FRIEDE – DAS HÖCHSTE GUT Gabe und Aufgabe Interlaken

FRIEDE – DAS HÖCHSTE GUT
Gabe und Aufgabe
Interlaken, Beatushaus, 9. November 2015
Pfr. Dr. Samuel Lutz
alt Synodalratspräsident
Werte Damen und Herren
Ein sonniges Plätzchen, ein trautes Daheim,
eine Zukunft in Frieden soll unser Weg sein. 1
Das steht an einem neu errichteten Haus in Aeschiried,2 an dem ich gelegentlich vorbei
komme, wenn ich unterwegs bin.
Friede daheim wird von vielen als das wahre Glück empfunden.
Nur in der Häuslichkeit gemessnem Frieden,
ist uns des Lebens wahres Glück beschieden. 3
1DerVortragwurdeimDialektgehalten.BeidenkursivgedrucktenSätzenhandeltessichumZitate.Sie
wurdenhochdeutschgesprochen.
2Allmigässli15.
2
Frieden wünschen wir einander:
Dass Zeit auch für Wunder dir bleib
und Frieden für Seele und Leib. 4
Um den Frieden beten wir: 5
Verleih uns Frieden gnädiglich,
Herr Gott, zu unsern Zeiten, 6
namentlich unter bitterer Kriegserfahrung:
Schliess zu die Jammerpforten
und lass an allen Orten
auf so viel Blutvergiessen
die Friedensströme fliessen. 7
Frieden im Leben:
Der ewig reiche Gott
woll uns in unserm Leben,
ein immer fröhlich Herz
und edlen Frieden geben, 8
Frieden im Sterben,
wenn wir mit Frieden
von hinnen geschieden
aus dieser Erde vergänglichem Schoss. 9
Friede ist die Botschaft des Evangeliums:
Nun soll es werden,
Frieden auf Erden,
den Menschen allen,
ein Wohlgefallen. Ehre sei Gott,10
3HausspruchbeiOelde1868,gefundenin:HaussprücheundInschrifteninDeutschland,inÖsterreichund
derSchweiz.GesammeltvonAlexandervanPadberg,2.Aufl.,Frankfurt1998.
4Gesangbuch734,KurtRose1990,LiedzumGeburtstag.
5ErasmusvonRotterdam:Querelapacis(TextvomInternet):ManbetetumFrieden.
6Gesangbuch332:MartinLuther.
7Gesangbuch548,10:PaulGerhardt1653.
8Gesangbuch233,3:MartinRinckart1636.
9Gesangbuch571,2:PaulGerhardt1666.
10Gesangbuch44,3:KarlRiedel1870.
3
und seither unzählige Male vertont und gesungen:
Gloria in excelsis Deo et in terra pax. 11
Es ist der Friede, sei es weltweit oder im kleinen häuslichen Kreis, im Schicksal der Völker
oder im eigenen Leben und Sterben,
das höchste Gut auf Erden, wie Martin Luther gesagt und
geschrieben hat.
12
Was aber ist Friede, dieses höchste Gut, das uns als Gabe Gottes angeboten und als
Aufgabe uns anvertraut ist?
Ist er ein Ideal, wie Hermann Hesse erwogen hat,
das wir nicht kennen, das wir nur suchen und ahnen?
13
- eine
unerfüllbare Hoffnung also, oder ist er eine Sehnsucht, die einmal in Erfüllung geht? wie man
singt:
Oh, deep in my heart, I do believe,
we shall live in peace some day. 14
11NachLukas2,14.
12MartinLuther:LobdesirdischenFriedens.Hg.vonKlausBerger,InselVerlag,FrankfurtundLeipzig
2004,Seite10:...dassmanaufErdenkeinZeitlicheshöherundbesserachtensoll,dennFrieden;Seite15:
DerzeitlicheFriede,derdasgrössteGutaufErdenist.
13HermannHesse,in:KriegundFrieden1918:FriedeistwedereinparadiesischerUrzustandnocheine
FormderÜbereinkunftgeregeltenZusammenlebens.Friedistetwas,waswirnichtkennen,waswirnur
suchenundahnen.FriedeisteinIdeal.
14Gesangbuch860,7.
4
Was ist Friede?
Vor Jahren hielt der kantonal-bernische Pfarrverein hier in Interlaken seine Jahrestagung
ab 15 zum Thema: Frieden und Freiheit.
Zur Belebung der Konferenz waren Mitwirkende der Interlakner Tellspiele eingeladen
worden. Diese haben uns die sogenannte Dreimännerszene gespielt, 16 mit Melchthal,
Stauffacher und Walter Fürst. Zum anschliessenden Podium sind dazu gekommen Wilhelm
Tell selber und auch der Regisseur, damals Samuel Wenger. Da fragt im Laufe der
Diskussion der Tell, beziehungsweise Benedikt Horn, der ihn gespielt hatte: Er möchte
einmal von der Kirche wissen, was sie darunter versteht, wenn sie den Gottesdienst beginnt
mit den Worten: Gnade sei mit euch und Frieden von Gott. Was für einen Frieden meint ihr
damit? Oder wenn ihr im Segen betet: Er erhebe sein Angesicht auf euch und gebe euch
Frieden.
Die Frage ist damals aufgenommen worden. Meinen wir Gottes Frieden, der allen Verstand
überragt? 17
Meinen wir den inneren Frieden, der alles Leid und Schmerzen stillet, den der doppelt elend
ist, doppelt mit Erquickung füllet? 18
Oder verstehen wir den Frieden von Mensch zu Mensch, wie es heisst: In Frieden zu leben
hat uns Gott berufen. 19
Oder meinen wir den ewigen Frieden, den viele sich wünschen und deshalb auf die Gräber
der Verstorbenen schreiben: Ruhe im Frieden?
20
Ich bin im Verlauf meines bisherigen Lebens durch unterschiedliche Friedensphasen
gegangen, von Billy Grahams Frieden mit Gott 21 über den politischen Frieden, 22 vom
alltäglichen Frieden im Dorf, wonach der Frömmste nicht im Frieden leben kann, wenn es
15Am7.Juni1982,genaugenommeninMattenimKirchgemeindehaus.
