DialogBleibtreu

Aus dem Theaterstück „Bleibtreu“:
1.Akt
Zwei Kinder.
Kind 1 und Kind 2.
Jedes in einem Zimmer mit brauner Spiegelwand, zwei Türen und einem getönten Fenster.
Ein dünnes, blaues Kabel führt aus einer Nadel in ihrem Kopf zu einem losen Ende. Eine Art
Antenne.
Das Mobiliar in diesem Zimmer ist aus abwaschbarem Material: Ein Tisch, ein Stuhl, ein
Krankenhausbett.
Auf dem grauen PVC-Boden liegt ein blauer Teppich in Handtuchformat.
Die Räume sind hoch.
Die Vorhänge, aus beigefarbener, leicht transparenter Synthetikfaser, sind sicherlich über 2 Meter
50 lang.
Die Stoffe in den Zimmern sind teilweise mit kindgerechten Applikationen versehen: winkende
Teddys in bunten Autos, zum Beispiel.
Kind 1 wohnt in Zimmer Links und Kind 2 in Zimmer Rechts.
Wie die Kinder aussehen ist egal. Sie sollten nicht zu auffällig sein. Nicht zu schön und nicht zu
hässlich. Aber auch nicht zu normal, wenn es das gibt.
Ob Junge oder Mädchen ist auch egal.
Das Geschlecht spielt eigentlich keine Rolle.
Wir bestimmen als Spiel mal: Kind 1 ist ein Mädchen und Kind 2 ein Junge.
Nennen wir sie Rebekka und Demian.
Ihr Alter kann grob geschätzt zwischen 9 und 12 liegen.
Zimmer Links ist gelb gestrichen, und Zimmer Rechts orangefarben.
Die Zimmer sind Teil einer Wohnung in einem gut-bürgerlichen Viertel.
Außerdem gibt es dort noch eine Fenster-lose Teeküche (mit Toilettenanschluss), einen Ruheraum
für die Wissenschaftler und natürlich den Überwachungsraum.
Der ist die Verbindung zu den zwei Kinderzimmern. Durch die Rückseite der braunen Spiegelwand
können die Wissenschaftler die Kinder beobachten. Daneben sind die sorgsam verschlossenen
Türen zu Zimmer Links und Zimmer Rechts.
Auf Schreibtischen befinden sich Überwachungsmonitore, die die Wellen der blauen Antennen
aufzeichnen. Daneben stehen Laptops zur Eingabe von Beobachtungen und Parametern.
Es agieren hier die attraktive Ärztin Lynn, im weißen Kittel, und ihr bärtiger Kollege Werner, ein
Kordhosen und Tweed-Jacket-Träger. Ein Psychologe.
Die Pharmazeutin Nana ist im Moment nicht da. Dafür aber der coole, nette Pfleger Igor.
Außerdem sind mit von der Partie: Dr. Cece, kurz und respektvoll von seinen Untergebenen Cece
genannt und Pe, der Projektleiter.
Die Bühne sollte so aufgebaut sein, dass man den Überwachungsraum und die beiden Zimmer
gleichzeitig sieht.
Zimmer Links
Rebekka sitzt am Fenster und spielt mit einem Legoflugzeug. Sie hebt es an und hält es gegen den
Himmel. Durch die bräunlich verdunkelten Scheiben kann man ein echtes Flugzeug auf dem
Landeflug vorbei fliegen sehen.
Rebekka hustet und widmet sich dann weiter dem Spiel.
Zimmer Rechts
Demian kauert auf dem Fußboden und malt mit Filzstift an einem großen Bild.
Auf dem Bild ist ein Flugzeug zu erkennen. Auf den Rumpf des Flugzeuges skizziert Demian einen
Raumplan.
Überwachungsraum
Lynn, die Ärztin, sitzt vor den Monitoren. Werner, der Psychologe, betritt den Raum mit einer
braunen Ledertasche.
Lynn: Das ist wirklich unglaublich.
Werner: Dir auch ein herzliches „Hallo!“.
Lynn (unbeirrt): Schau Dir das an! Es sieht so aus, als hätten sie nur darauf gewartet, dass
du in Urlaub gehst. Wir hatten ja schon seit Monaten die Dosis leicht erhöht. Eine Woche,
bevor du dich davon gemacht hast, habe ich noch täglich 5 mg Fortanmolin dazugegeben.
Werner: War das abgesprochen?
Lynn: Natürlich war das abgesprochen. Vielleicht nicht mit dir, weil du vor deinem Urlaub
nur noch physisch anwesend warst. Aber mit Pe. Vielleicht erinnerst du dich an die Sitzung,
bei der du die ganze Zeit mit deiner Tauch-Ausrüstung gespielt hast. Cece war auch da! Im
Übrigen ist ihm dein Verhalten unangenehm aufgefallen. Er hat halb im Ernst und halb im
Spaß angeregt, dass wir dir auch ein wenig Fortamolin in den Kaffee mischen.
Werner: Und? Hast du´s?
Lynn (lacht): Red´ keinen Stuss. Sonst überlege ich mir das doch noch. Dann wirst du
vielleicht sogar noch Karriere machen und ich kann dich endlich heiraten.
Werner: Hmm. Keine schlechte Idee. Hochleistungspsychologe heiratet Hochleistungsärztin.
Dann machen wir ganz viele kleine Hochleistungskinder und übernehmen diese Wohnung
hier.
Lynn: Das mit dem Kindermachen könnte mir gefallen. - Wenn du sie kriegst und ich oben
liegen darf.
Werner: Geht nicht: Ich habe dann ja Fortamolin intus. Also gehöre ich nach oben.
Lynn: Und was ist mit meinen natürlichen Begabung?
Werner: Niemals ist die natürlich. Ich habe gehört, deine beiden Eltern waren auch schon
bei Sakro-Pharma- Dot beschäftigt. Da ist die Wahrscheinlichkeit, dass du rein zufällig so toll
geworden bist, doch recht gering.
