TZ: Doppelmord weckt großes Interesse

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LEBEN & KULTUR
| DONNERSTAG, 25. FEBRUAR 2016
„Warum?“ – wollen die Leute wissen ...
Des Mörders Barthaar: Buchlesung zum Doppelmord bei Döbrichau riss viele, fast verheilte Wunden wieder auf
■ ■ LESERBRIEF
Pietät und
Feingefühl fehlten
TORGAU. Eine Besucherin (Name der
Redaktion bekannt) äußerte sich kritisch über die Veranstaltung in der
Stadtbibliothek. Hier ihre Zeilen:
Viele Besucher kamen in die Stadtbibliothek. Bild daneben: Verleger und Ex-Torgauer Frank Schumann sowie Kriminalkommissar Hartmut Zerche (r.). VON KRISTIN ENGEL
TORGAU. Es war eine Lesung, die bei vielen Leuten alte Wunden aufriss. Eine Lesung, bei der Wut und Trauer hoch kochten. Die Leute waren da, um Fragen zu
stellen, die zum Teil auch nicht oder nur
schwer beantwortet werden konnten.
„Warum?“ Mit diesem Wort begannen
fast alle diese Fragen, denen sich Kriminalkommissar Hartmut Zerche und der
Journalist und Verleger Frank Schumann
am Freitagabend in der Torgauer Stadtbibliothek stellen wollten. Mit dem Buch
„Des Mörders Baarthaar“ fassten sie einen Fall zusammen, der noch bis heute
nicht vollständig entwirrt werden konnte. Der große Durchbruch kam im November 2003.
Denn dann endlich wurde der Täter, der
im September 1994 in einem Wald bei
Torgau zwei junge Mädchen ermordete,
als Gerhard Denkewitz identifiziert. Zwei
Tage später fand man ihn tot in seiner
Zelle auf. Bis dahin wurden über 15 000
Speichelproben genommen, der größte
DNA-Massentest in der deutschen Kriminalgeschichte. Vier Menschenleben hatte Gerhard Denkewitz auf dem Gewissen. Darunter die beiden 17 und anderthalb Jahre alten Mädchen – Antje Köhler und Sandy Hofmann.
Doch die Lesung, in der viele Details bekannt gegeben wurden – nachzulesen im
Buch „Authentische Kriminalfälle – des
Mörders Barthaar“ – warf auch viele Fragen bei den Gästen auf.
Was geschah mit den Speichelproben?
„Was ist aus den Speichelproben und
Fingerabdrücken geworden, die man genommen hat?“, wollte ein Mann in den
vorderen Reihen wissen. „Es ist nicht
eine DNA von den ganzen Speichelproben mehr da. Alle Daten wurden vernich-
tet nachdem sie analysiert wurden. Alle
Speichelproben, die im Landeskriminalamt gelandet sind, waren anonymisiert. Kein Bürger stand mit seinem Namen auf dem Röhrchen. Das ist heute
noch so. Alle Daten gehen anonymisiert
an die Labore, sodass niemand von denen weiß, wer dahinter steckt. Nur der
Beamte, der die Speichelprobe entnimmt,
kann sagen, wer dahinter steckt“, erklärte Hartmut Zerche. Die Speichelproben
wurden damals von allen Bürgern im
Umkreis von 20 Kilometern entnommen.
Hartmut Zerche:
„Es ist nicht eine DNA mehr da.
Alle Daten wurden vernichtet.“
Das warf eine weitere Frage auf. „Hat
dieser Denkwitz in das Raster – 20 Kilometer Umkreis – reingepasst?“ Er passte
nicht hinein, bestätigte der Kriminalkommissar. „Er war im Raster Phase II. Er ist
in unsere Datenbank reingerutscht, die
wir von allen Straftätern erfasst hatten.
Die Personenbeschreibung, die wir hatten, das Alter, dass er brutal ist, psychopatisch veranlagt, und und und... diese
Punkte stimmten.“
Oft habe jedoch die länderübergreifende
Zusammenarbeit nicht reibungslos funktioniert, was die Arbeit erschwerte. Ob
sich diese Zusammenarbeit verbessert
habe, wollte ein weiterer Gast wissen.
