Reiss Profile: Lebensmotive sicht- und nutzbar machen

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Strategie & Management
Management-Tools, Teil 2 / 5
Reiss Profile: Lebensmotive sichtund nutzbar machen
Wer die individuellen Motivstrukturen von Führungskräften und Mitarbeitern kennt und
berücksichtigt, kann auch eine dauerhafte Steigerung der Motivation und somit des Unternehmenserfolgs erreichen. Die Motivationstheorie des Psychologie-Professors Steven Reiss
ist ein hilfreiches Werkzeug, um die unterschiedlichen Antreiber zu ermitteln.
››Sonja Wittig, Frauke Ion und Markus Brand
Warum ist der eine Mitarbeiter ein extravertierter Teamplayer, während der andere sich eher introvertiert und alleine
«im stillen Kämmerlein» mit der Lösung
von Aufgaben beschäftigt? Warum hat
der eine das Bedürfnis nach Familie, Anerkennung und Geselligkeit, während der
andere eher nach Unabhängigkeit, Macht
und Status strebt? Die Antwort darauf ist
einfach und doch so kompliziert: Menschen sind facettenreich. Ein Fakt, der für
Unternehmen Chance und Herausforderung zugleich ist. Denn so facettenreich
wie Mitarbeiter sind, so individuell wollen sie auch gefordert, gefördert und geführt werden.
Verhalten und Wirkung
Eine leicht verständliche Metapher macht
die verschiedenen Facetten der menschlichen Persönlichkeit deutlich: Stellen
Sie sich die menschliche Persönlichkeit
wie eine aufgeschnittene Zwiebel vor
(siehe dazu Abbildung 1). Die äusserste
Schicht ist unsere von aussen beobachtbare Wirkung. Darunter folgt die Schicht
unseres Verhaltens. Noch tiefer in unserer Persönlichkeit verwurzelt sind unsere
Werte, Glaubenssätze und Überzeugun-
KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
gen, die uns selbst und die Welt betreffen.
Den «Kern» der Persönlichkeit machen
unsere Lebensmotive, unsere innersten
Antreiber aus.
! ››
kurz & bündig
Es gibt 16 Lebensmotive im Kern
jeder Persönlichkeit, welche die
Glaubenssätze und Einstellungen
bestimmen und damit wiederum
Einfluss darauf haben, wie wir die
Welt sehen und uns verhalten.
Eine Kenntnis der unterschiedlichen Beweggründe, der Motive
erleichtert nicht nur die Kommunikation und die Zusammenarbeit zwischen den Führungskräften und ihren Mitarbeitenden,
sondern hilft auch, Positionen
und Aufgaben stärken- und bedürfnisorientiert zuzuteilen.
Individuelle Motivstrukturen benötigen einen motivorientierten
Führungsstil. Der positive Effekt:
Die motivierten Mitarbeitenden
sind zufriedener und leistungsfähiger sowie effektiver.
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Diese Schichten beeinflussen sich von
innen nach aussen: Unsere Lebensmotive
bestimmen unsere Glaubenssätze, die
wiederum unser Verhalten beeinflussen.
Und das bestimmt letztlich unsere Wirkung nach aussen. Diese Kausalität kann
eine gewinnbringende Erkenntnis für
KMU sein. Denn wenn sie es schaffen, die
Bedürfnisse, Werte sowie die «typischen»
Verhaltens- und Wirkungsweisen ihrer
Mitarbeiter zu erkennen und zu nutzen,
können sie das Unternehmen gemeinsam
erfolgreicher machen.
Die Motive
Woran liegt es, dass einer Ihrer Mitarbeiter die Kunden vor allem durch sein ausgeprägtes Fachwissen überzeugen kann,
während der andere schnell eine persönliche Kundenbeziehung aufbaut und erster Ansprechpartner für viele Stammkunden ist? Was treibt einen Mitarbeiter an,
seinen Schreibtisch stets penibel aufgeräumt und sortiert zu halten, während
sein Kollege am liebsten im kreativen
Chaos Optimierungsvorschläge für die
Logistikabläufe erarbeitet? Warum fällt es
einigen so leicht, ihre Ziele zu erreichen,
während andere schwer dafür arbeiten
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Abb. 1: Die Facetten der menschlichen Persönlichkeit
Wirkung / Wahrnehmung
Verhaltenspräferenzen
Werte
Motive
Quelle: Institut für Persönlichkeit
müssen? Der Unterschied zwischen intrinsischer Motivation und expliziten Zielen kann dies erklären. Was uns motiviert,
ist uns in der Regel nicht bewusst. Diese
intrinsische Motivation wird durch das individuelle genetische Erbe sowie Erfahrungen in der Kindheit geprägt.
