PHILIPP LAHM SIXTUS GESELLSCHAFTER Philipp Lahm ist seit Anfang 2015 Gesellschafter des Sportprodukte-Herstellers Sixtus. Dieser Schritt ins Unternehmertum war ein bewusster, um sich frühzeitig auch außerhalb des Fußballs mit möglichen Wegen für eine zweite Karriere auseinanderzusetzen. Denn Philipp Lahm ist ein Mensch, der gerne vorbereitet ist und sich für wichtige Entscheidungen Zeit nimmt. Etwas, das heutzutage immer seltener passiert, wie wir in unserem Gespräch über die NBA, signierte Ledertaschen und Interviewfragen zum Friseurbesuch festgestellt haben. Das sich aber letztlich lohnt, wie sein Rücktritt aus der Nationalmannschaft, die Reflexion über seine sportlichen Erfolge sowie die Identifizierung mit Sixtus und seinen neuen Aufgaben als Unternehmer deutlich machen. Wenn ich heute auf einem der einschlägigen StreamingPortale alte NBA Finals schaue, dann werde ich immer wieder in den Bann eines Scottie Pippen oder eines Michael Jordan gezogen. Versunken in dieser Nostalgie habe ich dann manchmal das Gefühl, dass diese Coolness, das Filigrane und damit für mich irgendwie auch die Schönheit des Sports heute ein wenig verloren gegangen ist. Ersetzt durch pure Athletik und Kraft. Alles ist schneller, lauter, kampfbetonter. Ähnlich ist es im Tennis, wie ich finde. Zwei Schläge, dann ist der Ballwechsel beendet. Ist das nur ein subjektiver Eindruck, wenn man nicht mehr zur Generation der „jungen Wilden“ gehört und zuschaut und nicht mehr begreift, oder hat sich das wirklich so verändert? Der Sport hat sich tatsächlich verändert. Der Fußball sogar sehr deutlich. Das Spiel ist definitiv taktischer, schneller und dynamischer geworden. Wenn ich mir heute ein Spiel von Franz Beckenbauer anschaue, könnte man manchmal den Eindruck gewinnen, er hat noch eine andere Sportart betrieben. Ich meine das aber ohne Wertung. Es war einfach eine ganz andere Zeit. Das Tempo war ein anderes, der nächste Spielzug war leichter und früher erkennbar, als das bei der Geschwindigkeit heute möglich ist. Der Zuschauer war näher dran, man konnte vieles besser nachvollziehen. Seitdem hat sich viel geändert. Selbst der Fußball vor 15 Jahren war noch ein anderer als heute. Warum hat sich das verändert? Was hat zu der Beschleunigung geführt? Ich glaube, ein Mix aus verschiedenen Entwicklungen und Erkenntnissen. Zum einen hat sich der Mensch an sich verändert, und dann auch die Trainingsmethoden und Ansätze. Alles ist wesentlich professioneller, wissenschaftlich untersucht und optimiert. Die Athleten sind besser trainiert, spezifischer auf ihre Sportart vorbereitet. Und das Material hat sich stark verändert – gerade im Tennis oder Golf machen Schläger und Bälle, also die technische Ausrüstung, einen großen Unterschied. Im Golf wird zum Beispiel gerade überlegt, wie die Plätze anders gebaut werden können, weil durch das verbesserte Material und die größere Dynamik ganz andere Schläge möglich geworden sind. Die Plätze werden zu kurz. Und auch unser heutiger HightechFußball hat absolut nichts mehr mit dem Leder von früher zu tun. Vor allem, wenn es nass ist da erreicht unser Ball wahrscheinlich die zehnfache Geschwindigkeit. Wie viel Steigerung ist da noch drin? Kann es immer so weitergehen? Aus meiner heutigen Perspektive