Lynn: Und wie sieht es mit deinem Stammbaum aus?
Werner: Ich bin ein Kind Freuds.
Lynn: Oh wei! Der Witz bereitet mir keine Freude. Vielleicht also doch Fortamolin.
Werner: Lass uns jetzt Freunde sein, wenn schon keine Freudsche. Sag, was Du zu sagen
hast. Ich bin ganz Ohr!
Lynn: Schau dir das mal an: Es fing schon zwei Tage vor deinem Urlaub an. Also 3 Tage nach
der ersten Gabe Fortamolin! Eine eindeutige und nachweisbare Parallel-Entwicklung!
Sie zeigt ihm Bilder von zwei Blumen, die sich in Farbe und Form gleichen. Die eine ist aus Lego, die
andere mit Filzstift gemalt.
Lynn: Bisher mussten wir uns ja immer mit zeitgleichen Aktionen oder Gesten abfinden.
Werner: Ich erinnere mich an das Highlight des wochenlang gleichzeitig gegessenen
Jogurts.
Lynn: Brav, ihr kleinen grauen Zellen! - Ich geh jetzt nicht erst in die EEGs. Du erinnerst dich:
Fast identisch! Aber jetzt kommt das: Demian zeichnet und Rebekka baut.
Schau an: Drei Wochen haben sie an der Blume gebastelt und dann... haben sie es
geschafft!
Zwei genau gleich gebaute Blumen. Zweidimensional, dreidimensional. Das übertrifft alles,
was wir zu hoffen wagten!
Werner: Wie lief es ab? Zeitgleich oder versetzt?
Lynn: Versetzt, aber wir konnten identische Hirnströme ausmachen. Schau!
Werner: Unglaublich! Das heißt: Sie haben tatsächlich, nachweisbar und erfolgreich
kommuniziert!
Was sagen Pe und Cece dazu?
Lynn: Pe hat Purzelbäume geschlagen und verschwand. Cece hat bisher noch nicht reagiert.
Werner: Wie bitte? Wir forschen jetzt seit drei einhalb Jahren an den Gören und Cece
reagiert nicht, wenn der Durchbruch gelingt?
Lynn: Das zieht ja viel höhere Kreise. Ich denke, wir werden alle hoch fallen! Cece als erster
und dann Pe und dann ich und du und Nana.
Werner: Und dann Igor?
Lynn: Kommunist.
Werner: Und dann die Kinder?
Lynn: Klar, und dann fallen die Kinder. Sie fallen direkt in den Himmel in eine Villa mit
Swimmingpool.
Werner: Dahin können sie Igor mitnehmen. Dann sind alle glücklich.
Lynn: Und wenn sie nicht gestorben sind...
Igor betritt den Raum.
Igor: Dann leben sie noch heute.
Er schleudert seinen grell-gelben Kurier-Rucksack in die Ecke und wirft sich selbst in einen
Drehstuhl.
Igor schaut interessiert auf die Monitore. Ohne davon aufzublicken, begrüßt er Werner.
Igor: Hi Werni! Wie wars im Urlaub?
´
Werner: Danke der Nachfrage. Die Fische schwimmen noch.
Igor: Hänsel und Gretel haben die Brotspur entdeckt! Alle waren ganz aufgeregt. Ich hab
dich vermisst, Mann. Nicht wegen denen da. Aber die andern, Pe und vor allem Dieda
hatten dringend einen Psychologen nötig. Nana hat ihren ganzen Vorrat an
Beruhigungsmitteln an Lynn verfüttert.
Werner: War sie dann endlich mal still?
Igor: Was vermutest Du?
Lynn wirft ein zusammengeknülltes Papier nach Igor. Der fängt es auf.
Igor: Du wirst mich jetzt sicher gleich fragen, ob mir was aufgefallen ist. Deshalb nehme ich
es gleich vorweg: Steht alles im Bericht.
Werner wirft ein zusammengeknülltes Papier nach Igor. Der will es auffangen, schafft es aber nicht,
weil er noch das von Lynn in der Hand hat.
Werner: Ach wie schön war es bei den Fischen! Sie schwiegen wenigstens die ganze Zeit. Und nicht nur dann, wenn sie was gefragt wurden...
Igor lehnt sich betont lässig in seinem Sessel zurück und lässt seinen tätowierten Bauch sehen.
Igor: Ich mag Fisch nur als Fisch ´n Chips. Mehr will ich gar nicht. Ihr habt euer
Blumenwunder und werdet Karriere machen, und ich will Dienst nach Vorschrift. - Also lies
den verdammten Bericht und lass mich in Ruhe.
Werner wechselt einen bedeutungsvollen Blick mit Lynn. Igor greift nach dem Berichtsheft und
blättert darin. Er zeigt auf eine Stelle.
Igor: Da, beide klagen über trockenen Mund, und dann sabbern sie. Ich denke, es liegt an
dem Scheiß-Zeug, das Nana ins Spiel gebracht hat. Am Anfang konnte ich noch darüber
wegsehen. Aber sie fühlen sich wirklich schlecht. Ich hab´schon ein paar Mal gesagt, dass
die Dosis vielleicht zu hoch ist. Auf mich hört aber niemand.
Lynn: Du übertreibst auch.
Igor (zu Werner): Da hörst du´s: Ich übertreibe! Beide haben geweint. Nicht einmal am Tag,
nicht zweimal am Tag, nein: dreimal täglich: Zufällig eine halbe Stunde nach der Gabe von
dem Scheiß-Zeug.
Lynn steht entschlossen auf.
Lynn: Mir reicht´s. Wir haben hier jeder einen Job zu machen. Deiner ist nun mal, die
Tränen zu trockenen und Nasen zu schneuzen, und meiner ist es, unter anderem das
„Scheiß-Zeug“ zu verabreichen. Ich lese, was du zu berichten hast, und Nana liest es auch.Und jetzt halt den Rand.