„Jedes Bundesland hat seine eigene Polizei. Die gesamte Bundesrepublik hat
auch nochmal eine Polizei. Die Bundespolizei hat andere Aufgaben als die Länderpolizei. Letztere ist für die Delikte, die
innerhalb eines Landes passieren, zuständig. Das beste Beispiel ist dabei der
NSU-Prozess. In jedem Bundesland haben die Täter zugeschlagen. Und am
Ende hat es keiner gemerkt. Weil kein
Bundesland miteinander gesprochen
Kandidaten online kennenlernen
IHK lässt neue Vollversammlung wählen
NORDSACHSEN. Bis zum 21. März sind die
Mitglieder der Industrie- und Handelskammer Leipzig aufgerufen, ihr „Unternehmerparlament“, die Vollversammlung
zu wählen. Die 90 Kandidaten für 59 Mandate präsentieren sich auf der Internetseite www.leipzig.ihk.de/
wahl – dort gibt es auch Informationen, wie die Abstimmung funktioniert.
„Die ehrenamtlich arbeitende Vollversammlung geht mit
der Wahl aus der Mitte unserer regionalen Unternehmerschaft hervor“, richtet sich Wolfgang Topf,
Präsident der IHK zu Leipzig, an die wahlberechtigen Unternehmen. „Bedingungen, unter denen Unternehmen wachsen,
fallen nicht vom Himmel, sondern müs-
sen von der Wirtschaft immer wieder eingefordert und gegenüber Politik und Verwaltung durchgesetzt werden. Das ist
Aufgabe der IHK. Das Unternehmerparlament weist hierbei die
Richtung und setzt die Themen.“
Die Vollversammlung bestimmt die Richtlinien der
IHK-Arbeit und trifft alle
Grundsatz­entscheidungen.
Gestützt auf diese Beschlüsse kann die IHK einen aktiven Beitrag zur Wirtschafts­
förderung sowie zur Entwicklung und Wettbewerbsfähigkeit der
Region leisten. Die IHK zu Leipzig vertritt
die Gesamtinteressen von etwa 67 000
kammerzugehörigen Unternehmen in der
Wirtschaftsregion Leipzig.
PI/seb
hat...“, sagte Zerche, selbst unzufrieden
mit dieser Handhabe. „...weil keiner gesagt hat, dass hier alle an einen Tisch
müssen. Man müsste bundesweit Recherchen führen!“ So vieles hätten die Kriminalbeamten schon versucht anzustoßen.
„Es ist Länderhoheit. Es ist wie früher. Jeder Fürst hat sein Reich. Und alles, was
in seinem Reich passiert, bestimmt er“,
beschrieb er verständnislos.
Das Nummernschild
Unter der Zwischenüberschrift „Der Zeuge Manfred Sachse“ wird ein weiteres
Puzzlestück im Buch hinzugeführt, was
jedoch erst nach der Aufklärung des Falles tatsächlich ein Bild ergab. Der Zeuge
meinte, er habe zwei dunkle Fahrzeuge
zur Tatzeit am Straßenrand gesehen,
habe sich aber nichts dabei gedacht. Er
vermutete Pilzsammler. Verwundert war
er jedoch, dass eines der Fahrzeuge ein
Naumburger Kennzeichen hatte. Eine
Person habe er jedoch nicht gesehen. Die
Zeugenaufnahme fand in der Folgezeit
keine Beachtung.
Hätte es damals bereits eine zentrale Datei gegeben, mit allen in Deutschland zugelassenen Fahrzeugen, hätte man diese
hier eingepflegt, was vermutlich für den
Fall sehr dienlich gewesen wäre. Genau
nach diesem Kennzeichen fragte eine
Frau aus den hinteren Reihen. „Warum
wurde das nicht weiter verfolgt?“, wollte
sie wissen. „Wir hatten innerhalb von 14
Tagen Hunderte, sogar Tausende Informationen. Ein riesiger Berg, durch den
sich durchgewühlt werden musste. Bevor
alles in Sack und Tüten war, sind Wochen, Monate vergangene. Wir haben damals alles in einer normalen Handdatei
gehabt. Es gab keinen Computer. Wir haben erst 1997/1998 damit angefangen,
die gesamten Akten neu aufzulisten“,
sagte Zerche. „Aber das war doch kurz
Neue Impulse für
noch mehr Bio
NORDSACHSEN. Für die Biobauern, aber
auch für alle anderen Interessierten, steht
wieder ein wichtiger Termin ins Haus. Die
Sächsische Interessengemeinschaft Ökologischer Landbau (SIGÖL) veranstaltet
am 3. März, von 9 bis 17 Uhr im Heide
Spa Hotel & Resort Bad Düben den 53.
