DIE GELbE LaGuNE - Der Solnhofener Naturstein – Das Original

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Bin Laden ist tot. Solnhofen lebt und erinnert auf den ersten
Blick mit seinen Plattengruben irgendwie an Afghanistan.
Zu diesem Eindruck tragen auch die traditionellen Winterdächer bei, die mit der Zeit auf immer höheren Sockeln aus Kalkplatten stehen, die im Oberjura, vor
150 Millionen Jahren, als Sediment auf den Grund einer damals tropischen Lagune gerieselt sind. Mit dabei: tote Tiere, deren Gestalt sich dank hohem Salzgehalt und Mangel an Sauerstoff durch die Jahrmillionen
bestens erhalten hat. Fossilien zum Vorzeigen!
Die gelbe
Lagune
Kalkplatten aus Solnhofen
von der Fränkischen Alb
haben schon die alten
Römer begeistert – heute
kämpfen die Grubenbesitzer
und Hackstockmeister
um das wirtschaftliche
Überleben eines einzig­
artigen Natursteins
Text: REINHARD RENGER Fotos: CLAUDIA VON BOCH
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Einer der letzten Hackstockmeister bei der Arbeit. Aufgrund ihrer leicht brüchigen Struktur können bei der Gewinnung von
Wer denkt bei einer Lithografie an Solnhofen, nördlich von Ingolstadt? Nur Eingeweihte. Sie wissen, dass ein gewisser Alois
Solnhofener Steinen keine schweren Maschinen eingesetzt werden. Handarbeit ist gefragt, und die kostet. Dabei verfolgen
Senefelder (1771–1834) den seriellen Druck von Schriftwerken und Zeichnungen mit einem geätzten Stein erfunden hat. Ei-
die Meister des Solnhofener Steins schon seit Generationen das Konzept des Freelancers. Sie arbeiten für den Claimbesitzer
gentlich wollte er nur seine Theaterstücke selbst verlegen. Bis heute kommen die besten Lithosteine aus Solnhofen, denn
auf eigene Kosten und kassieren eine Provision für ihre Kalksteinernte.
ihre Oberfläche ist besonders feinporig.
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s gab schon bessere Zeiten auf der Fränkischen Alb.
Man wirbt um Mountainbiker und kann mit dem
größten Naturpark Deutschlands glänzen. Aber für viele
ist das Altmühltal vor allem ein Grund, auf dem Weg
von Nürnberg nach München den Fuß vom Gaspedal zu
nehmen. Tempo 100, sonst droht ein Knöllchen. Einfach
ignorant, denn wer schon einmal an Bayerns langsamsten
Fluss, der noch von keiner Flurbereinigung und Kanalisierung verfremdet wurde, entlang gefahren ist, wird dieses
mäandernde Idyll kaum vergessen haben. Einen bleibenden
Eindruck dürfte auch die Fauna hinterlassen – die hier in
deutlich wärmeren Erdzeiten einmal existiert hat. Vor bald
150 Millionen Jahren, in der Zeit des Oberjura, flogen hier
riesige Libellen umeinander. Und auch der viel beschworene Urvogel Archaeopteryx bevölkerte die Luft. Im Wasser
der damaligen tropischen Lagune schwammen riesige Krokodile und Quastenflosser; riesige Meeresschnecken bevöl-
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kerten das Wasser; ein wundersamer Jurassic Park, der sich
selbst bestens dokumentiert hat. Denn vieles, was in dem
sehr sauerstoffarmen und besonders salzigen Wasser, aus
welchen Gründen auch immer, zu Boden sank, wurde im
späteren Plattenkalk des Sediments verewigt.
Anita Spanner hat diese Geschichte sicher schon oft erzählt.
Die resolut feminine Frau arbeitet momentan gegen den
Strom. „Wir sind vielen Kunden einfach zu teuer“, sagt die
Oberbayerin mit entwaffnender Selbstverständlichkeit. Die
Billigimporte mit Natursteinen aus China, die sich in den
Regalen der Baumärkte stapeln, bedrohen eine uralte Handwerkskunst. Trotzdem scheint das Wort Depression nicht
unbedingt zum Vokabular der Kommunikatorin für die
„Kosona“ zu gehören – der „Kompetenzgruppe Solnhofener
Naturstein“. Spanners Büro ist schmucklos und die Zahlen sind es auch. Der „Solnhofener“, eine echte Institution
nicht nur auf dem deutschen Kalksteinmarkt, ist gerade weniger gefragt. Frau Spanner schwärmt noch von den Nachwendezeiten, als vieles restauriert wurde. In den siebziger
Jahren des letzten Jahrhunderts hatte es die bayrische Ware
besonders den Südfranzosen angetan. Sie verwendeten im
milderen Klima den – nicht sehr frostsicheren – Naturstein
draußen vor der Tür für ihre Terrassen. Diesem kann man
mit schweren Maschinen nicht beikommen; das würde ihn
nur zerstören. Sensible Handarbeit ist bei der Gewinnung
gefragt, deshalb erfordert der Solnhofener Plattenkalk seit
Jahrhunderten bei jeder Witterung echten Körpereinsatz.
