Frankfurter Rundschau / September 2015

Hofheim
Bilder statt abstrakter Worte
Sozialarbeiterin Annette Flegel.
Foto: Renate Hoyer
Von Jöran Haders
Treffpunkt „Leichte Sprache“ der Lebenshilfe feiert fünfjähriges Bestehen.
Auf dem Türschild der Lebenshilfe Main-Taunus hat Ruth Eckhardt ein schwieriges
Wort entdeckt: „Heilpädagogische Beratungsstelle“ steht da. Eckhardt ist Prüferin für
die so genannte Leichte Sprache. Sie wurde entwickelt, um geistig Behinderten den
Zugang zu Informationen zu ermöglichen, die sie im Alltagsleben brauchen.
Gemeinsam mit anderen Prüferinnen und Prüfern liest Ruth Eckhardt für den
Treffpunkt Leichte Sprache der Lebenshilfe Übersetzungen von „normaler“ in die
Leichte Sprache.
„Nur wenn ein Text von Menschen mit Lernschwierigkeiten oder einer Behinderung
gelesen und verstanden wurde, bekommt er das europäische ,Easy-to-read‘Prüfsiegel“, erklärt Annette Flegel. Die Diplom-Sozialarbeiterin leitet den Treffpunkt
Leichte Sprache, der 2010 gegründet wurde.
Für Flüchtlinge und Demenzkranke nützlich
Die Sprachprüfer des Treffpunkts in der Hofheimer Kurhausstraße haben das schwer
verständliche Schild an der Tür der Beratungsstelle, in der sie eine Bibliothek
eingerichtet haben und regelmäßige Treffen durchführen, nicht unkommentiert
gelassen. Gemeinsam haben sie ein zweites Türschild entworfen – mit Bildern und
kurzen Sätzen, die erklären, was die Besucher erwartet. Das Schild, das jetzt
ebenfalls an der Tür hängt, beginnt mit dem Wort „Willkommen“. Das Wort
„heilpädagogisch“ ist darauf nicht mehr zu finden.
Für Heike Behnsch, die seit drei Jahren als ehrenamtliches Vorstandsmitglied der
Lebenshilfe für das Thema Leichte Sprache zuständig ist, ist das Jubiläum des
Treffpunkts Anlass für eine Bilanz.
Nicht so einfach sei es gewesen, Überzeugungsarbeit für die Notwendigkeit der
Leichten Sprache zu leisten. Aber es habe sich gelohnt. „Die Sache kommt jetzt so
langsam ins Rollen“, sagt Behnsch und meint damit, dass vor allem Kommunen und
öffentliche Institutionen Texte in Leichter Sprache veröffentlichen, um es so
behinderten Menschen leichter zu machen, ein selbstständiges Leben zu führen.
Zu den Vorreitern auf diesem Gebiet gehört die Stadt Hochheim am Main, die als
Modellkommune für Inklusion ihre Verwaltungsmitarbeiter geschult hat. „Wir
möchten, dass unsere Mitarbeiter im Rathaus beim Umgang mit Behinderten auf
deren Bedürfnisse eingehen können“, berichtet Ulrike Krommenacker, die als
städtische Ansprechpartnerin für das Projekt Modellkommune Inklusion zuständig ist.
In allen Lebensbereichen sollte es Texte in Leichter Sprache geben, wünschen sich
die Betroffenen. „In Briefen, im Internet und im Fernsehen“ vermisst Ruth Eckhardt
Leichte Sprache; und auch Zeitungen oder selbst Speisekarten in Restaurant seien
oft viel zu schwer verständlich, ergänzt Maren Klie, die ebenfalls seit der Gründung
des Treffpunkts als Sprachprüferin arbeitet und eine Lernbehinderung hat.
Und obwohl die Leichte Sprache ursprünglich als Mittel erdacht wurde, das für
Menschen mit Behinderung eine Teilhabe am gesellschaftlichen Leben möglich
machen sollte, kann sie auch für andere nützlich sein: zum Beispiel für
Demenzkranke oder Menschen mit einer Leseschwäche. Sogar Flüchtlinge könnten
von Alltagstexten in Leichter Sprache profitieren.
Artikel URL: http://www.fr-online.de/main-taunus/hofheim-bilder-statt-abstrakterworte,1472862,32002398.html