als Aktiver denke ich, eigentlich ist die Grenze erreicht. Aber wahrscheinlich hat das die Generation vor uns auch schon so gesehen. Leidet die Qualität darunter? Das ist eine Beobachtung, die ich in vielen Feldern mache, in denen die Geschwindigkeit ständig zunimmt. Mein Eindruck ist, dass das Tempo auch in manchen Sportarten einen Verlust an Präzision und Anmut bedeutet, was mich beispielsweise am Basketball zu Jordans Zeiten fasziniert hat. Ich glaube, für viele Bereiche des Lebens, für viele Branchen, die etwas produzieren, trifft das zu. Wenn du den Druck hast, ständig etwas Neues zu präsentieren, dann leidet sicherlich irgendwann die Qualität. Aber ich weiß nicht, ob das so auch auf den Sport zu übertragen ist. Beispiel Basketball. Da sehe ich keine so extreme Veränderung. Jordan oder Pippen waren schon extrem dynamische Spieler. Und ein Stephen Curry hat umgekehrt auch heutzutage noch eine herausragende Wurftechnik. Ich denke, was sich verändert hat, ist die Verteidigung. Die Teams sind in der Defence aggressiver und wesentlich dynamischer. Dadurch sind die Würfe, die du im Kopf hast, glaube ich, einfach viel schwieriger zu bekommen. Es gibt seltener diese Pässe auf einen freien Star, der dann unbedrängt abdrücken kann. Und wenn ich an einen Shaquille O'Neal an der Freiwurflinie denke – der war jetzt auch nicht unbedingt der filigranste Werfer, von wegen Anmut und so. Das ist wahr. Für mich hat dennoch so manche Sportart durch die Professionalisierung und Optimierung definitiv auch an Reiz verloren. Ich habe früher sehr begeistert Tennis geschaut. War großer Ivan Lendl-Anhänger. Heute verfolge ich es dagegen nicht mehr regelmäßig. Bist du Fan eines bestimmten Spielers? Ganz klar, Roger Federer. Das ist einfach schönes Tennis. Und er ein großartiger Sportler. Wenn es zeitlich passt, schaue ich grundsätzlich sehr viel und sehr gerne Tennis. Leider finden die Top-Spiele meistens mitten in der Nacht statt. So weit, dass ich dafür aufstehe, reicht meine Begeisterung dann nicht. Oder besser, die Vernunft siegt. Aber irgendwann werde ich in Wimbledon auf alle Fälle mal live dabei sein. Nach 2018, wenn ich dann Zeit habe. Zeit, weil bis 2018 noch dein Vertrag beim FC Bayern läuft. Danach ist definitiv Schluss mit deiner Fußballkarriere. Das sind noch drei Jahre. Ab wann beginnt für dich die Auseinandersetzung mit dem, was danach kommt? Die hat schon begonnen. Dieses Interview in dieser Zeitung ist der deutlichste Beleg dafür. Mit dem Einstieg bei Sixtus habe ich begonnen, mich in ein ganz neues Thema einzuarbeiten. Und das macht mir großen Spaß. Ich bin jemand, der gern vorbereitet ist. Über meinen Ausstieg aus der Nationalmannschaft wurde viel gesprochen. Aber für mich war das der einzig mögliche Weg. Ich habe schon ein gutes Dreivierteljahr vor der WM für mich dieses Ende festgelegt. Egal, was passiert. Dadurch konnte ich mich darauf einstellen, und dadurch kann ich jetzt alle Spiele anschauen ohne das geringste Bedauern. Das Ende meiner gesamten Fußballkarriere wird mit „AUS MEINER HEUTIGEN PERSPEKTIVE ALS AKTIVER DENKE ICH, EIGENTLICH IST DIE GRENZE ERREICHT. ABER WAHRSCHEINLICH HAT DAS DIE GENERATION VOR UNS AUCH SCHON SO GESEHEN.