Ruhe gelegt, sorgen auch die Einschlüsse von Eisen und
Mangan für geradezu surrealistische Impressionen. Sie werden Dendriten genannt, denn das mineralisch angereicherte
Wasser hat fächerförmige Spuren in Rostrot und Anthrazit
hinterlassen, die beim ersten Blick an ein Meisterwerk von
Max Ernst erinnern. So kunstvoll ist unsere Schöpfung,
aber auch so gnadenlos: Angebot und Nachfrage, fressen
oder gefressen werden; im Sinne von Darwin besser sein
oder aussterben. Aber sind kurz gehaltene Arbeiter in China
ohne große soziale Absicherung sozialevolutionär überlebensfähiger als ein gestandener Hackstockmeister?
Das durch die Millionen Jahre gepresste Sediment besitzt
eine ganz besondere Struktur. Es ist der feinporigste Kalkstein der Welt; seine Farbpalette reicht von hellem Creme
bis zu dunklerem Ocker. Hatte sich nicht gerade irgendein
Lebewesen im ehemaligen Grund der Lagune zur ewigen
Von denen gab es einmal viele Hundert auf dem Gebiet
der längst verschwundenen Lagune. Es sind traditionell
Freelancer: Als freie Handwerker brechen sie für einen
Claimbesitzer in den Kalksteinbrüchen aus dem Grund.
Maximal kann eine alte Sedimentschicht bis zu dreißig
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Unter einem Winterdach machen sich die Hackstockmeister unabhängiger vom Wetter. Im Sommer geraten sie allerdings
Man kann Säulen heute längst aus Beton gießen. Aber dann sind sie nicht mehr so mobil wie dieser Pilaster aus Solnhofener
umso schneller ins Schwitzen, wenn sie mit einem elastischen Hammer, dessen eiserner Kopf traditionell auf den Schössling
Kalkplatten, auf dem das schwere Winterdach lagert. Wenn das Plattenfeld erschöpft ist, wandert das Winterdach einfach
einer Haselnuss gezogen wird, die „naturgewachsene“ Platte in Form bringen. Jeder Arbeiter hat in Solnhofen noch seine
weiter. Das ist zwischen Solnhofen und Eichstätt seit Generationen Tradition. Die Billigimporte von Natursteinen aus China
persönliche Auswahl an selbst gemachten Werkzeugen.
lassen dieses Kulturgut immer unwirtschaftlicher werden.
Zentimeter stark sein, bei einer Länge von 2 Metern. Die
gängigen Fragmente sind allerdings viel dünner. Der Hackstockmeister bricht fremdes Eigentum und bekommt dafür
seinen Anteil. „Früher gab es einmal 25 Firmen, jetzt hat
Kosona gerade wieder zwei verabschiedet. Ich arbeite heute
nur noch für fünf Besitzer“, erzählt Anita Spanner, inmitten eines Tagebaus. Dort gibt es eine touristisch inspirierte
Halde für begeisterte Fossiliensucher und deren Kinder.
Die Solnhofener Plattenbrecherwirklichkeit findet dagegen
rund um die sogenannten Winterdächer statt, denen zurzeit
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das Vorkommen des ansonsten weiter südlich heimischen
Apollofalters Schlagzeilen verschafft. Ihm gefällt nur diese karstig leere Lebenswelt – auch ein Argument, sie zu
erhalten.
Der Anblick versetzt einen weit weg vom waldig grünen
Bayern. Afghanistan kommt dank aktueller Fernsehbilder
in den Sinn, angesichts dieser erdig gelben, unwirtlichen
Landschaft einige Kilometer nördlich vom beschaulichen
Solnhofen. Man schaut auf ein Loch, in dem auch in fro-
stigen Zeiten gearbeitet wird. Allerdings nur in mobilen
Jurten, die zum Teil halsbrecherisch auf einem hohen Sockel
aus Kalkplatten stehen. Bayern? Dort verwendeten bereits
die Römer Solnhofener Stein in ihren Villen. Anita Spanner
möchte dagegen nicht vorschnell die Legende bestätigen,
dass die Hagia Sophia im 14. Jahrhundert – verschifft über
Altmühl und Donau, einen Boden aus Solnhofener Kalkplatten erhielt. Näher liegen die Bodenplatten im Dom im
atemberaubend barocken Eichstätt, dessen Ursprünge auch
schon über ein Jahrtausend zurückgehen.
