DIE BRÜCKE ZUR WELT STUTTGARTER ZEITUNG Samstag, 23. Mai 2015 | Nr. 117 LEBEN, GESELLSCHAFT & KULTUR AM WOCHENENDE V1 HIGHTECH UND LANDWIRTSCHAFT Kolleg Journalisten begegnen Forschern: das ist die Idee des Kollegs „Tauchgänge in die Wissenschaft“ der Robert-Bosch-Stiftung und der Leopoldina, der Nationalen Akademie der Wissenschaften. Um Landwirtschaft und Hightech drehte sich nun ein Treffen in Sachsen-Anhalt. Gentechnik Im März erregte ein Statement der Leopoldina gegen pauschale Anbauverbote bei grüner Gentechnik Aufsehen: Entscheidend für die Risikobewertung einer Pflanze sei nicht der Prozess zu ihrer Gewinnung, sondern ihre spezifische Eigenschaft. Manch neue molekulargenetische Methode sei im Ergebnis von klassischer Züchtung nicht unterscheidbar. chl Kein Unkräutlein verunziert dieses Getreidefeld bei Offingen im Landkreis Biberach. Ist das eigentlich noch Natur? Foto: dpa Schöne neue Pflanzenwelt Auch die Expo in Mailand hat sich den Anspruch auf die Fahnen geschrieben: die Welt ernähren. Könnten wir schaffen, antworten deutsche Pflanzenforscher, wenn man uns machen ließe. Seit Jahrtausenden gestaltet der Mensch die Nutzpflanzen. Ein Streifzug durch Labore und Genbanken. Von Christoph Link Landwirtschaft rei Tage mit einem Dutzend renommierter Pflanzenforscher in Halle, Gatersleben und Quedlinburg verbracht, in Labors und Gewächshäusern: am erstaunlichsten ist ihre Wut. Sie blitzt manchmal auf und mag nicht recht passen zur Sachlichkeit von Professoren der Naturwissenschaften. Über das „Elend der Zerstörungskultur“ klagt der Kieler Pflanzenzüchter Christian Jung und darüber, dass man eine exzellente Genomforschung habe, aber keine Freilandversuche machen dürfe und selbst die CSU da eine 180-Grad-Wende vollzogen habe. Grüne Gentechnik ist ein Unwort geworden, und der Düsseldorfer Pflanzenforscher Peter Westhoff will das nicht akzeptieren: Gentechnik in der Humanmedizin – etwa der Krebstherapie – sei positiv besetzt, bei Pflanzen aber nicht. Warum? Westhoff forscht im Labor, wie die Fotosynthese in der Pflanzenzelle effektiver genutzt werden kann, um die Erträge zu steigern. Er tüftelt daran, aus einjährigen Pflanzen mehrjährige zu machen, was enorme Vorteile hätte. „Dafür brauche ich Gentechnik“, sagt Westhoff, „und den Feldversuch.“ Die Studenten, die er ausbilde, wanderten übrigens ab. Folgten BASF Plant oder dem Saatguthersteller KWS in die USA, wohin die ihre Gentechnik-Abteilungen verlegt haben. Eine Wissenschaftlerin sagt, der Begriff „Natürlichkeit“, wie die Gentechnikgegner ihn ständig beschwören, der sei ein Totschlagargument. Nichts ist in der Landwirtschaft natürlich, war es vielleicht nie. Seit 10 000 Jahren baut der Mensch Pflanzen an, gestaltet, züchtet oder malträtiert sie, je nach Lesart. Wer das Leibniz-Institut für Pflanzengenetik und Kulturpflanzenforschung (IPK) in Gatersleben in Sachsen-Anhalt besucht, fährt an riesigen Monokulturen vorbei und sieht in Dörfern Mas- D sentierhaltungsanlagen, die „Hofläden“ betreiben – ein Aberwitz; Fabrikverkauf wäre passender. Im Foyer des IPK zeigt ein Relief eine 3000 Jahre alte Szene aus Assyrien: die künstliche Bestäubung von Dattelpalmen durch weise Männer. Im Lauf der Zeit sind die Erträge immens gesteigert worden. 2014 feierte die Forscherwelt den hundertsten Geburtstag des US-Agrarwissenschaftlers Norman Borlaug, des Vaters der grünen Revolution. Viele Millionen hat er vor dem Hungertod bewahrt durch die Erfindung des Mexikoweizens, dem er ein Gen zum Zwergwuchs eingezüchtet hat. Kurzer Halm, starke Ähre: ein Erfolgsmodell auch in Indien, wo sich die Erträge in zehn Jahren verdreifachten. Pioniere gab es auch in Deutschland. 1940 setzten Züchter Gerste einer Kobalt-Strahlung aus, deren Erbgut veränderte sich, ein Protein fehlte, plötzlich war sie resistent gegen Mehltau. Später zeigte sich, dass eine alte Gerstensorte in Äthiopien, die grannenlose Zweizeilige, die gleiche Resistenz, das gleiche Gen hat. Entdecken wir die Vergangenheit neu? Andreas Graner, der Direktor des IPK, spricht in der Bibliothek des Instituts, wo sich Holzregale unter Büchern biegen, er sagt: „Was die Ernährung anbelangt, leben wir heute im Schlaraffenland.