Unsere Ziele hingegen sind uns meist bewusst. Was wir erreichen wollen, wird
durch sozialen Einfluss geprägt, denn
Ziele sind das Ergebnis unserer eigenen
Erwartungen und der Erwartungen anderer. Dieser Wille zur Zielerreichung
wird Volition genannt.
Schwierig wird es, wenn die Motivation
und die Volition nicht übereinstimmen.
Denken Sie beispielsweise an einen Vertriebsmitarbeiter mit gering ausgepräg-
tem Beziehungsmotiv (Motivation). Ihm
fällt es schwer, Kontakte mit anderen zu
knüpfen, obwohl seine Aufgabe gerade
darin besteht, den Kundenstamm seiner
Firma zu halten und neue Kunden zu gewinnen (Volition). Seine inneren Motive
und seine expliziten Ziele passen nicht
zueinander. Somit kostet es ihn viel Energie, die gesetzten Ziele zu erreichen, da
er nicht im Einklang mit seiner Motivation und somit seinen inneren Energielieferanten handelt.
Beachten Sie als Inhaber oder Geschäftsführer daher immer: Jeder Mitarbeiter
hat individuelle Motive und Bedürfnisse,
die bestimmen, was er mag oder eher als
demotivierend empfindet. Eine Kenntnis
dieser unterschiedlichen Beweggründe
erleichtert nicht nur die Kommunikation
und die Zusammenarbeit zwischen Führungskräften und Mitarbeitern, sondern
hilft auch, Positionen und Aufgaben stärken- und bedürfnisorientiert zuzuteilen.
Die Motivationstheorie
Wie kann man die unterschiedlichen Antreiber seiner Mitarbeiter und Kollegen
ermitteln? Die Motivationstheorie von
KMU-Magazin Nr. 1/2, Januar / Februar 2016
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Steven Reiss, Professor für Psychologie
und Psychiatrie an der Ohio State University, bietet dazu den passenden Ansatz. In
einigen grossen internationalen Studien
fand er heraus, dass es insgesamt 16 verschiedene Lebensmotive gibt, die einen
Menschen antreiben können: Macht, Unabhängigkeit, Neugier, Anerkennung,
Ordnung, Sammeln / Sparen, Ehre, Beziehungen, Idealismus, Familie, Status,
Rache / Kampf, Essen, Eros, Körperliche
Aktivität und Emotionale Ruhe. Diese Le-
bensmotive sind tief im Kern der Persönlichkeit verwurzelt, bestimmen unsere
Glaubenssätze und Einstellungen und haben damit wiederum Einfluss darauf, wie
wir die Welt sehen und uns verhalten.
Um die Ausprägungen der 16 Lebensmotive eines Menschen sichtbar zu machen, entwickelte Steven Reiss einen wissenschaftlichen Fragebogen: das «ReissProfile». Es analysiert die persönliche Antriebs- und Motivationsstruktur eines
Abb. 2: Antriebs- und Motivationsstruktur nach Reiss
niedrig
Durchschnitt
Macht
hoch
Menschen und bildet sie anhand eines
Balkendiagramms ab (siehe Abb. 2). Die
einzelnen Balken zeigen die Ausprägungen der Lebensmotive von sehr niedrig
(roter Balken, stark nach links ausgeprägt), neutral (gelber Balken, nur wenig
nach links oder rechts ausgeprägt) oder
hoch (grüner Balken, stark nach rechts
ausgeprägt).
Diese Motivstruktur ist bei jedem Menschen einmalig. Es sind über sechs Milliarden verschiedene Motivkonstellationen möglich. Das Reiss-Profile gibt somit
Auskunft über die individuellen, intrinsischen (vom Innersten des Menschen her
kommenden) «Endzwecke», nach denen
wir alle im Leben streben.
1.00
Motivorientiert führen
Unabhängigkeit
-1.50
Neugier
- 0.50
Anerkennung
1.00
Ordnung
- 0.50
Sparen / Sammeln
-1.20
Ehre
-1.70
››Was machen Sie an einem idealen
Idealismus
0.60
Beziehung
1.40
Familie
- 0.40
0.60
Rache / Kampf
1.20
Eros
0.40
Essen
0.50
Körperliche Aktivität
1.10
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-1.40
Arbeitstag?
››Welche Tätigkeiten machen Ihnen
wirklich Spass?
Wie wichtig ist Ihnen ein grosser
Entscheidungsspielraum?
Wie motivierend ist es für Sie,
anderen zu helfen?
››
››
Status
Emotionale Ruhe
Individuelle Motivstrukturen benötigen
einen motivorientierten Führungsstil. Ein
motivierter Mitarbeiter ist nicht nur zufriedener, sondern auch leistungsfähiger
und effektiver. Selbst wenn Führungskräfte das Reiss Profile ihrer Mitarbeiter
nicht durch die wissenschaftliche Auswertung kennen, können sie durch gezieltes Fragen an die Antreiber ihrer Mitarbeiter herankommen:
Darüber hinaus können Führungskräfte
die Handlungsmuster ihrer Teammitglieder beobachten:
››Auf welche Art und Weise und wie oft
spricht der Mitarbeiter über bestimmte
Themen (Team, Familie, Erfolge, Vergleiche zu anderen Menschen, Statussymbole, sportliche Aktivitäten usw.)?
