Aktuelles Dr. Mareile Zunker, Jana Reetz und Tilo Lehneis Mögliche Eintrittswege von Chlorat in die Pflanze In den Jahren 2012 und 2013 hatte das Chemische und Veterinäruntersuchungsamt (CVUA) Stuttgart Perchlorat-Rückstände in pflanzlichen Lebensmitteln entdeckt. Daraufhin entwickelte das CVUA Stuttgart eine Methode, mit der auch Chlorat-Rückstände in Lebensmitteln schnell und einfach nachgewiesen werden können. Im Rahmen eines landesweiten Monitorings im Jahr 2013 wurden bei etwa 25 % aller Proben (n= 1087) pflanzlichen Ursprungs Chlorat-Rückstände nachgewiesen [1]. Die höchsten Gehalte wurden in Bohnen, Brokkoli, Basilikum und Koriander aus Kambodscha und in Chilischoten aus Uganda gemessen. Bei einheimischen Erzeugnissen wurden Rückstände zunächst hauptsächlich in Salaten gefunden; mittlerweile liegen Erkenntnisse zu Chlorat-Gehalten bei einer Vielzahl an Kulturen, u.a. bei Importware, vor. C Bei einheimischen Erzeugnissen wurden Chloratrückstände zuerst in Salaten gefunden. Bild: S. Mezger hlorate sind Salze der Chlorsäure, die beispielsweise in chloriertem Wasser enthalten sind. Sie entstehen z. B. als Nebenprodukt, wenn Leitungswasser im Rahmen der Trinkwasseraufbereitung mit chlorhaltigen Mitteln (z. B. Natriumhypochlorit) behandelt wird. In der Vergangenheit wurden Natrium- und Kaliumchlorat als Totalherbizid zur Unkrautbekämpfung eingesetzt. Seit dem 10. Mai 2010 ist in der Europäischen Union die Anwendung von Chloraten als Pflanzenschutzmittelwirkstoff oder Biozidprodukt nicht mehr zulässig. Da Natriumchlorat lebensmittelrechtlich als „Pflanzenschutzmittelwirkstoff“ eingestuft wird, der keine Zulassung mehr hat, gilt der allgemeine Pflanzenschutzmittelrückstands-Standardhöchstgehalt von 0,01 mg/kg für die Erzeugnisse des Anhangs I der Verordnung (EG) Nr. 396/2005 [2]. Lebensmittel, deren Chlorat-Gehalt über diesem Höchstgehalt liegt, dürfen nach dem deutschen Lebensmittelgesetz nicht in den Verkehr gebracht werden. Moderne Analysegeräte sind inzwischen in der Lage, solche geringen Rückstandsmengen problemlos nachzuweisen: 0,01 mg/kg entspricht einem Stück Würfelzucker, das in einem Schwimmbecken von 20 m Länge, 10 m Breite und 1,50 m Tiefe aufgelöst wird. Doch wie gelangt das Chlorat in die Pflanzen? Um die Ursachen und die Eintrittswege von Chlorat in Wasser, Böden und Pflanzen zu ergründen, hat das LTZ Augustenberg 2014 sowohl eine VorOrt-Fundaufklärung in Gartenbaubetrieben als auch zwei Exaktversuche im Forschungsgewächshaus durchgeführt. 8 Vor-Ort-Fundaufklärung In sechs ausgewählten Gemüsebaubetrieben Baden-Württembergs, erfolgte eine Beprobung von verschiedenen Kulturen wie Basilikum, Fruchtgemüse (Tomate, Gurke), Kohlgemüse, Salat-Arten, Sprossgemüse, Wurzel- und Knollengemüse in unterschiedlichen Entwicklungsstadien. Auf Chlorat-Rückstände untersucht wurden jeweils alle im Produktionsprozess befindlichen Erden und Kultursubstrate, Düngemittel und Nährlösungen, aber auch Beregnungs- und Bewässerungswasser sowie verschiedene Pflanzenteile (Blätter, Früchte). Ergebnisse Als mögliche Eintragspfade in Gemüsekulturen wurden handelsübliche Düngemittel und überwiegend Produktionswasser (Trink- und Beregnungswasser) festgestellt. Die Chlorierung von Trinkwässern erfolgt in der Regel bereits im Rahmen der Trinkwasseraufbereitung zur Gewährleistung der hygienischen Anforderungen. In einem Betrieb ließen sich erhöhte Chlorat-Gehalte in Kohlrabi auf die Beregnung der Freilandkultur mit belastetem Wasser zurückführen. Die Rückstandsbelastung innerhalb des Pflanzengewebes (Vergleich Blatt zu Knolle) wies auf einen Anreicherungsprozess von Chlorat im Speicherorgan, der