“ 1850 habe ein privater Haushalt 61 Prozent des Einkommens für Lebensmittel und Tabak ausgegeben, 1925 waren es 47 Prozent, 2013 noch 13 Prozent – auch das ein „Wunder“ der grünen Revolution. Graner sagt auch, es müsse weitergehen: 2050 werden neun oder zehn Milliarden Menschen auf der Welt leben, laut Schätzungen müssten die Erträge um 70 Prozent gesteigert werden, um alle zu ernähren. Schon heute gelingt es nicht, alle Erdenbürger ausreichend zu versorgen, 800 Millionen leiden Hunger. Und die große Masse ernährt sich einseitig. Weltweit gibt es 7000 Arten von wisse es nicht, sagt Börner. Irgendwo wird Nutzpflanzen, aber 95 Prozent aller Kalo- die Wildweizenart Triticum tauschii larien stammen aus 30 Pflanzenarten, 50 gern, ein mageres Gras, aber resistent Prozent aller Kalorien – auch der in Fleisch gegen ziemlich alles: Mehltau, Halmveredelten – entfallen auf Reis, Mais, Wei- bruch, Pilze, Schwarzrost, Braunrost. Das zen. Deren Erträge zeigen in den letzten ist das Wunder der Züchtung, die AbwehrJahrzehnten steile Verlaufskurven, aber sie mechanismen der Wilden auf ertragreiche flachen am Ende ab. Die Züchtungserfolge Weizensorten zu übertragen. sind ausgereizt. „Wir müssen nach neuen Die traditionelle Mutagenese – die ErbAnstößen suchen, um die Leistungen zu gutveränderung – geschieht durch Chemisteigern“, sagt Graner. Durch die Fokussie- kalien oder Bestrahlung. Gentechnik aber rung auf wenige Produkte sieht er die gene- setzt auf das Einschleusen von Genen mit tische Vielfalt bedroht, Genbanken seien Hilfe von Bakterien oder den Beschuss der daher wichtig. In Gatersleben steht eine. Pflanzen durch mit DNA beschichteten Sie sammelt Samen aus der Goldpartikeln – ein grobes Landwirtschaft und dem „Unsere Kulturpflanzen Verfahren. Die Zukunft Gartenbau, ist mit 150 000 sind nicht mehr fit für könnte feineren Methoden Mustern die größte der EU das Überleben in freier gehören: beispielsweise und hat in Spitzbergen OgM – die von Oligonukeine Filiale im Eis. Aus der Natur. Sie brauchen leotid gesteuerte MutageGenbank können sich Unterstützung.“ nese. Ein Oligonukleotid Züchter weltweit bedie- Professor Andreas Graner, ist ein Molekül. Wie eine nen. Sie erhalten kostenlos Agrarwissenschaftler Fähre sucht es das Genom kleine Proben – 30 bis 40 ab, schneidet präzise eine Samen. Die Tatsache, dass Erbinformation heraus chinesische Forscher zu den Hauptkunden oder hinein und wird danach entfernt. „Das in Gatersleben gehören, ist ein Hinweis, ist ein Paradigmenwechsel in der Züchdass alter Genbestand für moderne Züch- tung. Von einer natürlichen Sorte ist die ter noch wichtig sein kann. veränderte Pflanze nicht zu unterscheiBei minus 18 Grad liegt das Saatgut in den“, sagt Patrick Schweizer, GenomforKühlkammern. Andreas Börner, Leiter scher am IPK. Im Februar hat das Bundesder AG Ressourcengenetik, schiebt die amt für Verbraucherschutz und Lebensschwere Tür auf und zu sehen sind: Weck- mittelsicherheit entschieden, dass die Gläser mit Gummiringen wie zu Groß- durch OgM erzeugten Pflanzen keine genmutters Zeiten. Sie stehen da zu Tausen- technisch veränderten Organismen seien – den, mit Samen gefüllt, in den Regalen. Zu also grünes Licht für Forscher und Züchter. Umweltverbände wie BUND und den Schätzen in Gatersleben zählen Weizen- und Gerstenproben der zwanziger Greenpeace wittern dahinter „Gentechnik Jahre sowie eine Kornsammlung der sieb- durch die Hintertür“. Dirk Zimmermann ziger Jahre aus Äthiopien. Eine Parallel- von Greenpeace sieht die Zukunft der sammlung mit 7000 Proben war in Addis Landwirtschaft angesichts der Endlichkeit Abeba geblieben, aber irgendwann seien von Phosphat- und Kalivorkommen ohnedie Äthiopier gekommen