergleicht, die sich nur noch im Labor abspielt,
muten die Anfänge der Blitzforschung im «Zigeunerwagen»
recht romantisch an.
So wurden nun bis 1937 Sommer für Sommer mobil an verschiedenen Hochspannungsleitungen in der Schweiz Blitzüberspannungen automatisch oszillographisch aufgezeichnet, was zu
wesentlichen Resultaten führte. Man erkannte beispielsweise,
dass Hochspannungsleitungen mit mehr als 50-kV-Betriebsspannung ausschliesslich durch direkte Blitzschläge gestört werden und dass die Dämpfung der vom Blitz erzeugten Wanderwellen längs der Leitung beträchtlich ist. Da also Leitungen,
ausser am Ort des Einschlags, weniger blitzgefährdet sind als
Stationen und Werke, galt es vor allem diese zu schützen. Dazu
musste man Schutzapparate herstellen können, die auf den
Blitzsrrom bemesse
n
sind. Also musste man von diesem wissen,
wie steil er aufschiesst, wie lange er dauert und wie er aus Teilzusammengesetzt
blitzen
ist. Von diesen wiederum interessierten sowohl ihre Anzahl als auch ihre zeitlichen Abstände. Ausserdem wollte man die im Blitz umgesetzte Energie abschätzen.
Kurz: Zur Lösung von Blitzschutzproblemen aller Art bedurfte
es der Kenntnis des BUlzstroniverlaufs in allen Einzelheiten.
Dazu genügte das Messen von Ueberspannungen, zudem meist
weit entfernt vom Einschlagsort, nicht.
Der BYitzstrom kann nur am Ort des Einschlags so genau wie
nötig gemessen werden. Darum verliess man die Leitungen im
Flachland und stieg 1938 auf die Berge, wo die Wahrscheinlichkeit, Blitze direk
t
erfassen zu können, grösser war. Auf fünf
Bergspitzen (Säntis, Pilatus, Rigi, Rochers-de-Naye und San
Salvatore) wurden nun Messeinrichtungen installiert, um die
Blitzeinschlagshäufigkeit zu vergleichen.
Bald merkte man, dass im Tessin pro Quadratkilometer und
Zeiteinheit die meisten Blitze auftreten, da dort die Gewitterdichte am grössten ist. Also wurde die Blitzmessstation definitiv
ins Tessin verlegt, und zwar auf einen freistehenden Berg, der
die höchste Einschlagswahrscheinlichkeit bietet. Der spitze
Monte San Salvatore bei Lugano war in dieser Beziehung ideal;
zudem bot sich hier eine ausgezeichnete 360-Grad-Rundsicht
für photographische Rundum-Untersuchungen an, und schliesslich erleichterte die vorhandene Seilbahn den Antransport Her
technischen Einrichtungen.
Messstation San Salvatore
Mit Hilfe von Soldaten der Uebermittlungstruppen konnte
im Januar 1943 auf dem Gipfel des 915 Meter über Meer gele-
genen San Salvatore mit der Montage des ersten von zwei Blitzmasten begonnen werden, eines sechzig Meter hohen Holzturms
mit einer zehn Meter langen Eisenrohrspitze, einem Ueberbleib-
sel aus dem Abbruch des Stadtsenders von Bern. Dann folgte
die Einrichtung der Arbeitsräume.
Da für die Forschung sowohl Messungen als auch Photos
benötigt wurden, unterteilte man das Institut in zwei entsprechende Abteilungen. In der Wallfahrtskirche auf dem Gipfel
des San Salvatore fand man im Zwischenboden unter der Aussichtsterrasse den idealen Standort für das photographische Labor, mit freiem Ausblick in alle Himmelsrichtungen, so dass
nicht bloss die Summe aller Erdeinschläge rundum erfasst, sondern zugleich auch deren Verteilung im Gelände registriert werden konnte.
Aber nicht nur für den photographischen Teil des Instituts
diente ein klerikales Gebäude. Auch die elektrische Messstation
fand in einem rund 100 Meter von der Kirche entfernten Eremitengebäude Platz, einem ehemaligen Kloster. Also sozusagen
ein «frommes» Institut, in dem wohl keine Blitzkraftwörter fal-
lO-Meter-Blitze.