161.Aufzug,VierteSzene.
17Philipper4,7.
18Goethe:WandrersNachtlied.
191.Korinther7,15.
20r.i.p.RequiescatinPace.
21BillyGraham:FriedemitGott.LetzteAusgabe1997,nurmehrantiquarischerhältlich.
22TagungimGwatt:DerZwangzumFrieden,nacheinerRundfunksendereiheinDeutschland1966,
publiziertimKreuz-Verlag,Stuttgart1967.
5
dem bösen Nachbarn nicht gefällt, 23 zur Friedenbewegung und Abrüstungsdebatte, habe
mich eingesetzt in den Aktionen von Brot für alle mit dem Slogan: Frieden wagen, Schritte
tun, später in Anspruch genommen vom ökumenischen Dreiklang GFS: Frieden,
Gerechtigkeit und Schöpfungsbewahrung, 24 bis schliesslich, nachdem ich im Zeichen der
Überwindung der Apartheid von unserer Kirche nach Südafrika delegiert worden bin,
25
zum
Frieden als Versöhnung.
Ich habe die Chance gehabt, will ich damit sagen, im Laufe der Jahre die Erfahrung zu
machen, wie vielfältig das Thema des Friedens einen begleiten kann, wie unterschiedlich
Frieden man erleben kann, wie sich das Friedensverständnis verändert, weil der Friede
immer wieder neu als Sehnsucht erwacht und als Herausforderung auch immer wieder neu
auf uns zukommt, all das so, dass entsprechend auch die Antwort auf die Frage: Was ist
Friede? nicht anders als nur eine umfassende Antwort sein kann.
Ich komme damit zum ersten Hauptabschnitt des Vortrages:
Der Friede – des Höchsten höchste Gabe. 26
Er gibt dazu vier Unterabschnitte:
1. Den Frieden als das höchste Gut müssen wir umfassend verstehen.
2. Den Frieden als das höchste Gut kann man nur in seiner Vielfalt erfassen.
3. Biblisch lässt sich in vielerlei Hinsicht eine Vertiefung des Friedensverständnisses
beobachten:
3.1: In der Bedeutung des Wortes Schalom - ‫ש ל ם‬
3.2: In Richtung der Überwindung des Krieges
3.3: In der Beziehung zu Gott als Gott des Friedens.
1. Den Frieden als das höchste Gut müssen wir umfassend verstehen.
Das altdeutsche Wort für Frieden - Fridu – bezeichnet Freundschaft und Schonung. 27
Das ist sehr lebensnahe: Freundschaft, statt Feindschaft, man bekämpft sich nicht, sondern
hat Sorge zueinander.
23FriedrichSchiller,WilhelmTell,IV,3.
24SechsteVollversammlungdesÖkumenischenRatesinVancouver1983.
251993.
26ImAnklangan499,2imGesangbuch,wovonGottesGeistgesagtwird:DubistdesHöchstenhöchsteGab.
27FriedrichKluge:EtymologischesWörterbuchderdeutschenSprache,21.Auflage,WalterdeGruyter,
Berlin–NewYork1975.
6
Fragt man dann weiter nach bei Dichter und Denker, so wird der Friedensbegriff immer
umfassender.
Da bedeutet Frieden Wohlergehen in materieller und geistiger Hinsicht
28
– es geht den Leuten gut, wenn Frieden ist.
Erfülltes Menschsein
29
– das Leben macht Sinn. Im Frieden gibt es mehr, was uns freut als was uns reut.
Ruhe als Kennzeichen des Friedens: 30
- keine Unruhe im Sinne von Gram und Kümmernis, nicht die Sorgen um den morgigen Tag,
was werden wir essen, was werden wir trinken, womit sollen wir uns kleiden, 31 auch nicht
masslose Verschwendung aus Angst, es könnte uns etwas fehlen. Schliesslich
Frieden als Sicherheit 32
- gegenüber allerlei Gefahren von innen und aussen, auch in sozialer und wirtschaftlicher
Hinsicht, was man schon früher gewusst hat, wenn man gesagt hat:
Frieden düngt den Acker. 33
All das dürfte gemeint sein, wenn wir den Frieden betrachten und wertschätzen als was es
Höheres und Wertvolleres auf Erden gar nicht geben kann.
2. Den Frieden als das höchste Gut kann man nur in seiner Vielfalt erfassen.
Seit dem Jahr 1901 wird in Oslo der Friedennobelpreis verliehen. Die Ehrenliste ist lang und
bezeugt in eindrücklicher Weise, wie vielfältig alle die Persönlichkeiten, die mit dem Preis
Anerkennung gefunden haben, sich für den Frieden eingesetzt haben.
28LexikonfürTheologieundKirche,4/367.
29LexikonfürTheologieundKirche,4/367-368.
30Erasmus,Querelapacis:DemVolkwirdeinegedeihlicheRuhezuteil(TextausdemInternet).-
SchweizerLexikon1949:HarmonischausgeglichenerZustandgegenseitigerBeziehungen,dervorallem
durchdieKraftderGerechtigkeitundHumanitätunddasGefühlvonSicherheitundRuheausgezeichnet
ist.
31Matthäus6,25-34.
32SchweizerLexikon1949,vgl.Anm.4.-ReligioninGeschichteundGegenwart4/3,359:Sicherheit,
Wohlergehen,Harmonie.
33J.H.Kirchberger:DasgrosseZitatenBuch,ExLibris,DeutschesSprichwort491.
7
Die einen haben es fertig gebracht, kriegerische Konflikte zu beendigen.
1973 Henry Kissinger und Le Duc Tho, Beendigung des Vietnam Krieges.
1978 Anwar as-Saddat und Menachem Begin, Frieden zwischen Israel und Ägypten.
Andere sind ausgezeichnet worden in Anerkennung ihres humanitären
Engagements:
1901 Als erster Friedensnobelpreisträger Henri Dunant, der Gründer des Roten Kreuz.
1952
Albert Schweitzer, Tropenarzt in Lambarene.
