Wenn das Holz nur erzählen könnte: Vor 7 000 Jahren

Wenn das Holz nur erzählen könnte: Vor 7 000 Jahren war die riesige
Moorlärche noch ein grünender Baum. Das war vor Ötzis Zeiten! Ein
Bauer fand durch Zufall den Urbaum unter seiner Wiese. Nun versuchen
Forscher, ihm scheibchenweise einige seiner Geheimnisse zu entlocken
Ein graubrauner Ast der Moorlärche –
oder das, was die 7 000 Jahre bis heute
überdauert hat
Winzige Späne, Splitter und Stückchen:
Alles wird aufgehoben – und vermutlich
irgendwann Teil eines Kunstwerks
Porös, rissig und geheimnisvoll
schimmernd: Die Jahrtausende haben
die Moorlärche gezeichnet
Die Moor-Lärche
aus der Steinzeit
D
en Preis haben sie „ausgeschnapselt“, das
Geschäft mit Handschlag besiegelt und Stillschweigen über die Summe vereinbart. „Die
Leute müssen ja nicht alles wissen“, meint Toni
Santa. Der Wötschl-Sepp sitzt daneben, blinzelt zufrieden
in die Südtiroler Sonne, die das Bänkchen vor seinem Haus
wärmt, und nickt. Alles ist gut. Denn Bauer Wötschl-Sepp
alias Josef Santer ist den riesigen Baum los, der ihm bei
Entwässerungsarbeiten auf seiner Wiese in die Quere kam
und den er vermutlich schlicht zu Brennholz verarbeitet
hätte. Und Nachbar Toni Santa, der sofort die Sensation
witterte, als er im Herbst 2011 den seltsam schimmernden
Stamm sah, freut sich.
Hat gut lachen: Toni Santa freut
sich, den wahren Wert der
Moorlärche erkannt zu haben.
Noch lagern Teile des Urbaums
in einer Garage – gut gesichert
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Inzwischen ist offiziell bestätigt, dass es sich um einen
echten Urbaum handelt. Die Petersberger Moorlärche ist
mehr als 7 000 Jahre alt und hat es in ihren 800 aktiven
Jahren auf einen Durchmesser von 1,10 Meter und eine
Höhe von 30 Metern gebracht. Während Wissenschaftler
ihr scheibchenweise die Geheimnisse entlocken, hauchen
ihr Künstler Stück für Stück neues Leben ein. Denn um
die Moorlärche hat sich eine „Art Family“ gebildet, die aus
dem Holz besondere Objekte schafft – Schreibutensilien,
Schmuck, Skulpturen. „Wir überlegen genau, was gemacht
wird“, sagt Toni Santa, der der neu gegründeten Familie
vorsteht. Denn der Rohstoff ist begrenzt: Zwei Drittel der
Bitte umblättern
Fotos: Judith Kunz (4), Archiv Eggental Tourismus
Es ist offiziell: ein echter Urbaum
Wanderparadies mit
malerischen Landschaften
Das Eggental mit seinen sieben Orten beginnt
20 Kilometer nördlich von Bozen. Wanderer haben
im Angesicht des UNESCO-Weltnaturerbes der
Dolomiten mit Rosengarten, Latemar und Schlernmassiv 430 Kilometer markierter Wege zur Auswahl.
Unter besonderem Schutz stehen die Naturparks SchlernRosengarten und die Bletterbachschlucht, einem Canyon,
der Einblick in die Erdgeschichte der Berge gewährt.
Ein Füllfederhalter mit
einem Schaft aus uraltem
Moorlärchenholz. Das
Echtheitszertifikat dazu
gibt es übrigens auch auf
Chinesisch, Russisch
und Arabisch …
Da sitzen sie: Bauer Josef
Santer (rechts), der die
Moorlärche 2011 in seiner
Wiese gefunden hat. Und
Toni Santa, der sie ihm
dann abgekauft hat
Maler sind die einzigen Künstler der „Art
Family“, die sich nicht sorgen müssen, dass
irgendwann einmal das Holz ausgeht
Moorlärche werden für wissenschaftliche Zwecke erhalten,
der Rest wird zu Kunst, von der sich der Versicherungs-Gutachter erhofft, dass damit die Forschungsausgaben gedeckt
werden und am Ende etwas für sein Engagement übrig bleibt.
