Generische Beschreibung von Eisenbahnbetriebs - ETH E

DISS. ETH Nr. 22597
Generische Beschreibung von Eisenbahnbetriebsprozessen
Abhandlung zur Erlangung des Titels
DOKTOR DER WISSENSCHAFTEN der ETH ZÜRICH
(Dr. sc. ETH Zürich)
vorgelegt von
SILKO HÖPPNER
(Dipl.-Ing., Technische Universität Dresden)
geboren am 28.07.1981
Staatsbürger der Bundesrepublik Deutschland
angenommen auf Antrag von
Prof. Dr. sc. techn. Ulrich Alois Weidmann, Referent
Prof. Dr.-Ing. Jörn Pachl, Korreferent
2015
Juni 2015 ______________________________________ Generische Beschreibung von Eisenbahnbetriebsprozessen
Kurzfassung
Die Regelwerke und Richtlinien der europäischen Eisenbahnen weisen eine große
Heterogenität bezüglich der darin enthaltenen Regeln, der verwendeten Begriffe, der
inhaltlichen Tiefe und der Struktur auf. Daraus folgt, dass die Prozesse zur Durchführung des Betriebes nicht einheitlich sind, das betriebliche Personal nicht ohne Weiteres im Ausland eingesetzt werden kann und das gegenseitige Verständnis zum Bau
und Betrieb nicht durchgängig gegeben ist. Die Europäische Union verfolgt das Ziel,
den grenzüberschreitenden Eisenbahnverkehr zu unterstützen und veröffentlicht
Richtlinien zur Verbesserung der technischen und betrieblichen Übergangsfähigkeit.
Diese Arbeit betrachtet die Eisenbahnsysteme, für die die Technischen Spezifikationen für die Interoperabilität gelten und bezieht sich hierbei auf das Teilsystem Betrieb.
Das Ziel der Arbeit ist es, Eisenbahnbetriebsprozesse generisch zu beschreiben und
grundlegende Regeln, welche universell anwendbar sind, herauszuarbeiten. Auf
Grundlage dieses Ansatzes soll es möglich sein, ein harmonisiertes und länderübergreifendes Betriebsverfahren zu entwerfen. Im Weiteren werden Ergebnisse angestrebt, die das gemeinsame Prozessverständnis fördern, Hilfestellung zum Abbau
der fachsprachlichen Differenzen anbieten, den Wissensaustausch unterstützen, den
internationalen Personaleinsatz ermöglichen sowie die Entwicklung und die Dokumentation der technischen Anlagen vereinfachen, insbesondere in der Leit- und Sicherungstechnik.
Ausgehend vom aktuellen Stand der Forschung werden wissenschaftliche Arbeiten,
eisenbahnbetriebliche Veröffentlichungen und bisherige Entwicklungsergebnisse zur
betrieblichen Interoperabilität analysiert und auf ihre inhaltliche Fortführung hin überprüft. Es zeigt sich, dass ein Teil der Veröffentlichungen als Grundlage herangezogen werden kann.
Eine besondere Rolle spielt die betriebliche Fachsprache. Die Beschreibung der Betriebsprozesse weist bereits in einer natürlichen Sprache eine so hohe Komplexität
auf, dass die gleichzeitige Betrachtung aller Staaten der Europäischen Union ein
kaum zu überschauendes Sachgebiet wäre und die Bearbeitung nur über einen langfristigen Bearbeitungszeitraum erfolgen kann. Für die Entwicklung einer Harmonisierungsmethode ist jedoch die Auswahl eines kleinen Untersuchungsraumes mit einer
gemeinsamen Sprache ausreichend und die Beherrschung der sprachliche Komplexität kann angemessen veranschaulicht werden. Für die Methodenentwicklung werI
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den die Fahrdienstvorschriften der drei mitteleuropäischen Staaten Deutschland, Österreich und Schweiz sowie die Richtlinien der Europäischen Union berücksichtigt.