und hätten um hin im ökologischen Landbau, gerade in Ersatz gebeten, erzählt Börner. War die al- Schwellenländern. Es gebe Beispiele in Afte Sammlung von Mäusen gefressen? Er rika und Asien für intelligente Lösungen mit Fruchtwechsel, Untersaaten und Mischanbau. Die Gentechnik habe nichts gebracht außer Gefahr durch ihre Unkontrollierbarkeit. In „Mais- und Sojawüsten“ würden herbizidresistente Pflanzen eingesetzt und Gift gegen Unkraut gesprüht. Das entwickle Resistenzen, es folgten neue Produkte, es drehe sich eine Spirale des Gifteinsatzes, an der Agrokonzerne verdienten. Die Verfechter der konventionellen Landwirtschaft sehen das anders. Heutige Kulturpflanzen seien nicht mehr „fit“, um in freier Natur zu überleben, sagt Andreas Graner. Sie brauchten die Unterstützung der Menschen. Würde man ein Rapsfeld lassen, wie es ist, wäre es im nächsten Jahr „vereinzelt noch gelb“, im Folgejahr von Gras und Büschen durchsetzt. Professor Jung ergänzt, man solle einem Farmer in Iowa doch mal sagen, er solle auf herbizidtolerante Pflanzen verzichten. Der werde mit „What else?“ antworten, denn ohne sie wäre sein Sojafeld voll Unkraut. Im Übrigen gebe es im Mais- und Zuckerrübenanbau wohl keinen Hektar, der ohne Herbizide auskomme. In Deutschland mache der ökologische Getreideanbau 1,5 Prozent der Ernte aus. Ein Beitrag zur Welternährung? Aber es gibt Berührungspunkte von Ökos und Konventionellen. Eine schöne neue Pflanzenwelt wünschen sich alle, selbst der promovierte Greenpeace-Biologe Zimmermann. Er befürwortet Smart Breeding, die Nutzung genetischer Marker, die in klassischen Kreuzungsverfahren eine frühe Selektion der Pflanzen auf bestimmte Merkmale hin erlauben. Damit lassen sich trockenresistente oder ertragreiche Pflanzen züchten – rascher als früher. Das Julius-Kühn-Institut, ein schicker Neubau in Quedlinburg am Harz, ist so ein Ort, an dem nach der Widerstandskraft von Getreide geforscht wird. Welches kann Frost, Schädlingen oder Trockenheit trotzen? Der Pilz Braunrost sieht aus wie hübsche Sommersprossen am Halm, aber er kann Weizenerträge um 60 Prozent dezimieren. Die berüchtigte Frühsommertrockenheit – klimawandelbedingt? – hat 2003 und 2007 die Kornernte in Deutschland um 20 Prozent gedrückt. Die Gerstengelbverzwergung, die Wachstum hemmt, wird durch ein Virus hervorgerufen, den eine Blattlaus überträgt. Ihr rückt die Doktorandin Jasmin Philippi in Quedlinburg zu Leibe: Unter dem Mikroskop klebt sie mit Fingerspitzengefühl einer winzigen Laus eine Elektrode auf den Rücken, lässt sie am Blatt nuckeln und misst ihre Saugleistung. Manche Gerste sei widerstandsfähig gegen die Gelbverzwergung, sagt Philippi. Aber warum? Ist die Pflanze direkt resistent gegen das Virus, oder liegt es daran, dass die Laus nicht richtig an den Leitbündeln im Blatt saugen kann? Weiß man mehr darüber, hilft das auch der Welternährung. Aber Forscher wie Jung oder Westhoff wollen mehr: neue Pflanzen. Westhoff kommt wieder auf die Fotosynthese zurück. Es gibt je nach dem Stoffwechsel im Blattgrün die C-4-Pflanzen und die C-3Pflanzen. Ein C-4-Mais habe beispielsweise einen um 50 Prozent höheren Ertrag als ein C-3-Reis. Wie also kann man C-3Pflanzen verbessern in Richtung C-4? Jung arbeitet in Kiel, vielleicht liegt ihm daher an der Rettung der Meere. Er denkt an die Züchtung von Raps mit langen, mehrfach ungesättigten Fettsäuren – der habe Fischölqualität und sei marktreif. Eine Alternative zur Plünderung der Fischbestände durch den Menschen. Muss nur noch erlaubt sein, ihn anzubauen. Außerdem in der Wochenendbeilage Satirestar Vor Martina Hill ist kein TV-Gesicht sicher Schleierschönheit Wie das Kopftuch Frauen verwandeln kann Selbstliebe Narzissten sind Blender, aber kreativ und charismatisch Spielsucht Viele Legofans haben die Kindheit schon hinter sich gelassen Porträt SEITE V2 Fotografie SEITE V3 Stil SEITE V4 Freizeit SEITE V22
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