PEOPLE PEOPLE Bin Laden ist tot. Solnhofen lebt und erinnert auf den ersten Blick mit seinen Plattengruben irgendwie an Afghanistan. Zu diesem Eindruck tragen auch die traditionellen Winterdächer bei, die mit der Zeit auf immer höheren Sockeln aus Kalkplatten stehen, die im Oberjura, vor 150 Millionen Jahren, als Sediment auf den Grund einer damals tropischen Lagune gerieselt sind. Mit dabei: tote Tiere, deren Gestalt sich dank hohem Salzgehalt und Mangel an Sauerstoff durch die Jahrmillionen bestens erhalten hat. Fossilien zum Vorzeigen! Die gelbe Lagune Kalkplatten aus Solnhofen von der Fränkischen Alb haben schon die alten Römer begeistert – heute kämpfen die Grubenbesitzer und Hackstockmeister um das wirtschaftliche Überleben eines einzig artigen Natursteins Text: REINHARD RENGER Fotos: CLAUDIA VON BOCH 78 LIVING BRIGITTE VON BOCH LIVING BRIGITTE VON BOCH 79 PEOPLE Einer der letzten Hackstockmeister bei der Arbeit. Aufgrund ihrer leicht brüchigen Struktur können bei der Gewinnung von Wer denkt bei einer Lithografie an Solnhofen, nördlich von Ingolstadt? Nur Eingeweihte. Sie wissen, dass ein gewisser Alois Solnhofener Steinen keine schweren Maschinen eingesetzt werden. Handarbeit ist gefragt, und die kostet. Dabei verfolgen Senefelder (1771–1834) den seriellen Druck von Schriftwerken und Zeichnungen mit einem geätzten Stein erfunden hat. Ei- die Meister des Solnhofener Steins schon seit Generationen das Konzept des Freelancers. Sie arbeiten für den Claimbesitzer gentlich wollte er nur seine Theaterstücke selbst verlegen. Bis heute kommen die besten Lithosteine aus Solnhofen, denn auf eigene Kosten und kassieren eine Provision für ihre Kalksteinernte. ihre Oberfläche ist besonders feinporig. E s gab schon bessere Zeiten auf der Fränkischen Alb. Man wirbt um Mountainbiker und kann mit dem größten Naturpark Deutschlands glänzen. Aber für viele ist das Altmühltal vor allem ein Grund, auf dem Weg von Nürnberg nach München den Fuß vom Gaspedal zu nehmen. Tempo 100, sonst droht ein Knöllchen. Einfach ignorant, denn wer schon einmal an Bayerns langsamsten Fluss, der noch von keiner Flurbereinigung und Kanalisierung verfremdet wurde, entlang gefahren ist, wird dieses mäandernde Idyll kaum vergessen haben. Einen bleibenden Eindruck dürfte auch die Fauna hinterlassen – die hier in deutlich wärmeren Erdzeiten einmal existiert hat. Vor bald 150 Millionen Jahren, in der Zeit des Oberjura, flogen hier riesige Libellen umeinander. Und auch der viel beschworene Urvogel Archaeopteryx bevölkerte die Luft. Im Wasser der damaligen tropischen Lagune schwammen riesige Krokodile und Quastenflosser; riesige Meeresschnecken bevöl- 80 PEOPLE LIVING BRIGITTE VON BOCH kerten das Wasser; ein wundersamer Jurassic Park, der sich selbst bestens dokumentiert hat. Denn vieles, was in dem sehr sauerstoffarmen und besonders salzigen Wasser, aus welchen Gründen auch immer, zu Boden sank, wurde im späteren Plattenkalk des Sediments verewigt. Anita Spanner hat diese Geschichte sicher schon oft erzählt. Die resolut feminine Frau arbeitet momentan gegen den Strom. „Wir sind vielen Kunden einfach zu teuer“, sagt die Oberbayerin mit entwaffnender Selbstverständlichkeit. Die Billigimporte mit Natursteinen aus China, die sich in den Regalen der Baumärkte stapeln, bedrohen eine uralte Handwerkskunst. Trotzdem scheint das Wort Depression nicht unbedingt zum Vokabular der Kommunikatorin für die „Kosona“ zu gehören – der „Kompetenzgruppe Solnhofener Naturstein“. Spanners Büro ist schmucklos und die Zahlen sind es auch. Der „Solnhofener“, eine echte Institution nicht nur auf dem deutschen Kalksteinmarkt, ist gerade weniger gefragt. Frau Spanner schwärmt noch von den Nachwendezeiten, als vieles restauriert wurde. In den siebziger Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es die bayrische Ware besonders den Südfranzosen angetan. Sie verwendeten im milderen Klima den – nicht sehr frostsicheren – Naturstein draußen vor der Tür für ihre Terrassen. Diesem