20 FOKUS GESUNDHEIT Walliser Bote Donnerstag, 21. Januar 2016 Teeniemütter – mein Kind, meine Kraft, mein Kampf Teeniemütter – Noch in der Ausbildung und ungewollt schwanger. Zwei junge Frauen, die sich dazu entschlossen haben, das Kind zu behalten, erzählen von ihrem raschen Erwachsenwerden. Lysiane Fellay (dt. Text Karin Gruber) Sie sind jung, sie sind sorglos, sie haben noch keine abgeschlossene Ausbildung. «Schwanger werden? Ich doch nicht! Das passiert nur anderen!» Doch dann bricht die Realität über sie herein. Diese jungen Frauen mussten rasch eine Entscheidung treffen: das Kind behalten, es zur Adoption freigeben oder die Schwangerschaft abbrechen? Wir haben zwei Teeniemütter getroffen, die sich für ihr Kind entschieden haben. Finanziell noch nicht auf eigenen Beinen, waren sie auf die Hilfe und Unterstützung anderer angewiesen. Diese fanden sie bei ihren Eltern, bei den Beratungszentren SIPE (Sexualität, Information, Prävention, Erziehung) und bei verschiedenen Vereinen. Zwei Teeniemütter erzählen. Kelly hat das Teen-Mom-Klischee satt Kelly Duay war gerade 18 geworden. Sie besuchte das Kollegium in Saint-Maurice. Seit einem Jahr war sie mit ihrem Freund zusammen. «Ich vertrug die Pille nicht gut und wollte eine andere Verhütungsmethode ausprobieren. Also vereinbarte ich einen Termin mit meiner Frauenärztin und beschloss, die Pille für zwei Wochen abzusetzen. Mein Freund und ich passten nicht speziell auf. Ich dachte, das würde eh nur anderen passieren. Dann bekam ich meine Regel nicht. Ich machte zwei Schwangerschaftstests – beide negativ. Also dachte ich, dass wohl bloss meine Hormone verrücktspielen würden. Dann kam mein Termin bei der Frauenärztin und sie sagte mir, dass ich meine Regel abwarten müsse, bevor sie das Hormonimplantat einsetzen könne. Einen Monat später hatte ich meine Tage immer noch nicht. Ich war k.o. und schlief enorm viel. Also ging ich zu meinem Hausarzt. Dort führten wir einen weiteren Schwangerschaftstest durch. Es traf mich wie ein Schlag: Ich war in der achten Woche schwanger! Für mich brach die Welt zusammen. Ich rief sofort meinen Freund an. Nach langen Diskussionen beschlossen wir dann, das Kind nicht zu bekommen», erzählt Kelly. Sie begann, immer öfters die Schule zu schwänzen. «Ich war 18! Ich wollte doch kein Kind! Das war schrecklich.» Dann rief die Schulleitung ihre Mutter an. «Meine Mutter stellte mich wegen dem Schwänzen zur Rede und ich erzählte ihr, was mit mir los war. Daraufhin bekam ich von ihr eine zweistündige Moralpredigt. Schliesslich sagte sie: «Du kannst das Kind behalten, wir sind immer für dich da», erzählt Kelly. Die Unterredung mit ihren Eltern beruhigte sie und langsam begann sie sich auszumalen, wie es wäre, das Baby zu behalten. Ihr Freund aber beharrte auf der Abtreibung. «Ich hatte mich aber schon für das Baby entschieden. Alles andere wäre für mich persönlich falsch gewesen. Also machte mein Freund Schluss. Ich war am Boden zerstört», erinnert sie sich. Für Kelly war es schwierig, Schwangerschaft und Kollegium unter einen Hut zu bringen. Nach der Geburt ihrer Tochter beschloss sie, das Studium vorerst an den Nagel zu hängen. Die kleine Emma wurde im Dezember geboren. «Ich bin völlig vernarrt in meine Süsse! Sie ist mein Sonnenschein», schwärmt Kelly. Die Geburt war für sie der Beginn eines langen Kampfes. «Ich möchte, dass die Leute mich als eine richtige Mutter wahrnehmen. Ich will nicht wie ein unfähiger Teenie schief angesehen werden. Ich bin schliesslich nicht dümmer als die anderen, nur weil ich ungewollt schwanger geworden bin! Ich bin durchaus NÜTZLICHE ADRESSEN eine fähige Mutter. Ich kümmere mich um meine Tochter, um meinen Haushalt, ich arbeite. Gerade bin ich dabei, eine Ausbildung abzuschliessen», betont Kelly, die in ihrem letzten KV-Lehrjahr mit Berufsmaturität ist. Für die Zeit nach der Ausbildung hat sie schon bei einer Bank einen Praktikumsplatz gefunden. Der Vater der kleinen Emma nimmt seine Rolle nicht sehr ernst und besucht seine Tochter nur selten. Kelly ist stolz auf sich und vor allem auf ihre Tochter, die inzwischen fünf ist. Die 24-jährige Mutter ist ihren Eltern unendlich dankbar, dass sie sie stets moralisch und finanziell unterstützt haben. HABEN SIE GEWUSST...? Ausbildung lernte ich zum Beispiel erst, als sie im Bett war. Ich wollte keinen Moment, den ich mit ihr haben konnte, vergeuden, um Dinge zu tun, die ich vor ihrer Ankunft hätte tun sollen.» Natascha ist sehr gut organisiert. «Ich habe alles genau durchgeplant. Beim Einkaufen achte ich Natascha – eine Kämpferin «Ich hatte seit zwei Jahren einen festen Freund. Wir waren wahnsinnig