Werte und Wertewandel im Alter_Liechtensteiner

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Inland|5
DONNERSTAG
21. JANUAR 2016
«Die Lebensphase Alter erfährt einen
grundlegenden gesellschaftlichen Wandel»
Altersforschung Werte sind die Sinnkomponenten des menschlichen Lebens, sie sind jedoch nicht konstant, sondern verändern sich mit zunehmendem
Alter. Die Soziologin Sabina Misoch hat diesen Wertewandel genauer untersucht. Am 2. Februar wird sie im Rahmen des FBP-Jahrestreffens für Senioren Einblick in ihre Forschungsarbeit geben. Im «Volksblatt»-Interview spricht sie über das Älterwerden und die Herausforderungen in der Pflege.
VON DORIS QUADERER
«Volksblatt»: Frau Misoch, werden
Menschen heute anders alt als noch
eine Generation davor?
Sabina Misoch: Ja, die Senioren von
heute sind nicht mit den «Alten» vorheriger Generationen zu vergleichen:
«Selbst die Senioren sind nicht mehr
die alten …». Sie sind agiler, offener,
selbstbewusster und neugieriger und
fühlen sich subjektiv jünger als die
Menschen 65+ in vorherigen Generationen. Des Weiteren hat ein Wandel
der Lebensphase Alter auch dadurch
stattgefunden, dass diese sich ausgedehnt hat und nun ein Drittel unserer gesamten Lebenszeit umfasst.
Daher ist es zu einer Binnendifferenzierung der Lebensphase Alter gekommen, sodass wir unterscheiden
zwischen dem dritten Lebensalter
(60/65 – ca. 80), also der Zeit des gesunden Alters nach der Erwerbstätigkeit, und dem vierten Lebensalter
(ab ca. 80/85), der Zeit der zunehmenden Fragilität und des zunehmenden Verlusts der Selbstständigkeit.
Die Senioren heute sind gesünder als
vorherige Generationen, sportlicher,
kommunikativer, geistig fit und offener für Neues. Sie engagieren sich,
nehmen weiterhin aktiv an der Gesellschaft teil und wollen diese mitgestalten. Dadurch erfährt die Lebensphase Alter einen grundlegenden Wandel und wird nicht mehr als
Phase des gesellschaftlichen Schattendaseins verstanden, sondern als
Phase, in der Senioren aktiv sind und
ihre «späte Freiheit» so lange als
möglich geniessen. Die Vielfalt innerhalb der Lebensphase Alter ist aktuell so gross wie noch nie.
Sabina Misoch:
«Die Senioren
von heute sind
nicht mit den
‹Alten› vorheriger Generationen zu vergleichen.» (Foto: ZVG)
rung der Lebensphase Alter erst entstehen kann. Unsere erste qualitative Studie zum Wertesystem und
Wertewandel der Senioren/-innen
hat gezeigt, dass es ein ganz anderes
Wertesystem ist, dass das Leben der
Befragten aktuell leitet als dies in
der mittleren Lebensphase (40+) der
Fall war.
Wie gehen ältere Menschen mit den
veränderten Werten in der Gesellschaft um?
Es zeigt sich mit grosser Deutlichkeit, dass der Wertewandel, der sich
Wie verändert sich das Wertesystem innerhalb von Gesellschaften vollbeim Älterwerden?
zieht, nicht nur die jungen MenDie Lebenserwartung der Menschen schen, die mit diesen Werten aufhat sich seit 1890 von 40 Jahren auf wachsen, sondern auch die Senioren
über 80 Jahre
nachhaltig prägt.
mehr als verdophaben festge«Die Vielfalt innerhalb der Wir
pelt. Die Lebensstellt, dass Senioerwartung wird Lebensphase Alter ist aktuell ren in einem
so gross wie noch nie.»
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«Werte
SABINA MISOCH
Schweiz im Jahre LEITERIN KOMPETENZZENTRUM ALTER FHSG und Wertewan2050 die Frauen
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angaben,
eine durchschnittliche Lebenser- dass sie bemerkt hätten, dass der
wartung von 90 Jahren und die Män- Wertewandel in der Gesellschaft
ner von 85,5 Jahren haben werden.
auch ihr eigenes Wertesystem beeinUnser Interdisziplinäres Kompe- flusst habe. So wurde unter andetenzzentrum Alter (IKOA) der Fach- rem benannt, dass ihnen früher Anhochschule St. Gallen hat nun die passung wichtig gewesen sei; durch
Chance, die Werteentwicklung in- die zunehmende Individualisierung
nerhalb dieser Lebensspanne zu un- habe sich dies gewandelt und es
tersuchen, die durch die Verlänge- zeigt sich, dass für die heutigen Se-
nioren nach eigenen Angaben die
Werte der Individualität und Selbstbestimmung einen hohen Stellenwert haben.
