Abschied von der bloßen Stoffvermittlung

S C H U L PA N O R A M A
Abschied von der bloßen Stoffvermittlung
DAS EDITH-STEIN-GYMNASIUM BRETTEN ERPROBT DEN BILDUNGSPLAN 2004
Am Edith-Stein-Gymnasium Bretten gehören Fachunterricht und pädagogisches Konzept zusammen. Das Gymnasium ist eines von 13 Gymnasien, die Elemente des Bildungsplans vorab erproben und ihre Erkenntnisse den anderen Schulen zur Verfügung stellen.
Rose Vollmer ist noch immer stolz auf ihre
fünfte Klasse. Acht Kunststunden lang haben sich die Kinder vorbildlich um ihre
sechs Gäste aus der nahe gelegenen Schule
für Geistigbehinderte gekümmert. „Unsere
Schülerinnen und Schüler haben sich rasch
an das ungewöhnliche Verhalten der behinderten Kinder gewöhnt und sind sehr verantwortungsvoll mit ihnen umgegangen“,
lobt die Kunst- und Sportlehrerin ihre Schützlinge. Das gemeinsame Malen von Wasserund Feuerbildern hat nicht nur den Kindern Spaß gemacht. „Die Farbkombinationen der behinderten Buben und Mädchen
waren fantastisch“, erinnert sich Rose Vollmer.
Die Begegnung am Edith-Stein-Gymnasium
in Bretten ist Teil des sozialen Lerntrainings
und wie das Streitschlichterprogramm oder
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die Hausaufgabenbetreuung von Jugendlichen für Kinder aus dem schulischen Angebot nicht mehr wegzudenken. Für Schulleiterin Maria Halbritter ist soziales Lernen
ohne Erleben nicht denkbar. Seit der Gründung des allgemein bildenden Gymnasiums
vor sechs Jahren verbindet sie mit den 65
Lehrkräften ihrer Schule ein gemeinsamer
pädagogischer Antrieb: „Wir wollen den traditionellen Fachunterricht in ein pädagogisches Konzept einbinden und uns vom
Glashaus Gymnasium verabschieden, in
dem nur die Stoffvermittlung im Vordergrund steht.“ Zum neuen Selbstverständnis
zählt für die Schule im südlichen Kraichgau
die „Reduzierung der Stofffülle und exemplarisches Lernen zur Vorbereitung auf die
Gesellschaft“. Den gemeinsamen Wunsch
nach Stärkung von Bildung und Erziehung
haben Lehrkräfte, Eltern sowie Schülerinnen und Schüler in einem Leitbild zusammengefasst.
Bald nach Schulgründung beschritten die
Lehrkräfte des Edith-Stein-Gymnasiums pädagogisches Neuland, indem sie ihr gesellschaftswissenschaftliches Profil weiterentwickelten. Seitdem stehen das Fach Gemeinschaftskunde sowie die Berufs- und Studienorientierung am Gymnasium (Bogy)
bereits in Klasse 9 auf dem Programm – ein
Jahr früher als anderswo. Enthalten ist eine
Woche Betriebspraktikum – in Klasse 11
wird der Ausflug in die Welt der Wirtschaft
wiederholt.
Der Schritt zur Anerkennung als Erprobungsschule für Teile der ab Herbst anstehenden Bildungsplanreform in BadenWürttemberg war bei derlei Offenheit für
Neues ein kurzer: Seit 2002 erprobt das
Edith-Stein-Gymnasium, benannt nach der
vom Papst 1998 heilig gesprochenen jüdisch-christlichen Gelehrten, beispielsweise
den Fächerverbund Geographie-WirtschaftGemeinschaftskunde und ein Methodencurriculum.
Voneinander und
miteinander lernen:
Teamarbeit wird am
WEINAUKTION IM KLASSENZIMMER
Edith-Stein-
In der neunten Klasse von Cornelia Fleckenstein steht Wirtschaft auf dem Stundenplan.
Gedanklich befinden sich die Schülerinnen
und Schüler auf einer Weinauktion in Trier.