Es gab im weiteren Persönlichkeiten, die förmlich eine neue Zeit eingeläutet haben:
1921 Albert Einstein, einerseits der Physiker mit der Relativitätstheorie, später einer der
ersten, die eindringlich vor der nuklearen Bewaffnung gewarnt haben.
1971 Willy Brandt, der Bundeskanzler, der Versöhnung angestrebt hat mit dem Ostblock.
1984 Erzbischof Desmond Tutu auf dem Weg zur Überwindung der Apartheid in Südafrika.
1990 Michail Gorbatschow mit Perestroika und Glasnost, der den Kalten Krieg beendet hat.
8
Einige haben sich speziell für Befreiung eingesetzt:
1964 Martin Luther King in der Bürgerrechtsbewegung in den USA, für die Schwarzen.
1983 Lech Walesa, der Gewerkschaftler und Gründer von Solidarnosc in Polen, für die
Arbeiterschaft.
2004 Schirin Ebadi für ihren Einsatz für Demokratie und Menschenrechte im Iran zugunsten
der Frauen.
2006 Muhammad Yunus, Bangladesch, der Gründer der Bank für die Armen.
Auch das ganz persönliche Friedensengagement ist beachtet worden:
1979 von Mutter Teresa und
1989 von Dalai Lama.
9
Die Ehrengalerie ist eindrücklich. Diese Leute haben an den Frieden geglaubt
nach dem Grundsatz:
Um Frieden zu haben, muss man ihn wollen,
man darf nicht ständig daran zweifeln. 34
Dass auch wir am Frieden möglichst nicht zweifeln, dazu möge uns jetzt auch der Frieden in
biblischer Sicht behilflich sein.
3. Frieden nach biblischem Verständnis als Vertiefung des Friedens
3.1. Die Bedeutung des Wortes Schalom - ‫ש ל ם‬
Im umfassenden Sinn bedeutet auch Schalom Ganzheit, Unversehrtheit, in der Zürcherbibel
gelegentlich übersetzt mit: Das Heil.35
Nicht bekannt war mir bisher, woher die ursprüngliche Bedeutung kommt von Schalom,
nämlich wirtschaftlich aus dem Handel Treiben, und rechtlich als Ersatzleistung nach einem
Unfall.
Zu beidem ein Beispiel: Wenn einer einem andern etwas verkauft, beispielsweise ein Schaf,
und die beiden sich über den Preis geeinigt haben und der Käufer hat bezahlt, dann geben
sie einander die Hand und sagen: Schalom. Das bedeutet: Der Handel ist abgeschlossen, es
besteht seitens der Verkäufers keine weitere Forderung mehr, und der Käufer hat geleistet,
was er schuldig ist. Es ist alles in der Ordnung - schalom. Beide sind zufrieden – zu-Frieden!
Für den Fall des Schadenersatz gibt es ein Beispiel im 2. Mosebuch. Dort heisst es, dass
wenn jemand eine Zisterne gräbt und sie nicht zudeckt, und es fällt ein Rind oder ein Esel
hinein, so muss der Besitzer der Zisterne Schalom leisten. Schalom ist der Geldbetrag, der
als Ersatz dem Schaden entspricht. Diesen Betrag ist derjenige, der die Zisterne offen
34AristideBriand,Friedensnobelpreisträger1926.ZitatausGoogleZitatevonAristideBriand|
Aphosismen.de
35Richter6,24:DerHerristHeil,wörtlich:JahweistFriede.-1.Chronik12,18bzw.19:Dir,David,Heil
(schalom),undHeil(schalom)deinenHelfern.
10
gelassen und damit den Schaden verursacht hat, dem Besitzer des Tieres schuldig, dann
heisst es aber dann noch: Das tote Tier aber gehört ihm. 36
Schalom also meint einen Zustand, wo alle haben und bekommen, was ihnen entweder
zusteht oder was sie brauchen. Übertragen auf Gottes Schalom bedeutet das, dass Gott so
für uns sorgt, so dass wir nicht Mangel leiden, 37 ja noch mehr, dass wir das Leben und volle
Genüge haben. 38 Gottes Frieden ist seine Güte.
Der Menschen und der Tiere Schar,
erhältst du, Höchster, wunderbar. 39
3.2. Vom Kriegsrecht zur Friedensordnung
Das Alte Testament, dem man immer nachsagt, es sei kriegerisch, macht ernst mit der
Erkenntnis, dass Friede die Voraussetzung dafür ist, dass es den Menschen gut geht, und
überführt das Kriegsrecht ins Völkerrecht, geht also den Weg von der Kriegsordnung zur
Friedensordnung.
Anfänglich gehört der Frieden im Alten Testament wie überall im alten Orient in die Thematik
des sogenannten Kriegsrechtes. Der entsprechend Artikel findet sich im 5. Mose Buch und
lautet:
Wenn ihr eine Stadt angreift, sollt ihr zuerst mit den Bewohnern verhandeln und ihnen den
Frieden anbieten. Wenn sie darauf eingehen und euch die Tore öffnen, werden sie zu euren
Untertanen und müssen für euch Zwangsarbeit leisten. Lehnen sie das Angebot ab, so
belagert die Stadt. Wenn dann der Herr, euer Gott, euch den Sieg gibt, müsst ihr alle Männer
töten. Die Frauen und Kinder hingegen, das Vieh und der übrige Besitz gehört euch. Ihr dürft
mit ihnen machen, was ihr wollt. 40
Nicht sehr schön, was man da liest, aber in damaliger Zeit hat Frieden nichts anderes als
Unterwerfung bedeutet, wie es auch von den benachbarten Königen heisst: Sie machten
362.Mose21,33-34.
37Psalm36,7.
38Johannes10,10.
39Gesangbuch27,2.
405.Mose20,10-14.