Werner (kopfschüttelnd): „Scheiß-Zeug“! Wenn du damit mal nicht ein wenig zu weit
gehst...
Werner deutet auf die Überwachungskamera.
Igor (brummig): Ihr hattet ja Euer Blumenwunder.
Werner (auf die Uhr schauend): Wie wär´s mit arbeiten statt maulen? Ich als Psychologe
kann Dir dringend dazu raten.
Igor steht auf und wirft mit dem zerknüllten Papier nach Werner, trifft aber nur dessen Rücken.
Igor geht in die Teeküche und bereitet das Essen für zwei Personen, indem er einen mit brauner
Plastikhaube bedeckten Teller aus dem Kühlschrank nimmt und in die Mikrowelle stellt. Auf
orangefarbenen Tabletts werden die Mahlzeiten angerichtet.
Werner und Lynn unterhalten sich flüsternd, während Werner in den Akten blättert und Lynn die
Medizin zusammenstellt.
Werner: Was ist denn mit dem los?
Lynn: Jeder hat mal so einen Koller.
Werner: Und? Hat er Recht?
Lynn: Natürlich. Nana und ich haben das schon mit Pe diskutiert. Aber die wollen erst mal
alles so beibehalten. Never change a running system...
Werner: Was meint Nana dazu?
Lynn: Sie empfahl, zu spritzen. Dadurch könnte die Dosis ein wenig gesenkt werden und
man vermeidet zumindest die Belastung des Verdauungstraktes.
Werner: Ich erinnere mich nur zu gut daran, als wir Demian den letzten Katheter gelegt
haben...
Lynn (lacht): Der hat Kraft!
Werner (reibt sich die Nase): Wir waren zu Viert! Und er hat es geschafft, mir mit einem
einzigen Tritt das Nasenbein zu brechen.
Lynn: Wir wären jetzt schlauer. - Aber auch wenn wir nur Rebekka den Zugang legen,
drehen wir an der Schraube...
Werner (beobachtet die Kinder durch die Spiegelwände): Und was meinst Du?
Lynn (zuckt mit den Schultern): Du wirst schon sehen: Das geht jedem ans Limit. Das sind
schließlich Kinder und keine Labormäuse.
Werner: Doch so schlimm...
Igor kommt mit dem ersten Tablett aus der Teeküche.
Er geht zu Rebekka.
Zimmer Links:
Igor: Ladies first!
Na, meine kleine, große Madame! Jetzt gibt’s Futter!
Heute habe ich mir besondere Mühe gegeben. Stunden habe ich auf den Kartoffelfeldern
verbracht, Stunde um Stunde haben ich Möhren gezupft, dann die Kühe gemolken und
schließlich den Schokoladenbaum geschüttelt, bis es Pudding geregnet hat.
Hmmmmm, kommkomm. Gleich geht’s los.
Igor stellt das Tablett auf den Tisch und nimmt den braunen Deckel ab. Er rührt den Kakao um und
schaut Rebekka erwartungsvoll an.
Rebekka verzieht keine Miene. Sie setzt das Flugzeug ab und senkt den Kopf.
Igor: Na wird’s bald? Dein Freund von nebenan hat auch Hunger.
Rebekka: Hab ich eine Chance?
Igor: Leider nein. - Also komm schon. So schlimm ist es doch gar nicht.
Rebekka erhebt sich langsam und umsichtig, um ihr Flugzeug nicht zu zerstören.
Überwachungsraum:
Durch die Rückseite des Spiegels können Werner und Lynn beobachten, wie Demian seine Arbeit
beiseite legt und sich zeitgleich mit Rebekka zum Tisch bewegt.
Lynn: Unheimlich, nicht wahr?
Werner starrt fasziniert durch die Spiegel.
Zimmer links:
Rebekka setzt sich. Sie hält aber den Mund geschlossen. Igor nimmt das Medizinbecherlein vom
Tablett, stellt sich hinter das Mädchen und öffnet ihr mit geschicktem Griff den Kiefer. Er kippt den
Inhalt des Becherleins in Rebekkas Kehle, hält den Kiefer dabei weiter umklammert und gießt dann
Kakao nach. Rebekka würgt und prustet.
Igor: Na, das hätten wir. Und jetzt schau mal!
Er holt eine kleine Monster-Fingerpuppe aus seiner Tasche und fällt mit ihr über das Essen her.
Rebekka schaut ihn böse an.
Rebekka: Zieh Leine. Ich rede nur noch mit Werner. Ich will die verdammte Medizin nicht
mehr schlucken. Mit dir rede ich nicht mehr. Du bist ein Verräter.
Igor lutscht sein Gummimonster genüsslich ab.
Igor: Es war noch nie so besonders interessant, sich mit dir zu unterhalten. Deshalb habe
ich ja auch das Ding hier mitgebracht. Das redet wenigstens gerne mit mir. Und da es die
Monster-Sprache beherrscht, dachte ich, es würde sich auch gut mit dir verstehen.
Das Essen ist mir tatsächlich besonders gut gelungen!
Rebekka: Ich finde dich nicht lustig und ich mag dein Monster nicht. - Dein Essen mag ich.
Aber ich sagte dir doch schon: Ich habe Bauchweh. Das liegt an der Medizin. Ich will die
nicht mehr nehmen.
Igor: Mach jetzt keinen Zeck. du weißt genau, was du musst: Essen und Schlafen und
Medizin nehmen und deine Wochenlektionen abgeben. Das musst du.
Rebekka legt den Arm in demonstrativer Geste über das Gesicht und weint, künstlich schreiend.
Igor (laut in Richtung Spiegel): Dein geliebter Werner ist wieder da und wird sich alle deine
Sorgen anhören.
Rebekka nimmt den Arm runter und schaut erfreut in Richtung Spiegel.
Rebekka: Wann?
Igor: Wenn du aufgegessen hast. Dann.
Rebekka dreht sich in Richtung Spiegel und beginnt langsam zu essen.
