"Die Himmelsleiter" Predigt von Pfrn. Caroline Schröder

"Die Himmelsleiter"
Predigt von Pfrn. Caroline Schröder Field zu 1 Mose 28,10-15
Sonntag Trinitatis - 31. Mai 2015
Konfirmation
Basler Münster
"Jakob aber zog weg von Beer-Scheba und ging nach Charan. Und er gelangte an einen
Ort und blieb dort über Nacht, denn die Sonne war untergegangen. Und er nahm einen
von den Steinen des Ortes, legte ihn unter seinen Kopf, und an jener Stelle legte er sich
schlafen. Da hatte er einen Traum: Sieh, da stand eine Treppe auf der Erde, und ihre
Spitze reichte bis an den Himmel. Und sieh, Boten Gottes stiegen auf ihr hinan und
herab. Und sieh, der HERR stand vor ihm und sprach: Ich bin der HERR, der Gott deines
Vaters Abraham und der Gott Isaaks. Das Land, auf dem du liegst, dir und deinen
Nachkommen will ich es geben. Und deine Nachkommen werden sein wie der Staub der
Erde, und du wirst dich ausbreiten nach Westen und Osten, nach Norden und Süden, und
durch dich und deine Nachkommen werden Segen erlangen alle Sippen der Erde. Und
sieh, ich bin mit dir und behüte dich, wohin du auch gehst, und ich werde dich in dieses
Land zurückbringen. Denn ich verlasse dich nicht, bis ich getan, was ich dir gesagt habe."
Liebe Konfirmandinnen und Konfirmanden,
Jakob. Ein junger Mann auf der Flucht vor seinem Bruder. Er hatte ihn um den
väterlichen Segen betrogen, ihr erinnert Euch: Oberdiegten. Präparandenwochenende,
Herbst 2013. Da haben wir uns diese Geschichte erarbeitet.
Weit weg von zu Hause ist Jakob nun. Es wird Nacht. Er legt sich schlafen. Er träumt. Er
sieht eine Leiter, die bis in den Himmel reicht. Auf der Leiter bewegen sich Engel. Und
dann spricht Gott zu ihm, zum allerersten Mal. Das macht ihn stark, seinen Weg
weiterzugehen. Und Jakobs Weg ist weit. So weit und verschlungen, wie ein
Menschenleben.
Nehmt doch einmal die Himmelsleiter aus Jakobs Traum. Stellt euch vor, sie habe zwölf
Sprossen. Jede Sprosse ist ein Bibelwort. Die erste Sprosse ist noch recht gut zu
erreichen. Sie ist dem Boden am nächsten. Eine Einladung, den Weg des Lebens unter
die Füsse zu nehmen. Eric, das Wort aus dem 2. Samuelbuch gehört dir: "Gott stärkt
mich mit Kraft und weist mir den richtigen Weg." (2 Samuel 22,33)
Der Weg ist euer Leben. Für jede und jeden von Euch hält das Leben anderes bereit.
Manches davon liegt in eurer Hand. Sehr viel davon verdankt ihr anderen Menschen.
Alles kommt letztlich von Gott her: das Selbsterleistete, auf das ihr stolz seid, und das
Geschenkte, das euch glücklich macht. Gott möge euch stärken und euch den Weg
weisen!
Konfirmation, lateinisch confirmare: bekräftigen, befestigen. Heute, an eurer
Konfirmation könnt ihr nachholen, was ihr bei eurer Taufe noch nicht tun konntet: ihr
habt die Gelegenheit, aus eigener Kraft Ja zu sagen zu Gott. Wie ihr heute den Glauben
an Gott bekräftigt? Indem ihr hier seid. Vollzählig, pünktlich, angezogen wie Menschen,
endlich erwachsen sein wollen. Bereit, Verantwortung zu übernehmen. Allein dadurch
erkennt ihr die Würde dieses Gottesdienstes an. Heute steht ihr zu dem, was in der
Kirche
Sonntag
für
Sonntag
geschieht.