Fortbildungskurs. Es geht um Zukunftsstrategie Ökologischer Landbau – Neue
Impulse für mehr Bio in Deutschland, Gemeinsam für die Artenvielfalt.
Wie Naturschutzleistungen von Ökobetrieben über den Markt honoriert werden
können, Gemeinschaftlich für Bioboden,
Stickstoff-Effizienz und Fruchtfolgegestaltung im Ökologischen Landbau, Thema Honigbienen und: vom Wert der Beweidung für Bodenfruchtbarkeit, Welternährung und Klima. Anmeldungen unter
034243 21491. nw
danach. Das waren nur ein paar Wochen“, unterbrach ihn die Frau und bohrte noch einmal nach. „Das ist richtig.
Aber wie gesagt: Das ist im nachhinein
erst alles zusammen gepuzzelt wurden.
Uns fehlten noch so viele Teile. Dieses
Kennzeichen ist ja auch im Buch vermerkt. Aber der Täter hat ja zig Kennzeichen verwendet. Aufgrund der Masse der
Daten ist es damals nicht mit Sachsen-Anhalt in Verbindung gebracht wurden. Von Sachsen-Anhalt kam die Aussage, dass Denkwitz nichts mit uns zu tun
hat. Wir haben das ausgeschlossen. Ich
muss dazu sagen, ich war beim Generalstaatsanwalt in Naumburg und wollte die
Akte von diesem Menschen haben. Die
habe ich nicht bekommen. Erst nachdem
er sich umgebracht hatte, habe ich diese
in Naumburg ausgehändigt gekriegt. Daraufhin sind wir erst dazu gekommen,
dass die Kennzeichen alle in diesem gewissen Auto waren. Vorher war es nicht
möglich. Sachsen-Anhalt hat damals
dicht gemacht. Sie haben ihn einfach verhaftet ohne zu überprüfen, ob er noch andere Delikte gemacht hat. Er ist sofort in
Halle in Haft gegangen und 1995 in die
Psychiatrie. Ab diesem Zeitpunkt haben
wir keine Informationen bekommen.
Wäre die Zusammenarbeit besser gewesen...“, wieder ist Hartmut Zerche an diesem verzwickten Punkt gelandet und
kann die Tränen der Frau mit dieser Frage offensichtlich gut nachempfinden.
Erlös erhalten die Hinterbliebenen
Eine andere Zuhörerin kritisiert etwas
ganz anderes. Und zwar die Gestaltung
des Buches. „Haben Sie mit der Mutter
von der Kleinen, von der Sie die direkten
Aussagen schwarz auf weiß gedruckt haben, gesprochen und gefragt, ob sie das
überhaupt billigen kann?“ Diese Frage
haben sich die Autoren und Mitwirken-
Fotos: K. Engel
den ebenso gestellt.
Schließlich wurde sich
jedoch dafür entschieden, da alle Aussagen
bereits – vor vielen Jahren – in der Zeitung erschienen waren. „Die
Betroffenen noch einmal mit der Sache zu
konfrontieren, ist eher
undienlich“, erklärte
Frank Schumann den
Grund, warum nicht
noch einmal mit den
Betroffenen gesprochen wurde. Nachvollziehen konnte es
die Zuhörerin dennoch nicht. Auch verurteilt sie das Bild
auf der vorletzten Seite mit dem Titel
„Schicksalsschläge 2015“. Der Tot von
dem Vater und dem Bruder von Antje
Köhler hätte nichts in dem Buch zu suchen. Fassungslos verließ die Frau den
Raum der Lesung.
Das löste Unruhe aus. Hartmut Zerche
betonte daraufhin, dass der Autor des Buches, Klaus Keck, das aus dem Verkauf
erlöste Honorar den hinterbliebenen Familien der beiden Mordopfer spendet, da
diesen keinerlei staatliche Zuwendung
zuteil wurde.
„Das Buch ist erst seit wenigen Tagen auf
dem Markt und die Hälfte der Auflage ist
bereits vergriffen. Das zeigt auch, dass
das Interesse da ist. Es ist richtig, dass
das Geld den Familien zukommt. Wer
den Ort am Wald kennt weiß, dass auf
der linken Seite ein Holzkreuz steht, das
immer mit Blumen oder ähnliches bestückt ist. Noch nach über 20 Jahren wird
diese Stelle gepflegt. Das halte ich für bemerkenswert. Gleichwohl ist es ein geschichtsträchtiger Ort, an dem die Familie an diesen schlimmen Fall erinnert“, so
Schumann.