Rasch müssen sie rechnen und entscheiden:
Wie hoch ist der Gleichgewichtspreis? Wieviel Euro kann man für ein Fass Moselwein
verlangen? Die Fünfzehnjährigen sind mit
Eifer dabei und meistern die Aufgabe im
Alleingang. Wirtschaftswissen hat im Gymnasium durch den neuen Fächerverbund
Geographie-Wirtschaft-Gemeinschaftskunde an Bedeutung gewonnen. Cornelia Fleckenstein findet das gut. „Damit reagiert
Schule auf Anforderungen der Gesellschaft“, sagt die junge Gemeinschaftskundelehrerin. „Außerdem werden die Jugendlichen optimal auf ökonomische Lehrinhalte
der Oberstufe vorbereitet.“
Nicht nur in den Gesellschaftswissenschaften legen die Brettener Lehrkräfte bereits in
den unteren Klassen den Grundstein für die
späteren Lernerfolge ihrer 740 Schülerinnen
und Schüler. Ein ausgeklügeltes Methodentraining in den Klassen 5 bis 7 macht die
Kinder und Jugendlichen von Anfang an
mit wichtigen Lern- und Arbeitstechniken
vertraut. Geübt werden der selbstständige
Umgang mit Lexika und Sachbüchern oder
das Aufbereiten von Informationen am
Computer. „Der Aufbau einer Methodenkompetenz“, sagt Schulleiterin Maria Halbritter, „soll auch dazu beitragen, dass die
Schülerinnen und Schüler effektiver arbeiten und dadurch ihre schulischen Leistungen verbessern.“
Gymnasium groß
W E LT D E R F O R S C H U N G
Naturwissenschaftliche Bildung wird am
Gymnasium in der Geburtsstadt des Humanisten Philipp Melanchthon groß geschrieben. Dem Wissensdurst der Schülerinnen
und Schüler in den Fächern Biologie, Chemie, Physik, Geographie und Astronomie
wird durch zusätzliche Angebote Rechnung
getragen. So findet zum Beispiel der Geographieunterricht in Klasse 8 in einem zehnwöchigen Modul auf Englisch statt, und besonders talentierte Schülerinnen und Schüler erforschen im Heidelberger Life Science
geschrieben; der
Lehrer schlüpft
in die Rolle des
Moderators, berät und
gibt Hilfestellung.
Lab des Deutschen Krebsforschungszentrums die Geheimnisse der Natur – im Team
mit echten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern. Im vergangenen Jahr verbrachten Gymnasiastinnen und Gymnasiasten des Edith-Stein-Gymnasiums zusammen
mit anderen Schülerinnen und Schülern aus
Baden-Württemberg sogar einige Tage an
den Elite-Universitäten Stanford und Berkeley in den USA. Derzeit ist eine Zusammenarbeit mit der Universität Karlsruhe und der
Fachhochschule
Pforzheim
geplant.
„Dadurch entsteht eine Brücke zwischen
ländlichem Raum und Hochschule, die den
Jugendlichen Berührungsängste nimmt“,
erklärt Schulleiterin Maria Halbritter.
S C H U L E A U F U M W E LT K U R S
Das Edith-Stein-Gymnasium ist eine „Schule auf Umweltkurs“. Die Photovoltaikanlage
auf dem Dach des modernen Schulgebäudes
zeugt von der Teilnahme am gleichnamigen
Programm des Landes. Finanziert über
Anteilsscheine für Schülerinnen und Schüler sowie Lehrkräfte, liefert die Anlage
Strom für das öffentliche Netz. „Damit wollen wir den Umweltgedanken an unserem
Gymnasium verfestigen“, sagt Andreas Gettert. Der Mathematik- und Physiklehrer leitet die Solar-Arbeitsgruppe, die täglich den
Zählerstand abliest und die monatlichen
Werte an das Fraunhofer-Institut für solare
Energiesysteme in Freiburg weitergibt. Die
Energieausbeute ist beachtlich und zahlt
sich für die Finanzierungsbeteiligten aus:
Die Anteile werden nämlich verzinst und
im Laufe der Zeit wieder zurückgekauft.
Dauerhafte Einrichtungen wie Umweltsprecherinnen und -sprecher in jeder Klasse
oder der Wettbewerb „Sauberes Klassenzimmer“ garantieren die Nachhaltigkeit des ökologischen Ansatzes.
Der Umstellung auf die achtjährige Gymnasialzeit im kommenden Schuljahr blicken
Schulleitung und Lehrkräfte des EdithStein-Gymnasiums gelassen entgegen. Zwar
habe das Kollegium die Vorbereitung des
achtjährigen Gymnasiums zunächst als
Belastung empfunden, erklärt Schulleiterin
Maria Halbritter. Es komme jedoch auf die
Verknüpfung dieses wichtigen Reformschrittes mit dem Leitbild der Schule an:
„Das Konzept des achtjährigen Gymnasiums zielt in dieselbe Richtung und gibt der
Schule den Freiraum zur eigenverantwortlichen Gestaltung, den viele Kolleginnen und
Kollegen sehr schätzen.“
Renzo Costantino
Weitere Informationen unter
www.esg-bretten.de
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