Nicht
etwa,
weil
ihre
Eure
Gottesdienstbesuchspässe abgeliefert habt. Nicht weil ihr mit allem einverstanden seid.
Nicht weil ihr lange Predigten liebt. Sondern einfach, weil ihr heute hier seid. Ihr
bekräftigt den Glauben eurer Eltern und Grosseltern, ja, ihr bekräftigt den Glauben dieser
Gemeinde mit eurer Jugend. Zu eurer Jugend gehören eure kritischen Fragen, eure
Zweifel, euer Sinn für Gerechtigkeit, eure Rebellion gegen Regeln und Grenzen und die
Entdeckung eigener Stärke.
Das alles ist nicht immer gewünscht. Doch würde man es in der Kirche nicht willkommen
heissen, wäre es, als würde man einem jungen Adler die Flügel stutzen. Den Glauben an
Gott zu bekräftigen heisst nicht, zu allem Ja und Amen sagen. Den Glauben an Gott
bekräftigen heisst, sich in seinen kritischen Fragen, in seinem Zweifel, in seinem Sinn für
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Gerechtigkeit, in seiner Rebellion und in der eigenen Stärke beharrlich auf Gott hin
ausrichten. Ohne die Beharrlichkeit, die immer wieder "dennoch", "trotz allem" an Gott
glaubt, würde unser Glaube in dieser Welt kaum drei Tage alt werden. "Die aber, die
auf den HERRN harren, kriegen neue Kraft, dass sie auffahren mit Flügeln wie
Adler." (Jesaja 40,31). Jason, das ist dein Wort. Wir haben die zweite Sprosse
erreicht. Von hier aus sind die nächsten drei Sprossen der Himmelsleiter schnell
genommen.
Die nächsten drei Bibelworte bestärken euch in euer Hoffnung, dem Leben gewachsen zu
sein. Ihr wisst längst, dass das Leben nicht nur schöne Überraschungen bereit hält,
sondern auch Enttäuschungen und Verluste. Deine Wahl, Donald, ist auf ein Psalmwort
gefallen: "Mit dir zerschlage ich Kriegsvolk und mit meinem Gott kann ich über
Mauern springen." (Psalm 18,30) Jemand aus deiner Gruppe schrieb dir dazu:
"Mögen diese Mauern niedrig sein!" Und: "Ich wünsche dir, dass du kein Kriegsvolk
zerschlagen musst." Zu deinem Spruch, Lucien: "Ich vermag alles durch den, der
mich mächtig macht" (Philipper 4,13), hat ein Kollege geschrieben: "Sei du diese
Person!"
Es ist ein sehr ehrlicher Kommentar und ein sehr jugendlicher. Denn es ist das Privileg
der Jugend, viel von sich zu halten. Es ist die Sehnsucht der Jugend, an sich selbst zu
glauben. An die eigenen Fähigkeiten. An die eigene Kraft. "Alle Dinge sind möglich
dem, der da glaubt." (Markus 9, 23) Von diesem Jesuswort hast du dich ansprechen
lassen, Kaspar. Über Mauern springen, egal wie hoch sie sind. Oder nur niedrigen Mauern
begegnen, die sich leicht überhüpfen lassen. Ihr träumt davon, dem Leben gewachsen zu
sein. Wie ist das möglich? Woher nehmt ihr die Kraft?