Sprossknolle, hin. Die Werte bei erntereifem Feldsalat aus dem Freiland lagen bei Chlorat um den Faktor 1,5 und bei Perchlorat um den Faktor 2 höher als im Gewächshausanbau. Die unterschiedliche Zusammensetzung der WasserLandinfo 4 | 2015 Aktuelles qualitäten könnte Ursache für diese variierenden Belastungen sein. Beim Fruchtgemüse Zucchini wurden 0,059 mg/kg Chlorat und 0,118 mg/kg Perchlorat festgestellt. Das zur Produktion verwendete Brunnenwasser war mit geringen Konzentrationen an Chlorat (0,008 mg/kg) und Perchlorat (0,002 mg/kg) belastet. Da die eingesetzten Düngemittel keine Chlorat- bzw. PerchloratGehalte aufwiesen, ist die Belastung des Produktionswassers als Ursache für die Gehalte in den Zucchinifrüchten anzusehen. Als ein weiterer Eintragspfad für Chlorat konnte der Einsatz von Chlordioxid-Desinfektionsanlagen in der Jungpflanzenanzucht ermittelt werden. Diese Anlagen werden vorbeugend zur Verhinderung des Auftretens phytosanitärer Schaderreger eingesetzt. Erfolgt die Bewässerung der Jungpflanzen mit Chlordioxid-haltigem Wasser, so wurden erhöhte Chlorat-Gehalte im Substrat, sowie im Pflanzengewebe nachgewiesen (Tab. 1). Die Bewässerung der Jungpflanzen erfolgte mit einem Gießwagen über Kopf. Chlorat wurde aktiv über die Wurzeln aller Gemüsejungpflanzen aufgenommen und andererseits fand eine Ablagerung des Gießwassers auf der Blattoberfläche statt. Aufgrund der vorhandenen Blattmasse im Jungpflanzenstadium wird bei jedem Gießvor- gang das Substrat mit Chlorat-haltigem Wasser in Verbindung gebracht, wodurch die hohen Chlorat-Gehalte zu erklären sind. Die Chlorat-Belastung der Jungpflanzen, die mit Chlordioxid-behandeltem Wasser gegossen wurden, liegt im Milligramm-Bereich (0,97 - 3,48 mg/kg Rucola bzw. Feldsalat). Die hohe Belastung bei Salat- und Basilikum-Jungpflanzen ist aufgrund der kurzen Kulturzeit von wenigen Wochen beim Produzenten als kritisch zu bewerten, wohingegen die Belastung der Kohl-Jungpflanzen mit Chlorat (1,66 mg/kg) aufgrund des hohen Massezuwachs während des länger andauernden Kulturzeitraumes bis zur Ernte (ca. 2,5 Monate nach Lieferung) nach derzeitigem Kenntnisstand als weniger kritisch bewertet wird. In diesem Zeitraum beeinflussen Niederschläge und Bewässerung den weiteren Chlorat-Gehalt in der Pflanze. Es ist daher davon auszugehen, dass sich die Chlorat-Gehalte bei Kohl bis zum Erntezeitpunkt reduziert haben. Exakt-Versuch 2014 im Gewächshaus – Untersuchung zur Aufnahme von Chlorat in die Pflanze Um das Verhalten von Chlorat im Boden und seine Aufnahme durch Pflanzen herauszufinden, wurden handelsübliche Salat- und Basilikumjung- Bewässerung ohne Chlordioxid Bewässerung mit Chlordioxid Chlorat (mg/kg) Chlorat (mg/kg) Brunnenwasser 0,014 Regen- und Brunnenwasser 0,004 Betriebswasser 0,560 Rucola < BG 0,970 Feldsalat < BG 3,480 Weißkohl 0,624 1,660 Kopfsalat < BG 1,850 Basilikum < BG 2,260 Erdpresstöpfe Rucola < BG 0,087 Erdpresstöpfe Feldsalat < BG 0,144 Erdpresstöpfe Weißkohl < BG < BG Erdpresstöpfe Kopfsalat < BG 0,122 Erdpresstöpfe Basilikum < BG 0,439 Ausgangssubstrat Tabelle 1 Chlorat-Gehalte in Jungpflanzen, ohne bzw. mit Chlordioxid-haltigem Wasser bewässert, sowie die Chlorat-Gehalte der zur Jungpflanzenanzucht eingesetzten Produktionsmittel Wasser, Substrat und Düngemittel (< BG = kleiner Bestimmungsgrenze). < BG Dünger 1 (Einsatz bei Kohl) 22,6 Dünger 2 (Einsatz bei Kohl) < BG Dünger 3 < BG Dünger 4 < BG Dünger 5 < BG Landinfo 4 | 2015 Ursachen für die erhöhten Chloratgehalte sind belastetes Produktionswasser und ChlordioxidDesinfektionsanlagen bei der Jungpflanzenanzucht. 