11
Frieden und unterwarfen sich Israel, 41 oder wie der Assyrerkönig zu den Judäern gesagt hat:
Macht mit mir Frieden und ergebt euch. 42
Das war das alte Kriegsrecht. Es muss für die Bevölkerung furchtbar gewesen sein, wenn sie
von Krieg überzogen worden ist.
Abgenommen und vorübergehend sogar ganz aufgehört hat die militärische Bedrohung erst
unter David und Salomo. Salomo hatte Frieden auf allen Seiten. 43 Das hat für die
Bevölkerung Ruhe und Sicherheit bedeutet. So ist es ihnen schon vorausgesagt worden, für
die Zeit, wenn sie einmal im Lande Kanaan angekommen sind:
Der Herr wird euch Ruhe schaffen,
44
und wie es die späteren Propheten beschrieben haben:
Ihr werdet ruhig schlafen, ohne dass euch jemand aufschreckt. 45 Eure Wohnungen werden
sicher sein, Ihr könnt überall, wo es Wasser hat, säen und euer Vieh frei weiden lassen.
46
Jeder kann gemütlich unter seinem Feigenbaum sitzen, ohne dass jemand ihn aufschreckt.
47
Kein Schwert soll durch euer Land gehen. 48 Sogar vor den wilden Tiere braucht ihr euch
nicht mehr zu fürchten. 49
Es hat zwar sehr viel Zeit gebraucht und viel musste passieren, bis sich die Erkenntnis
durchgesetzt hat, dass es Frieden im umfassenden Sinn von Wohlergehen, erfülltem Dasein
und Lebenssinn, von Wohlstand, Ruhe und Sicherheit erst gibt, wenn die Waffen schweigen,
und sie den Krieg nicht mehr lernen. 50
412.Samuel10,19.
422.Könige18,31;Jesaja36,16.
431.Könige5,4.
445.Mose12,10.
453.Mose26,6.
46Jesaja32,18.20.
47Micha4,4.
483.Mose26,6.
49Ezechiel34,25.
50Jesaja2,4;Micha4,3.
12
3.3: Biblische Vertiefung in der Beziehung zu Gott als Gott des Friedens.
Gottes Frieden ist nicht ein anderer Friede als der Friede sonst, umfassend verstanden und
vielfältig bezeugt, ist es aber insofern in einem vertieften Sinn, indem das Evangelium Gottes
Frieden verbindet mit anderen göttlichen Gaben.
Gnade
Gnade sie mit euch und Frieden von Gott. 51
Wo Frieden erfahren wird, und wo Frieden Hader und Streit, Unordnung und Schuld
überwindet, wo nach langem Elend, nach Krieg und Verderben Frieden endlich wieder
Einzug haltet, dann ist das eine Gnade.
Immer wieder neu finden wir in den apostolischen Schriften den Zuspruch als Gebet:
Gnade sei mit euch und Frieden von Gott. 52
Gnade und Friede von Gott dem Vater und Christus Jesus, unserem Heiland. 53
Gnade und Friede von dem, der da war und ist und der da kommt. 54
Liebe
Eine andere Vertiefung besteht in der Verbindung des Friedens mit der Liebe.
Der Gott des Friedens und der Liebe möge mit euch sein.
55
Lieblos kann es keinen Frieden geben.
Barmherzigkeit
Eine weitere Vertiefung des Friedens ergibt sich aus der Verbindung von Frieden und
Barmherzigkeit, denn auch herzlos, hartherzig oder contre coeur ist Frieden nicht denkbar.
Barmherzigkeit und Friede werde euch in Fülle zuteil. 56
Freude
Ein anderer Segenswunsch besteht in der Verbindung von Frieden und Freude.
Der Gott der Hoffnung erfülle euch mit aller
Freude und allem Frieden
durch den Glauben. 57
51Kolosser1,12.
52Römer1,7/1Kor1,3/2Kor1,2/Gal1,3/Epheser1,2/Phil1,2/2Thessalonicher1,2/Philemon3:
GnadeseimiteuchundFriedenvonGott,unseremVater,unddemHerrnJesusChristus.-
53Titus1,4.
54Offenbarung1,4.
552.Korinther13,11.
56Judasbrief2.
13
Nie wollen wir vergessen, dass die Weihnachtsbotschaft immer beides ist: Frieden und
Freude. Die Lieder sind uns ja nicht unbekannt:
Friede und Freud, wird uns verkündiget heut. 58
Wahrheit
Von bedenkenswerter Bedeutung ist die Verbindung von Frieden und Wahrheit, weil auch
verlogen oder betrügerisch Friede unmöglich sein kann.
So liebet nun die Wahrheit und den Frieden. 59
Gerechtigkeit
Schliesslich die ausdrückliche Verbindung von Frieden und Gerechtigkeit.
Das Reich Gottes besteht in Gerechtigkeit und Frieden
und Freude im Heiligen Geist, 60
und im Psalm heisst es sogar:
Frieden und Gerechtigkeit küssen einander. 61
Das ist Gottes Frieden, vertieft in der Verbindung mit Gottes Gnade, mit der Liebe, der
Barmherzigkeit, der Freude, der Wahrheit und der Gerechtigkeit.
Um diesen Frieden bitten wir füreinander:
Der Gott des Friedens sei mit euch allen! 62
Mit diesem Frieden begrüssen wir einander, wenn wir kommen:
Wo ihr in ein Haus eintretet, da sprechet:
Friede diesem Hause! 63
Mit diesem Frieden verabschieden wir uns, wenn wir gehen.
Ihr möget im Frieden hinauf zu eurem Vater ziehen,
sagt Joseph zu seinen Brüdern, 64 und mit dem Segenswunsch:
57Römer15,19.
58Gesangbuch404,2:GerhardTersteegen1731.
59Sacharja8,19.
60Römer14,17.
61Psalm85,11.
62Römer15,33.
63Lukas10,5.
641.Mose44,17.