"Ich vermag alles durch den, der mich mächtig macht." Damit ist Christus gemeint. Auf
ihn richtete sich der Apostel Paulus aus seit jenem Tage, als er vor den Toren der
syrischen Stadt Damaskus ein besonders erschütterndes Erlebnis hatte. Von nun an setzt
er nicht mehr auf eigene Stärke, ja, er kann es sogar ertragen, dass er manchmal sehr
schwach ist. Denn dann spürt er umso deutlicher: "Gottes Kraft ist in den Schwachen
mächtig." (2 Korinther 12,9)
Christliches Leben zeichnet sich nicht dadurch aus, dass einer alles kann. Es zeichnet sich
dadurch aus, dass es die eigene Stärke von Christus her nimmt, der sich konsequent den
Schwachen zugewandt hat. Seine Stärke zeigte sich darin, dass er das, woran er glaubte,
nicht mit Gewalt erzwang. "Mein Reich ist nicht von dieser Welt" (Johannes 18,36), sagt
er und begab sich an den Tiefpunkt menschlicher Ohnmacht: an das Kreuz, das ihm die
römische Besatzungsmacht antat. Auf einem Menschen, der die Schmach einer
Hinrichtung erlitten hat, beruht unser ganzer christlicher Glaube. Wir denken anders über
unser Starksein, wenn wir von Christus her denken. Macht uns diese Sprosse der
Himmelsleiter Mühe? Gewiss. Sie führt jedenfalls geradewegs zur nächsten Sprosse.
Jesu gewaltfreies Beispiel veranlasst Paulus zu folgender Bitte: "Lass dich nicht vom
Bösen überwinden, sondern überwinde das Böse mit Gutem." (Römer 12,21) Die
sechste Sprosse der Himmelsleiter ist Euer Wort, Oliver und Annick. Weil ihr euch eine
Sprosse teilt, sind auf unserer imaginären Himmelsleiter nur zwölf Sprossen, nicht
dreizehn, obwohl ihr ja dreizehn seid. Irgendwie erinnert mich das an "Jim Knopf und die
Wilde Dreizehn" - aber das ist eine andere Geschichte, und sie soll heute nicht mehr
erzählt werden.
Euer Wort, Annik, Oliver, durchbricht die Dynamik der Gewalt. Das ist in unserer
heutigen Welt nötiger denn je. Denn unter dem Eindruck der Gewalt drängt sich anderes
auf: zum Beispiel Böses mit Bösem vergelten. Oder böse werden, weil einem Böses
widerfährt. Das Böse mit Gutem überwinden - wer traut sich das zu? Was könnten wir
gewinnen, wenn wir ernst damit machten? Euer Wort ist ein zutiefst ethisches Wort, und
es ist doch kein Imperativ, der uns klein macht: "Du sollst, du musst." Es ist eine Bitte:
Bitte, lass dich nicht vom Bösen überwinden, überwinde das Böse mit Gutem.
Der Glaube an Gott ist wie ein Schutzraum, der dich umfängt, wenn du es wagst, aus der
Spirale der Gewalt auszusteigen. Diesen Schutzraum betrittst du, Konstantin, wenn du
dich auf das Psalmwort einlässt: "Auf Gott hoffe ich und fürchte mich nicht; was
können mir Menschen tun?" (Psalm 56, 12) Und du, Laurent, leistest Konstantin
Gesellschaft, indem du mit Paulus sprichst: "Ist Gott für uns, wer kann wider uns
sein?" (Römer 8,31) Mit dieser Haltung seid ihr bestens gerüstet für die grösste
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Leistung menschlicher Kreativität: nämlich Böses mit Gutem zu überwinden. Und
niemand anders hat uns diese Kreativität gelehrt als Gott selbst, indem er Christus auf
diese Erde sandte. Er ging am Kreuz zugrunde: also an der Brutalität, zu der Menschen
bis heute fähig sind! Seine Liebe jedoch ging nicht daran zu Grunde, und darum lebt er
fort nach Gottes heiligem Willen in allen, die der Gewalt entsagen und Böses mit Gutem
überwinden.