Wie aber entsteht ein natürlicher Blitz? Im turbulenten Innern der Gewitterwolke werden Regentropfen und Eiskristalle
zerrissen. Die grösseren Teile bleiben unten, die kleineren werden emporgewirbelt. Dadurch trennen sich die elektrischen Ladungen. Wird die Spannung zwischen zwei Wolkenteilen oder
zwischen Wolke und Boden für das Isolationsvermögen der
Luft zu gross, erfolgt eine Entladung, ein Funkenüberschlag,
genannt Blitz. Man unterscheidet Wolken- und Erdblitze. Die
letzteren erreichen die Erde, die ersteren nicht.
Seinen Weg bahnt sich der Blitz, indem er sich in einem
komplizierten Vorgang einen leitfähigen Kanal (Durchmesser
wenige Zentimeter) bildet, den er ruckstufenartig vorantreibt,
was auf den Aufnahmen mit bewegtem Film sauber dargestellt
Mit dem dreipoligen Kathndenstrahlos;illographen wurden
1937 Gewittermessungen durchgeführt.
von 1930 bis
Photographisch wurde der Blitz auf zwei Arten eingefangen:
Einerseits hielten Apparate mit ruhendem Film alle nächtlichen
Blitzeinschläge dokumentarisch fest. Anderseits konnte dank
Spezialkameras mit rasch sich bewegenden Filmen die Entstehung des Blitzkanals erfasst werden. Auch diese Aufnahmen
waren nur bei Nacht möglich, wobei die Nächte in den Hauptgewittermonaten zudem relativ kurz sind. Die Photoapparate
mussten mit geöffnetem Verschluss in Bereitschaft stehen. Weil
die dabei entstehende Vorbelichtung durch Stadtlicht oder Wol-
ken, welche indirekt von Blitzen aus anderen Himmelsrichtungen beleuchtet worden waren, störend wirkte, musste der Film
alle fünf bis zehn Minuten vorgeschoben werden, auch wenn
kein Blitz hatte aufgenommen werden können. Mit den Jahren
wurde dieses Prozedere automatisiert und konnte zentral gesteu-
ert werden.
konnte zudem eine verbesserte «Streakkamera» mit
rasch umlaufenden Filmen in Betrieb genommen werden. 1967
schliesslich baute man vier sogenannte Feldmühlen ein, spezielle Voltmeter, die den Verlauf der elektrischen Feldstärke auf
dem Berg und in einer Entfernung von einigen Kilometern aufzeichneten, und zwar vor und während Blitzeinschlägen auf
dem Berg. Dieser Verlauf ist sehr aufschlussreich und macht
insbesondere das Annäherungstempo des Blitzes deutlich.
1962
r
Das Phänomen Blitz und Donne
Als erster kam der englische Geistliche D. William Wall auf
die Idee, der Blitz sei eine Form des elektrischen Funkens. Auch
Stephen Gray
dachte ähnlich: «si licet magnis
componere parva», und der Leipziger Physikprofessor Johann
widmete in seinen physikaliHeinrich Winkler
schen Schriften ein ganzes Kapitel der Frage, «ob Schlag und
Funken der verstärkten Elektrizität für eine Art des Donners
und des Blitzes zu halten sind».
gelang es
Dem Amerikaner Benjamin Franklin
1752 erstmals, Elektrizität in der Atmosphäre nachzuweisen, indem er an einer leitfähigen nassen Schnur einen Drachen steigen liess und dabei aus einem angehängten Schlüssel Funken
ziehen konnte. Zum Glück tat er das nicht während eines Gewitters, sonst hätte ihn dasselbe Schicksal ereilt wie den Peters-
(1666
(1703
(1706
werden konnte. Kommt diese Gleitentladung in die Nähe des
Bodens, schlägt ihr von unten her häufig eine Fangentladung
entgegen, die den Kanal fertigstellt und damit die stromstarke
Hauptentladung einleitet. Verschiedene Seitenverzweigungen
erreichen den Boden nicht und enden blind in der Luft. Nach
einer Sekundenbruchteile währenden Erholungspause können,
nach Auffrischung des Kanals, weitere stromstarke Entladungen erfolgen, wobei die Zahl dieser Teilentladungen verschieden gross ist.
