Protokoll des Workshops

Eine Welt Landeskonferenz 2015 – Akademie Franz Hitze Haus 13.+14. März 2015
Protokoll
Workshop 11: Ins gemacht Nest? Migration und Flucht aus Afrika
Referent_innen:
• Nathan Ludovic, La Voix des Migrants
• Ulla Rothe, La Voix des Migrants
• Annika Hesselmann, Exil e.V.
Moderation:
• Serge Palasie, Fachstelle für Migration und Entwicklung NRW
Protokoll: Isabel Empacher
Input Voix des Migrants: Haben sich gegründet, weil sie selber sprechen wollen und nicht, dass über
sie gesprochen wird. Sie wollen Migrant_innen auf der Flucht nach Europa eine Stimme geben und
auch die erreichen, die sich vielleicht noch auf den Weg machen möchten.
Situation in den Herkunftsländern: Jugendliche haben keine Zukunft, auch mit Ausbildung/Studium
keine Arbeit. Im Zuge der Globalisierung sehen sie, was in Europa passiert. Sie sehen ihre korrupten
Regierungen, die Steuern einnehmen und das Geld in die eigene Tasche stecken. Die Länder aus SubSahara Afrika sind verstrickt ins Kolonialsystem, in koloniale Strukturen, Regierungen arbeiten mit
ehemaligen Kolonialstaaten zusammen. Die Bevölkerung lebt in bitterer Armut. Die Jugendlichen
erfahren über das Internet, dass sie an dem Reichtum keinen Anteil haben. Weitere
/Migrationsgründe sind: Klimawandel, weniger Landwirtschaft und Fischwirtschaft (in Senegal gibt es
nur noch 1/10 des ehemaligen Fangs). Viele haben kein realistisches Bild von Europa, durch die
Medien wird ein schöneres Bild von Europa vermittelt.
Auf der Flucht: Einer der schlimmsten Wege ist durch die Sahara, 10-40 Leute fahren in einem Jeep,
man weiß nicht wie lange die Fahrt dauert, wann man ankommt, Essen und Trinken reichen nicht, es
herrscht extreme Kälte und Hitze.
Situation der Frauen: Voix des Migrants wollte gerne Frauen für solche Veranstaltungen gewinnen.
Diese möchten aber nicht öffentlich erzählen. In vertrauten Gesprächen berichten sie aber doch von
Vergewaltigungen, Traumatisierungen. Keine Frau kommt durch die Wüste, ohne mehrfach
vergewaltigt zu werden. Auf dem Weg nach Marokko stranden viele, weil sie unterwegs schwanger
werden. Es gibt auch Frauen, die sich zusammen mit ihren Kindern auf den Weg gemacht haben, um
Gewalt in ihren Ländern zu entgehen. Auch im Beisein der Kinder werden sie vergewaltigt. In
Marokko stellen sie dann fest, dass sie mit Kindern nicht den 7 Meter hohen Zaun überwinden
können oder über das Meer kommen. Sie sind dort gefangen, können nicht zurück, kommen nicht
vorwärts. Eine Möglichkeit zu überleben, ist durch Prostitution.
Situation in Marokko (Ceuta und Melilla): Wie gelangen die Leute über den Zaun? 100-200 laufen
auf den Zaun zu, mit selbst gebastelten Leitern. Auf der anderen Seite angekommen, werden sie mit
Schlagstöcken geschlagen, gefesselt und wieder zurückgebracht. Die marokkanische und spanische
Polizei arbeiten dabei zusammen, ein Recht auf ein Asylverfahren wird ihnen verweigert. Dazu wurde
ein mit Handy aufgenommener Film von der Grenze gezeigt.
In den Wäldern um die Zäune herum bauen die Menschen kleine Lager nach ihren
Herkunftsländern/-regionen organisiert und basisdemokratisch. Die marokkanische/spanische Polizei
kommt morgens und zerstört die Lager und brennt sie nieder. Einige werden abgeschoben (nach
Eine Welt Landeskonferenz 2015 – Akademie Franz Hitze Haus 13.+14. März 2015
Mali, Burkina Faso) oder irgendwo ausgesetzt. Die Verweildauer der Menschen dort ist zwischen 2
Wochen und 10 Jahren. Man braucht Geld, um weiter zu kommen. Algerien lässt einige (für wenig
Geld) arbeiten. Einige mieten sich Zimmer in Städten und arbeiten dort, sind dort allerdings mit
massivem Rassismus konfrontiert, werden teilweise angegriffen, es gab auch schon Tote. Man muss
aus den Wäldern raus, um Essen zu bekommen (z.B. Müll von den Touristen). Manche pendeln
zwischen Ceuta und Melilla, um einen Zeitpunkt abzupassen, an dem die Landzunge weniger
bewacht wird (z.B. an Markttagen). Am 6.2.2014 gab es einen Angriff der Guardia Civil auf ca. 300
Menschen, die schwimmend versucht haben, Ceuta zu erreichen. Als sie spanische Gewässer erreicht
hatten, wurden sie von der spanischen Polizei auf Motorbooten mit Tränengas angegriffen, mit
Schlagstöcken geschlagen. Offiziell gab es 15 Tote, in der Realität werden aber immer noch viele
vermisst.