Das System Eisenbahn ist ein komplexes Gefüge, für dessen Prozessmodellierung
entsprechend geeignete Methoden und Beschreibungsmittel benötigt werden. Dafür
bieten sich Verfahren des Systems Engineering an, die auf die Analyse, die Entwicklung, den Test und die Dokumentation integrierter Produkteinheiten und Prozesse in
einem Systemkontext spezialisiert sind. In dieser Arbeit werden verschiedene Beschreibungsmittel untersucht und auf ihre Eignung zur Abbildung abstrakter Prozessmodelle überprüft. Im anschließenden Auswahlverfahren zeigt sich, dass für die
Modellierung die semiformale Sprache Unified Modeling Language am besten geeignet ist und mit ihr eine generische Beschreibung als handhabbar erscheint.
Für die Herleitung der betrieblichen Grundprozesse, mit denen Zugfahrten durchgeführt werden, werden generische Betriebsmittel abgeleitet und im „Generischen Referenzsystem Eisenbahn“ zusammengefasst, welches auf den Vorüberlegungen von
[BOSSE 2010] basiert. Aufbauend auf einem einfachsten, anzunehmenden Eisenbahnnetz werden Fahrzeugbewegungen modelliert und die hierfür notwendigen Aktivitäten in UML-Diagrammen beschrieben. Mit der schrittweisen Erweiterung werden
die Diagramme entsprechend umfangreicher, bis ein Zustand erreicht wird, in dem
bei zusätzlicher Systemerweiterung keine Änderung der Verfahrensabläufe nötig ist.
Ab diesem Punkt ist ein Prozesskern verfügbar, der in jeder anderen betrieblichen
Situation identifiziert werden kann.
In einem Eisenbahnnetz werden komplexe Zugfahrten als auch technologisch einfache Bewegungen zur Zugbildung, für Ladeprozesse oder für besondere betriebliche
Situationen durchgeführt. Dafür werden die prinzipiellen Abläufe von Zug- und Rangierfahrten in unterschiedlichen Fallbeispielen unter Zuhilfenahme der generischen
Diagramme simuliert. Es wird festgestellt, dass die generischen Prozesse für die betrachteten Beispiele verwendet werden können und die unterschiedlichen Bewegungsarten nachvollziehbar sind. Zusätzlich wird die Anwendbarkeit der generischen
Diagramme auf nicht konventionelle Bahnsysteme untersucht (z. B. Bergbahnen, Industriebahnen).
Für die Formulierung anwendertauglicher Regeln müssen die Prozessdiagramme in
eine natürliche Sprache transferiert werden. Das bestehende Problem eines fehlenden Fachwortschatzes kann nur durch einen beständigen Harmonisierungsprozess
erfolgen, der bei erfolgreicher Umsetzung auch den Einbezug weiterer Wissen-
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schaftsbereiche benötigt. Die vielschichtige Komplexität der Fachsprache wird in dieser Arbeit aufgezeigt und eine Methode für die Harmonisierung betrieblicher Regeln
vorgeschlagen. Eine vollständige Angleichung der Begriffe und Regeln ist aufwandsbedingt innerhalb dieser Arbeit nicht denkbar und kann folglich auch nicht vollumfänglich gelöst werden.
Es kann abschließend festgestellt werden, dass ausgehend von den fundamentalen
Eigenschaften und des Generischen Referenzsystems eine Methode für die allgemeingültige Prozessbeschreibung zur Verfügung steht. Dadurch ist es möglich, unabhängig von technischen Realisierungsformen und einem historisch gewachsenen
Prozessverständnis, Regeln zu definieren, mit denen Zugfahrten sicher und zuverlässig durchgeführt werden können. Die Methode ist unabhängig von der Vorherrschaft eines bestimmten Teilnetzes oder eines Systemanbieters und bildet einen unabhängigen Rahmen für die betriebliche Interoperabilität.
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Abstract
The regulations and guidelines governing railway operations in Europe differ significantly between countries in terms of rules, terminology, content-related scope and
structure. These differences create inefficiency by making it more difficult to harmonize operational processes, transfer staff internationally, and understand construction
and production processes in other countries. Together, these factors make it difficult
to achieve the European Commission’s objective of supporting increased crossborder railway operations. This dissertation builds a foundation for addressing this
problem by developing an approach for creating technical specifications for interoperability and demonstrates the approach with a case study focused on the railway
operation and traffic management subsystem.