Ueber relativ ebenem Gelände erfolgt die Kanalbildung in
der Regel durch den Vorstoss negativer Ladung von der Wolke
zum Boden, die lichtstarke Hauptentladung dagegen durch das
Aufsteigen positiver Ladung vom Boden. Man spricht in diesem
Fall von einem Abwärtsblitz. Aber: «Es schlägt nicht immer
ein, wenn es donnert», sagt schon ein altes Sprichwort. Das
trifft zu, wenn sich ein Blitz zwischen zwei Wolken entlädt, aber
auch, wenn der Blitz «aus-» statt einschlägt; denn über steilen
Bergen oder an hohen Türmen kann das lokale elektrische Feld
so hoch werden, dass dort nicht nur die als Elmsfeuer bekannten Glimmentladungen, sondern richtige Blitze, sogenannte
Aufwärtsblitze, entstehen. Entdeckt wurden sie an einem
Schiffsmast auf dem Meer, und auf dem Empire State Building
in New York wurden sie erstmals photographisch (auf rasch
bewegtem Film) nachgewiesen.
Auf dem San Salvatore sind bis zu 80 Prozent aller beobachteten Blitze Aufwärtsblitze, die sich an den beiden Messtürmen
bilden und zu den Gewitterwolken hinaufwachsen, das heisst
ihren Kanal ruckstufenartig von unten nach oben bilden. Diese
Aufwärtsblitze sind, im Gegensatz zu den Abwärtsblitzen, nach
oben verzweigt. Meist handelt es sich um «langdauernde» Blitzströme, denen Stossentladungen überlagert sein können, wenn
der Aufwärtsblitzkanal geladene Wolkenteile erreicht. Eigentlich müsste man bei diesen Aufwärtsblitzen nicht von einem
Blitzeinschlag in, sondern von einem Blitzoujschlag aus dem
Turm sprechen.
Der Blitzeinschlag ist eine Stossentladung, und zwar ein
Gleichstromstoss. Am häufigsten schwanken die Stromstärken
von Erdblitzen um 30 000 Ampere, können aber in seltenen Fällen auch mehr als 200 000 Ampere erreichen. Bei Wolkenblitzen
fehlen die stromstarken Hauptentladungen, ihre Stromstärke
liegt bloss zwischen 20 und einigen 100 Ampere. Die Zahl der
Blitze ist von Gewitter zu Gewitter sehr verschieden; es gibt
Gewitter mit mehreren tausend Entladungen, wovon etwa ein
Viertel Erdblitze und drei Viertel Wolkenblitze.
Wenn ein Blitz in die Erde einschlägt, entsteht im Boden ein
Spannungstrichter, wobei mit zunehmender Entfernung vom
Einschlagsort die Spannung abnimmt. Steht nun ein Lebewesen, ein Mensch oder beispielsweise eine Kuh, unter einem
Baum in diesem Spannungsfeld und überbrückt die Spannungsverteilung im Boden mit einem Schritt, führt dies zur sogenann-
Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982
teilung
Situe ^ürrfjcr
WOCHENENDE
SaiMUg/SonnUg, 7./8. August
ten Schrittspannung, die sich bei Vierbeinern auch beim Stehen
1982
Nr.
181
55
(SEV) und vom Verband der schweizerischen Elektrizitätswerke
(VSE), während rund dreier Jahrzehnte, bis 1972, Blitz-Grundlagenforschung betrieben. Leiter der Station war Professor Karl
Berger, zugleich Dozent für Hochspannungstechnik an der
auswirkt (zwischen Vorder- und Hintergliedmassen).
Vom «heissen» und vom «kallen» Blitz
ETH.
