Dr. Guido Westerwelle beim Festakt zum 50. Jubiläum der Friedrich-Naumann-Stiftung für die Freiheit Bonn, 19. Mai 2008 Es gilt das gesprochene Wort Herr Bundespräsident, Herr Altbundespräsident, meine sehr geehrten Damen und Herren. Ich begrüße Sie alle sehr herzlich und ich darf dieses ausnahmsweise, gewissermaßen in dreierlei Eigenschaft hier tun. Einmal für die nahe stehende Partei, das ist übrigens die FDP, das muss ja auch noch einmal gesagt werden. Zweitens als ein Altstipendiat dieser Stiftung. Da Sie, Herr Bundespräsident von der Durchlässigkeit im Bildungssystem gesprochen haben, kann ich nur vermutlich auch stellvertretend für die anderen vielen tausend Stipendiaten sagen: Die Stiftungskultur unserer aller Stiftungen in dieser Republik ist ein Beitrag zu der Durchlässigkeit. Für mich, 25 Jahre später, ist es auch eine schöne Gelegenheit ganz persönlich hier Dankeschön zu sagen. Und drittens natürlich, meine Damen und Herren, als Bonner Abgeordneter, der es außerordentlich genießt, in diesem Haus zu sein, wo Liberale heute jedenfalls sicherlich die Mehrheit haben. 1 Meine Damen und Herren, es ist eine große Freude, dir lieber Wolfgang, Ihnen lieber Herr Morlok, stellvertretend für das Kuratorium, einen Glückwunsch auszusprechen und Dankeschön zu sagen, stellvertretend natürlich für all die anderen die vorher Verantwortung getragen haben für die Friedrich-Naumann-Stiftung und die heute selbstverständlich auch noch Verantwortung tragen. Ein herzliches Dankeschön, einen Glückwunsch an die Friedrich-Naumann-Stiftung und die beiden Chefs. Der Chef des Vorstandes der Friedrich-Naumann-Stiftung und der Vorsitzende des Kuratoriums mögen es mir bitte nachsehen, dass ich ganz außerhalb des Protokolls heute noch einen weiteren namentlich erwähne. Wenn es nicht so ungalant wäre, lieber Herr Witte, würde ich jetzt vom Urgestein der Naumann-Stiftung sprechen. Sie seien erwähnt, weil Sie heute Ihren runden Geburtstag mit uns feiern. Meine sehr geehrten Damen und Herren, die Tatsache, dass auch nahezu alle Repräsentanten der Freien Demokratischen Partei da sind, die früheren Vorsitzenden Walter Scheel, Graf Lambsdorff, Klaus Kinkel, die Präsidiumsmitglieder, zeigt natürlich auch das hohe Maß an der Verbundenheit zur Friedrich-Naumann-Stiftung. Wir haben es als Partei immer außerordentlich zu schätzen gewusst, und zwar in all diesen fünf Jahrzehnten, dass die Friedrich-Naumann-Stiftung uns beraten hat, uns auch als FDP in wesentlichen Umbruchphasen unserer Geschichte geprägt hat. Es war bereits die Rede von Bildung als Bürgerrecht, denn wir wollen nicht vergessen, wenn wir nur an die Deutschlandpolitik denken, wenn wir daran denken, was es für große Auseinandersetzungen regelmäßig mit knappsten Mehrheiten in der Geschichte unserer Republik gegeben hat, so wurde ganz Wesentliches erst vorgedacht in unserer liberalen Friedrich-NaumannStiftung. Es wurde dann zu einer Haltung der Freien Demokratischen Partei und dann wurde es immer wieder und regelmäßig, manchmal sogar unter Einsetzung unserer eigenen Existenz, zu einer Haltung der Bundesrepublik Deutschland. 2 Deswegen ist das Arbeiten einer Stiftung nicht nur etwas was diejenigen bewegt die als politische Feinschmecker im innersten Prozess dabei sind, sondern wir wissen auch, dass Stiftung und Vordenken, Vorausdenken, Nachdenken und zu ganz großem Tiefgang, zweifelsohne auch regelmäßig zu größerem Tiefgang fähig sind, als das eine Partei in der Tagesaktualität und dem täglichen Geschäft leisten kann, vermutlich sogar leisten will. Wie tiefgängig, wie klug auch solche Veranstaltungen hier das politische Leben prägen können und Beeindrucken über den Tag hinaus, das haben wir – so möchte ich hier auch ganz persönlich sagen – soeben in Ihrem außerordentlich beeindruckenden Vortrag, lieber Lord Dahrendorf, gehört. Meine Damen und Herren, ich möchte nur wenige Bemerkungen machen was das für uns bedeutet. Wir werden uns in knapp zwei Wochen auf einem Bundespartei mit dem was Sie so klug, Herr Bundespräsident, auch zum Thema Freiheit, Sie lieber Lord Dahrendorf, hier vorgetragen haben, auseinandersetzen. Denn was heißt das für uns in der konkreten Politik? Das heißt zunächst einmal, dass wir die neue Zeit nicht zuallererst als Gefahr begreifen vor der wir erstarren, sondern dass wir sie als das erkennen was sie ist, nämliche als Chance die wir nutzen und gestalten müssen. Wir reden von der Globalisierung und viele fürchten sich davor, weil sie damit lediglich die Globalisierung von Wirtschaftsprozessen meinen, aber dabei immer wieder auch verschweigen, dass es auch eine Globalisierung von Werten ist, von Idealen, von Menschenrechten, von Rechtsstaatlichkeit in der Welt. Manche Diskussion die wir heute führen, auch in Ländern die uns in dieser Zeit auf den Titelseiten der Tageszeitungen beschäftigen, wäre