Fälle Übung Nr. 4

Übungen im Familienrecht
Universität Zürich
FS 2016
Übung Nr. 4: Dr. Linus Cantieni
Der Eheschutz
Jürg und Seraina sind seit rund 20 Jahren verheiratet. Sie haben drei gemeinsame
Kinder. Jacqueline ist 19 Jahre alt und hat soeben die Matura abgeschlossen, Michael ist 13 Jahre alt und besucht die Sekundarschule. Die Nachzüglerin, Manuela,
ist 7-jährig und geht in die erste Primarschulklasse.
Jürg arbeitet bei einer Bank in Zürich und hat ein Einkommen (inkl. Bonus) von rund
CHF 17'000.– im Monat. Seraina ist Rechtsanwältin. Nach der Geburt von Jacqueline
gab Seraina ihre berufliche Tätigkeit auf und war während mehreren Jahren Hausfrau und Mutter. Im Jahr 2012 ist sie wieder zu 40% in einer Wirtschaftskanzlei eingestiegen. Sie verdient aktuell rund CHF 4'000.– im Monat. Die Familie lebt in einer
Wohnung im Zürcher Seefeld, welche Jürg vor der Ehe erworben hat.
Seraina und Jürg führten während all den Jahren eine mehr oder weniger harmonische Ehe. Nun hat sich Jürg Hals über Kopf in eine 20 Jahre jüngere Frau verliebt.
Geplagt vom schlechten Gewissen beichtet er Seraina nach einer Weile seine Beziehung. Diese hat dafür kein Verständnis und stellt Jürg nach einem heftigen Streit kurzerhand vor die Türe.
Jürg ist der Meinung, dass Seraina ihn nicht einfach aus seiner Wohnung werfen
könne. Wenn schon jemand gehen müsse, dann sei es Seraina. Er stellt sich vielmehr vor, dass er mit den Kindern dort wohnen bleibt, sich künftig um sie sorgt und
sein Arbeitspensum reduziert. Sodann findet er, dass Seraina dadurch ihr Arbeitspensum aufstocken und in ihrem Beruf wieder richtig Fuss fassen könne. Dies sei ihr
in den letzten Jahren ja verwehrt gewesen.
Seraina denkt jedoch nicht einmal daran, aus der ehelichen Wohnung auszuziehen.
Jürg sieht sich daher gezwungen, sich eine eigene Wohnung zu suchen. Tiefgekränkt über den Rauswurf will er es Seraina heimzahlen. Er blockiert die gemeinsamen Bankkonti und stellt der Familie auch im Übrigen kein Geld zur Verfügung. Seraina gerät bereits nach kurzer Zeit in finanzielle Schwierigkeiten. Zudem kommt es
dauernd zu Auseinandersetzungen, wenn es darum geht, wann und wie lange Jürg
die Kinder zu sich auf Besuch nehmen darf. Seraina erscheint verzweifelt in Ihrem
Anwaltsbüro.
Eine aussergerichtliche Verständigung ist nicht möglich. Als Anwalt oder Anwältin
von Seraina leiten Sie daher vor dem Bezirksgericht Zürich ein Verfahren ein. Was
gilt es wie zu regeln?
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Das Bezirksgericht Zürich hat entschieden, dass Jürg für die Familie monatlich rund
CHF 10'000.– Unterhalt bezahlen muss. Der immer schlechter werdende Geschäftsgang seiner Firma wirkt sich jedoch bald auf Jürg‘s Lohn aus. Die Bonuszahlungen
fallen dieses Jahr weg, weshalb sich sein Einkommen auf monatlich CHF 12'000.–
reduziert. Die Bank teilt ihm mit, dass er auch künftig keinen oder nur noch einen bescheidenen Bonus erhalten wird. Jürg weiss nicht mehr, wie er die Unterhaltsbeiträge
bezahlen soll. Nach schlaflosen Nächten kommt er zu Ihnen und bittet Sie um Rat.
Was haben Sie als seine Anwältin oder sein Anwalt vorzukehren?
Jürg merkt mit der Zeit, dass ihm Seraina und die Kinder fehlen. Reumütig sucht er
daraufhin wieder vermehrt den Kontakt zu ihnen. Nach einigen Monaten zieht er
schliesslich wieder bei der Familie ein. Seraina will ihm nochmals eine Chance geben.
Jürg möchte von Ihnen wissen, ob er sich an die gerichtlich festgesetzten Massnahmen trotzdem weiter halten muss. Beraten Sie ihn.
Die Scheidungs- und Trennungsgründe
Knapp ein Jahr nachdem Jürg wieder bei der Familie eingezogen ist, bricht bei ihnen
erneut eine heftige Ehekrise aus. Diverse Versöhnungsversuche scheitern. Seraina
kann sich mit Jürg definitiv keine gemeinsame Zukunft mehr vorstellen.
Welche (juristischen) Möglichkeiten stehen Seraina in dieser Situation offen? Was
muss dabei alles geregelt werden?
Variante 1:
Seraina und Jürg kommen in der Folge überein, sich scheiden zu lassen. Bei den
Konventionsverhandlungen können sie sich über alle Scheidungsfolgen einigen,
ausgenommen über den nachehelichen Unterhalt.
Nach welchem Scheidungsgrund können sich die beiden scheiden lassen? Wie gestaltet sich das Verfahren im Einzelnen?
Variante 2:
Jürg liebt Seraina noch immer. Mit der Scheidung ist er deshalb nicht einverstanden.
Obschon die beiden bereits seit Ende Februar 2014 getrennt leben, glaubt er immer
noch daran, dass sie wieder zu einander finden.
Seraina kommt heute zu Ihnen und möchte wissen, ob sie sich dennoch von Jürg
scheiden lassen kann.
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Variante 3:
Jürg sollte recht behalten. Trotz dieser langen Trennungsdauer (seit Ende Februar
2014) kommen Seraina und Jürg – vor allem den Kindern zuliebe – Ende Januar
2016 wieder zusammen. Schon bald aber realisiert Seraina, dass sie sich etwas vorgemacht hat. Die Auseinandersetzungen zwischen ihnen nehmen täglich zu und lassen ein Zusammenleben unerträglich werden. Die beiden trennen sich Mitte März
2016 erneut. Mit einer Scheidung ist Jürg allerdings nicht einverstanden.
Sie reichen als Anwältin oder Anwalt von Seraina heute eine Scheidungsklage ein.
Wird das Gericht auf die Klage eintreten?
Variante 4:
Jürg und Seraina leben in ungetrennter Ehe, haben sich aber nicht mehr viel zu sagen. Seraina hat seit Längerem keine Gefühle mehr für Jürg. Dieser leidet sehr darunter. Auch jobmässig läuft es bei ihm nicht gut. Wegen des schlechten Geschäftsgangs der Bank muss er jeden Moment damit rechnen, seine Stelle zu verlieren. In
seiner Verzweiflung greift er häufig zur Flasche und betrinkt sich. Im Rausch fängt er
dann mit Seraina Streit an und beginnt sie teilweise zu schlagen. Im März 2015 eskaliert die Situation. Jürg wird polizeilich aus der Wohnung weggewiesen und erhält ein
Kontakt- und Rayonverbot. Die Lage beruhigt sich aber keineswegs. Er belästigt Seraina weiterhin per Telefon, passt sie wiederholt vor dem Haus oder am Arbeitsplatz
ab und schwärzt sie im Bekanntenkreis systematisch an.
Seraina möchte unter diesen Umständen so schnell als möglich die Scheidung. Werden Sie als Richterin oder Richter ihrem Begehren entsprechen?
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