Für den Volksmund ist die Sache einfach: «Heisse» Blitze
können etwas anzünden, weil sie heiss sind, «kalte» aus dem
n
gegenteilige
Grund nicht. Die wissenschaftliche Erklärung lauStrom x Zeit) ist bei beiden ungetet anders: Die Ladung
gleich.
fähr
Beim «heissen» Blitz ist der Strom schwacher (nur
einige 100 Ampere), dafür von längerer Dauer (einige Zehntelsdarum hat der Blitz Zeit, etwas
sekunden bis eine Sekunde)
anzuzünden.
bei gleicher Ladung
der
Beim «kalten» Blitz dauert
Strom nur etwa eine Tausendstelsekunde, er hat also, obschon
er bis zu lOOOmal stürker ist, keine Zeit, etwas in Flammen zu
setzen. Die sehr hohen Temperaturen im Funken (ca.
20 000° Celsius) bewirken eine Luftausdehnung, wodurch
grosse mechanische Kräfte frei werden, die Häuserbalken und
Baume spalten und zersplittern können.
Anders ausgedrückt: Den «heissen», das heisst stromschwächeren Blitz kann man mit einem Schweisslichtbogen vergleichen, den «kalten», das heisst stromstarken, mit einer Explosion.
Bleibt noch die Spannung: Diese ist beim Blitz unklar. Man
müsste sie zwischen Wolke und Erde messen können, doch
diese Millionen Volt kann man bloss schätzen. Messbar ist einzig der Strom des Blitzes, der ja auch bis zum Boden herunter
und somit in Reichweite der Messgeräte kommt.
Aber auch bei anderen «Volksweisheiten» heisst es aufpassen: Während die Bauernregel «Je mehr Donnerwetter, desto
fruchtbarer das Jahr» wohl stimmen mag, da Gewitter das für
den Pflanzenwuchs lebensnotwendige Regennass mit sich bringen, könnte es böse Folgen haben, wenn man sich bei Blitzschlag an die Volksmundregel hielte: «Vor den Eichen sollst du
weichen, doch die Buchen sollst du suchen.» Diese «Weisheit»
stammt wohl daher, dass man Blitzeinschläge an glatten Buchenstämmen stets weniger gut sah als an Bäumen mit borkiger
Rinde, welche beim Blitzeinschlag in grossen Fetzen weggefegt
wird. Daraus schloss man irrtümlich, Buchen würden weniger
vom Blitz getroffen. Das stimmt keineswegs. Man sollte während eines Gewitters überhaupt nicht unter Bäume stehen,
schon gar nicht unter freistehende.
Der Donner, der auf den Blitz folgt, wird durch die mit
Schallgeschwindigkeit sich fortpflanzende Druckwelle im Blitzkanal erzeugt. Da dieser eine grosse, unter Umständen kilometerlange Ausdehnung erreicht, entsteht ein langgezogenes Donnerrollen, weil der Schall von verschieden weit entfernten Quellen an unser Ohr dringt. Dazu kommt der verstärkende Echoeffekt von Hügeln und Bergen. Man kann den Donner mit dem
Uebeschallknall eines Flugzeugs vergleichen, nur dass diesem
das rollende Abklingen fehlt: man hört nur den doppelten
Dass die Schweizer Blitzforschung weltweite Anerkennung
genoss, beweisen die Einladungen Professor Bergers in alle
Welt, von Amerika bis Japan, und seine beiden Ehrendoktortitel von der Technischen Hochschule München und der Universität Uppsala. Noch heute «blitzen» seine Augen auf, wenn der
gebürtige Rheintaler, der im kommenden November seinen 84.
Geburtstag feiert, von seinem Beruf erzählt, der ihm Berufung
war. Er vergisst dabei auch nicht, seine Mitarbeiter zu rühmen,
die in der Messstation in all den Jahren die praktische Arbeit
verrichteten, wie zum Beispiel der Elektrotechniker Hugo Binz,
der in den letzten zehn Jahren des Instituts als Photograph
«Blitzbilder im wahren Sinn des Wortes» schuf.
(-
m
Blitzschutz ist wichtig für alle Nationen, eine zwingende
Notwendigkeit für Kraftwerke, Pulverfabriken, Luftfahrt usw.