noch vor ganz kurzer Zeit nicht möglich gewesen, weil die Globalisierung eben auch eine Verbreiterung von Einschätzungen ist. Es ist ungleich schwerer geworden für Despoten ihr Land abzuschotten. Auch die Globalisierung der 3 Menschenrechte, der Bürgerrechte, sie sollte in diesem Zusammenhang nicht unerwähnt bleiben. Und wenn wir, meine Damen und Herren, über das Thema sprechen, dass die Einkommensschere – wie Sie es formuliert haben – weiter auseinander geht, so möchte ich für die tägliche Politik, für uns jetzt, noch etwas hinzufügen: Ist es nur so, dass die Armen ärmer werden und dass es mehr werden die arm sind? Ist es nur so, dass die Reichen reicher werden und die Superreichen sich abheben? Oder ist nicht mindestens, ich glaube persönlich sogar dramatisch mindestens, eine genauso große Herausforderung, dass die Mitte jedenfalls in unserem Land immer weiter schrumpft? Ich glaube das ist nicht ein Gottesgesetz und das ist auch nicht die zwangsläufige Erscheinung von weltweiten Prozessen, das ist auch nicht das Ergebnis von Freiheit – wie gelegentlich behauptet wird –, sondern das ist das Ergebnis von politischer Gestaltung in unserem Land in den letzten Jahren, vielleicht müssen wir sogar sagen, in den letzten Jahrzehnten. Die Ungerechtigkeit wächst, ich glaube vor allen Dingen auch, weil die Mittel schrumpfen. Und dass in den letzten zehn Jahren die Mitte, die einmal als Mittelschicht zwei Drittel unseres Landes ausgemacht hat, jetzt noch knapp mehr als die Hälfte ist. Das heißt, dass fünf Millionen Menschen statistisch gesprochen aus der Mittelschicht heraus gefallen sind. Das ist nicht nur schlimm für die die es betrifft. Das, meine Damen und Herren, ist mindestens auch eine Herausforderung für die soziale Stabilität unseres Landes. Denn die Mitte trägt unser Land, meine Damen und Herren. Schließlich geht es uns Liberalen, und zwar über all die Jahrzehnte hinweg, ganz wesentlich um die Freiheit. Die Freiheit ist ein geländegängiges Wort, weil manche meinen, Freiheit sei die Freiheit nach Mallorca reisen zu dürfen. Freiheit sei, dass man nicht mehr durch eine Mauer behindert wird dorthin zu gehen wo möchte. Das ist aber nicht die Freiheit die wir meinen. Die 4 Freiheit die wir meinen kam in all den Worten zum Ausdruck die hier bereits gesprochen worden sind. Es ist eben nicht die Freiheit von der Verantwortung, sondern es ist die Freiheit zur Verantwortung. Es ist die Freiheit zur Verantwortung für sich selbst und seinen Nächsten. Diejenigen die die Freiheit verwechseln mit der Freiheit von Verantwortung, sie haben den Liberalismus nicht verstanden. Wir wollen die Freiheit zur Verantwortung für sich selbst und seinem Nächsten. Das was beschäftigt, das was uns gelegentlich auch traurig ist die Frage: Wie konnte es geschehen, dass soziale Verantwortung, also dass der einzelne sich in einer Gesellschaft findet, getragen wird und sie trägt, zu einer völligen staatlichen Begrifflichkeit bei uns degeneriert ist? Dass sozial nur noch ist was der Staat umverteilt, das mag mir, das mag uns als Anhänger der Bürgergesellschaft nicht einleuchten. Meine Damen und Herren sozial ist zunächst einmal ein Gebot der Nächstenliebe, ist das Gebot der Hinwendung des Menschen zum Menschen. Wer sozial abtritt an eine staatliche Agentur, der ist nicht Staatsbürger, sondern der ist Staatskunde, man könnte auch sagen, der ist Taschengeldempfänger. Aber genau das ist nicht unser liberales Ideal, meine Damen und Herren. Wir werden in zwei Wochen darüber diskutieren was das bedeutet für die Steuerpolitik. Was das bedeutet, Sie sprachen von dem Boden auf dem das Land steht, zum Beispiel für das Modell des Bürgergeldes, wie man das Bürgergeld mit dem Steuersystem in Einklang bringen kann. Aber es werden Vorschläge sein, so wie es in den letzten Jahrzehnten immer der Fall gewesen, die von dem Primat der Freiheit getragen sind. Es gibt genügend geistige Strömungen in Deutschland, die jedem neuen Problem eine staatliche Antwort hinterherwerfen. Es muss eine geistige Kraft in Deutschland geben, die nach der Devise lebt: Bevor du nach dem Staat rufst, besinne dich erst einmal auf deine eigenen Fähigkeiten! Das ist die unbequemste Botschaft aller Parteien. Weil Freiheit will jeder! 5 Verantwortung ist dann nicht mehr so populär. Aber es ist eine herausragende Botschaft in unserer Zeit. Danke an die, die 50 Jahre in diesem Geist gearbeitet haben. Es ist zugleich eine Ermunterung an all die anderen die die nächsten 50 Jahre so arbeiten werden für die, die jung sind, die nach uns kommen. Ich freue mich darauf, dass wir in dieser liberalen Familie noch viele Jubiläen feiern werden. Es ist eine schöne Sache im Kreise soviel Gleichgesinnter hier zu sein. Alles Gute für Sie persönlich, Glück und Gesundheit! 6
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