14
Zieh hin in Frieden,
verabschieden sich Jethro von Moses, 65 Eli von Hanna, 66 Jonathan von David, 67 David von
Absalom, 68 Elisa zu Naëman 69 und alle andern auch. Sie haben mit dem Friedensgruss
einander Gottes Segen mit auf den Weg geben.
Der Friede schliesslich geleitet uns im Sterben.
Du sollst in Frieden zu deinen Vätern eingehen,
sagt Gott zu Abraham. 70
Auf diesen Friede, der uns als Gabe Gottes angeboten wird, sind wird auch verpflichtet.
Darum ergeht auch immer wieder der Aufruf zum Frieden:
4. Der Aufruf zum Frieden
Jaget dem Frieden mit jedermann nach, 71
sagt der eine Apostel recht kategorisch, ein bisschen abgeschwächt der andere:
Ist es möglich, soviel an euch liegt,
haltet mit allen Menschen Frieden. 72
Recht dringlich der eine:
Befleissigt euch, untadelig erfunden zu werden im Frieden, 73
andere wieder eher gemässigt:
Lasst uns nach dem trachten, was zum Frieden dient. 74
Sie sagen damit allerdings nichts anderes als Jesus selber, der seinen Jünger die Grundsatz
auferlegt hat:
Haltet Frieden untereinander! 75
652.Mose4,18.
661.Samuel1,17.
671.Samuel20,42.
682.Samuel15,7.
692.Könige5,9.
701.Mose15,15.
71Hebräer12,14.
72Römer12,18.
732.Petrus3,14.
74Römer14,19.
15
Durch den Aufruf zum Frieden, können wir daraus schliessen, wird Gottes Friede zu unserer
Aufgabe:
Frieden gabst du schon, Frieden muss noch werden,
wie du ihn versprichst uns zum Wohl auf Erden. 76
Damit kommen wir zur zweiten Hälfte des Vortrages:
Friede – des Höchsten höchste Aufgabe
unter dem Titel: Der Weg des Friedens, oder: Wie wir den Frieden im täglichen Leben leben
können.
5. Der Weg des Friedens
Mit diesem Frieden als Aufgabe ist es so eine Sache.
Zum einen, weil der Friede auch als Aufgabe gar nicht im Bereich unserer Machbarkeit liegt,
sondern es ist ein Friede,
den wir nie erringen durch eig’ne Kraft, 77 gibt Dante Alighieri zu
bedenken.
Zum andern haben wird in der in der jüdisch-christlichen Tradition eine prophetische
Aussage, die auch uns zu denken geben muss. Es ertöne zwar lautstark der Aufruf:
Friede, Friede!
75Markus9,5;ebenso1.Thessalonicher5,13.
76GesangbuchLied343,3.
77DanteAlighieri:DiegöttlicheKomödie,CanticasecundaXI,7-9.
16
sagen die Propheten – und bis auf den heutigen Tag ist das so: In der UNO, im
Ökumenischen Rat in Genf, vom Papst im Vatican und auf seinen Reisen, auch in jeder
Predigt: Friede sei mit euch, gehet hin im Frieden! in Tat und Wahrheit aber, so der Prophet
weiter,
... ist doch keine Friede - 78
und warum ist das so? Die Antwort lautet:
Den Weg des Friedens kennen sie nicht. 79
Dieser Ausdruck: Weg des Friedens, ist eine alttestamentliche Aussage bei Jesaja, wird
zitiert vom Apostel Paulus im Römerbrief, und ist ein Begriff des Evangelium bei Lukas,
demnach also von gesamtbiblischer Relevanz. 80
Nun masse ich mir nicht an, in paar kurzen Worten von mir aus sagen zu wagen, welches
der Weg des Friedens ist. Ich lasse lieber nochmals Persönlichkeiten zu Worte kommen, die
den Gedanken an den Frieden als Weg aufnehmen, wie beispielsweise Mahatma Gandhi,
der die Meinung vertreten hat:
Es gibt keinen Weg zum Frieden, denn Frieden ist der Weg.
81
Er meint das in einem tieferen Sinn, als wenn man flüchtig sagt: Der Weg ist das Ziel.
Frieden ist eine Haltung, die man lebt, mehr als dass man darum kämpft. 82 Frieden ist eine
Gangart, a way of life.
78Jeremia6,14.
79Jesaja59,2.36.8.
80Jesaja59,8.-Römer3,17.-Lukas1,79.
81Internet:MahatmaGandhi–Zitate.
82KarlBarth:...dasswirallelernen,fürdenFrieden–wenigerzu„kämpfen“als–schlichtzuleben.Briefe
1961–1968,TVZZürich1975,Seite226.
17
Die Stimmen, die uns auf diesen Weg des Friedens weisen, sind in dem Sinn wegweisende
Stimmen sind, und sie sind interessanterweise auch übereinstimmende Stimmen.
Sie sagen:
5.1: Der Weg des Friedens ist der Weg der GEWALTLOSIGKEIT
Die beiden prominentesten Vertreter der Gewaltlosigkeit im letzten Jahrhundert sind, wie
schon erwähnt, Mahatma Gandhi aus Indien und Martin Luther King in den USA.
Ich glaube an die Gewaltlosigkeit als einziges Hilfsmittel, 83
sagt der eine, und Martin Luther King:
Der alte Grundsatz Auge um Auge macht alle blind. 84
Ihre Gewaltlosigkeit hat allerdings so provoziert, dass sie beide gewaltsam ums Leben
gekommen sind, Gandhi ermordet am 30. Januar 1948 in New Delhi, Martin Luther King am
4. April 1968 in Memphis, Tennessee.
Die Botschaft selber allerdings der Gewaltlosigkeit ist älter als Gandhi und Luther King.
Jesus von Nazareth ist der prominenteste Träger der Botschaft:
Ihr habt gehört, dass gesagt ist: Aug um Auge, Zahn um Zahn.
Ich aber sage euch:
Ihr sollt dem Bösen nicht widerstehen,
sondern wer dich auf die rechte Backe schlägt,
dem halte auch die andre dar. 85
Auch Jesus ist gewaltsam ums Leben gebracht worden.
