Clinical Assessment in den Pflegeprozess integrieren

Clinical Assessment in den Pflegeprozess integrieren
Erfahrungsbericht über eine Lerneinheit
Als Dozierende für das Clinical Assessments (Martin Ruprecht) und für den Pflegeprozess (Vreni Frei Blatter) sind
wir an der Fachhochschule St.Gallen verantwortlich dafür, dass die Studierenden das Clinical Assessment (CA)
als ein zum Pflegeprozess gehörendes Assessmentverfahren begreifen.
Im CA-Unterricht eignen sie sich Kompetenzen an, um eine Pflegesituation auf der Basis ihres pflegerischpathophysiologischen Wissens zu beurteilen. Dadurch wird, bezogen auf den Pflegeprozess, die Informationssammlung umfassender, die Problemformulierung treffender, die Planung unter Einbezug der Ressourcen individueller, die Evaluation gezielter. Im Fokus steht der Erwerb pflegerischer Handlungskompetenz. Unser Ziel ist,
dass Pflegende nach dieser Einheit ihre Kompetenzen in der Dringlichkeits-Einschätzung klarer einbringen und ihren eigenständigen Verantwortungsbereich konkreter formulieren können.
Die dafür konzipierte Lerneinheit, die wir in der Fachhochschule (Bachelor-Studiengang) als Tagesseminar von 7
Lektionen mit 8 bis 16 Studierenden anbieten, führt Clinical Assessment und Pflegeprozess zusammen. Im Zentrum dieses Tages steht folgende Szene mit einer Simulationspatientin: Eine Frau mittleren Alters mit körperlichen
und sozialen Problemen, wartet in ihrer Wohnung auf die Spitex-Pflegende, die sie per Telefon zu sich nach Hause gerufen hat. Wir befinden uns in einem szenisch arrangierten Raum und somit nah am praktischen Alltag einer
Spitex-Pflegeperson, die nun all das Wissen, das sie sich im bisherigen Studium bezüglich Pflege-Assessment
angeeignet hat, ins praktische Können umsetzt. Im Speziellen sind Fähigkeiten und Fertigkeiten der Gesprächsführung (Pflegeanamnesegespräch), der Beobachtung und verschiedener Körperuntersuchungen gefragt.
Am Lernweltenkongress liessen wir die Teilnehmenden in 90 Minuten erleben, wie wir in dieser Lerneinheit arbeiten. Die Rolle der Pflegenden übernahm Martin Ruprecht, weil wir die diesbezüglichen Kompetenzen der Teilnehmenden nicht einschätzen konnten.
Die Gäste des Workshops 4 hatten nun in zwei Gruppen den Auftrag, das Assessment zu beobachten und die Situation systematisch zu erfassen. Im Unterricht beziehen wir uns jeweils auf Handlungsschematas und Assessmentinstrumente, was wir aufgrund des vorgegebenen Zeitrahmens nicht aufgenommen haben. Gruppe A konzentrierte sich im Workshop auf Sofortmassnahmen, Gruppe B auf die langfristige Pflege. Genauso wie im Unterrichtsalltag erwies sich auch im Workshop die Aufgabe sehr schwierig, Beobachtungen festzuhalten, zum Beispiel
„hat selten Besuch“ und nicht bereits schon Interpretationen „soziale Isolation“ zu formulieren. Sorgfältig wurde
die pflegerische Einschätzung vorgenommen und Pflegediagnosen sowohl aus dem Anamnesegespräch als auch
aufgrund der körperlichen Untersuchungen abgeleitet. Den eigenständigen Handlungsbereich der Pflege abwägend gegenüber jenem des Mediziners, wurde ein Arzt einbezogen. Am Telefon wurde ihm mittels ISBARRapportschema (siehe Anhang) die Situation geschildert und mit ihm zusammen das weitere Vorgehen geplant
(Sofortmassnahmen). Für die langfristigen Probleme wurden Zielvereinbarung, Formulierung der Massnahme und
schliesslich die Evaluation mit den Anwesenden ansatzweise skizziert. Es war allen klar: vollständig konnte diese
Erfassung niemals sein - aber sie hat die zu beachtenden Schwerpunkte beleuchtet und damit das unserer
Lerneinheit zugrundeliegende Modell (Anhang) erklärt.
Die tolle Mitarbeit der Teilnehmenden, die anregenden Diskussionen und die Erfahrungsberichte aus den jeweiligen Organisationen machten deutlich, dass ein Pflege-Assessment mehr ist als ein Gespräch führen, dass der
Pflegeprozess im Alltag mehr meint als Pflegeplanung schreiben, und dass die erweiterten Fähigkeiten und Fertigkeiten der Pflege die Zusammenarbeit mit dem ärztlichen Dienst zu dem werden lässt, was sie sein soll: ein
kompetenzorientiertes Miteinander mit dem Ziel einer professionellen integrierten Patientenversorgung.