Aber in erster Linie ist Toni Santa beseelt von der Idee,
den Menschen ein Gespür für die Einzigartigkeit des
Fundes zu vermitteln. „Vor 7 000 Jahren – keiner weiß,
was hier war“, sagt er. Hier, das ist Petersberg, ein Ortsteil
von Deutschnofen im Südtiroler Eggental, 20 Kilometer
nördlich von Bozen. Der Fundort der Moorlärche ist das
„Wötschl-Moos“, also die feuchte Wiese des Wötschl-Sepp.
Wissenschaftler gehen davon aus, dass es ein Sturm war,
der die Lärche einst umgehauen hatte. Sie muss direkt in
sumpfiges Gelände gefallen und versunken sein. Luftdicht
abgeschlossen – sonst wäre sie längst verwittert.
Drei Universitäten forschen mit
Da hinten lag er:
Im „WötschlMoos“ stieß
Bauer Josef
Santer auf den
Stamm. Sein
Nachbar Toni
Santa zeigt, wo
das genau war
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Um das Alter und den historischen Lebenszeitraum
der Moorlärche zu ermitteln, schickte Toni Santa ein paar
Holzscheiben zur Universität in Innsbruck, wo sich Spezialisten mit der „Lehre vom Baumalter“ oder der Dendrochronologie beschäftigen. Dabei handelt es sich um eine
Datierungsmethode, bei der die Jahresringe von Bäumen
anhand ihrer Stärken einer Wachstumszeit zugeordnet
werden. Gute Jahre, schlechte Jahre, mal dünnere, mal
dickere Jahresringe. Die spezifische Abfolge, das Muster im
Holz, ist wie ein Fingerabdruck und ermöglicht die zeitliche
Einordnung in eine bestimmte Epoche. Doch das klappte
nicht: Weil kein Vergleichsmaterial vorlag, konnten die
Wissenschaftler den Zeitraum nicht bestimmen. Doch sie
bekamen zumindest das Lebensalter heraus: Die Scheiben
der Probe-Entnahme stammen aus sechs Metern Baumhöhe und weisen genau 713 Jahresringe auf. Das lässt auf
ein Gesamtalter von mindestens 750 bis mehr als 800 Jahren
schließen. Der historische Lebenszeitraum schließlich wurde
an der Uni Groningen in Holland über die Radiokarbondatierung ermittelt. Grob vereinfacht geht es bei diesem
Verfahren um das Verhältnis von radioaktiven 14C-Atomen
und 12C-Atomen, das im Holz nachgewiesen werden kann.
Die 14C-Atome zerfallen in abgestorbenen Organismen, die
12C-Atome bleiben konstant. Je niedriger der 14C-Anteil
ist, desto länger liegt der Zeitpunkt des Absterbens zurück.
Nach eingehender Untersuchung kamen die Wissenschaftler
mit 95,4-prozentiger Wahrscheinlichkeit zu dem Ergebnis,
dass die Petersberger Moorlärche vor 7 600 Jahren als kleines
Pflänzchen heranwuchs und vor 6 800 Jahren ihr Ende fand.
„Zurzeit wird unsere Moorlärche an der Uni in Bozen
unter die Lupe genommen“, sagt Toni Santa. „Da kennt man
sich besonders gut aus mit altem Holz, allein wegen der
Venedig-Pfähle“, erklärt er und erhofft sich weitere Aufschlüsse. Schon jetzt weiß man, dass ein Blitzschlag der Moorlärche zu schaffen machte und dass der Baum eher langsam
wuchs. Waren es extreme Kälte, Hitze oder vielleicht sogar
Giftstoffe in Luft oder Boden, die dem Urbaum magere Jahre
bescherten? Vielleicht lässt sich sogar eine Umweltkatastrophe anhand des Holzes nachweisen, beispielsweise ein
Vulkanausbruch ein paar Tausend Jahre vor Christi Geburt.