Beispiel für die Situation von Geflüchteten in Deutschland: in Dortmund leben 300 Geflüchtete in
einer Turnhalle. Alle, die unter die Dublin III Verordnung (besagt, dass Geflüchtete dort ihren
Asylantrag stellen müssen, wo sie in Europa angekommen sind) fallen, sind hier nur geduldet. Das
bedeutet z.B., dass sie keine Möglichkeit haben, Deutschkurse zu machen, ein Konto zu eröffnen etc.,
also auch keine Möglichkeit haben, sich zu integrieren. Viele, die hier angekommen sind, fragen sich:
Wir haben in unseren Ländern gelitten, wir haben auf der Flucht gelitten, hier leiden wir wieder –
wann hört das endlich auf?
Europa schottet sich ab, z.B. durch Frontex. In Lagern in Nordafrika soll direkt Asyl gestellt werden,
damit die Leute gar nicht nach Europa kommen. Frontex wird von Steuergeldern der Bürger_innen
der EU finanziert. Die Finanzierung liegt inzwischen in Milliardenhöhe, mehr Geld, als in
Entwicklungszusammenarbeit gesteckt wird.
Was kann man tun? Was wird getan? Jeder kann etwas tun. Afrique Europe Interact hat das
„Alarmphone“ ins Leben gerufen: Aktivist_innen aus mehreren Ländern haben sich vernetzt,
darunter auch Anwält_innen, Menschenrechtler. Es gibt eine Telefonnummer, die rund um die Uhr
besetzt ist, mehrsprachig. Die Telefonnummern werden eingeschweißt und in Marokko, Italien
verteilt. Wenn Leute in Seenot geraten, können sie diese Nummer anrufen. Leider gibt es keine
100%ige Sicherheit. Aber die Boote, die sich bis heute dort gemeldet haben, sind auch gerettet
worden.
No borders Marokko: fahren auf eigene Faust dorthin, gehen in die Wälder, holen manchmal auch
Filme da raus ( „The Land between“). Es gibt Organisationen in Senegal und Mali, die dafür sorgen
wollen, dass die Menschen bleiben und sie informieren über die Situation auf der Flucht und in
Europa. Eine Menschenrechtsorganisation in Deutschland und Spanien bereitet eine Klage wegen des
6.2.14 vor.
In Deutschland gibt es z.B. die Organisation „Women in Exile e.V.“, die sich um Frauen kümmern.
Letztes Jahr haben sie eine Bootstour durch Deutschland gemacht, um auf die Situation der Frauen
aufmerksam zu machen, am 7.3.15 eine Demo.
Voix des Migrants möchte Öffentlichkeit herstellen. Die Veranstaltungen sind auch wichtig, um das
Erlebte zu verarbeiten, wie eine Therapie. Fotos von den Veranstaltungen schicken sie an Freunde,
die noch in Marokko sind, um ihnen zu zeigen, dass sie nicht vergessen sind.
Das Recht auf Bewegungsfreiheit ist wichtig für Voix des Migrants: weiße Europäer_innen dürfen sich
überallhin bewegen, schwarze, nicht in Europa geborene, nicht. Warum gibt es nicht die Möglichkeit
eine Zeitlang in Europa zu leben, eine Ausbildung zu machen?
Input von Annika (Exil e.V.): 3 Beispiele, wie man sich hier engagieren kann (Osnabrück)
Eine Welt Landeskonferenz 2015 – Akademie Franz Hitze Haus 13.+14. März 2015
- Freizeit für Flüchtlingskinder: 2-wöchig fahren Freiwillige in das Lager nach Bramsche, nehmen die
Kinder mit und machen mit ihnen Freizeitaktivitäten.
- Deutschkurse von Ehrenamtlichen
- Bündnis gegen Abschiebungen: seit März 2014 sind 30 Dublin III -Abschiebungen verhindert worden
von jeweils ca. 50-100 Menschen: Abschiebungen werden in Niedersachsen ca. eine Woche vorher
angekündigt. Durch einen SMS-Verteiler werden dann die Leute informiert. Ziel ist, die
Überstellungsfrist ablaufen zu lassen.