“ „ N A C H 2 018 , W E N N I C H D A N N Z E I T H A B E . “ Sicherheit ein wesentlich krasserer Einschnitt in meinem Leben. Denn was viele vergessen: Wir sprechen nicht nur über zehn oder zwölf Jahre im Profifußball, eigentlich bestimmt der Fußball mein Leben schon wesentlich, seit ich mit elf Jahren zum FC Bayern gegangen bin. immer diese tiefe Überzeugung, dass ich es ewig bereuen würde, wenn ich die Chance verpasse, den größten Triumph mit meinem Heimatclub zu feiern. Die Verbundenheit zu München, zum FC Bayern hat gesiegt und ich bin geblieben. Das heißt, es geht 2018 ein mehr als 20 Jahre andauernder Lebensabschnitt zu Ende. Kann man sich auf so eine Veränderung überhaupt vorbereiten? Und hast 2013 dann auch tatsächlich das Triple gewonnen und oft davon gesprochen, dass dieser Erfolg mit deinem Verein eine ganz andere Bedeutung, einen ganz anderen Wert für dich hatte, als jeder Sieg mit einem anderen Club jemals hätte haben können. Ich denke, ich hoffe, ja. Das hat viel mit Eigenverantwortlichkeit zu tun. Ich muss mir die Zeit nehmen, mich mit mir, meinem Leben und meiner Zukunft zu beschäftigen. Fußball ist ein sehr schnelllebiges Geschäft. Als Spieler lebst du im Trainings- und Spielrhythmus. Saison folgt auf Saison. Turnier auf Turnier. Es geht immer weiter. Es passiert leicht, dass man den eigenen Plan in dieser vorgegebenen Struktur verliert. Aber ich halte es für extrem wichtig, hier ab und zu bewusst zu sortieren: Was liegt hinter mir? Was war gut? Was war schlecht? Wo geht mein Weg weiter? Was ist mir wichtig im Beruf, in der Familie, im Leben? Deshalb hat mir die Idee, ein Buch zu schreiben, sehr gut gefallen. Es war das erste Mal, dass ich bewusst reflektiert habe. Das hat mir sehr weitergeholfen, hat Sicherheit und Klarheit gebracht. Wo liegen meine Prioritäten? Was brauche ich, damit ich erfolgreich bin und es mir gut geht? Bei sehr vielen Menschen bringt der Blick zurück auch Zweifel, manchmal Bedauern über getroffene Entscheidungen und sehr oft auch den Wunsch nach Veränderung. Gab es diese Momente bei dir nie? Grundsätzlich bin ich ein Mensch, der nach vorne schaut. Wenn ich über vergangene Ereignisse oder Entscheidungen nachdenke, dann versuche ich das wie nach einem verlorenen Spiel zu machen: ehrlich die Fehler analysieren, dann aber daraus die Schlüsse ziehen, wie es beim nächsten Mal besser laufen kann. Man muss aber auch sagen: Ich hatte in meinem Leben und meiner Karriere sehr viel Glück. Darüber, den FC Bayern zu verlassen, habe ich nur ein einziges Mal nachgedacht. Das war 2008. Es gab ein Angebot aus Spanien. Super Verein, super Stadt. Wahrscheinlich auch die Möglichkeit, früher die Champions League zu gewinnen. Aber da war Absolut. Das Triple zu gewinnen ist das Größtmögliche im Vereinsfußball. Diesen Erfolg mit Menschen zu feiern, die du seit teilweise zwanzig Jahren kennst, das war einmalig. Es gibt eine lange gemeinsame Geschichte mit Höhen und Tiefen. Das schafft Verbundenheit, Identität. Der Erfolg hat dadurch einen ganz anderen Wert. Identität und Wert sind auch zentrale Schlagworte, wenn es um Unternehmen und Marken geht. Ich denke, dass die Menschen in unserer immer schnelleren Zeit wieder beginnen, die Geschichte dahinter zu schätzen. Plakativ gesprochen: Die Bereitschaft steigt, die viel teurere