Methodenlehreklausur 2/96/Diepgen 1 Passives Beispiel Mischkulnig, Manuela 1989: Kindchenschema und Ärgerreduktion. Zeitschrift für experimentelle und angewandte Psychologie, Band XXXVI, Heft 4, S. 567 - 578 Zusammenfassung Im Jahre 1943 postulierte Lorenz erstmals, daß die physische Erscheinung und die typischen Verhaltensweisen von Babies (Kindchenschema) bei Erwachsenen als Schlüsselreize für Aufmerksamkeit und Pflegeverhalten wirken und die Auftretenswahrscheinlichkeit von Aggressionen vermindern. Im Laborexperiment wird überprüft, ob allein die optischen Stimuli eines Babygesichtes ausreichen, um Ärger zu reduzieren. Für die Untersuchung stellten sich 60 Studentinnen im Alter zwischen 18 und 30 Jahren zur Verfügung. Zwei Reizklassen, (1) Frustration durch das Stellen unlösbarer Aufgaben und (2) durch Lärm bedingter Streß, wurden eingesetzt, um bei den Probanden Ärger auszulösen. Mit Hilfe entsprechender Instruktionen und durch Andauern der Variable Lärm sollte der Ärger auch im zweiten Teil des Versuches, während dessen die Reaktionen auf Fotos von Babies und Erwachsenen erhoben wurden, aufrechterhalten werden. Die Daten dreier Meßebenen (Herzfrequenz, retrospektive Selbstbeurteilung und Mimikinterpretation) wurden varianzanalytisch ausgewertet. Als Zeichen von Freude wurde eine leichte Herzfrequenzakzeleration festgestellt, ein massiver Anstieg der Herzrate indizierte eine Ärgerreaktion. Die Selbstbeurteilungen und die Mimikinterpretation stützten die Hypothese, daß auf Babies positiver reagiert wird als auf Erwachsene und auf "herzige" Babies positiver als auf weniger attraktive Kinder. Es zeigten sich zumindest tendenzielle Hinweise auf eine ärgervermindernde Komponente des Kindchenschemas. Fragestellung ... Die Hypothesen des Experimentes lauten: - Der im ersten Teil des Versuches ausgelöste Ärger reduziert sich beim Betrachten von Fotos von Babies mehr als beim Betrachten von Fotos von Erwachsenen. - Die Ärgerreduktion ist beim Betrachten von im Vorversuch als herzig beurteilten Babies größer als beim Betrachten von im Vorversuch als weniger herzig beurteilten Babies. Methode ... Die abhängigen Variablen Die Reaktionen der Versuchspersonen wurden auf drei Ebenen erfaßt: - Die Messung der Herzfrequenz sollte Aufschluß über physiologische Veränderungen geben. Am Beginn des Experiments wurde während einer mindestens fünfminütigen Ruhepause die Baseline der Herzfrequenz erfaßt. Die Messung erfolgte während der Anagrammaufgaben und der Darbietung der Fotos. - Mit Hilfe von Videoaufzeichnungen während des Versuches wurde eine retrospektive Selbstbeurteilung der Emotionen bzw. der Stimmungen durch die Probanden erleichtert. Sie sollten anhand von 10 Eigenschaftswörtern auf einer 5-stufigen Ratingskala beurteilen, wie sie sich in 18 verschiedenen Abschnitten des Versuches gefühlt hatten. Als "Baseline" wurden die Stimmungen vor dem Versuch (nach der Ruhepause) erhoben. - Zwei unabhängige Beobachter interpretierten die Mimik anhand der Videoaufnahmen mit Hilfe eines von Ekman und Friesen (1976) entwickelten Tests (bestehend aus 110 Schwarz-Weiß-Dias). ... Methodenlehreklausur 2/96/Diepgen 2 Ergebnisse Datenanalyse der Herzfrequenzmessung: Eine Analyse der Faktoren Anagramme mit den Faktorstufen Lösbar (L) und Unlösbar (U) und Lärm mit den Faktorstufen Rauschen (R), Weinen (W) und Ohne Lärm (O) für den Zeitpunkt nach den Anagrammaufgaben ergaben einen signifikanten (s.) Haupteffekt Anagramme (F(1,54)=4.74, p=.0339). Der Haupteffekt Lärm ergab keine s. Unterschiede (F(2,54)=1.29, p=.2848). Die Wechselwirkung (WW) Anagramme × Lärm erwies sich als s. (F(2,54)=4.81, p=.0119) (Tabelle 1). Tabelle 1 Herzfrequenz: Mittelwerte für den Meßzeitpunkt nach den Anagrammaufgaben. ______________________________________________________________ R W O ∑Fehler! Textmarke nicht definiert. ______________________________________________________________ L 87,30 92,30 91,40 90,33 _______________ _________________________________________ ____ ↑ ⇑ ⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯⎯→ U 105,90 → 92,10 91,50 96.50 ______________________________________________________________ ∑Fehler! Textmarke nicht definiert. 