Es wollten ihm der Erde Herren
den Weg zu seinem Throne sperren,
doch er gewann ihn ohne Schlacht, 86
83MahatmaGandhi:GrossesZitatenbuch.
84Internet:MartinLutherKing–Zitate.
85Matthäus5,38-39.
86Gesangbuch371,zweiterTeilderStrophe2.
18
und seine Botschaft ist geblieben und gehört worden auch von Leuten, die sich vielleicht
nicht direkt zu ihm bekennen, die aber aus Erfahrung reden.
Gewalt als Mittel zur Erreichung politischer Ziele ist unproduktiv,
schreibt kein Geringerer als Michail Gorbatschow rückblickend auf sein Leben, als er noch
der zweitmächtigste Mann der Welt war. 87
Besonders beeindruckend ist das mutige Beispiel von Leoluca Orlando, seinerzeit
Stadtpräsident von Palermo. Er hat seine Erfahrungen, die er im Kampf gegen die Mafia
gemacht hat, unter dem Titel veröffentlicht: Ich sollte der Nächste sein, und er bezeugt in
seinem Buch: Ich habe gelernt - wiewohl er permanent von der Ermordung bedroht war, und
seine Familie auch,
... dass es möglich ist, Phänomenen der Gewalt und der
Barbarei entgegenzutreten, ohne selbst gewalttätig und barbarisch zu werden. 88
Die Problematik des Krieges
Ein spezielles Thema der Gewaltlosigkeit ist die Problematik des Krieges. Leider, muss man
sagen, stimmt die Bemerkung von alt Bundesrat Moritz Leuenberger,
wonach es auf der Welt vorderhand noch keinen Grundkonsens gegen den
Krieg gibt. 89 Damit findet die prophetische Aussage bis auf den heutigen Tag ihre
Bestätigung: Den Weg des Friedens kennen sie nicht, im Gegenteil: Immer und immer
87MichailGorbatschow:Erinnerungen.DasVermächtniseinesReformers.Berlin1995,Seite1134.
88LeolucaOrlando:IchsolltederNächstesein.Zivilcourage–dieChancegegenKorruptionundTerror.
HerderSpektrum.Freiburg-Basel-Wien2002,Seite229.
89MoritzLeuenberger:Lüge,ListundLeidenschaft.LimmatVerlag,Zürich2007,Seite135.
19
wieder ist der Krieg verherrlicht worden. Angefangen hat das mit der leider weltberühmten
Behauptung des altgriechischen Philosophen Heraklit:
Der Krieg ist der Vater aller Dinge, 90 und hat seine Schatten geworfen auch
auf unsere Schweizergeschichte. Denkt nur an: Rufst du mein Vaterland, 91 wo seinerzeit
gesungen worden ist: Freudvoll zum Streit! 92 Froh noch im Todesstreich,93 frei lebt, wer
sterben kann, 94 und es galt als Schande für einen Mann, im Bett zu sterben statt auf dem
Schlachtfeld.
Immerhin gibt es andere auch, wegweisende Stimmen, mindestens auch seit eh und je.
Bereits bekannt ist uns, was Jesaja prophezeit, dass Frieden darin
bestehen wird, dass niemand mehr ein Interesse daran hat, Kriegsvorbereitungen zu treffen,
dies im 8. Jahrhundert vor Christus:
Sie werden den Krieg nicht mehr lernen. 95
Der König Krösus mit seinem sagenhaften Reichtum soll gesagt
haben, im 6. Jahrhundert vor Christus:
90Heraklit:GrossesZitatenbuch,Zitat5.
91Ruftdu,meinVaterland,früherdieSchweizerLandeshymne,vonJ.R.Wyss.
92Ausder1.Strophe:Heildir,Helvetia,hastnochderSöhneja,wiesieSankJakobsah,freundvollzum
Streit.
93Ausder2.Strophe:StehnwirdenFelsengleich,nievorGefahrenbleich,frohnochimTodesstreich.
94Ausder3.Strophe:Freiundaufewigfrei,seiunserFeldgeschrei,hallunserHerz!Freilebt,wersterben
kann,frei,werdieHeldenbahnsteigtalseinTeilhinan,niehinterwärts.
95Jesaja2,4.
20
Wer ist wohl so unverständig,
dass er den Krieg wählte statt den Frieden?
Im Frieden werden die Väter von ihren Kindern begraben,
im Krieg aber die Kinder von ihren Vätern. 96
Der römische Dichter Vergil, gelebt im letzten Jahrhundert vor der
Zeitwende, sonst eigentlich ein blutrünstiger Poet, schreibt immerhin:
Nie fördert Krieg das Wohl. 97
Für Erasmus von Rotterdam, der Humanist im 16. Jahrhundert,
gilt das, was man Kriegsrecht nennt, als das grösste Unrecht. 98
Nach Immanuel Kant, Professor der Philosophie in Königsburg, im
18. Jahrhundert, ist es die Vernunft, die den Krieg als Rechtsgang schlechterdings
verdammt, 99
96ÜberliefertbeiHerodotI,87.GrossesZitatenbuch.
97Nullasalusbello.VergilAenëisXI,362.
98ErasmusvonRotterdam:Familiarumcolloquiorumformulae,Reclam7784,Stuttgart1982,Seite62/63:
Iusbelli...atistudiussummaestiniuria.
99ImmanuelKant:ZumewigenFrieden.EinphilosophischerEntwurf1795.In:KantinzwölfBänden,
BandXI,Seite211.
21
Für Umberto Eco, Jahrgang 1932, ist es heute eine intellektuelle
Pflicht, den Krieg als eine Unmöglichkeit zu proklamieren. 100
Das Thema der Gewaltlosigkeit ist viel ernster, als dass wir es ein paar alternativen
Pazifisten überlassen dürften. Es sind Persönlichkeiten, die wissen, was sie sagen, wenn
jeder auf seine Weise erklärt: Der Weg des Friedens ist der Weg der Gewaltlosigkeit.