kann man mit schweren Maschinen nicht beikommen; das würde ihn nur zerstören. Sensible Handarbeit ist bei der Gewinnung gefragt, deshalb erfordert der Solnhofener Plattenkalk seit Jahrhunderten bei jeder Witterung echten Körpereinsatz. Ruhe gelegt, sorgen auch die Einschlüsse von Eisen und Mangan für geradezu surrealistische Impressionen. Sie werden Dendriten genannt, denn das mineralisch angereicherte Wasser hat fächerförmige Spuren in Rostrot und Anthrazit hinterlassen, die beim ersten Blick an ein Meisterwerk von Max Ernst erinnern. So kunstvoll ist unsere Schöpfung, aber auch so gnadenlos: Angebot und Nachfrage, fressen oder gefressen werden; im Sinne von Darwin besser sein oder aussterben. Aber sind kurz gehaltene Arbeiter in China ohne große soziale Absicherung sozialevolutionär überlebensfähiger als ein gestandener Hackstockmeister? Das durch die Millionen Jahre gepresste Sediment besitzt eine ganz besondere Struktur. Es ist der feinporigste Kalkstein der Welt; seine Farbpalette reicht von hellem Creme bis zu dunklerem Ocker. Hatte sich nicht gerade irgendein Lebewesen im ehemaligen Grund der Lagune zur ewigen Von denen gab es einmal viele Hundert auf dem Gebiet der längst verschwundenen Lagune. Es sind traditionell Freelancer: Als freie Handwerker brechen sie für einen Claimbesitzer in den Kalksteinbrüchen aus dem Grund. Maximal kann eine alte Sedimentschicht bis zu dreißig LIVING BRIGITTE VON BOCH 81 PEOPLE Unter einem Winterdach machen sich die Hackstockmeister unabhängiger vom Wetter. Im Sommer geraten sie allerdings Man kann Säulen heute längst aus Beton gießen. Aber dann sind sie nicht mehr so mobil wie dieser Pilaster aus Solnhofener umso schneller ins Schwitzen, wenn sie mit einem elastischen Hammer, dessen eiserner Kopf traditionell auf den Schössling Kalkplatten, auf dem das schwere Winterdach lagert. Wenn das Plattenfeld erschöpft ist, wandert das Winterdach einfach einer Haselnuss gezogen wird, die „naturgewachsene“ Platte in Form bringen. Jeder Arbeiter hat in Solnhofen noch seine weiter. Das ist zwischen Solnhofen und Eichstätt seit Generationen Tradition. Die Billigimporte von Natursteinen aus China persönliche Auswahl an selbst gemachten Werkzeugen. lassen dieses Kulturgut immer unwirtschaftlicher werden. Zentimeter stark sein, bei einer Länge von 2 Metern. Die gängigen Fragmente sind allerdings viel dünner. Der Hackstockmeister bricht fremdes Eigentum und bekommt dafür seinen Anteil. „Früher gab es einmal 25 Firmen, jetzt hat Kosona gerade wieder zwei verabschiedet. Ich arbeite heute nur noch für fünf Besitzer“, erzählt Anita Spanner, inmitten eines Tagebaus. Dort gibt es eine touristisch inspirierte Halde für begeisterte Fossiliensucher und deren Kinder. Die Solnhofener Plattenbrecherwirklichkeit findet dagegen rund um die sogenannten Winterdächer statt, denen zurzeit 82 PEOPLE LIVING BRIGITTE VON BOCH das Vorkommen des ansonsten weiter südlich heimischen Apollofalters Schlagzeilen verschafft. Ihm gefällt nur diese karstig leere Lebenswelt – auch ein Argument, sie zu erhalten. Der Anblick versetzt einen weit weg vom waldig grünen Bayern. Afghanistan kommt dank aktueller Fernsehbilder in den Sinn, angesichts dieser erdig gelben, unwirtlichen Landschaft einige Kilometer nördlich vom beschaulichen Solnhofen. Man schaut auf ein Loch, in dem auch in fro- stigen Zeiten gearbeitet wird. Allerdings nur in mobilen Jurten, die zum Teil halsbrecherisch auf einem hohen Sockel aus Kalkplatten stehen. Bayern? Dort verwendeten bereits die Römer Solnhofener Stein in ihren Villen. Anita Spanner möchte dagegen nicht vorschnell die Legende bestätigen, dass die Hagia Sophia im 14. Jahrhundert – verschifft über Altmühl und Donau, einen Boden aus Solnhofener Kalkplatten erhielt. Näher liegen die Bodenplatten im Dom im atemberaubend barocken Eichstätt, dessen Ursprünge auch schon über ein Jahrtausend zurückgehen. Am Kulturgut, mit oder ohne Millionen Jahre altes Fossil, besteht also kein Zweifel. Die letzten