96,60 92,20 ______________________________________________________________ 91,45 Anmerkungen: Der Faktor Lärm wurde in die Faktorstufen Rauschen (R), Weinen (W) und ohne Lärm (O) untergliedert. Die beiden Bedingungen Lösbar (L) und Unlösbar (U) bildeten den Faktor Anagramme. →Fehler! Textmarke nicht definiert. ... s. Unterschied ⇒Fehler! Textmarke nicht definiert. ... s.s. Unterschied Mit Hilfe einer dreifaktoriellen Varianzanalyse mit zweistufigem Meßzeitpunktfaktor (Baseline und Zeitpunkt nach den Anagrammaufgaben) konnte bestätigt werden, daß die Herzfrequenz nach den Anagrammaufgaben sehr signifikant (s.s.) (F(1,54)=103.51, p=.000...) höher war als vor dem Versuch (81,33 vs. 93,41). Tabelle 2 Herzfrequenz: WW Meßzeitpunkt × Anagramme __________________________________________________________ L U ∑ Fehler! Textmarke nicht definiert. __________________________________________________________ B 82,06 80,40 81,23 ________________ _Fehler! Textmarke nicht definiert.___________Fehler! ⇑ definiert._⇑___________Fehler! Textmarke nicht definiert._⇑______________ nA 90,33 ⇐ Fehler! Textmarke nicht definiert. 96,50 __________________________________________________________ Textmarke nicht 93,41 ∑Fehler! Textmarke nicht definiert. 86,33 88,45 __________________________________________________________ Anmerkungen: Der Meßzeitpunkt gliedert sich in die beiden Meßzeitpunkte Baseline (B) und nach den Anagrammaufgaben (nA). ... Methodenlehreklausur 2/96/Diepgen 3 Datenanalysen der Selbstbeurteilungen Da auch bei den retrospektiven Selbstbeurteilungen eine Baseline erhoben worden war (die Stimmung vor dem Versuch), konnte die Verrechnung der Daten analog den Herzfrequenzwerten erfolgen, d.h. daß die Baseline auch als Kovariable verrechnet wurde. ... Datenanalysen der Mimikinterpretation Die Videoaufzeichnungen der Reaktionen der Probanden wurden durch zwei unabhängige Beurteiler ausgewertet. Zur Analyse gelangte dabei die Anzahl der Freude-Äußerungen (Lächeln, definiert durch den Vergleich mit den neun von Frauen dargestellten happiness-Reaktionen im Test von Ekman & Friesen, 1979), die beim Betrachten von Fotos von Frauen, von Männern, von herzigen Babies und von weniger herzigen Babies erhoben wurden. Die Interraterkorrelationen zwischen Beurteiler 1 (männlich) und Beurteiler 2 (weiblich) betrug r = 0.9752. Die beiden Bewerter stimmten also praktisch vollkommen überein. ... Ein Vergleich der Reaktionen beim Betrachten von herzigen Babies mit den Reaktionen beim Betrachten von weniger attraktiven Kindern ergab keine s. Unterschiede, d.h. daß die Probanden beim Anblick beider Gruppen von Fotos gleich oft lächelten. ... Frage 1: In Bezug auf die Tabelle 1 wird von einer signifikanten Wechselwirkung zwischen dem Faktor Anagramm und dem Faktor Lärm gesprochen. Erklären Sie anhand der Tabelle 1 den Begriff "Wechselwirkung" und berechnen Sie anhand der dort angegebenen Mittelwerte die Größe dieser Wechselwirkung (als Differenz von Differenzen). Frage 2: In welchem Bezug steht das in Tabelle 2 berichtete Kriterium "Herzfrequenz" zu den unter dem Abschnitt "Hypothesen" genannten Forschungshypothesen? Welchen Sinn könnte Tabelle 2 haben? Auf welche grundlegende Problematik verweist Tabelle 2, wenn Randomisierung als essentielle Voraussetzung eines Experimentes gilt? Frage 3: In den Tabellen 1 und 2 werden signifikante Unterschiede durch gerichtete Pfeile gekennzeichnet. Diskutieren Sie die Angemessenheit dieser Symbolik angesichts der augenscheinlich zugrundeliegenden FTests. Frage 4: Unter dem Punkt "Datenanalyse der Mimikinterpretation" wird berichtet, daß die zwei Beurteiler "praktisch vollkommen" übereinstimmten (Interraterkorrelation, r=0.9752≈1). Diskutieren Sie kurz und prägnant die hier unterstellte Annahme, eine Interraterkorrelation von (fast) Eins bedeute die Übereinstimmung der Rater. Methodenlehreklausur 2/96/Diepgen 4 Aktives Beispiel A Sie interessieren sich im Rahmen eines umfangreichen Forschungsprojektes dafür, ob man Psychologieprofessoren und -professorinnen hinsichtlich ihrer inhaltlichen