Im Gottesdienst vom 5. Juli 2015 im evangelischen Kirchgemeindehaus St. Georgen, St. Gallen, habe ich Gottlieb F. Höpli, der auch den Orgeldienst versah, dazu eingeladen, aus seiner Warte als Journalist und Medienkritiker den ersten Teil der Predigt zu halten. Gottlieb Höpli war Inlandredaktor der NZZ und von 1994 bis 2009 Chefredaktor des St. Galler Tagblatts. Pfr. Markus Unholz Zum Abschluss meiner Gottesdienstreihe „Joseph aus dem Alten Testament und wir“ predigten wir über Josephs Schlussbilanz beim Zusammentreffen mit seinen Brüdern: Josef (…) sprach zu ihnen: Fürchtet euch nicht! Bin ich denn an Gottes Statt? Ihr zwar habt Böses gegen mich geplant, Gott aber hat es zum Guten gewendet, um zu tun, was jetzt zutage liegt: ein so zahlreiches Volk am Leben zu erhalten. 1. Mose 50,19-20 Joseph – der erste Gut-Mensch der Geschichte (?) Predigtteil I, gehalten von Gottlieb F. Höpli, [email protected] Dieser Joseph – wow, was für eine bedeutende Figur! Ich weiss nicht, welchen Rang seine Geschichte nur schon bezüglich Länge einnimmt im Alten Testament. Auf jeden Fall rangiert er sicher in den Top Ten, gehört er zum Spitzenpersonal der Bibel. Ein richtiger Star – bis heute! Er ist die Titelfigur in Thomas Manns umfangreichstem und (wie manche sagen) bedeutendsten Werk, der Tetralogie "Joseph und seine Brüder." Die mit dem berühmten Satz beginnt "Tief ist der Brunnen der Vergangenheit." Und wie ein Star führt er sich auch in unserer Geschichte auf. Ich gestehe, ich finde das nicht überaus sympathisch. Bei jeder Gelegenheit streicht er seine Vorzugsstellung heraus, die er seinem angenehmen Äusseren und vor allem der demonstrativen Bevorzugung durch seinen Vater Jakob verdankt, was ja allen Geboten einer modernen Erziehung widerspricht. Auch wenn es sich bei ihm um einen Nachzügler handelt, die ja auch bei uns oft verwöhnt werden. Aber nicht genug damit: Er spielt seine Vorzugsstellung auch hemmungslos aus. Prahlt vor seinen Brüdern mit seinen Träumen, in denen sich alle Welt und sogar Sonne, Mond und Sterne vor ihm verneigen. Hinterbringt seinem Vater, wenn die Brüder mal wieder etwas angestellt haben. Wundert es da noch, wenn Josephs Brüder allmählich einen Riesen-Zorn auf den verzärtelten Schönling entwickeln? Liebe Gemeinde, Sie wissen und kennen es aus den vorausgegangenen Gottesdiensten, wie die Erzählung weitergeht: Joseph wird von seinen Brüdern in eine Zisterne geworfen und dann an eine Händler-Karawane verkauft, die auf dem Weg nach Ägypten ist. Die wiederum verkaufen ihn an den Höfling Potiphar. Und hier beginnt eine musterhafte Karriere in Ägypten, mit Rückschlägen zwar, nach denen es immer noch weiter aufwärts geht. Kein Manager könnte einen attraktiveren Lebenslauf verschicken, wenn er sich um eine neue Führungsposition bewirbt. Zum Schluss, und damit sind wir beim heutigen Teil der Erzählung angelangt, kommt es zu m Happy End. Die Brüder flunkern Joseph nach dem Tod ihres Vaters zum letzten Mal etwas vor, was ihn betrübt, und werfen sich vor ihm auf den Boden. Worauf er grossmütig sagt: "Ihr zwar habt Böses gegen mich geplant, Gott aber hat es zum Guten gewendet, um zu tun, was jetzt zutage liegt: ein so zahlreiches Volk am Leben zu erhalten." Wie verstehe ich diesen Text? Nun, die Brüder haben mit ihren bösen Gedanken und Taten ja unwissentlich die Glanzkarriere Josephs in Aegypten erst möglich gemacht. Hätten sie dies nicht getan, hätten sie in Ägypten kein Korn erhalten und wären im Lande Kanaan allesamt verhungert. Erst die Vorräte, die Joseph in den sieben fetten Jahren sammeln liess, war auch das Überleben seiner eigenen