Igor streichelt ihr sanft über den Kopf. Sie schüttelt seine Hand angewidert ab. Er holt das Monster
hervor und streichelt ihr damit über die Wange. Rebekka lacht. Igor verlässt den Raum.
Er greift nach dem zweiten Tablett und geht zu Demian.
Zimmer rechts:
Igor stellt das Tablett auf den Tisch und nimmt den braunen Deckel ab. Er rührt den Kakao um.
Demian schaut ihn erwartungsvoll an.
Igor: Na, meine großer Junge! Jetzt gibt’s Futter!
Heute habe ich mir besondere Mühe gegeben. Stunden habe ich auf den Kartoffelfeldern
verbracht, Stunde um Stunde habe ich Möhren gezupft, dann die Kühe gemolken und
schließlich den Schokoladenbaum geschüttelt, bis es Pudding geregnet hat.
Hmmmmm, lecker-lecker-lecker!
Igor kneift Demian von hinten um den Kiefer, so dass dieser sich öffnet, gießt die Medizin in dessen
Schlund und kippt Kakao hinterher.
Demian: Arschloch.
Igor (zieht sein Gummimonster aus der Tasche / mit piepsiger Stimme ): Woher kennst Du
meinen Namen, Süßer?
Demian: Dich habe ich gar nicht gemeint. Ich meinte das Arschloch.
Igor (piepsig): Führst Du wieder Selbstgespräche?
Demian springt auf uns schleudert im Sprung das Tablett an die Wand.
Igor packt ihn.
Igor: Du wirst mir jetzt beim Einsammeln helfen, und dann schaue ich dir zu, wie du das
Zeug isst.
Igor (in Richtung Spiegel): DAS ist MEIN Job.
Igor packt Demian am Genick und schleift ihn um den Tisch. Demian streubt sich nicht. Sie kratzen
gemeinsam das Essen vom Boden und werfen es aufs Tablett.
Als das Tablett wieder auf dem Tisch steht, verlässt Igor den Raum, um einen Wischlappen und
frischen Kakao zu hohlen.
Überwachungsraum:
Werner und Lynn beobachten gespannt die Szene durch die Spiegelwand.
Zimmer Rechts:
Igor kommt mit dem frischen Kakao und dem Lappen.
Schweigend stellt er den Kakao auf das Tablett und wischt den verspritzten Kakao auf.
Igor: Es tut mir doch Leid. Es tut mir wirklich Leid.
Demian: Es schmeckt gut.
Igor: Arschloch und ich haben uns auch wirklich Mühe gegeben.
Igor verlässt den Raum.
Überwachungsraum:
Werner nickt ihm anerkennend zu.
Werner: Hast Du gut gemacht.
Igor: Fick Dich...
Werner (zu Lynn): Wer war während meines Urlaubs mit ihnen draußen?
Pause.
Werner: War überhaupt jemand mit ihnen draußen?
Cece erscheint in der Tür.
Cece: Jetzt sind Sie ja wieder da und können mit ihnen raus.
Ich denke, die Kinder werden sich sehr freuen, Sie zu sehen.
Werner steht auf und reicht Cece die Hand.
Cece: Hatten Sie einen schönen Urlaub? Ich hoffe, Sie haben sich gut erholt.
Werner: Danke. Ich hatte sehr erholsame vier Wochen. - Ich gratuliere zu dem Erfolg hier.
Cece: Nun, dazu können wir uns alle gegenseitig beglückwünschen. Saubere Teamarbeit
und ein gehöriges Quäntchen Glück. Sie sind bereits vertraut mit den Tatsachen?
Werner: In etwa.
Cece: Sie können von Glück sagen, dass wir Sie nicht herbeordert haben. Hier ging es
drunter und drüber. Alle waren natürlich aufgeregt, und für jeden ging es bis ans Limit.
Werner: Wer hat mich vertreten?
Cece: Wir haben die psychologische Betreuung remote erledigen lassen. Bei den
Psychiatern der Mutterfirma. - Die wöchentlichen Spieltermine haben wir bewusst
ausgesetzt, um die Konzentration und die perfekten Versuchs-Bedingungen konstant zu
halten. Die Ergebnisse geben uns schließlich Recht.
Ah! Lynn, ich habe ihren Bericht weitergeleitet. - Es sieht gut aus für Sie. Die Kommission
setzt sich mehrheitlich aus Internen zusammen. Das hätten Sie nicht einmal nötig! Ich habe
ihn gelesen und ..
Igor: Dr. Cece, stimmt es, dass sich Rebekkas Mutter eingeschaltet hat?
Cece wirft Igor einen intensiven, forschenden und verächtlichen Blick zu.
Cece: Was geht Sie das an?
Igor: Ich arbeite mit Rebekka.
Cece: Mit wem bitte arbeiten Sie?
Igor: Den Kindern.
Cece: Die Interessen der Kinder werden von der Rechtsabteilung vertreten.
Lynn: Also doch!
Cece (zu Werner): Sie sehen, wie wichtig Ihre Rückkehr ist! Kümmern Sie sich um alle!
Vielleicht beginnen Sie mit dem Spieltermin für Kind 1.
Cece übergibt Lynn, die dafür höflich aufsteht, einen großen braunen Umschlag. Igor und Werner
wechseln Blicke. Cece nickt den Anwesenden zu und verlässt die Wohnung.
Lynn und Werner: Auf Wiedersehen, Dr. Cece!
Igor (nachäffend): Auf Wiedersehen, Dr. Cece!
Was seid ihr doch für Schleimer! Der ist für mich nichts, wie ein Kinderschänder.
Lynn (aufbrausend): Nein, ein Schleimer bist du nicht. Überhaupt bist DU ein ganz
aufrechter, gewissenhafter Krankenpfleger. Von Anfang an hast du diese Arbeit der Maloche
im Krankenhaus vorgezogen: Doppeltes Gehalt, und: Wenn du´s nicht getan hättest, hätte
es eben jemand anderes getan, nicht war? Wie mutig du dich doch gerade eben für
Rebekka, - entschuldige: Kind1 – eingesetzt hast. Das war ganz toll.