Orientierung und ihrer Persönlichkeit in bestimmte Cluster einteilen kann (z.B. erwarten Sie, daß es den eher introvertierten Grundlagenforscher gibt sowie den stärker extravertierten Anwender). Sie erheben darum neben der fachlichen Ausrichtung (Grad der Grundlagen- bzw. Anwendungsorientierung auf einer Skala 1 - 10) auch noch Persönlichkeitsdaten (z.B. Neurotizismus, Gewissenhaftigkeit, Machiavellismus) durch mehrere Tests, des weiteren Geschlecht und Besoldungsgruppe (C2, C3 oder C4). Frage 5: Offenbar liegen bei Ihren Daten unterschiedliche Skalenniveaus vor. Beschreiben Sie kurz, welche Möglichkeiten Sie sehen, auf der Basis dieser Daten eine Clusteranalyse zu rechnen. Frage 6: Sie entscheiden sich schließlich dafür, ausschließlich die intervallskalierten Daten für Ihre Analyse zu benutzen. Jetzt stehen Sie vor der Frage, ob Sie ein hierarchisches Vorgehen, ein nicht-hierarchisches Vorgehen oder eine Kombination beider Vorgehensweisen wählen. Bitte skizzieren Sie kurz die Unterschiede dieser Verfahrensgruppen und begründen Sie Ihre Entscheidung. Frage 7: Ein junger, methodisch möglicherweise eher unerfahrener Forschungskollege fragt Sie, warum Sie nicht gleich eine Faktorenanalyse rechnen, wo Sie doch ohnehin nur die intervallskalierten Daten berücksichtigen und damit eine Faktorenanalyse möglich wäre. Was antworten Sie ihm? Wie müßte Ihre Fragestellung lauten, damit eine Faktorenanalyse sinnvoll wäre? Frage 8: Sie finden durch Ihre Clusteranalyse insgesamt vier recht homogene Cluster: Den introvertierten, gewissenhaften und leicht neurotischen Grundlagenforscher-Typ (großes Cluster), den extravertierten, gewissenhaften und hoch neurotischen Grundlagenforscher-Typ (kleines Cluster), den introvertierten, gewissenhaften und hoch neurotischen Anwendungsfeldforscher-Typ (kleines Cluster) und den extravertierten, wenig gewissenhaften und hoch machiavellistischen Anwendungsfeldforscher-Typ (großes Cluster). Sie interessieren sich, ob es zwischen diesen Clustern signifikante Unterschiede im neben dem universitären Gehalt erzielten Nebenverdienst gibt, und ob diese in Wechselwirkung zum Geschlecht stehen. Skizzieren Sie kurz eine adäquate parametrische Vorgehensweise. Welche Probleme sehen Sie? Methodenlehreklausur 2/96/Diepgen 5 Aktives Beispiel B Sie arbeiten im Rahmen eines Projektes zur Qualität der Lehre an einer Diplomarbeit. Im Mittelpunkt Ihres Interesses steht dabei die Frage, von welchen Faktoren die Dauer des Studiums (in Semestern) abhängig ist. Nach sorgfältigem Literaturstudium nehmen Sie folgende Prädiktoren in Ihre Untersuchung auf: 1. Nebenberufliche Tätigkeit in Wochenstunden (bis zu 7 Stunden / mehr als 7 Stunden) 2. Art der Studienmotivation (intrinsisch vs. extrinsisch) 3. Regelmäßiger Besuch der einschlägigen Vorlesungen (ja /nein) Frage 9: Erstellen Sie ein Design im Rahmen des Allgemeinen Linearen Modells einschließlich der linearen Kontraste für die Hauptwirkungen. Frage 10: Erstellen Sie eine fiktive Mittelwertsverteilung für folgende Bedingungen: - Hauptwirkung für den Faktor nebenberufliche Tätigkeit ("Nebentätigkeit verlängert das Studium"), - keine Hauptwirkung für Vorlesungsbesuch und Motivation, - Wechselwirkung zwischen Studienmotivation und nebenberuflicher Tätigkeit. Frage 11: Der Betreuer Ihrer Diplomarbeit äußert den Verdacht, daß die studienverkürzende Wirkung des Vorlesungsbesuches durch die Ambiguitätstoleranz überlagert wird und drängt Sie, diese als Moderatorvariable mit aufzunehmen. Welches Untersuchungsdesign böte sich hier an? Skizzieren Sie die wichtigsten Schritte. Frage 12: Sie gehen davon aus, daß 70% der Studenten intrinsisch motiviert sind. Aus dem Manual eines Testes zur Studienmotivation entnehmen Sie, daß intrinsisch motivierte Personen in 90% der Fälle ein hohes Testergebnis haben. Ist eine Person extrinsisch motiviert, so hat sie in 80% der Fälle ein niedriges Testergebnis. Wie groß ist unter diesen Bedingungen die Wahrscheinlichkeit, daß es sich bei einer Person mit hohem Testergebnis tatsächlich um eine intrinsisch motivierte Person handelt?
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