Familie gesichert. Josephs Güte und die bösen Taten der Brüder, nur sie beide haben dazu geführt, dass das Volk Gottes mit seinen zwölf Stämmen gross und grösser wurde, worüber wir dann in den folgenden Büchern Mose unterrichtet werden. Was sagt mir diese Geschichte? Gestatten Sie mir eine untheologisch laienhafte Erklärung. Ich denke, sie will uns zeigen, dass beide, Gut und Böse, ihren Platz in der Welt haben und erst zusammen den Schöpfungsplan verwirklichen. Gut und Böse sind kein Selbstzweck – auch das Gute ist kein Selbstzweck. Beide dienen, wie auch Joseph am Ende erkennt, einem höheren Zweck, nämlich der Erhaltung des Volkes Israel. Jenes Volkes, mit dem Gott noch so viel vorhat. Und was geht das alles uns Heutige an? Sehr viel: Ohne das Volk Israel und seine Überlieferung, also das Alte Testament, wüssten wir nicht von Gott. Aus ihm erst geht Christus, geht das Neue Testament hervor. Wären die zwölf Familien dieses kleinen halbnomadischen Volkes, das sich vor über 3000 Jahren in Palästina ansiedelte, wie so viele andere im tiefen Brunnen der Vergangenheit verschwunden, so würden wir ihren und unseren Gott, den Gott des Alten und des Neuen Testaments nicht kennen. Kehren wir jetzt zurück zu Joseph. Ich habe ihn, journalistisch überzeichnet, als vom Glück begünstigten eitlen Liebling seines Vater und der ägyptischen Machthaber bezeichnet. Gewiss, er hat ein gerade demonstrativ mustergültiges Leben geführt. Aber er tat dies mit einer Selbstgewissheit (und auch –zufriedenheit), die mir etwas unheimlich ist: Er wusste immer, was zu tun ist, und hatte auch immer Erfolg damit. Erfolg, Macht, Reichtum fielen ihm wie selbstverständlich zu. Keine Zweifel, was gut und was böse ist! Dazwischen gibt es nichts. Und klar: Joseph ist der Gute, die Anderen sind die Bösen. Dass die hässig werden können, wie das Schicksal den Einen so stark bevorzugt, das kann er nicht verstehen. M.a.W. Joseph ist für mich so etwas wie der erste Gut-Mensch der Geschichte. Wenn die Anderen seine moralischen und ethischen Standards nicht erreichen, zeigt er sogar starke Gefühle: er weint. Und ich frage mich: Ist das jetzt eine Anleitung zum guten Leben eines Christenmenschen? Ich habe da meine Zweifel. Mehr als eine Anleitung, im Reichtum und Erfolg seine Verantwortung für die Mitmenschen nicht zu vergessen, wie es etwa ein Rotary-Club tut, der gestern hier ein Jubiläum feierte, sehe ich darin nicht. Das Neue Testament, Christus ist ja dann viel strenger und predigt geradezu die Armut: Eher geht ein Kamel durchs Nadelöhr, als dass ein Reicher in den Himmel kommt. Ja, wenn wir dieses franziskanische Ideal auch nicht erreichen, ist es uns doch irgendwie sympathischer. Fast könnte man meinen, zur richtigen Verehrung gehöre ein Stück schlechten Gewissens… Aber das führte jetzt wieder zu ganz anderen Gedankengängen, die ich hier jetzt nicht ausführen kann. Denn ich wurde ja gefragt, was einem Medienmenschen wie mir zum guten Ende der Josephs-Geschichte einfällt. Wie kann aus Bösem Gutes entstehen auf dieser Welt? Nun, das geschieht immer wieder. Ganz besonders aber interessiert mich in diesem Zusammenhang die mediale Umwandlung des Bösen in Gutes. Das hatte schon in der antiken Tragödie einen Namen: die Katharsis, die Reinigung der Seele, die durch das Theater erschüttert werden, Furcht und Mitleid empfinden sollte und dann geläutert, als besserer Mensch in den Alltag zurückkehren sollte. Es gibt auch in den Medien eine Form der Katharsis. Die Darstellung von Angst und Schrecken, von Katastrophen und Tragödien soll den Geist des Lesers läutern, soll ihn zum Nachdenken