638288 14 GÄUBODEN aktuell Mittwoch, 1. Juli 2015 Begeisterung wecken für Biogas & Co. WISSENSCHAFT ■ Wie das Seminar „NawaRo an Schulen“ bei Jugendlichen die Lust auf neue Technologien fördert Wege aus der Energiekrise zu finden, beschäftigt Politiker und Wissenschaftler seit Jahren. Straubing hat mit seinem Wissenschaftszentrum für Nachwachsende Rohstoffe nicht nur die Forschung, sondern mit Bachelor- und Masterstudiengängen auch die Lehre direkt am Ort. Relativ neu ist, dass auch Schülern das innovative Forschungsfeld näher gebracht wird – nämlich von Master-Studenten, die Schulen in Straubing und Umgebung besuchen. Im Physiksaal der Ursulinen-Realschule sieht der Unterricht heute anders aus als sonst: Zwar ist Alexander Hutterer, der Physiklehrer der Technikklasse, im Raum, bleibt aber im Hintergrund. Vorne haben Sonja Forstner, Sabrina Obermeier und Matthias Feigl bereits auf dem großen Tisch ausgebreitet, was die rund 30 Neuntklässlerinnen heute beschäftigen wird: Da liegt ein Scheit Holz, daneben stehen zwei Schüsseln, eine mit Pellets, eine mit Hackschnitzeln gefüllt. Das Thema: Biomasse bzw. Biogas-Technologie. Seit 2012 gibt es das Projekt „NawaRo an Schulen“ für Studierende des Master-Studienganges. Geleitet wird es von Joseph-Emich Rasch, der als Lehrbeauftragter den Studenten auch Rhetorik näherbringt. In seinem Seminar achtet er sehr auf die Sprache: kein Dialekt, damit dem Unterricht auch jeder folgen kann, kein Verschlucken von Silben, und Begriffe, die auch Laien verstehen, darauf kommt es ihm an. Die rund 13 bis 20 Studierenden pro Kurs erhalten Unterstützung, müssen aber auch viel selbst organisieren – etwa den Kontakt zu den Schulen und die Ausarbeitung der Konzepte, die je nach Fachbereich unterschiedlich sind. Vor allem Gymnasien und Realschulen in Straubing und Bogen haben von diesem Angebot schon profitiert, heuer ist auch die UlrichSchmidl-Schule und damit erstmals eine Grundschule dabei. Von den Studenten erfordert der Unterricht in unterschiedlichen Jahrgangsstufen und Schularten, dass sie sich sprachlich wie inhaltlich an das jeweilige Niveau der Schüler anpassen, damit diese nicht überfordert werden. Unterfordert werden sollen sie natürlich auch nicht – gelangweilte Schüler wären ein schlechtes Zeichen für den Unterricht der Studenten. Sie wissen: Ihr Dozent beobachtet aus der letzten Reihe genau, was und – vor allem – wie sie es sagen. In der neunten Klasse der Ursulinen-Realschule erklärt Sonja Forstner gerade den Aufbau des Kompetenzzentrums für Nachwachsende Rohstoffe, an das das Wissenschaftszentrum angeschlossen ist. Die Schülerinnen hören aufmerksam zu. Doch was sind eigentlich Nachwachsende Rohstoffe? Die 25-jährige Studentin hat mehrere Definitionen aus unterschiedlichen Jahren parat, die das zunehmende Interesse der Gesellschaft an den organischen Rohstoffen zeigen. Anwenden, was man in der Schule gelernt hat Nach all der Theorie kommt Schwung in die Klasse, als die Schülerinnen dazu aufgerufen werden, gegeneinander – die Bankreihen an der Tür gegen die am Fenster – anzutreten: Anhand von Bildern sollen sie Nachwachsende Rohstoffe benennen – oft gar nicht so einfach, wenn nur Muster gezeigt werden. Gleich beim ersten Bild stürzen sich die Mädchen begeistert in den Wettkampf: „Mais!“, ruft eine. Eins zu null für die Türreihe. Am Ende gewinnt die Fensterreihe und die Studenten haben ein Etappenziel erreicht: Die Schülerinnen sind ganz bei der Sache. Aufmerksamkeit binden, die Schülerinnen zum Mitdenken und -machen anregen, den Unterricht möglichst interaktiv gestalten – das waren wesentliche Überlegungen bei der Vorbereitung. „Wir haben uns beim Lehrer erkundigt, wie weit wir vom Stoff her ge- Voll bei der Sache: Schülerinnen der Technikklasse in der Ursulinen-Realschule. Lehrer Alexander Hutterer beobachtete das Geschehen aus der hintersten Reihe. Fotos: mein hen dürfen“, erklärte Sabrina Obermeier bei unserem ersten Treffen vor einer Woche. Ein schöner Nebeneffekt für die Schülerinnen: Sie können auch selbst anwenden, was sie gelernt haben, etwa in einer Beispielrechnung. In der Klasse erklären Sabrina Obermeier und Matthias Feigl inzwischen, wie Biogasanlagen und Bioheizkraftwerke genutzt werden und wie sie funktionieren. Die 24-jährige Studentin zählt verschiedene Substrate auf, also welche Stoffe für die Biogasanlage verwendet werden. Was ein Rapspresskuchen ist, können die Schülerinnen gleich beantworten. Aber wer weiß schon, welche Energiemengen in den einzelnen Substraten stecken? Erstaunlich viel Biogas lässt sich aus einem Kilogramm Zuckerrüben