9 Aktuelles Wasser. Während des Versuchszeitraums wurden keine weiteren Handelsdünger verwendet. Beprobt wurden ungedüngte Jungpflanzen zu Versuchsbeginn und Pflanzen zur Erntereife. Das Prozesswasser, die Substrate und Pflanzen (Blatt) wurden auf Chlorat- und Perchlorat-Rückstände analysiert. Die Rückstandsuntersuchungen zeigten, dass das Chlorat direkt in die Pflanzen eingelagert wurde und keine Anreicherung im Substrat stattfand. Die Aufnahme erfolgte proportional zur zugegebenen Chlorat-Menge (Abb. 1). Abbildung 1 Aufnahme von Chlorat in mg/kg in Kopfsalat pro Topf (Gewächshaus). pflanzen in Töpfen mit gängigen Kultursubstraten angezogen. Es wurden pro Kultur 10 Pflanzen in drei Wiederholungen getopft. Vor Versuchsbeginn wurden die zugekauften Jungpflanzen, die Substrate und das Gießwasser auf Chlorat und Perchlorat untersucht, um Fremdeinflüsse auszuschließen. Dies war nur in Spuren der Fall und konnte vernachlässigt werden. Es konnte somit sichergestellt werden, dass spätere Rückstandsfunde auf das zugegebene Chlorat im Versuchsverlauf zurückzuführen waren. Abbildung 2 Basilikum neun Tage nach Chlorat-Behandlung mit 0,1 mg/l Chlorat. Bild: Lehneis, LTZ Die Pflanzen wurden während der Kulturzeit mit Kaliumchlorat-Lösungen in unterschiedlichen Konzentrationen (0 / 0,01 / 0,1 / 0,5 mg/l) gegossen. Die Kontrollvariante erhielt entionisiertes In den beiden höchsten Chlorat-Konzentrationen von 0,1 und 0,5 mg/l kam es bereits nach wenigen Tagen zu Pflanzenschäden (Abb. 2). Diese Chlorosen konnten unter Praxisbedingungen allerdings nicht beobachtet werden. Eine mögliche Erklärung dafür ist die Beteiligung andere Anionen unter natürlichen Bedingungen, wie z.B. Nitrat oder Chlorid. Fazit Vor-Ort-Fundaufklärung Eine Eintragsursache für Chlorat war der Einsatz von Desinfektionsanlagen bei der Pflanzenanzucht. Die Jungpflanzen waren dadurch im Vergleich zur unbehandelten Kontrolle mit Chlorat belastet. Vor diesem Hintergrund sollte auf alternative Desinfektionsmaßnahmen zurückgegriffen werden, wie z. B. eine kurzzeitige thermische Erhitzung auf 80 °C. Eine unsachgemäße Anwendung von Chlorat als Pflanzenschutzmittelwirkstoff wurde in keinem Fall nachgewiesen. Fazit Untersuchung zur Aufnahme von Chlorat in die Pflanze (Gewächshaus) Chlorat wurde je nach Konzentration nahezu vollständig von der Pflanze aufgenommen und nicht im Boden angereichert. Pflanzen, die mit Chlorathaltigem Wasser gegossen wurden, zeigten Chlorosen und andere Schädigungen. Jeweils in den beiden höchsten Dosierungen mit 0,1 und 0,5 mg/l kam es bereits nach wenigen Tagen zu Schäden. Vergleichbare Symptome konnten in Praxisbetrieben nicht festgestellt werden. Da unter natürlichen Bedingungen weitere Anionen, wie z. B. Nitrat und Chlorid vorhanden sind, wird vermutlich kaum Chlorat aufgenommen, und so möglicherweise dadurch keine Pflanzenschäden entstehen können. 10 Landinfo 4 | 2015 Aktuelles Weiterführende Untersuchungen im Forschungsgewächshaus des LTZ Um den Abbau der Chlorat-Gehalte in verschiedenen Gemüse-Jungpflanzen bis zum kulturspezifischen Erntezeitpunkt überprüfen und daraus Empfehlungen für die Praxis ableiten zu können, wurde in 2015 ein weiterer Gewächshausversuch beim LTZ Augustenberg durchgeführt. Der Chlorat-Folgeversuch basiert auf einer Chlorat-freien Weiterkultivierung von Jungpflanzen, die während der Anzucht ohne bzw. mit Chlordioxidhaltigem Wasser über Kopf bewässert wurden. Ziel des Versuches ist es, abschließend eine Einschätzung der langjährig im Gartenbau, u.a. für die Jungpflanzenproduktion, empfohlenen Desinfektionsanlagen auf der Basis von Chlordioxid in Bezug auf die aktuell diskutierten Chlorat-Gehalte in Lebensmitteln pflanzlicher Herkunft vornehmen