5.2: Der Weg des Friedens ist der Weg der GERECHTIGKEIT
Wir erinnern uns, dass Gottes Friede oftmals in Verbindung mit anderen Gottesgaben
gesehen wird, mit Gnade, Wahrheit, Freude, Barmherzigkeit, Liebe, und sehr ausgeprägt
auch mit Gerechtigkeit.
Eine alte Frage dabei ist immer wieder, in welchem Verhältnis Frieden und Gerechtigkeit
zueinander stehen.
Man hört da beides. Die biblischen Propheten erklären:
Gott wird Recht sprechen – das ist
die Gerechtigkeit –
und sie werden ihre Schwerter zu Pflugscharen schmieden
und ihre Spiesse zu Rebmessern
– das ist der Friede.
Der Weg geht also vom Recht zum Frieden. 101
Das Werk der Gerechtigkeit wird Frieden sein. 102
Dieselbe Logik, dass Gerechtigkeit die Voraussetzung des Friedens sei, vertreten heute
Juristen, Politiker und nicht zuletzt auch die Kirchen.
100UmbertoEco:NachdenkenüberdenKrieg.In:ViermoralischeSchriften,dtv,München1999,Seite34.
101Jesaja2,4-5;Micha4,3-4.
102Jesaja32,17.
22
Manche Diplomaten vertreten die Ansicht, sagt die
ehemalige Chefanklägerin des europäischen Gerichtshofes, Carla del Ponte, der Friede sei
wichtiger als die Herstellung von Gerechtigkeit. Dem muss ich widersprechen. Die
Gerechtigkeit muss nicht auf den Frieden warten, und sie sollte es auch nicht tun - es käme
ja sonst kein Kriegsverbrecher je vor Gericht.
Das ist eine zeitliche Reihenfolge: Zuerst Gerechtigkeit und dann Frieden. Es gibt aber auch
eine sachliche Begründung:
Die Menschenrechtsverletzungen sind die Massaker von morgen. 103
Unrecht führt zur Gewalt, bedeutet das.
Auch in den Kirchen wird üblicherweise die Gerechtigkeit dem Frieden vorgeordnet.
Kein Frieden ohne Gerechtigkeit,
so die 6. Vollversammlung des Ökumenischen Rates 1983 in Vancouver. 104
Nun habe ich dazu immer gewisse Bedenken. Wie sollte es zum Frieden kommen, wenn der
Frieden auf die Gerechtigkeit warten muss, wo doch um die Gerechtigkeit gekämpft und
103KofiAnnan,Internet:gutezitate.com
104BerichtausVancouver83.VerlagOttoLembeck,FrankfurtamMain1983,Seite161.
23
gestritten wird und es im übrigen gar nicht klar auf der Hand liegt, was denn Gerechtigkeit für
die einen und Gerechtigkeit für die anderen bedeutet.
Persönlich wäre mir lieber, dass Frieden und Gerechtigkeit entweder nicht gegeneinander
ausgespielt werden oder dass man doch auch zur Kenntnis nimmt, dass Gerechtigkeit
mindestens so auf den Frieden angewiesen ist wie der Frieden auf die Gerechtigkeit.
Wer in Frieden sät, erntet Gerechtigkeit. 105
5.3: Der Weg des Friedens ist der Weg der KULTUR
Es mag einen als eigentümlich erscheinen, was Kultur und Frieden miteinander zu tun
haben. Aber wir dürfen diesen Gesichtspunkt nicht unterschlagen, denn es ist doch wohl
nicht aus der Luft gegriffen, wenn einer wie Nelson Mandela sagt:
Freiheit ohne Kultur ist keine wirkliche Freiheit,
denn Freiheit ohne Kultur ist eine Freiheit ohne die Möglichkeit,
in Frieden zu leben. 106
Da muss es einem unheimlich zu denken geben, wenn Goebbels gesagt haben soll: Wenn
ich Kultur höre, ziehe ich den Revolver. 107
Nun ist Kultur zunächst ganz einfach eine geistige Angelegenheit, eine Frage der Mentalität.
Die Menschheit muss sich in einer neuen Gesinnung erneuern
108
und nicht verharren in Feindbildern und ausgefahrenen Gleisen.
105Jakobus3,18.
106NelsonMandela:DerlangeWegzurFreiheit.Autobiographie.S.FischerVerlag,FrankfurtamMain
1994,Seite761.
107ZitiertvonUmbertoEco:DerimmerwährendeFaschismus,in:ViermoralischeSchriften,dtv,München
1999,Seite59.
AlbertSchweitzer:KulturundEthik,in:GesammelteWerkeinfünfBänden,Band2,ExLibrisZürich,
Seite114.
108
24
Mit der neuen Gesinnung gemeint ist ein Geist der Toleranz.
Allein Toleranz und Einvernehmen
vermögen den Frieden unter den Menschen zu wahren, 109
und Helmut Schmidt, früherer Bundekanzler, hat gesagt:
Wer ernsthaft den Frieden ... will, der sollte ... Toleranz und Respekt predigen.
110
Drittens schliesslich ist Kultur dem Anstand verpflichtet, wo man nicht einfach tut, was man
will, nach dem Motto: Erlaubt ist, was gefällt, sondern dazu erzogen worden ist und gelernt
hat, was sich gehört, nach dem Grundsatz: Erlaubt ist, was sich ziemt. 111 Nochmals Helmut
Schmidt: Anders, ohne Toleranz und Respekt nämlich, werden wir nicht im Frieden
miteinander leben. 112
5.4: Der Weg des Friedens ist der Weg der VERSÖHNUNG
Vom Evangelium her wissen wir, was Versöhnung bedeutet, nämlich Frieden mit Gott und
Frieden unter uns Menschen.