Martin Ruprecht, FHS St.Gallen
Hochschule für Angewandte Wissenschaften,
Fachbereich Gesundheit, CH-St.Gallen
Kontakt: [email protected]
Vreni Frei Blatter, FHS St.Gallen
Hochschule für Angewandte Wissenschaften,
Fachbereich Gesundheit, CH-St.Gallen
Kontakt: [email protected]
Kommunikation / Rapport
Identifikation/Introduktion
sich und den Patienten vorstellen
(„Hier spricht Angela Muster. Ich telefoniere wegen Martha Keller, aus
Zimmer 313. …)
Situation
den Grund des Anrufs, die aktuelle Patientensituation schildern
( … Frau Keller klagt seit 10 Minuten über Atemnot …)
Background
Vorgeschichte und Kontext erörtern
( … Sie hustet sei gestern vermehrt und hatte heute Morgen etwas Fieber –
37.8°. Nach dem Spaziergang mit Ihrer Tochter hat es mit der Atemnot angefangen …)
Assessment
aktuellen klinischen Zustand beschreiben und einschätzen
(… Sie ist wach – leicht desorientiert - dyspnoisch - sitzt am Bettrand –
Atemfrequenz 24 – O2-Sättigung 88% - Puls 115 – Blutdruck 160/100 …)
Recommendation (Empfehlung)
was zu tun wäre und was von der Kollegin/vom Arzt erwartet wird
(… ich möchte ihr gerne Sauerstoff verabreichen – so 4 l - und bitte dich in
der nächsten halben Stunde vorbei zu kommen.“
Modell Clinical Assessment im Pflegeprozess
Arzt
…
Patient
Pflegeassessment
(Nursing assessment)
KG
Angehörige
„Fokussiert“
„Head-to-toe“
Erstassessment
Fortlaufendes
Assessment
Fokussiertes
Assessment
Initial Assessment
Time-lapsed Assess.
Focus Assessment
Notfallassessment
Emergency Assessment
beobachten (lesen)
befragen
Pflegeanamnese
Untersuchung
(Nursing) Health history
physical (mental, social) Examination
Inspektion
Patienteninformation/Identität
Hauptbeschwerden
jetziges Leiden
Inkl. AZ, Erscheinungsbild, Vigilanz
Diagnoseliste/PA,SA,FA
Systemanamnese
Medikamente, Noxen
Palpation
Gesundheitsverhalten,
Verständnis,
Bedeutung der Situation im
Alltag, Auswirkungen auf
die ATL und Gewohnheiten
(funktionale Fähigkeiten)
Unterstützungsbedarf
Ressourcen, Coping
Erwartungen
Pflegeproblem
Auskultation
Perkussion
Tests (messen)
(z.B. BD, GCS, MMS, BDI, PAS)
Pflegediagnose
Priorisierung
Planung
(körperlich) untersuchen
Zielvereinbarung
akut ?
Hypothese / pfleg. u. med. VD
Sofortmassnahmen
Problemlöseprozess
langfristig ?
Kommunizieren
Dokumentieren
Durchführung
Identify  Situation  Background
 Assessment Recommendation
Evaluation
! Beziehungsprozess !
Assessments anderer Berufsgruppen (medizinisches / physiotherapeutisches …)
Erheben von primären/sekundären und subjektiven/objektiven Daten
(wenn vorhanden mit Hilfe validierter Assessmentinstrumente)
Legende/Glossar
AZ
ATL
BD
BDI
FA
GCS
KG
Klinisch
MMS
PA
PAS
SA
VD
(betrifft Modell Clinical Assessment)
Allgemeinzustand
Aktivitäten des täglichen Lebens
Blutdruck
Beck Depression Inventory
Familienanamnese
Glasgow Coma Scale
Krankengeschichte / -akte
„…die gesamte Erscheinung und Verlauf (…) betreffend“
Mini Mental Status
Persönliche Anamnese
Pflegeabhängigkeitsskala
Sozialanamnese
Verdachtsdiagnose
Definition
Assessment involves collecting, validating and clustering data. It is the first and most important step in
the nursing process. The assessment phase sets the tone for the rest of the process, and the rest of the
process flows from it. If your assessment is off the mark, then the rest of the process will be too.
Assessment identifies your client's strengths and limitations and is performed continuously through the
nursing process."
(Dillon PM, Nursing Health Assessment: A Critical Thinking Case Studies Approach F.A. Davis, Philadelphia: 2003: S.4)
Quellen
• Doenges, M., Moorhouse,M.F et al (2013), Pflegediagnosen und Pflegemassnahmen, 4.Auflage, Bern: Hans Huber,
Hogrefe AG
• Henry, M. Clinical Assessment – persönliche Notizen
• Kaur, H. (2012), Nursing process. Präsentationsdokument (zur Verfügung gestellt Henry Morag
• Lindpaintner, L. (2009), Lerneinheit I, Einführung Klinischen Assessment und Anamneseerhebung. Switzerland: Enable consulting
• Lindpaintner, L. (2009), Lerneinheit XIII, Integrierte Prüfung der Lerneinheiten des Klinischen Assessments. Switzerland:
Enable consulting
• Battegay, E (Hrsg.)(2013), Siegenthalers Differenzialdiagnosen, 20.Aufl.,Stuttgart: Thieme
Beratung:
Morag Henry, Universität Basel
Fachteam CA:
M.Ruprecht, C.Brockmeyer, H. Hofmann Checchini / V.Frei Blatter / FHS St.Gallen