Tomate auf dem Markt zu kaufen – weil sie dafür von den Händen in die Papiertüte gesteckt wird, die sie auch geerntet haben. Klar, am Ende war es auch bei meiner Entscheidung für Sixtus die Geschichte, die mich begeistert und überzeugt hat. Die Verbundenheit zum Spitzensport, die Schwarz-Weiß-Bilder von den Sechstagerennen oder die signierte Ledertasche von den Olympischen Spielen 1972. Das ist einmalig. Die Tatsache, dass über 80 Jahre Erfahrung in den Produkten stecken und ich die Wiese, von der die Heuauszüge gemacht werden, sehen und riechen kann. Ich kann die Manufaktur besuchen. Da stecken die Ideen und die Arbeit von zwei Generationen drin. Das ist für mich etwas Besonderes. Etwas, das es wert ist, wieder bekannt gemacht zu werden. Das ist unser Ziel. Ich finde diesen Prozess sehr, sehr spannend und freue mich, meinen Teil dazu beitragen zu können. Bei diesem Prozess geht es natürlich um die unternehmensinterne und organisatorische Neuausrichtung. Aber auch um Vermarktung im ursprünglichen Wortsinn eigentlich einmal, die Präsentation des tatsächlichen, fertigen Produktes eines Schreiners, eines Schmieds auf dem Markt. Heute geht es dagegen oft nur noch um ein Logo. Die flächendeckende Verbreitung eines Piktogramms. Jeder soll es sehen, um dann zu kaufen – das Produkt. Was das Produkt ist, ist nicht entscheidend. Und wenn Produkt A nicht funktioniert, wird eben ein Produkt B oder C in die Regale gestellt. Eine erschreckende Entwicklung, wie ich finde. Womit wir wieder beim Thema Geschwindigkeit und Qualität wären. Es gibt immer mehr. Von allem. Da ist es gar nicht mehr möglich, Geschichten zu erzählen, bzw. wenn ich ständig neue Produkte entwickle, dann haben diese einfach irgendwann keine wirkliche Geschichte mehr. Ganz genau. Trotzdem ist es inzwischen gelernt, dass ständig etwas Neues kommt. Es wird gefordert. Eine beeindruckende Zahl aus dem Bereich der Fotografie: Es entstehen heutzutage pro Monat mehr Bilder als in der gesamten Geschichte der Fotografie! Wer soll das noch sichten und entscheiden, was Qualität hat und was nicht? Das ist natürlich auch etwas, das ich im Sport in ähnlicher Form erlebe. Die Medientermine nehmen stetig zu, durch die Online-Kanäle ist der Bedarf an regelmäßigen Neuigkeiten nochmals gewachsen. Wir hatten zum Beispiel bei der WM tägliche Pressekonferenzen mit jeweils zwei Spielern. Mit dem Ergebnis, dass diese dann Fragen nach dem Friseurbesuch am Vortag beantwortet haben. Ich weiß nicht, ob die Welt diese Information benötigt. Aber die Redakteure müssen etwas abliefern. Und haben deshalb immer seltener die Zeit für intensive Vorbereitung und intensive Gespräche. Es ist geradezu ein Luxus, ein Interview für die eigene Zeitung zu geben. Deshalb hat mir die Idee auch gleich gut gefallen. Denn die Geschichte von Sixtus passt nicht auf ein einzelnes Plakat. Und ich mag die Vorstellung, dass jemand gemütlich beim Sonntagsfrühstück sitzt und hier drin blättert... Zwei nostalgische Scottie Pippen-Fans: Sven Hoffmann im Gespräch mit Philipp Lahm „DA STECKEN DIE IDEEN UND DIE ARBEIT VON ZWEI GENERATIONEN DRIN. DAS IST FÜR MICH ETWAS BESONDERES. ETWAS, DAS ES WERT IST, WIEDER BEKANNT GEMACHT ZU WERDEN.“
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