The research goal was to develop a methodology for describing railway operating
processes in a generic fashion and to use this methodology to characterize a set of
basic railway operating rules. This methodology can be used to help design harmonized and transnational operating procedures. The research results can also be used
to help foster a common understanding of operating processes, to reduce misunderstandings of technical terms in different languages, and to improve documentation for
technical equipment and processes. These benefits will help support knowledge
sharing, encourage development of common technologies (helping increase market
efficiency) and enable personnel to work internationally. The case study focused on
signaling and interlocking technology, a particularly important and complex railway
subsystem.
The research began with an analysis of the current scientific literature, railway operations publications and previous industrial developments in the field of interoperability.
The focus was to identify approaches that could be extended in the research. Several
promising approaches were found and formed the basis for developing the research
methodology.
An early finding was that national specific technical language plays an especially important role in the description of railway system operational processes. The descriptions were so specific that it was not possible to apply the research method to railway
operations in all European Union languages as part of this research without sacrificing quality (although the research can be extended to cover more languages in the
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future). However, the harmonization method can be developed using a subset of
countries with a common language and this subset can adequately illustrate the handling of language complexity. Therefore, the research used the rule books from the
three German-speaking countries of Austria, Germany and Switzerland as well as the
European Union guidelines.
The railway system has a very complex structure and therefore highly specific methods and notations must be used to perform any process modeling. In this research
systems engineering processes were used to provide the specialized methods for
analyzing, developing, testing and documenting the integrated units and procedures
in a system context. As part of the research several different notations were examined and their suitability tested for for describing abstract process models. As a result
of this analysis the semi-formal language Unified Modeling Language (UML) was
found to be the most suitable for developing a generic description of railway system
operating processes.
The research developed a set of generic resources to derive a Generic Railway Reference System (Generischen Referenzsystem Eisenbahn), based on [BOSSE 2010].
These resources can be used to describe the basic operational processes that constitute train trips. The approach models and describes vehicle movements based on
the simplest possible rail network in an UML activity diagram. As the modeled network gets gradually larger the UML activity diagrams get correspondingly larger, until
a state is reached where additional extensions cause no changes in the UML activity
diagrams. From this point, a core set of processes is available, which can be identified in any other operational situation.
Railway services combine complex high performance train trips with simpler movements (e.g., train formation, loading, operational situations, etc.). Therefore, the research also simulated basic operations of train trips and shunting in case studies with
the help of the generic diagrams. The results show that the generic process diagrams
can be used for the case studies and the different movements are reproducible. The
research also analyzed whether the generic processes could be used on nonconventional railway systems (e.g., Swiss mountain railways, industrial railways) and
found that they could satisfactorily consider the specific characteristics of these systems.
The next step towards creating a uniform set of useable railway operating rules is to
translate the generic diagrams into a natural language. As outlined above this is very
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difficult due to the lack of specialized technical vocabulary across countries – even in
the same language. This problem can be addressed using an ongoing language
harmonization process incorporating several scientific fields. This dissertation describes the multi-layered complexity of technical language and proposes a method
for the harmonization of operational rules. However, given the need for language
harmonization, this dissertation cannot provide a complete harmonization of railway
terms and rules.
In summary, the dissertation conclusively proves that it is possible to develop a
method for generically describing railway operating processes based on fundamental
characteristics and the Generic Reference System. This makes it possible, to define
train operating rules without consideration of technical devices or an historical established process understanding. The method is independent of the dominance of a particular subnet or system provider and forms a sovereign framework for operational
interoperability.
It can be conclusively determined, that a method for generic process description is
available and bases on fundamental characteristics and the Generic Railway Reference System. This makes it possible, to define train operating rules without consideration of the specific technical equipment in place or an historically established understanding of the particular processes. The method is independent of the dominance of
a particular network or system provider and forms an independent framework for operational interoperability.
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