Nichts weißt du! Und du wirst auch niemals was erfahren, wenn du dich so benimmst. Du
wirst dein ganzes, beschissenes Leben lang ein beschissener, Arsch-wischender
Krankenpfleger bleiben! Das hier ist eines der ganz großen Projekte der Pharma-Forschung,
und das einzige, was dir beim Durchbruch einfällt, ist so kleinlich, wie die Welt in die du
gehörst!
Werner: Hey, komm runter, Lynn.
Igor: Lass sie nur! Du warst ja diese letzten Horrorwochen fein raus. Jetzt siehst du mal, wie
sie in Wirklichkeit ist. Gar nicht mehr so sexy, nicht wahr? Das einzige auf was die geil ist, ist
ihre Karriere. Tut mir leid für dich, Werner.
Lynn (zur Spiegelwand): Mit dem spreche ich doch gar nicht mehr!
Igor: Ach ja? Siehst du, Werner: Sie sagt, ich sei ein beschissener, Arsch-wischender
Krankenpfleger. Ich werde nie darüber hinaus kommen. Ihr Arsch ist ihr zu hoch für mich!
Lynn (zu Werner): Ich soll runter kommen?
Igor: Aber sie, sie sollte mir dankbar sein. Sei mir dankbar, Lynn! Denn es ist sehr viel
angenehmer in einen sauberen Arsch zu kriechen als in einen verschissenen.
Lynn: Igor, Du bist widerlich!
Igor: Weißt du, was MICH anekelt? Das „ganz große Projekt der Pharma-Forschung“. Es
hängt mir zum Hals raus. - Und das sollte es euch auch!
Ihr habt doch eure Ergebnisse.
Was wollt Ihr eigentlich noch? Und vor allem: WANN wollt Ihr es?
Lynn: Dasselbe könnte ich dich fragen. Aber das ist überflüssig; denn ich kenne die Antwort
bereits. Sie liegt in allem, was du sagst und wie du es sagst: Das Maximum an Kohle für ein
Minimum an Arbeit, viel Sex mit geilen Weibern und alles, was sonst noch Spaß macht.
Igor: Das mit dem Sex bekäme dir auch nicht schlecht, Fräulein.
Lynn: Halt den Mund!
Igor: Sag mir doch, was so falsch daran ist?
Lynn: Sag du mir doch, wie du „verdienst“, was du verdienst?
Igor: Genauso wie du.
Lynn baut sich vor ihm auf.
Lynn: Ich weiß, wofür du dein Geld bekommst: Dass du seit Jahren den Kindern die Kiefer
aufklemmst. Dass du sie gegen ihren Willen badest, dass du sie zwingst, verschüttetes
Essen aufzuessen, und nach außen hin so tust, als wäre dies hier der normalste Job der
Welt.
Du wirst so gut bezahlt, weil du zuschaust, wie kerngesunde Kinder krank gemacht werden.
Und du hast nicht mal Interesse daran, wofür.
Alle Anderen hier haben ein Ziel, das weiter reicht als bis zu ihrer eigenen Nasenspitze. Da
du aber über deine aber ganz offensichtlich nicht hinaus gucken kannst, wirst du es auch
nie verstehen.
Also: Halt´den Mund.
Igor ist ebenfalls aufgestanden uns schaut auf Lynn herunter.
Igor: Du bist so süß, wenn du dich aufregst.
Lynn: Das muss ich mir nicht bieten lassen.
Werner: Jetzt wäre der richtige Zeitpunkt für Lynn, Igor zwischen die Beine zu fassen.
Lynn: Das ist alles aufgezeichnet worden. Ich fühle mich belästigt. Dagegen kann ich
vorgehen.
Werner: Jetzt hör schon auf, Lynn! Bei wem willst du dich wegen was beschweren? Willst
du zum Betriebsrat? Willst du die höchst-geheimen Aufzeichnungen eines höchst-geheimen
Projektes vorspielen, auf denen du dann auch noch ganz offensichtlich einen Untergebenen
zusammenfaltest?
Igor (überschwenglich, ironisch): Ich danke dir, Werner! Ohne dich wäre ich jetzt verloren.
Allerdings schade, dass sie nicht alle deine Ratschläge befolgt.
Lynn (beim wütenden Verlassen der Wohnung): Ich will Dich unter vier Augen sprechen,
Werner.
Lynn knallt die Tür. Die beiden Kinder hören den Krach und merken auf. Beide sind mittlerweile
neben ihren Stühlen auf den Boden gesunken und kauern dort jämmerlich.
Igor: Die hat wohl ihre Tage.
Werner: Du aber auch!
Ich mach mich mal lieber an die Arbeit. Was ist, wenn ich jetzt zu der (zeigt auf Rebekka)
reingehe?
Igor: Versuchs mal! Du wirst schon sehen: Die ist jetzt so schlapp, dass sie kaum mehr
gehen kann. Lachen geht frühestens in einer halben Stunde wieder. Ich sagte doch: Diesmal
wurde der Bogen überspannt...
Werner: Was hast du vor?
Igor: Was kann ich schon machen?
Aus dem Theaterstück „Bleibtreu“:
Dialog Polizistin (Die dicke Mutterwitz) mit Rebekkas Mutter
Polizistin: So, jetzt habe ich das erledigt. Vielen Dank, dass Sie so geduldig gewartet haben.
Rebekkas Mutter winkt ab.
Polizistin: Es ist doch in Ordnung, wenn ich das Gespräch aufzeichne? - Normalerweise
führen wir solche Gespräche zu zweit. Vier Ohren hören mehr als zwei Ohren, nicht wahr?
Aber meine Assistentin ist – hm – sagen wir mal – weggetreten...
Rebekkas Mutter schaut die Polizistin fragend an.