Fossilien werden mit den Exponaten ausgeräumt, die man im „Bürgermeister Müller Museum“ von Solnhofen betrachten kann. Plattenteller große Ammoniten, urzeitliche Schildkröten, Tintenfische und Krokodile; Deutschland war einmal erstaunlich artenreich. Diese vor langem verendeten Lebewesen kann man sonst nur in Sammlungen von Metropolen wie London oder Berlin betrachten. Und da gibt es noch eine ganz andere Geschichte. Es war Alois Senefelder (1771–1834), LIVING BRIGITTE VON BOCH 83 PEOPLE PEOPLE ein armer Schauspieler und Theaterschriftsteller, der nach einem Weg suchte, mangels Verleger seine Stücke selbst zu drucken. Er experimentierte und erfand nebenbei die Lithografie, die nur auf den besonders feinporigen Steinen aus Solnhofen funktioniert. In ihre Oberfläche wird die Schrift oder eine Zeichnung geätzt – und vielfach auf Papier gedruckt. Eine echte Revolution in der Kunstwelt, die erst am Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Offsetdruck übermächtige Konkurrenz erhielt. Als Alois Senefelder kurz vor dem Ende des 18. Jahrhunderts die Lithografie erfand, konnte er kaum ahnen, dass sein Druckverfahren noch im dritten Jahrtausend angewendet würde. Für die Liebhaber von Kunst, die nicht im modernen Offsetverfahren vervielfältigt wird. Unterm Strich werden immer weniger starke Platten verkauft, die mit menschenhohen Sägeblättern aus dem weichen Solnhofener Kalkstein mit seiner konkurrenzlos feinen Struktur geschnitten werden. 84 LIVING BRIGITTE VON BOCH Auch heute noch werden besonders homogene Platten zu Lithosteinen behauen – natürlich von Hand. Mehrere Tausend Euro kostet ein Stück, das den Lithografen dieser Welt lange Freude bereit – eine Nische, die Solnhofen früher reich machte. Welche Zukunft hat der Kalkstein heute? „Solnhofener Platten eignen sich bestens als Oberfläche über einer Fußbodenheizung“, erklärt Anita Spanner. Biobaumeister sollten eigentlich zuschlagen. Da muss der satte 50er-Jahre Charme, den man insbesondere von vielen Kirchenböden aus der Nachkriegszeit kennt, doch kein Nachteil sein. Einen der letzten Booms des unter der Haut warmen Steins bewirkten übrigens die Nazis. Als nationales Kulturgut förderten sie den Plattenbruch und ließen in einer Zeit schwindender Importe die Solnhofner aufatmen. Jenseits von wirtschaftlichem Protektionismus ist es an der Altmühl schwierig geworden. Einige Liebhaber sind Architekten, die den unverwechselbaren Charakter eines heimischen Materials erkannt haben. Die Lohnkosten verhindern allerdings, dass man Solnhofener Natursteine jemals in einem Baumarkt erwerben kann. Das ist heute der Vertriebsweg. LIVING BRIGITTE VON BOCH 85 PEOPLE Der „Solnhofener“ hat viele Geschichten geschrieben. Bis heute hat man unter den bayrischen Kalkplatten insgesamt 10 Skelette des Urvogels Archaeopteryx gefunden – dieser Abdruck im Solnhofener „Bürgermeister Müller Museum“ wurde von einem Original genommen, das heute in London ausgestellt wird. Mit dem gleichen Material wurde vor Jahrhunderten der Boden der Grabhalle des Eichstätter Doms bedeckt. Eine historische Augenweide nicht nur für Steinliebhaber! „Es gab immer ein Auf und Ab; es kommen auch wieder bessere Zeiten“, sagt Anita Spanner. Zu ihrer erprobten Tour rund um den Stein, in dem sich so spektakulär längst verstorbene Tiere verewigt haben, gehört immer auch der Dom von Eichstätt. Wenn die Abendsonne durch die Fenster den „Solnhofener“ scheinbar zum Glühen bringt und scheinbar Wärme widerspiegelt, kann man daraus auch eine 86 LIVING BRIGITTE VON BOCH Liebeserklärung an einen naturgewachsenen Werkstoff formulieren, in dem sich so wunderbar das mineralische und organische Leben vereinen. Was für ein Eindruck, wenn man seine unpolierte Oberfläche betrachtet. So sah vor vielleicht 120 Millionen Jahren tatsächlich der Meeresboden in Bayern aus. Dagegen wirkt industrielle Keramik noch nicht einmal wie Fast Food. www.kosona.de LIVING BRIGITTE VON BOCH 87
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