Schul-Haupteingang wird freigegeben
BEILRODE. Ab Montag können Beilroder Schüler zu Fuß wieder den Schuleingang in
der Ernst-Thälmann-Straße nutzen. Das ergab die Bauberatung gestern. Busse und Pkw
steuern weiterhin den Hintereingang im Nordring an. Bis Ende März sollen die beiden
Bushaltebuchten komplett fertig sein. Foto: TZ/N. Wendt
Mit einem mulmigen Gefühl ging ich
zu dieser Buchlesung. Mein Gefühl
sollte mich nicht täuschen. Ich war hinund hergerissen. Man sollte meinen,
wenn so ein Fall für die Öffentlichkeit
aufgerollt wird, dass man doch mit einem gewissen Feingefühl und einer Pietät an dieses Thema herangeht. Dieses Feingefühl fehlte in meinen Augen
Herrn Schumann zum Teil.
Herr Zerche ging an dieses Thema mit
einer Sachlichkeit heran und beantwortete dementsprechend auch die gestellten Fragen. Er ließ sich auch nicht
dazu hinreißen, Torgau zu einer Hochburg der Kriminalität
zu machen.
Gestellte Fragen zum
Buchinhalt erklärte
Herr Schumann mit
vielen Worten, die aber
leider zu keiner Antwort
führten. Er wollte sicherlich diesen Abend etwas
auflockern, mit kleinen
Geschichten, die er so erlebt hat. Aber oft ging
mir die Frage durch den
Kopf: „Passt das denn
jetzt hier her?“
Ob er nun in einer Lehmhütte saß mit Schwarzen,
die ums Überleben kämpfen und er einen Anruf von
Herrn W. aus Torgau bekam: „... die Schwarzen
kämpfen ums Überleben und Herr W.
hat ein Problem damit, dass sein Bild
in dem Buch erscheint...“. Eine weitere Besucherin der Lesung fragte, wie
es sein könne, dass ein Frau wortwörtlich im Buch zitiert wird. Die letzte Frage der Besucherin jagte mir einen
Schauer über den Rücken: „...wissen
die Angehörigen, dass das Grab der
Familie im Buch abgebildet ist?“ Sie
bezeichnete diese Tatsache als Effekthascherei und ich kann mich dem nur
anschließen. Herr Schumann versuchte wieder mit vielen Worten diese Situation zu retten, aber eine Antwort bekam die Besucherin nicht .... woraufhin
sie den Raum verließ, was ich sehr gut
verstehen konnte. Herr Schumann verkündete noch, dass die Erlöse dieses
Buches den Familien der Opfer gespendet werden. Sicherlich eine gute
Sache ... bei mir bleibt ein fader Beigeschmack.
[email protected]
Telefon 03421 721014
Dautzschen will
Jubiläum feiern
DAUTZSCHEN. In Dautzschen steht ein
großes Jubiläum bevor. Im kommenden
Jahr feiert der ostelbische Ort sein 775
jähriges Bestehen, soweit sich das anhand
der Ersterwähnung zurückverfolgen lässt.
„Mittlerweile haben erste Initiativen stattgefunden, den Anlass würdig zu begehen“, lautete die Information bei der letzten Beilroder Ratssitzung. Im Ortschaftsrat sollte in dieser Woche ein Organisationsteam festgelegt werden. Voraussichtlich im Juni 2017 wird das Jubiläum
groß gefeiert in Dautzschen. Es soll eine
Festveranstaltung und einen großen Umzug durch das Dorf geben. Man sei aber
noch offen für weitere Ideen. Wer sich tatkräftig einbringen möchte oder originelle Vorschläge hat, kann sich jederzeit an
die Gemeinde Beilrode oder an den Ortschaftsrat wenden. nw
ZUM KUNDEN
Am 26. März in allen 26 000 Haushalten der Region
TORGAUER ZEITUNG
Eine Sonder veröffentlichung der
Unterstützt durch: Sparkasse Leipzig, IHK und HWK zu Leipzig, Wirtschaftsförderung Nordsachsen
Foto:Tyler [email protected]
DIENSPEZIALISTEN
EUE WEGE