über seine eigene Existenz bringen, die ja oft sehr viel behaglicher ist die in der Zeitung geschilderte. Sie alle wissen: Es ist kein liebliches Bild, das die Medien von der Welt verbreiten, und kein umfassend wahres. Neu ist, was anders ist, was abweicht, und deshalb sind gute Nachrichten selten interessante Nachrichten, sondern schlechte. "Good News are no News, only Bad News are News." Die sollen uns zum Nachdenken anregen, dass wir es nicht so weit kommen lassen, dass wir erkennen, wie und was auf der Welt besser sein könnte. Auch bei uns. Auch hier soll also aus Bösem Gutes entstehen. Ein Beispiel aus den letzten Jahren ist die Diskussion, ob Gewaltdarstellungen unsere Jugend einfach verrohe oder auch abschreckend wirken könne. "Wo bleibt das Positive?" ist eine Frage, mit der wir Journalisten immer wieder konfrontiert werden. Eine erste Antwort ist eine ganz praktische: Es gibt nun einmal mehr gute oder doch durchschnittliche Ernten als katastrophale Missernten. Und über letztere zu berichten ist auch aus ökonomischen Gründen wichtiger, weil sie weiter reichende Folgen haben können. Und über sämtliche Flugzeuge zu berichten, die pannenfrei ankommen, ist nicht von Interesse. Wohl aber über den seltenen Absturz, über alle Arten von Katastrophen und Explosionen, weil davon sehr viele Menschen betroffen sein können. Und so sind die Medien voll von Negativmeldungen, die nicht nur die Neugier befriedigen – das auch -, sondern auch zu Massnahmen führen, Fehler im System zu beheben, Abläufe zu optimieren, Unfähige zu entfernen. Auch so kann aus Bösem Gutes entstehen. So steht hinter der vermeintlichen Gier der Medien nach Negativem, nach Bösem eben doch auch ein moralischer Anspruch. Damit wäre ich für heute am Ende meiner Überlegungen. Und bin mit Ihnen gespannt darauf, was Pfarrer Markus Unholz zu sagen hat! Predigt 1. Mose 50,19-20, Teil II: Wie Gott aus Bösem Gutes entstehen lässt Pfr. Markus Unholz, St. Gallen St. Georgen, 5. Juli 2015, [email protected], www.ref-sgc.ch Liebe Gemeinde Es kommt gut. Diesen Optimismus strahlt Joseph am Ende aus. Es kommt gut, wo Menschen sich verändern lassen. Wie Joseph – und seine Brüder. Und wir? Ein eitler Geck war Joseph in jungen Jahren. Er träumte davon, von seiner Familie angebetet zu werden, sah sich also beinahe Gott gleich. Nun ist aus ihm der erfolgreiche Verwalter Ägyptens geworden – und ein weiser Mann. Sinn erschliesst sich ihm: Das Böse, das ihm u.a. seine Brüder zugefügt hatten, hat Gott zum Guten gewendet. Folgerichtig verzichtet Joseph darauf, sich an seinen Brüdern zu rächen, obwohl er die Macht dazu hätte. „Bin ich denn an Gottes Statt?“, fragt er rhetorisch, geleitet von der Selbst- und Gotteserkenntnis, zu der er im Lauf der Zeit gefunden hat. Joseph hat sich dem Leben gestellt, so wie es ihm entgegengekommen ist. Von Gott spricht er nur wenige Male in der ganzen Geschichte. Unfromm muss er deswegen nicht gewesen sein. Es mag sich da vielmehr seine Demut zeigen. Demut bedeutet nicht: Mach dich klein. Sondern: Du brauchst Dich nicht grösser zu sein und mehr Zusammenhänge zu durchschauen, als es dir jetzt gegeben ist. Gerade dadurch schenkt dir Gott das Mass als Mensch. Dazu kann auch die heilsame Zurückhaltung im Urteilen gehören, ob etwas nun richtig oder falsch, gut oder böse sei, oder worin der Sinn liegt. Vielleicht erschliesst sich dieser erst mit der Zeit. Joseph tut angesichts der drohenden Hungersnot, was geboten und wozu er im Stande ist. Das ist Demut im Wortsinn: Mut zum Dienen; sich ermutigt wissen und willig sein, seinen Dienst zu tun. Wirklich gross wird Joseph jetzt, am Schluss, wo er zu Bescheidenheit und Selbstbeschränkung findet. Wenn jemand mit Grund Angst hat, so wie Josephs Brüder, und wir ihm grossherzig zusprechen können „Fürchte dich nicht! Bruchsch kei Angschd ha!