Polizistin: Wenn Sie also nichts dagegen haben, zeichne ich das Gespräch auf.
Rebekkas Mutter zögert.
Polizistin (ungeduldig):
Es geht schließlich um ihre Tochter. Ist es Ok, wenn ich das Gespräch aufzeichne?
Rebekkas Mutter: Ja.
Polizistin: Ich habe auch vermerkt, dass Sie aus freien Stücken zu uns gekommen sind.
Rebekkas Mutter: Ich will mein Kind! Sie werden es doch finden?
Polizistin: Ja, ja. Wir helfen Ihnen. Aber zuerst müssen wir einmal feststellen, wie das Kind
abhanden kommen konnte; dann werden wir herausbekommen, wo es sich im Augenblick
befindet, und dann sehen wir weiter.
Ich fange jetzt an, ihnen Fragen zu stellen, damit wir verstehen, was passiert ist.
Antworten sie einfach ganz ehrlich. Das ist das Beste für Sie und natürlich auch für ihr Kind.
Fangen Sie doch bitte erst mal ganz am Anfang an.
Vor vier Jahren ist man das erste Mal an Sie herangetreten. Beschreiben Sie bitte ihre
familiäre und finanzielle Situation.
Rebekkas Mutter: Naja, damals ging es uns gerade nicht so gut.
Polizistin: Wem genau ging es damals nicht so gut?
Rebekkas Mutter: Mir und meinem Freund.
Polizistin: Das ist nicht der Vater des Kindes?
Rebekkas Mutter: Nein, der Vater des Kindes ist weg.
Polizistin: Wie dürfen wir das verstehen?
Rebekkas Mutter: Naja, er ist Pakistani und verschwand dorthin, wo er hergekommen ist –
nehme ich an.
Polizistin: Wie lange waren Sie schon mit diesem Partner zusammen, und gab es noch
weitere Kinder?
Rebekkas Mutter: Also damals hatte ich ihn gerade kennen gelernt. Ich war ja mit Bekki
alleine, seit ihr erster Vater fort war. Aber der war gleich so verständnisvoll in allem, weil er
auch ein Kind hatte, aber mit so einer, die nichts von ihm wissen wollte. Und deshalb hat er
Bekki gleich so was wie adoptiert. Ich meine: In sein Herz geschlossen.
Und als dann der Kinderarzt auf uns zu kam und uns das mit der „besonderen Begabung“
erzählt hat, da war er fast noch stolzer als ich.
Polizistin: Sind Sie denn jetzt noch mit diesem Partner liiert?
Rebekkas Mutter: Ja, schon.
Polizistin: Das klingt ziemlich zögerlich..
Rebekkas Mutter: Er ist nicht so begeistert, dass ich hier her gekommen bin. Können wir
bitte ihn auslassen? Ich habe das versprechen müssen.
Polizistin: Dann erzählen Sie doch von der „besonderen Begabung“ und … was er dazu
gesagt hat.
Rebekkas Mutter: Das ging über den Kinderarzt. Rebekka hatte einen Test besonders gut
geschafft. Da hat er mir 500 Euro geboten, wenn ich Bekki zwei mal die Woche nachmittags
zu Extra-Tests bringe. Wir konnten das Geld gut brauchen und Rebekka hatte auch Spaß
dabei. Unser Kinderarzt hatte das Ganze allerdings nur vermittelt. Er selbst hatte gar nichts
davon. Ich habe ihm natürlich vertraut. Er war ein sehr guter Kinderarzt mit excellentem
Ruf. Er hat gesagt, dass das ganze von höchstem wissenschaftlichem Interesse wäre. Die
Leute von den Extra-Tests seien ein wissenschaftliches Institut. Alles Professoren und
Doktoren. Ich halte ja nicht so viel von der Wissenschaft. Wir wissen ja alle, wohin das
führen kann: Die Wissenschaftler haben schließlich die Atombombe entwickelt.
Aber trotzdem hatte ich irgendwie Vertrauen, dass die meiner Bekki nicht schaden. Ich bin
mir nicht sicher, ob sie sie wegen ihrer Begabung von mir wegnehmen wollten. In meiner
Familie ist man eher nicht so gut in der Schule. Aber ich habe schon von diesen
„Hochbegabten“ gehört. Die sind auch nicht gut in der Schule- wie meine Bekki.- aber die
haben eine besondere Begabung. Und genau das war es ja, was man bei ihr festgestellt hat.
Polizistin: Hmm, und für wie viele Termine genau haben sie 500 Euro erhalten?
Rebekkas Mutter: Für 8 mal treffen. Aber das war wirklich fair. Ich habe das Geld bar
bekommen. - Sie dürfen uns jetzt keinen Strick daraus drehen, weil ich das Geld beim Amt
nicht angegeben habe. Dann wäre es nämlich gleich weg gewesen. Und schließlich bin ich
ja von selbst hier her gekommen.
Polizistin: Nein, das will ich auch gar nicht. Uns interessiert aber schon, ob Sie irgendetwas
quittiert haben, und wie oft sie diese 500 Euro erhielten.
Rebekkas Mutter: Das war nur drei mal, und ich musste schon was unterschreiben. Ich
selbst habe aber keinen Beleg bekommen.
(vertraulich) Man gewöhnt sich ja schnell an so was. Geld, meine ich.
Dann hat eine Doktorin von dem Institut mit uns gesprochen und wollte, dass Bekki in den
Sommerferien in ein Camp geht. Das klang alles sehr gut, muss ich sagen. Dafür haben wir
nur 200 Euro bekommen, aber Bekki durfte ja alles essen und trinken, was sie wollte. Sie
haben eine Tour auf einem Boot gemacht. Rebekka hat damals noch mit uns telefoniert.
Polizistin: Moment! Können Sie bitte erst mal so einen 500-Euro-Nachmittag beschreiben?
Wo fand das statt und wer genau war daran beteiligt?