zu können. Bis eine abschließende Bewertung dieses Versuches vorliegt, wird der Einsatz alternativer Maßnahmen zur Desinfektion empfohlen, wie z.B. eine kurzzeitige thermische Erhitzung des Wassers auf 80 °C. Bewertung von Chlorat auf EU-Ebene Für Wirkstoffe ohne Zulassung gilt nach Verordnung (EG) Nr. 396/2005 [2] ein allgemeiner Pflanzenschutzmittelrückstands-Standardhöchstgehalt von 0,01 mg/kg Frischgewicht für Lebensmittel, unabhängig von der Herkunft des Rückstands. Auf Grund der Nachweise von Chlorat in höheren Konzentrationen, befasst sich die Europäische Kommission bereits längere Zeit mit dem Thema. Die Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) hat im Juni 2015 eine Risikobewertung für Chlorat in Lebensmitteln veröffentlicht [3]. Darin wird für das chronische Risiko ein TDI von 0,003 mg/kg Körpergewicht und für das akute Risiko ein ARfD von 0,036 mg/kg Körpergewicht genannt. Wegen der geänderten toxikologischen Einschätzung sind nach Mitteilung des Bundesministeriums für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) vom 26.06.2015 die vorläufigen Aktionswerte, die der Ständige Ausschuss den Mitgliedstaaten als Grundlage für Überwachungsmaßnahmen empfohlen hatte, nicht mehr anzuwenden. Stattdessen gilt der Höchstgehalt von 0,01 mg/kg unabhängig von der Herkunft des Rückstands und es ist unter Anwendung der ARfD von 0,036 mg/kg und von EFSA-PRIMo (pesticide residue intake model) im Einzelfall zu prüfen, ob darüber hinaus nach Verordnung (EG) Nr. 178/2002, Art. 14 [4], ein nicht sicheres LeLandinfo 4 | 2015 bensmittel vorliegt. Die Kommission wird voraussichtlich zeitnah konkrete Höchstgehalte festsetzen, so dass die chronische Chlorat-Exposition minimiert und der ADI-Wert von allen Verzehrsgruppen eingehalten wird. Für Säuglingsnahrung gemäß Richtlinie 2006/125/EG und Richtlinie 2006/141/EG gilt weiterhin der in der Diätverordnung [5] umgesetzte Höchstgehalt von 0,01 mg/kg für das verzehrsfertige Erzeugnis unabhängig von der Herkunft des Rückstands. Literatur [1] Kaufmann-Horlacher, I., Scherbaum, E., Stroher-Kolberg, D. und Wildgrube, C. (2014) Herkunft unbekannt: Rückstände von Chlorat in pflanzlichen Lebensmitteln. Chemisches und Veterinäruntersuchungsamt Stuttgart. Internetbeitrag vom 10.03.2014, aktualisiert am 27.06.2014. http://www.cvuas.de/pub/beitrag. asp?subid=1&Thema_ ID=5&ID=1852&lang=DE&Pdf=No (aufgerufen am 08.08.2014). Dr. Mareile Zunker LTZ Augustenberg Tel. 0721/ 9468-442 [email protected] [2]Verordnung (EG) Nr. 396/2005 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 23. Februar 2005 über Höchstgehalte an Pestizidrückständen in oder auf Lebens- und Fut-termitteln pflanzlichen und tierischen Ursprungs und zur Änderung der Richtlinie 91/414/EWG des Rates. ABl. L 70 vom 16.3.2005. http://eur-lex.europa.eu/legalcontent/DE/TXT/?uri=URISERV:l21289 (aufgerufen am 12.08.2015). [3] Europäische Behörde für Lebensmittelsicherheit (EFSA) Stellungnahme „Chlorat in Lebensmitteln: Risiken für öffentliche Gesundheit“ vom 24. Juni 2015. http://www.efsa.europa.eu/de/ press/news/150624a (aufgerufen am 07.09.2015). Jana Reetz LTZ Augustenberg Tel. 0721/ 9468-440 [email protected] [4] Verordnung (EG) Nr. 178/2002 des Europäischen Parlaments und des Rates vom 28. Januar 2002 zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit. [5] Verordnung über diätetische Lebensmittel (Diätverordnung) vom 20.06.1963, zuletzt geändert am 25.02.2014. http://www.gesetze-im-internet. de/bundesrecht/di_tv/gesamt.pdf (aufgerufen am 07.09.2015). Tilo Lehneis LTZ Augustenberg Tel. 0721/ 9468-448 [email protected] 11
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