Am Kulturgut, mit oder ohne Millionen Jahre altes Fossil,
besteht also kein Zweifel. Die letzten Fossilien werden mit
den Exponaten ausgeräumt, die man im „Bürgermeister
Müller Museum“ von Solnhofen betrachten kann. Plattenteller große Ammoniten, urzeitliche Schildkröten, Tintenfische und Krokodile; Deutschland war einmal erstaunlich
artenreich. Diese vor langem verendeten Lebewesen kann
man sonst nur in Sammlungen von Metropolen wie London oder Berlin betrachten. Und da gibt es noch eine ganz
andere Geschichte. Es war Alois Senefelder (1771–1834),
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ein armer Schauspieler und Theaterschriftsteller, der nach
einem Weg suchte, mangels Verleger seine Stücke selbst zu
drucken. Er experimentierte und erfand nebenbei die Lithografie, die nur auf den besonders feinporigen Steinen aus
Solnhofen funktioniert. In ihre Oberfläche wird die Schrift
oder eine Zeichnung geätzt – und vielfach auf Papier gedruckt. Eine echte Revolution in der Kunstwelt, die erst am
Anfang des 20. Jahrhunderts durch den Offsetdruck übermächtige Konkurrenz erhielt.
Als Alois Senefelder kurz vor dem Ende
des 18. Jahrhunderts die Lithografie erfand, konnte er kaum ahnen, dass sein
Druckverfahren noch im dritten Jahrtausend angewendet würde. Für die Liebhaber von Kunst, die nicht im modernen Offsetverfahren vervielfältigt wird. Unterm
Strich werden immer weniger starke Platten verkauft, die mit menschenhohen Sägeblättern aus dem weichen Solnhofener
Kalkstein mit seiner konkurrenzlos feinen
Struktur geschnitten werden.
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Auch heute noch werden besonders homogene Platten zu
Lithosteinen behauen – natürlich von Hand. Mehrere Tausend Euro kostet ein Stück, das den Lithografen dieser Welt
lange Freude bereit – eine Nische, die Solnhofen früher reich
machte. Welche Zukunft hat der Kalkstein heute? „Solnhofener Platten eignen sich bestens als Oberfläche über einer
Fußbodenheizung“, erklärt Anita Spanner. Biobaumeister
sollten eigentlich zuschlagen. Da muss der satte 50er-Jahre
Charme, den man insbesondere von vielen Kirchenböden
aus der Nachkriegszeit kennt, doch kein Nachteil sein. Einen der letzten Booms des unter der Haut warmen Steins
bewirkten übrigens die Nazis. Als nationales Kulturgut
förderten sie den Plattenbruch und ließen in einer Zeit
schwindender Importe die Solnhofner aufatmen. Jenseits
von wirtschaftlichem Protektionismus ist es an der Altmühl
schwierig geworden. Einige Liebhaber sind Architekten, die
den unverwechselbaren Charakter eines heimischen Materials erkannt haben. Die Lohnkosten verhindern allerdings,
dass man Solnhofener Natursteine jemals in einem Baumarkt erwerben kann. Das ist heute der Vertriebsweg.
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Der „Solnhofener“ hat viele Geschichten geschrieben. Bis heute hat man unter den bayrischen Kalkplatten insgesamt 10
Skelette des Urvogels Archaeopteryx gefunden – dieser Abdruck im Solnhofener „Bürgermeister Müller Museum“ wurde von
einem Original genommen, das heute in London ausgestellt wird. Mit dem gleichen Material wurde vor Jahrhunderten der
Boden der Grabhalle des Eichstätter Doms bedeckt. Eine historische Augenweide nicht nur für Steinliebhaber!
„Es gab immer ein Auf und Ab; es kommen auch wieder
bessere Zeiten“, sagt Anita Spanner. Zu ihrer erprobten
Tour rund um den Stein, in dem sich so spektakulär längst
verstorbene Tiere verewigt haben, gehört immer auch der
Dom von Eichstätt. Wenn die Abendsonne durch die Fenster den „Solnhofener“ scheinbar zum Glühen bringt und
scheinbar Wärme widerspiegelt, kann man daraus auch eine
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Liebeserklärung an einen naturgewachsenen Werkstoff formulieren, in dem sich so wunderbar das mineralische und
organische Leben vereinen. Was für ein Eindruck, wenn
man seine unpolierte Oberfläche betrachtet. So sah vor vielleicht 120 Millionen Jahren tatsächlich der Meeresboden
in Bayern aus. Dagegen wirkt industrielle Keramik
noch nicht einmal wie Fast Food.
www.kosona.de
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