Wie exakt ist er in seiner Arbeit?
Führt er einen Kalender?
Wie sieht sein Arbeitsplatz aus?
››
››
››
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››Verhält er sich eher zurückhaltend oder
ist er einer der Wortführer?
››Wie reagiert er auf Kritik und Lob?
Wenn sie die Antworten auf diese Fragen
kennen und eine fundierte Einschätzung
der Lebensmotivausprägung vorgenommen haben, können Führungskräfte gezielt auf der Kommunikations- und Handlungsebene motivieren: Mitarbeiter mit
einem hoch ausgeprägten Neugiermotiv
zum Beispiel, indem sie sie intellektuell
fordern und beispielsweise damit beauftragen, Neuerscheinungen zu lesen und
Kollegen vorzustellen. Ein Mitarbeiter mit
einem hoch ausgeprägten Beziehungsmotiv sollte ausreichend Möglichkeit zur
Teamarbeit bekommen, wohingegen ein
Mitarbeiter mit einem hoch ausgeprägten
Anerkennungsmotiv tendenziell stärker
durch Lob motiviert wird.
Fazit
Für die Zusammenarbeit und auch die
Führung in KMU gilt: Gleichbehandlung
ist nicht gleiche Behandlung. Nur wenn
die individuellen Motivstrukturen von
Führungskräften und Mitarbeitern berücksichtigt werden, kann eine dauerhafte Steigerung der Motivation und somit des Unternehmenserfolgs erreicht
werden. Das Reiss Profile bietet eine «Anleitung» für den motivorientierten Umgang mit Mitarbeitern.
Auf der Webseite: www.institut-fuer-persoenlichkeit.de findet sich ein E-Book
über das Reiss Profile zum kostenlosen
Download sowie ein kurzer Einschätzungsbogen. Natürlich ist dieser nicht mit
der wissenschaftlich fundierten Analy­
semethode des Reiss Profile zu vergleichen. Dennoch bietet er eine gute Basis
für die Einschätzung der individuellen
Motivausprägungen im Unternehmen.
Im nächsten Teil («KMU-Magazin»-Ausgabe 2 / 2016) befassen sich die Autoren
mit der zweiten und dritten «Zwiebelschicht» der menschlichen Persönlichkeit: die individuellen Werte und Verhaltenspräferenzen. «
Literatur
Handbuch der Persönlichkeitsanalysen
Die führenden Tools im Überblick
Markus Brand, Frauke Ion, Sonja Wittig (Hrsg.)
Gabal Verlag, Offenbach
560 Seiten, CHF 73.10 / € (D) 59,90
ISBN: 978-3-86936-634-0
Porträt
Sonja Wittig
Trainerin, Coach
Sonja Wittig ist als Trainerin, systemischer Coach und
Teamentwicklerin für den Einsatz mehrerer diagnostischer Instrumente auf Motiv-, Werte-, Verhaltensstil- und
Wirkungsebene zertifiziert. Mit ihrem persönlichkeitsorientierten Ansatz unterstützt sie als Mitinhaberin des «Ins­
titut für Persönlichkeit» in Köln Einzelpersonen, Teams und Organisationen dabei, eine gesteigerte Zufriedenheit und Leistung zu erreichen.
Frauke Ion
Trainerin, Coach
Frauke Ion ist Expertin für Perspektivenwechsel, Trainerin, Business Coach, Speaker und Autorin. Seit 2005 leitet sie ihr eigenes Unternehmen «ion international» und
ist Mitinhaberin des «Institut für Persönlichkeit». Sie
selbst ist ausgebildet für den Einsatz mehrerer Diagnostik­
instrumente auf Motiv-, Werte-, Verhaltensstil- und Wirkungsebene und bildet
interessierte Trainer und Coaches für die S.C.I.L. Performance Strategie aus.
Markus Brand
Trainer, Coach
Markus Brand ist als Diplom-Psychologe ein renommierter
Managementtrainer, Coach und Autor mit Schwerpunkt
auf der Persönlichkeits- und Führungskräfteentwicklung.
Seit 2006 leitet er das «Institut für Persönlichkeit», das als
Trainings- und Coachinginstitut diagnostikbasierte Persönlichkeitsentwicklung anbietet. Er zertifiziert interessierte Trainer und Coaches
für das Reiss Profile sowie 9 Levels of Value Systems.
Kontakt
[email protected], www.institut-fuer-persoenlichkeit.de
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