Darum, weil Gewalt so allgegenwärtig ist und so sehr nach unserem Herzen greift,
darum, weil es so schwer ist, Böses mit Gutem zu überwinden, darum weil es so nötig
ist, genau das immer wieder zu versuchen, darum ist Liebe nicht ein sentimentales
Gefühl, das kommt und geht, sobald der Zauber des Verliebtseins verblasst. "Alle eure
Dinge lasst in der Liebe geschehen!" ( 1 Korinther 16,14) Auf Sprosse neun haben
wir die Liebe erreicht. Und wieder ist es der Apostel Paulus, der da spricht. Magali, du
hast dich von diesem Wort ansprechen lässt. Es steht nicht weit entfernt von dem
berühmten Hohenlied der Liebe, 1 Korinther 13, Trautext für unzählige Paare. Daraus nur
ein Satz: "Wenn ich alle meine Habe den Armen gäbe und liesse meinen Leib verbrennen
und hätte die Liebe nicht, so wäre es mir nichts nütze." Am bekanntesten ist aber der
Schluss. Den hat sich Max ausgesucht: "Nun aber bleiben Glaube, Hoffnung, Liebe,
diese drei; aber die Liebe ist die grösste unter ihnen." (1 Korinther 13,13)
Warum ist die Liebe so gross? Und warum geht sie Seite an Seite mit Glaube und
Hoffnung? Glaube, Hoffnung und Liebe lehren uns die Welt zu sehen, wie Gott sie sieht.
"Ein Mensch sieht, was vor Augen ist; der HERR aber sieht das Herz an." (1
Samuel 16,7) Benjamin, dein Spruch. Wenn Menschen glauben, wenn Menschen hoffen,
wenn Menschen lieben, bewegt sich Gott auf sie zu. Glaube, Hoffnung und Liebe
durchstossen die Oberfläche des Scheins, sehen hinter die Kulissen, hinter die Masken
und durchschauen das Versteckspiel, in das sich Menschen verrennen, wenn sie stark
sein wollen und nur stark. Glaube, Hoffnung und Liebe sehen den Menschen, wie er
wirklich ist und nehmen ihn trotzdem an. Dennoch. Trotz NS-Grauen und IS-Terror
stehen sie zum Menschen, indem sie mehr für ihn erhoffen, als vor Augen liegt.
Vor seinem Tod, als Jesus Abschied nahm von seinen Jüngern, da hat er ihre Traurigkeit
erkannt. Er wusste, was sie jetzt sehen, das ist nur die Oberfläche. An der Oberfläche
entstehen Angst und Traurigkeit. Die Jünger konnten nicht verstehen, dass Jesu Tod
unabwendbar war. Sie hätten ihn gerne in einer anderen Position gesehen als in der
Position totaler Ohnmacht. Und irgendwie ist es bis heute so. Die, die wir lieben, sehen
wir nicht gerne wehrlos, machtlos und dem Leben unterlegen. Eure Eltern wünschen
euch, was ihr einander wünscht: dass ihr glücklich werdet. Dass ihr gesund bleibt. Dass
ihr mit euren Lebensentwürfen Erfolg habt. Dass das Leben weitergeht, wie ihr es kennt,
nicht, wie ihr es fürchtet. Diese Konfirmation ist eine Etappe auf eurem Weg. Sie kann
spurlos vorübergehen, wenn sie nichts zu der Traurigkeit zu sagen weiss, die vielleicht
auch einmal da sein wird.
Was, wenn dem Adler einmal keine Flügel mehr wachsen oder wenn die Mauern wirklich
zu hoch sind? Dann wünsche ich Euch eines: kehrt zu diesem Traum zurück. Zu Jakobs
Traum. Seine Traumleiter führt von der Erde in den Himmel. Es gibt, verborgen hinter
der Wolke unseres Nichtwissens, einen Ort, wo sich alle Traurigkeit in Freude verwandelt.
Die letzte Sprosse der Himmelsleiter, die zwölfte, ist bereits in den Wolken. Auf ihr ist
das hoffnungsvollste Wort geschrieben, welches ihr euch ausgesucht habt. Eliane. Es ist
deines.
Es ist Jesu Abschiedswort an seine Jünger. Der Trost, mit dem er sie ihre Wege gehen
lässt:
"Euer Herz soll sich freuen, und eure Freude soll niemand von euch nehmen."
(Johannes 16,22) Und genauso soll es sein. Amen.
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