gewinnen, nämlich 700 Liter. Bioabfälle haben immerhin noch 616 Liter Ertrag. „Aus den Biogas-Erträgen hat man eine Methanausbeute von ca. 50 bis 60 Prozent“, erklärt Sabrina Obermeier. Dann geht es weiter mit der Substrataufbereitung. Die Bauteile einer Biogasanlage erklärt Matthias Feigl. „Was könnte das sein“, fragt der 25-jährige Student und zeigt mit dem Laserpointer auf ein grünes Quadrat in der Skizze, die er an die Wand projiziert hat. „Das Feld“, kommt es auch schon zurück. Das war noch einfach. Doch die Schülerinnen haben es drauf, hören aufmerksam den Ausführungen zu. Als Matthias Feigl eine Rechenaufgabe ankündigt, kommt Bewegung in die Klasse. „Einen Taschenrechner brauchen wir auch“, sagt er. Erneutes Kramen in den Taschen, während der Student die Aufgabe an die Wand projiziert. „Oh mein Gott“, entfährt es einer Schülerin. Die Aufgabe sieht wirklich kompliziert aus – vor allem aus der Sicht der Journalistin, deren letzter Mathe-Unter- richt Jahrzehnte zurückliegt. Bei den Schülerinnen legt sich der erste Schock. „Eine Mitschülerin erhält folgende Substratmengen für ihre Biogasanlage“, heißt es in der Aufgabe. Dann werden drei Substratarten aufgeführt und eine Formel sowie Angaben zum Heizwert, Methangehalt und elektrischen bzw. thermischen Wirkungsgrad gemacht. Gesucht ist der Biogasertrag pro Stunde. Die Schülerinnen stürzen sich in ihre Berechnungen. „Man muss auf die Einheiten achten“, empfiehlt Matthias Feigl lächelnd. „Nicht alle sind gleich.“ Ein Stöhnen ist zu hören. Der Student rechnet an der Tafel mit, einzelne Schülerinnen nennen ihre Zwischenergebnisse. Am Ende nennt eine Schülerin das Ergebnis – es ist richtig! Sonja Forstner fragt nach, ob auch jeder weiß, wie man auf dieses Ergebnis kommt. Man merkt: Die drei Studenten haben ihren Unter- richt gut vorbereitet. Auch das Wissensniveau der Schülerinnen haben sie richtig eingeschätzt. Nach einem Abschlussrätsel, in dem Begriffe abgefragt werden, bekommen die drei schnellsten Schülerinnen Gummibärli zur Belohnung. Dann folgt ein Austausch von kleinen Geschenken: Die Schülerinnen erhalten Leinentaschen des Kompetenzzentrums Straubing, der Lehrer eine Flasche Obstler, die Studenten Honig. Dann wird Bilanz gezogen. Wie hat sich die Klasse geschlagen? Haben sie es gut gemacht? „Schon“, sagt Lehrer Alexander Hutterer nicht ohne Stolz. „Es war ja nicht ganz einfach. Aber meine Techniker sind natürlich interessiert.“ Auch ihm hat es gut gefallen. „Es hat vom Thema her gut gepasst“, denn der durchgenommene Stoff sei auch prüfungsrelevant. Fazit: „Besser als jedes Referat“ Die drei „Aushilfslehrer“ sind ebenfalls zufrieden. „Die Mädels waren echt super“, sagt Sonja Forstner. Sie hatte auch am Unterrichten Spaß: „Das war besser als jedes Referat.“ Alles ging glatt, auch die Aufgaben wurden von den Schülerinnen gelöst. Das hat Sabrina Obermeier beeindruckt: „Ich habe das Bilderrätsel an meinem Freund und meinen Eltern getestet – die haben es nicht so schnell gewusst!“ Auch ihr Hochschuldozent hat nichts auszusetzen: „Sie haben sich gut eingestellt auf die Schülerinnen“, meint auch Joseph Emich Rasch. „Ich bin sehr zufrieden, sie haben es sehr gut gemacht.“ Wichtig ist für ihn, dass die studentischen Experten ihr Fachwissen verständlich vermitteln. „Im Elfenbeinturm zu sitzen, hilft uns hier nicht.“ Und die Schülerinnen? Fanden es auch gut. Eva und Stefanie, beide 15 Jahre alt, interessieren sich für Technik. Stefanie fand das Bilderrätsel am lustigsten, Eva fand es interessant, wie viel Masse für die Biogasanlagen verwendet wird. „Dass es soviel ist, habe ich noch nicht gewusst.“ Manches haben sie schon im Unterricht durchgenommen. Eva ist sich sicher: Sie will nach der Realschule auf die FOS gehen. „Aber wohin es mich dann verschlägt, weiß ich noch nicht.“ Franziska Meinhardt Infos (etwa über den Studiengang „Nachwachsende Rohstoffe“): Website des Wissenschaftszentrums www.wzstraubing.de. Lernstoff zum Anfassen: Schülerinnen mit Hackschnitzeln. Schülern Wissen über NawaRo vermitteln (v.l.): Das war die Seminaraufgabe der vier Studenten Edward Tudose (der im Seminar die Pressearbeit übernahm), Matthias Feigl, Sabrina Obermeier und Sonja Forstner. „Echt super“ fand Studentin Sonja Forstner die Mitarbeit der Schülerinnen. Lehrbeauftragter Joseph-Emich Rasch behält aus der hinters- Kleiner Dank: Einen von der TUM selbst hergestellten Obstler ten Reihe seine Studenten im Auge. bekommt Physiklehrer Alexander Hutterer (r.) geschenkt. Zum Schluss ein Rätsel: Wer aufgepasst hat, konnte es lösen.
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