Wie gross ist denn die Kluft zwischen älteren Menschen und jüngeren? Hat sich das eher angeglichen
in den letzten Jahren oder driften
die Wertvorstellungen weiter auseinander? Ein Beispiel ist der Wandel des traditionellen Rollenbildes –
wie gehen ältere Menschen mit so
grundlegenden Paradigmenwechseln um?
Die heutigen Senioren haben sehr
wohl Verständnis für die gewandelten Rollenbilder und sehen, welche
Balance und Herausforderung es für
Frauen heute bedeutet, Beruf und
Familie zu verbinden. Manche sagen, dass sie froh sind, dass das zu
ihrer Zeit anders war und sie diesem
Druck nicht ausgesetzt waren. Andere hingegen hätten gerne diese beruf lichen Möglichkeiten wahrgenommen.
Gerade dieses Rollenverständnis
führt auch dazu, dass Frauen immer
mehr beruflich eingebunden sind
und sich nicht selbstverständlich
um die alternden Eltern kümmern
können, wenn diese hilfsbedürftig
werden. Vereinbarkeit von Pflege
und Beruf wird ein immer grösseres
Thema. Was bedeutet dies für die
Gesellschaft?
Wir stehen zunehmend vor dem Problem, dass der Anteil der Personen
im dritten und vierten Lebensalter
und die Lebenserwartung in allen
(nach)industrialisierten Ländern zunimmt. Das hat den Vorteil, dass einerseits die Jahre des gesunden Alters steigen. Andererseits zeichnet
sich im vierten Lebensalter gleichzeitig ein Mangel an formeller (Pflegepersonal) und informeller Pflege
(pf legende Angehörige) ab. Hier
müssen neue Ansätze entwickelt
werden, um diese Herausforderung
zu bewältigen.
Wie könnten solche Lösungen aussehen?
In unserem Kompetenzzentrum sind
wir intensiv daran, hierfür Lösungsansätze zu entwickeln. Ein aktuelles
Projekt von uns heisst LivingLab@
home. Damit wollen wir die Entwicklung solcher technischer Lösungen unterstützen. Die Privathaushalte von Senioren werden zu
sogenannten Living Labs, also bewohnbaren Laboren umgerüstet
und entsprechend technisch ausgestattet. So können dort direkt Lösungen getestet werden. Durch die
Testung zu Hause können wir wissenschaftliche Daten zur Akzeptanz
und Alltagstauglichkeit der Lösun-
gen erheben. Des Weiteren ist unser
Ziel, mit den beteiligten Senioren gemeinsam Impulse für Entwicklungen zu geben, sodass technische Innovationen ausgehend von ihren
konkreten Unterstützungsbedürfnissen entwickelt werden. Ziel ist es,
die Technologieentwicklung zusammen mit den Senioren und eng an deren Bedürfnissen orientiert zu betreiben, sodass ein möglichst langes Leben
zu Hause bei hohem Grad an Selbstständigkeit und Lebensqualität
nachhaltig ermöglicht werden kann.
HINTERGRUND
Kompetenzzentrum
für Altersforschung
Die Soziologin Sabina Misoch leitet
das Interdisziplinäre Kompetenzzentrum Alter (IKOA) an der Fachhochschule St. Gallen. Das Kompetenzzentrum befasst sich mit anwendungsorientierter Forschung und
Entwicklung rund um die Fragen des
Alters und des Alterns. Es beleuchtet die Herausforderungen, welche
der sich vollziehende demografische
Wandel an Gesellschaft, Institutionen und einzele Personen mit sich
bringen wird.
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Jahrestreffen der FBP Senioren
Dienstag, 2. Februar 2016
(Mariä Lichtmess)
SAL, Schaan (kleiner Saal)
14.30 Uhr Türöffnung
15.00 Uhr Beginn
Investition
in die Zukunft
Referat Frau Prof. Dr. Sabina Misoch
«Wertvorstellungen und Wertewandel im
Lebensverlauf: welche Werte prägen heutige
Senioren/innen?»
Anschliessend: Musikalische Einlage
der Seniorenmusik.
Um Anmeldung wird
bis zum 27. Januar 2016
gebeten.
Telefon +423 237 79 40
oder info @fbp.li.
Für das leibliche Wohl ist gesorgt.
www.fbp.li