“, dann sind wir selbst von Gottes Gnade beschenkt worden, und wir machen das eigentlich Selbstverständliche: Wir schenken sie weiter. Die Schlussbilanz von Joseph ist also theologisch gerade auch darin bedeutend, dass sie uns zu heilvoller Bescheidenheit führt. So – vielleicht nur so – lässt sich heute von Gott reden. Wie, wann und wo Gott in der Geschichte wirkt, das lässt sich nicht einfach aus der Geschichte selbst ableiten. So ist es in der Josephsgeschichte auch nicht der Erzähler, welcher aus übergeordneter Warte als Moral einen allgemeinen Lehrsatz formulieren würde, etwa „Gott wendet Böses zum Guten.“ Sondern der Erzähler lässt es Joseph subjektiv, persönlich und konkret als Wort an seine Brüder formulieren: „Ihr zwar habt Böses gegen mich geplant, Gott aber hat es zum Guten gewendet, um zu tun, was jetzt zutage liegt: ein so zahlreiches Volk am Leben zu erhalten.“ (1. Mose 50,20) Der Erzähler weiss also: Das ist keine allgemeingültige Wahrheit. Nur dem, der Böses selber erlebt, durchlitten, durchgestanden hat, steht es zu, so zu reden. Selbst die Bibel ist also vorsichtig, Gottes Wirken und Walten aus dem Gang der Welt abzuleiten. Wie viel vorsichtiger sollen wir dann sein! Wir können und sollen nicht die Stelle Gottes einnehmen, uns nicht über die Geschichte erheben und auch nicht urteilen: Hier wirkt Gott und dort nicht. Nur ein Betroffener selbst ist dazu berechtigt zu sagen: Gott hat es zum Guten gewendet. Aus dem Mund eines Menschen, der vom Leben durchgeschüttelt worden ist, erhält diese Aussage eindrückliche, berührende Kraft. Stellen Sie sich vor, die Brüder würden vorbringen: „Wir haben Böses gegen dich geplant, aber Gott hat es ja nun zum Guten gewendet.“ Das wäre ein Hohn. Damit würden sie sich billig aus ihrer Verantwortung stehlen. Auch wenn jemand als nicht direkt beteiligter Dritter eine solche Deutung vorbringt, kommt es überheblich daher. Es scheint mir anmassend, zu einem Leidenden zu sagen: „Deine schwere Krankheit, dein Unfall, das Schwere, was du familiär oder beruflich zu tragen hast, das hat schon seinen Sinn, und Gott wendet es zum Guten.“ Da ist es oft besser, beim Betroffenen auszuharren und zu schweigen – und, wenn es passt, ihn in die Arme zu nehmen! Es ist jedoch ein Geschenk, es ist Gnade, wo jemand, wie Joseph, sein Leben anschaut, auch mit dem Bösen, Schweren und Harten, und Gottes Wende zum Guten zu erkennen vermag. Dann kann ein Mensch zu jener Grösse finden, die wir bei Joseph sehen: Er muss sich nicht aufspielen als „Gutmensch“, als einer, der endlich recht bekommt und dies die anderen spüren lässt. Es ist genau umgekehrt: Er kann andere die Güte Gottes spüren lassen, die ihm selbst zuteil geworden ist. Von Dingen, die wir, bei aller Vorsicht der zur schnellen Etikettierung, zu der uns Gottlieb Höpli mahnt, als böse empfinden, leichthin zu sagen „Gott wird dann schon ein gutes Ende herbeiführen.“, das schiene mir vermessen. Als Christinnen und Christen kann uns der Apostel Paulus dabei mitnehmen, auf Jesus Christus zu schauen und uns in das Vertrauen einzuüben: Kinder Gottes sind wir. Und als solche auch Erben Gottes, Miterben Christi, sofern wir mit ihm leiden, um so auch mit ihm verherrlicht zu werden. (nach Römer 8,17) Amen. Wichtige Hinweise verdanke ich Konrad Schmid, Professor für Altes Testament, an der Universität Zürich.
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