Rebekkas Mutter: Es gab keine 500 Euro pro Nachmittag! Das habe ich doch schon gesagt.
Sie müssen die 500 durch 8 teilen. Dann kommen Sie drauf.
Polizistin: Stimmt. Bitte entschuldigen Sie.
Rebekkas Mutter: Schon gut. Das kann ja mal passieren.
Also: Wir fuhren direkt nach der Schule mit dem Bus 557 ein paar Stationen Richtung
Gesundbrunnen. Dann kamen wir zu diesem großen Gewerbegelände an der Torstraße. Sie wissen?
Die Polizistin nickt.
Rebekkas Mutter: Wir mussten in ein kleineres Gebäude auf dem Gelände. Ich glaube es
war Haus 3. So ein gelb-gestrichenes mit rotem Dach. Dort fuhren wir mit dem Aufzug in
den 2ten Stock und da gab es da einen Raum, bei dem ich Rebekka ablieferte. Dann hatte
ich vier Stunden Zeit. Da konnte ich machen, was ich wollte.
Polizistin: Waren Sie niemals dabei?
Rebekkas Mutter: Doch, das erste mal war ich mit dabei. Die haben uns Kekse und Saft
angeboten und dann haben sie Rebekka Fragen gestellt und Spiele mit ihr gespielt und
dann hat sie sich ausruhen dürfen. Stink-langweilig. Zum Schluss gab´s Abendessen und das
war´s dann.
- Rebekka mochte das. Sie ist da gerne hin gegangen. Ich schwör´s.
Polizistin: Und mit wem genau hatten Sie bei diesen Treffen zu tun?
Rebekkas Mutter: Es gab da eine Schwester, die war blond uns sehr freundlich. Die hieß
Nana, wenn ich mich richtig erinnere. So was von einem blöden Namen!- Habe ich damals
schon gedacht. Aber die hat nicht das Geld gegeben. Das war ein etwas feinerer Herr. Aber
wie der hieß, weiß ich nun wirklich nicht mehr. Der war aber auch nett. - Und dann gab es
noch die Ärztin.
Polizistin: … Die wahr auch nett, nehme ich an?
Rebekkas Mutter: Ich schwör´s. Da waren alle nett. Sonst hätte ich mich doch nicht darauf
eingelassen. Mein eigen Fleisch und Blut!
Pause
Polizistin: Jetzt ist es weg, weg, und Du bist wieder allein, allein..
Rebekkas Mutter: Was soll denn das?
Polizistin: Entschuldigen Sie bitte. Das war doof von mir.
Ich wüsste nur zu gerne mehr über Namen und Gesichter, die Ihnen damals begegnet sind.
Rebekkas Mutter: Ich will mich aber nicht verschaukeln lassen.
Polizistin: Das will ich wirklich nicht. Ganz im Gegenteil: Wir wollen herausfinden, wo sich
Ihre Tochter Rebekka jetzt befindet. Da ziehen wir doch eigentlich an einem Strang, nicht
war?
Rebekkas Mutter: Darf ich rauchen?
Polizistin: In der Pause dürfen Sie gerne auf den Hof.
Rebekkas Mutter: Also was die Namen angeht, kann ich mich nur noch an diese Nana
erinnern.
Sie sind doch die Polizei. Wenn ich Ihnen sage, wann und wo das war, dann müssten Sie
doch herausfinden können – sie kennen ja dann Tat-Zeit und Tat-Ort - wer es war.
Und solche Phantombilder kann ich auch mit ihnen zusammen machen. Dann haben Sie
doch alles, oder?
Polizistin: So ungefähr. Gut, das machen wir dann aber anschließend. Jetzt erst mal weiter
in der Geschichte. Ich habe noch nicht so ganz verstanden, was da in diesem Camp passiert
ist.
Rebekkas Mutter (lacht): Ich auch nicht. Schließlich war ich nicht dabei.
Polizistin: Was hat denn ihre Tochter am Telefon erzählt. Und was für einen Eindruck
machte sie, als sie wieder nach Hause kam?
Rebekkas Mutter: Naja, nach Hause ist sie ja gar nicht mehr gekommen.
Aber am Telefon hat sie mir immer gesagt, wie gut es ihr gefällt, und wie nett alle sind.
Polizistin: Fielen Ortsnamen oder irgendwas, woraus man schließen konnte, wo das Kind
sich aufhielt?
Rebekkas Mutter (nachdenklich): Ich kann mich an nichts mehr erinnern.
Polizistin: Dann erzählen Sie doch mal genau, wie sie das erste mal von „dem Camp“
erfahren haben.
Rebekkas Mutter: Als ich Rebekka an einem Nachmittag im Juli abgeholt habe und das
dritte Mal 500 Euro kassiert habe, hat mich der Mann, von dem ich das Geld bekommen
habe – ach ja, jetzt fällt es mir wieder ein: der hieß Dr. Pe! - gefragt, was wir in den
Sommerferien vorhätten. Dann habe ich gesagt, dass wir noch nichts vorhätten und dann
hat er mir gesagt, dass Bekki mit auf die Bootstour und das Sommercamp kommen könnte.
Polizistin: So war das? Und Sie haben einfach so angenommen?
Rebekkas Mutter: Sie wollten wissen, wie es war, und ich sage, wie es war.
Polizistin: Hatte der sagenhafte Dr. Pe irgendwelche Prospekte? Hat er gesagt, ob auch
andere Kinder mitkommen? Und was hat Bekki davon gehalten?
Rebekkas Mutter: Er hat mir was gezeigt, aber ich erinnere mich nicht mehr genau was. Er
hat von einem anderen Kind gesprochen. Das weiß ich schon noch. Er sagt: Rebekka wird
nicht alleine sein. Ich glaubte, er meinte damit ein anderes Kind. Ich habe ziemlich geheult.
Polizistin (erstaunt): Geheult? Warum denn das?