Vor allem als Störquelle elektronischer Einrichtungen hat der
Blitz weltweit grosse Bedeutung. Kein anderes Land hat so viele
Blitzstrommessungen gesammelt wie die Schweiz. Sie half auch
mit, die Europäische Blitzschutzkonferenz zu gründen, der
heute rund IS europäische Länder angehören; sie tagt alle zwei
Jahre, hat sich jüngst in «International Conference on Lightning Protection» (ICLP) umgetauft und arbeitet eng mit dem
1981 von der Commission electrotechnique internationale (CEI)
gegründeten internationalen Blitzschutzkomitee zusammen, das
weltweit gültige Empfehlungen für den Blitzschutz ausarbeiten
soll. Wo immer auf der Welt von Blitzforschung gesprochen
wird, fällt der Name Schweiz.
Und doch ist etwas Merkwürdiges geschehen: Bis 1954 hatten der Elektrotechnische Verein und der Verband der Elektrizi-
Schlag von Bug- und Heckwelle.
Hörbar ist der Donner nur in, relativ geringer Entfernung,
nämlich rund zehn .Kilometer weit. Zudem ist die Hörbarkeit,
von der Windrichtung abhängig und um. so geringer, je fascher
die Temperatur mit der Höhe abnimmt. Der Donnerschall breitet sich mit einer Geschwindigkeit von ungefähr 330 Metern in
der Sekunde aus. Aus der Zeit, die zwischen Blitz und Donner
verstreicht, kann man deshalb die Entfernung des Gewitters
abschätzen. Faustregel: Anzahl Sekunden x 330. Zählt man
beispielsweise 12 Sekunden, erhält man die Zahl 3960, was
bedeutet, dass die Entfernung knapp vier Kilometer beträgt.
Das Ende einer Aera
Wenden wir uns wieder der eigentlichen Blitzforschung zu.
Die Messstation auf dem San Salvatore hat unter dem Patronat
der Forschungskommission für Hochspannungsfragen (FKH),
gegründet vom Schweizerischen Elektrotechnischen Verein
auf dem Gipfel des Monte San Salvatore neben
der Wallfahrtskirche der «Bruderschaft des guten Todes».
Sende- und Blitzmessturm
w:
Im ehemaligen Messraum des elektrotechnischen Labors auf dem San
Salvatore: Faradaykäfig mit oszillographischen Einrichtungen.
Das Sprichwort: «Es schlägt nicht immer ein, wenn es donnert», hat dann
recht, wenn sich ein Blitz zwischen zwei n
W o l k e entlädt.
tätswerke das Blitzforschungsinstitut finanziert. Bis 1972 sprang
auch der Nationalfonds mit Krediten ein. Dann versiegte die
Quelle. Aufgabe der Forschungskommission war es gewesen,
den Blitz im Hinblick auf den Schutz von Gebäuden und Einrichtungen zu erforschen; dieser Auftrag ist so gründlich erfüllt
worden, dass es keine neuen Forschungsaufgaben und somit
auch keine Geldgeber mehr gab und gibt. Darum ist das legendäre, schon vor Jahren stillgelegte Institut auf dem San Salvatore in diesem Sommer endgültig aufgehoben worden.
Blitzgeschichte zu
Es sieht aus, als sei die schweizerische
Ein schöner Abwärtsblitz, erkennbar an den nach unten gerichteten Verästelungen.
Typischer Aufwärtsblitz, nach oben verzweigt, austretend aus der Spitze
des Turms auf dem San Salvatore.
Ende. Doch in den letzten Jahren wurde in Florida eine Methode zur Lokalisierung von Blitzschlägen in 20 bis 300 Kilometern Entfernung dahingehend weiterentwickelt, dass auch die
Stromstärke dieser Fernblitze aus ihrem Magnetfeld bestimmt
werden kann. Die Resultate dieser Fernmessmethode, die inzwischen auch in Norwegen und Schweden angewendet wird,
scheinen mit den direkten Messwerten unserer Blitzforschung
übereinzustimmen. Wenn sich dies bestätigen sollte, hätten somit die schweizerischen Messwerte nicht nur lokale Bedeutung
und das wäre für die Schweizer Blitzforschung wahrlich eine
schöne Belohnung.
>;
Neue Zürcher Zeitung vom 07.08.1982