Es ist beeindruckend, wenn Karl Barth, der die umfassendste Dogmatik des reformierten
Glaubens im 20. Jahrhundert geschrieben hat, die Versöhnungslehre als die Mitte der
christlichen Erkenntnis erklärt hat, 113 und nicht minder erfreulich ist es, dass die Botschaft
von der Versöhnung mehr und mehr auch auf höchster Ebene in der Weltpolitik Eingang
gefunden hat. Eine Publikation aus dem Jahre 2001, die entstanden ist auf Initiative von Kofi
109MichalGorbatschow:Erinnerungen.VermächtniseinesReformers.Wien1995,Seite42.
110HelmutSchmidt:AusserDienst.EineBilanz.SiedlerMünchen2008,9.Auflage,Seite306.Schmidt
sprichtandieserStellespeziellvonToleranzundRespektalsVoraussetzungfürdenFriedenunterden
Religionen.
111Joh.W.Goethe:TorquatoTasso,ZweiterAufzug,1.Auftritt:Tasso:Erlaubtist,wasgefällt.Prinzessin:
Erlaubtist,wassichziemt.
112HelmutSchmidt:AufderSuchenacheineröffentlichenMoral.DeutscheVerlagsanstalt,Stuttgart1999,
5.Auflage,Seite197.
113KarlBarth:KirchlicheDogmatik,imVorwortzuBandIV,1.
25
Annan: Crossing the Divide – das Trennende überwinden, und in der deutschen Ausgabe
unter dem Titel: Brücken in die Zukunft herausgegeben worden ist von der Stiftung
Entwicklung und Frieden, gegründet 1986 von Willy Brandt, 114 trägt den Gedanken zur
Versöhnung in die Weltöffentlichkeit und sagt:
Instinktiv wissen wir alle,
dass Versöhnung der Weg ist,
den wir einschlagen müssen. 115
Das ist der Weg des Friedens, wie wir den Frieden im Leben leben können:
Gewaltlosigkeit,
Gerechtigkeit,
Kultur,
Versöhnung.
Das wären die beiden Hauptabschnitte gewesen:
Friede als das höchste Gut, des höchsten höchste Gabe,
und
und Friede als unsere höchste Aufgabe,
wie es uns das Evangelium ans Herz legt:
Im Frieden zu leben hat uns Gott berufen. 116
Wie beide zusammen gehören, ergibt sich jetzt aus dem Schlusswort. Dieses handelt vom
inneren Frieden.
114BrückenindieZukunft,S.FischerVerlag,FrankfurtamMain2001.
115A.a.O:Seite219.
1161.Korinther7,15.
26
6. Der innere Friede
Innerer Friede ist die Voraussetzung allen Friedens.
Wir werden keinen Frieden mit unseren Nachbarn schliessen,
wenn wir unfähig sind,
Frieden mit uns selbst zu schliessen,
und zwar jeder für sich, gründlich und ehrlich.
117
Du kannst nicht versöhnlich leben, wenn du nicht innerlich versöhnt bist mit dir selbst..
Du kannst nicht tolerant sein, wenn du innerlich gereizt bist und dich von aussen angegriffen
fühlst.
Du kannst nicht im Sinne der Gerechtigkeit leben, solange dein innerer Mensch mit dem
Leben hadert und andere verurteilt.
Du wirst nie auf Gewalt verzichten, solange dein innerer Mensch mit Argwohn und im Zorn
auf die Welt, auf die Menschheit und auf dich selber schaut.
Versöhnung verlangt, dass wir uns dem Frieden stellen,
und zwar dem inneren Frieden,
dem Frieden mit uns selbst zuallererst. 118
Das ist eine alte Wahrheit.
Halte zuerst dich in Frieden, dann wirst du andere befrieden können,
sagte Thomas a Kempis, der Mystiker im Mittelalter. 119
117KofiAnnan:BrückenindieZukunft,S.FischerVerlag,FrankfurtamMain2001.
118KofiAnnan,a.a.O:Seite224.
119ThomasaKempis:ImitatioChristi,Cap3.1:Pone
te primus in pace, et tunc alios poteris pacificare.
Cap. 3.1. DieNachfolgeChristi.KörnerTaschenausgabeBand126,Leipzig1935,Seite72.
27
Es ist eine weltweit bekannte Wahrheit.
Wenn wir Frieden in der Welt schaffen wollen, dann müssen wir
zuerst Frieden in uns selbst schaffen, 120
sagt der Buddhist.
Es ist nicht zuletzt auch eine geistliche Wahrheit, denn auch Gottes Frieden fängt in uns
innerlich an.
La rencontre avec Dieu doit surgir de l’intérieur,
die Gottesbegegnung muss von innen heraus erwachsen, so Papst Franziskus. 121
Diesem inneren Frieden entspricht allerdings nicht immer auch ein ruhiges und friedliches
Leben im landläufigen Sinn, wo nichts unsere Ruhe und nichts unseren Frieden stören kann,
im Gegenteil.
Dem Gebet: Dona nobis pacem, geht im Agnus Dei immer voraus:
Miserere nobis.
Christe, du Lamm Gottes,
erbarm dich unser,
gib uns Frieden. 122
120DalaiLama:RatschlägedesHerzens.Diogenes,Zürich2003,Seite101.
121LePapeFrançois:Jecroisenl’homme.ConversationsavecJorgeBergoglio.Flammarion,Paris2013,
page50.
122AgnusDei:ReformiertesGesangbuch311-314;KatholischesGesangbuch128–132.Fehltim
Gemeinschafsliederbuch.
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Erbarme dich über die, die sich einsetzen für Gewaltlosigkeit und dabei Gewalt erleiden,
die kämpfen für Recht und Gerechtigkeit, und ihnen selber widerfährt Unrecht,
die sich um ihres Glaubens willen einsetzen für Toleranz und – weil sie tolerant sind, werden
sie verfolgt und verspottet,
und erbarme dich über die, welche Hand bieten zur Versöhnung, und man schlägt sie ins
Gesicht.
Wir sind darauf angewiesen, dass der Friede Gottes, der all unseren Verstand überragt,
innerlich unsere Herzen bewahrt, in Christus Jesus.123
Er ist unser Friede. 124
123Philipper4,7.
124Epheser2,14.