Heini Thaler schnitzt an
der heiligen Madonna von
Maria Weißenstein, dem
Wahrzeichen des Eggentals
Das Holz singt heute noch
Während die Wissenschaftler noch forschen, freuen sich
Künstler über das besondere Holz der Moorlärche. Einer
von ihnen ist Heini Thaler. „Sehr weich, noch ein wenig
feucht, aber auch porös – man muss wirklich aufpassen“,
weiß der Tischler und Hobby-Schnitzer. In seiner Werkstatt,
die übrigens direkt neben Wötschl-Sepps Bauernhof steht,
feilt Heini Thaler an der heiligen Madonna von Maria Weißenstein. Dabei dient ihm ein Foto als Vorlage, doch auch
in natura hat er sie oft gesehen. Denn Maria Weißenstein
ist der berühmteste Wallfahrtsort Südtirols, der Madonna
stattet man als Eggentaler regelmäßig einen Besuch ab.
Als Erster an die Moorlärche herangewagt hat sich der
bekannte Bildhauer Emmerich Holzknecht, der von der
besonderen Farbe schwärmt: „Das Graubraun ist immer
noch empfindlich bei Sonneneinstrahlung. Das bedeutet,
dass Holz ewig lebt und ewig singt – eine Herausforderung
für jeden Künstler“, erzählt er.
Egal ob Skulpturen, Schmuck oder Schreibgeräte – alle
bekommen ein Echtheitszertifikat, das Toni Santa gleich
auch ins Arabische, Russische und Chinesische übersetzen
ließ. „Man weiß ja nie, wer sich interessiert“, meint er. Die
„Art Family“, die besondere Werte aus dem begrenzten
Rohstoff schaffen möchte, plant auch eine Ötzi-Figur.
„Im Vergleich zur Moorlärche ist die erst 5 250 Jahre junge
Gletschermumie ein Jungspund, aber wir dachten, das
passt trotzdem gut“, sagt Toni Santa und verrät, dass für
die Skulptur schon ein Platz im Ötzi-Museum in Bozen
reserviert ist. Die einzige Künstlerin übrigens, die sich keine
Sorgen machen muss, dass irgendwann das Holz ausgeht,
ist Veronika Köhl: Die Malerin kann den Sensationsfund
auf Leinwand festhalten, solange sie Farben und Stifte hat.
Wenn Toni Santa in die Zukunft blickt, sieht er ein kleines
Moorlärchen-Museum in Petersberg. „Dafür muss aber erst
die Finanzierung stehen“, erläutert er. Bis das so weit ist, will
Wenn’s damit nicht klappt! Ein
Treueherzchen aus Moorlärche am
Silberkettchen (oben). Wie alle
Produkte aus dem Moorlärchenholz ist
auch dieses Schmuckstück mit einem
Echtheitszertifikat versehen (rechts)
er mit einer Wanderausstellung durch Südtirol ziehen und
Begeisterung für seinen nacheiszeitlichen Fund wecken.
„Dort, wo das Holz mineralisiert ist, leuchtet es bei einem
speziellen Lichtwinkel wie der Sternenhimmel“, schwärmt er.
Ob im Wötschl-Moos noch andere Moorlärchen schlummern? Bauer Sepp, dem seine Ruhe auf der Bank vorm Haus
lieb ist, mag nicht suchen. Falls er aber noch einmal auf
einen alten Stamm stoßen sollte, verständigt er gleich seinen
Nachbarn. Und schnapselt dann mit Toni Santa einen neuen
Preis aus. So viel ist sicher.
Judith Kunz
Info Die Gemeinden des Eggentals
gehören zur Vereinigung der „Alpine Pearls“
und haben sich der Nachhaltigkeit verschrieben. Viele Hotels bieten ihren Gäste z. B. an,
sie kostenlos vom Bahnhof in Bozen abzuholen. Und mit der „Mobilcard Eggental“ können Urlauber für 13 Euro eine Woche lang
die öffentlichen Verkehrsmittel unbegrenzt
nutzen. Das Auto kann also getrost zu
Hause bleiben. Kontakt: Eggental Tourismus,
Dolomitenstraße 4, I-39056 Welschnofen,
Tel.: 00 39/04 71/61 95 00, [email protected],
www.eggental.com und www.moorlaerche.info