Rebekkas Mutter (verwirrt): Naja, wegen dem Abschied. Ich habe mir natürlich schon
meine Gedanken gemacht. So ganz einfach gibt man je sein Kind nicht weg.
Polizistin: Warum haben sie es denn getan?
Rebekkas Mutter (schlau): Das habe ich doch schon gesagt: Weil ich das Beste für sie wollte.
Das hörte sich alles so gut an!
Polizistin: Und die 200 Euro?
Rebekkas Mutter: Die war´n mir in dem Fall scheiß-egal.
Polizistin: Was hielt denn ihr Freund davon? Ich meine, dass Sie Rebekka über die ganzen
Ferien wegschickten. Er mochte Bekki doch so gerne, sagten Sie.
Rebekkas Mutter (aggressiv): Lassen Sie den jetzt bitte draußen. Das war abgemacht.
Polizistin: Es interessiert mich aber schon, was er zu dem „Camp“ gesagt hat.
Rebekkas Mutter: Wir waren frisch verliebt. Da ist man schon mal gerne alleine.
Polizistin: Warum ist Bekki nicht wieder heim gekommen und warum haben Sie das nicht
vor dreieinhalb Jahren angezeigt.
Rebekkas Mutter: Scheiße! Sie wollen mir doch einen Strick drehen! Deshalb bin ich nicht
gekommen!
Polizistin: Jetzt reden Sie schon: Was wurde damals abgemacht?
Rebekkas Mutter: Nichts wurde abgemacht! Sie haben sie einfach nicht wieder nach Hause
gebracht! Und wenn Sie die Wahrheit wissen wollen: Ich habe Geld dafür bekommen, dass
ich nicht zur Polizei gehe. Man sagte mir: Dass sie mir so oder so nicht glauben würde und
dass ich Bekki dann niemals wiedersehen werde. Man sagte, dass man sie umbringen
würde! Das sagte man mir!
Polizistin: Wer?
Rebekkas Mutter: Nana.
Polizistin: Die nette Nana. Soso. Wer noch?
Rebekkas Mutter: Dr. Pe
Polizistin: Ich platze gleich! Wem haben Sie wo ihre Tochter übergeben und warum kam sie
nicht wieder?
Rebekkas Mutter: Ich sag gleich gar nichts mehr.
Polizistin (haut mit der Faust auf den Tisch): Ich hänge ihnen das mit ihrer Tochter an!
Rebekkas Mutter: Was hab ich damit zu schaffen? Ich bin doch hier! Ich habe keine Schuld.
Dr Pe hat mich gezwungen.
Polizistin: Für wie viel?
Rebekkas Mutter: 500 im Monat.
Polizistin: Wissen die, dass Sie hier sind?
Rebekkas Mutter: Naja, ich habe versucht, mit denen Kontakt aufzunehmen. Vor etwa
einem halben Jahr hörten nämlich die Anrufe auf. Ich habe nichts mehr von Bekki gehört.
Sonst haben wir einmal die Woche, Freitags um halb sechs, telefoniert. Aber dann hörte es
plötzlich auf. Ich saß Stunde um Stunde am Telefon, und es kam nichts. In der ersten Woche
hielt ich es noch für ein Versehen. In der zweiten war mir schon klar, dass ich in einer
blöden Lage war. Ich hatte nichts in der Hand. Nur eine Telefonnummer, die mir für den
Notfall gegeben worden war.
Polizistin: Die haben Sie natürlich zu Protokoll gegeben?
Rebekkas Mutter: Schon, aber da meldet sich niemand. Das ist eine geheime Nummer,
sagte man mir.
Aber ich bekam ja noch das Geld; jeden Monat über einen Kurier. - Dem habe ich
aufgelauert, und dann habe ich ihn zur Rede gestellt. Der hat mir aber auch nichts sagen
können – oder dürfen.
Ich bin fast verrückt geworden.
Keine Anrufe mehr. Dann habe ich mir noch mal den Kurier geschnappt und ihm gesagt,
dass er seinen Auftraggebern ausrichten soll, dass ich zur Polizei gehe, wenn sie sich nicht
melden.
Im nächsten Monat gabs kein Geld mehr.
Polizistin: Warum haben Sie dann noch so lange gebraucht, bis Sie tatsächlich zu uns
kamen? Mit was hat man sie erpresst?
Rebekkas Mutter: Ich werde nicht erpresst, Sie blöde Kuh! Man hat mir Rebekka
weggenommen!
Man hat sie mir einfach weggenommen! Was kann ich schon tun? Dahin bin ich gekommen.
Hier her bin ich gekommen. Und deshalb habe ich die Klappe gehalten: Weil ich wusste,
man wird mir was anhängen. Aber das lass ich mir nicht bieten! Ich habe Rebekka so gut es
geht geschützt. Ein bisschen Glück gab es für mich. Nur ein bisschen. Ist es denn zuviel
verlangt, nach dem ich 7 Jahre alleine war, auch mal Glück zu haben.
Naja, Glück! (lacht bitter)
Polizistin: Die „blöde Kuh“ nehme ich ihnen nicht übel. Es hätte Schlimmeres kommen
können. Man ruft mir „fette Sau“ oder „alte Schachtel“ hinterher. Schauen Sie mich doch
mal genau an: Was meinen Sie wie viel Glück ich bisher hatte? Ich bin fett, habe
Schweinchen-Augen und einen Damenbart. Schätzen Sie, wie oft das Glück bei mir
angeklopft hat? Habe ich wohl eine Tochter zu verlieren?
Wie hoch ist der Preis für das, was Sie „Glück“ nennen?
Rebekkas Mutter: Sie wissen es doch! Sie haben es schon die ganze Zeit gewusst. Warum
lassen Sie mich so auflaufen? Habe ich nicht genug gelitten?
Polizistin: Nein, das glaube ich nicht.
Rebekkas Mutter: Man hat mir gedroht, den Fall dem Jugendamt zu melden.
Pause.
Rebekkas Mutter: Dann hätte ich beide verloren. Ihn und sie.