verliebt. Doch als ich erfuhr, dass ich schwanger bin, stellte er mich vor die Wahl: Er oder das Baby. Ich habe mich für das Kind entschieden – die richtige Entscheidung», erzählt Natascha*, die anonym bleiben möchte. Damals war sie 17 und in der Lehre. «Das war hart. Meine ganze Zukunft schien wie ein Kartenhaus einzustürzen. Und doch wäre es für mich nie infrage gekommen, mein Baby nicht zu behalten. Ich glaube, ich hätte Selbstmord begangen, wenn ich abgetrieben hätte», gesteht Natascha. In dieser Zeit zerstritt sie sich mit ihrer Familie und zog aus. Daraufhin lebte sie sechs Monate lang in einem Heim für Asylanten. «Das war etwas unheimlich, doch ich lebte ganz normal weiter. Ich konnte auf die Unterstützung mehrerer Personen bei der Arbeit zählen und meine Freunde haben mich niemals im Stich gelassen.» Die junge Frau fand auch beim Beratungszentrum SIPE ihrer Region und bei den Vereinigungen «SOS werdende Mütter» und «Ja zum Leben» Hilfe. Sechs Monate später suchten ihre Eltern wieder den Kontakt zu ihr und schlugen ihr vor, nach Hause zu kommen. Sie unterstützten sie, wo sie nur konnten. Die Geburt von Nataschas Tochter war lang und schwierig. «Ich hatte enorme Schmerzen. Als ich Nora* dann aber endlich im Arm hielt, war ich unendlich glücklich und stolz. Ihr sanfter Geruch hat mich für den Kampf, den ich während meiner Schwangerschaft führen musste, mehr als entschädigt.» Natascha blieb nach Noras Geburt noch ein Jahr bei ihren Eltern, bevor sie in eine eigene Wohnung umzog. Die Kosten für ihre Tochter hat sie mit ihrem Lehrlingslohn bestritten. «Ich wollte es alleine schaffen.» Die junge Mutter stellt hohe Ansprüche an sich selbst, und will nur das Beste für ihre Tochter. «Ich habe mich für sie entschieden, also will ich es noch besser als alle anderen Mütter machen. Während meiner immer auf Aktionen, um zu sparen.» Es war nicht immer alles leicht, doch Natascha beschwert sich nie. Sie ist glücklich. «Für mich war es ein Geschenk, Mama zu werden.» Nach der Lehre fand sie rasch eine Stelle in der Buchhaltung. Parallel dazu absolviert sie im Moment eine Ausbildung, um das eidgenössische Fähigkeitszeugnis zu erlangen. Natascha steht zu ihrer Wahl und wird immer wieder von ihrer Tochter dafür belohnt. «Letzthin im Restaurant hat sie mir gesagt ‹Du bist so schön, Mama. Ich hab dich unendlich lieb›. Ich habe Glück – sie macht mich Tag für Tag zu einem besseren Menschen», schliesst Natascha. Sie ist jetzt 21 und ihre Tochter drei. *Namen von der Redaktion geändert. BERATUNGSZENTREN SIPE: UNTERSTÜTZUNG UND EIN OFFENES OHR Kelly und Natascha haben sich beide an das Beratungszentrum SIPE (Sexualität, Information, Prävention, Erziehung) ihrer Region gewandt. Dort fanden sie Fachleute, die ihnen ein offenes Ohr liehen und ihnen helfend zur Seite standen. «Wir begleiten die Frauen auf ihrem Weg. Wir helfen ihnen dabei, mit ihren Eltern und mit dem Kindesvater zu sprechen. Danach informieren wir sie über die Möglichkeiten, die sie haben. Sie können das Kind behalten, es zur Adoption freigeben oder die Schwangerschaft abbrechen», erklärt Jacqueline Fellay, Beraterin in sexueller und reproduktiver Gesundheit beim Beratungszentrum SIPE Sitten. Die Beraterinnen stehen auch den Eltern zur Verfügung. «Sie können sich bei uns alles von der Seele reden und finden hier Unterstützung und Information.» Im Beratungszentrum SIPE kann offen gesprochen werden, was den Betroffenen in schwierigen Zeiten Halt gibt. Die junge Frau wird unterstützt und begleitet – egal für welche Lösung sie sich entscheidet. Wenn sie beschliesst, das Kind zu behalten, wird sie in Zukunft nicht auf sich allein gestellt sein. Sie kann eine persönlich auf sie zugeschnittene Betreuung in Anspruch nehmen. «Schritt für Schritt werden wir mit dem Einverständnis der jungen Frau die Personen aus ihrem Umfeld miteinbeziehen (Kindesvater, Eltern, Frauenarzt, Lehrpersonen, Arbeitgeber). Je nach Bedarf wird auch ein Netzwerk im Zusammenhang mit der Geburtsvorbereitung geknüpft (Hebamme, Jugendpsychiater, Kinderarzt usw.)», hält Isabelle Tschopp, Sozialfürsorgerin im pränatalen Umfeld beim Beratungszentrum SIPE Martinach, fest. Die jungen Frauen werden bei Fragen und je nach Bedarf unterstützt. «Wir schauen zusammen an, welche Art von finanzieller Hilfe sie anfordern können, da sie ja in der Ausbildung sind. Wir haben auch einen Fonds, um diesen jungen Müttern unter die Arme zu greifen», fährt Isabelle Tschopp fort. Auch rechtliche Fragen können angegangen werden: Welche Rechte wird der Kindesvater haben, wie geht die Kindesanerkennung vonstatten usw. Die jungen Frauen werden auf ihre Rolle als künftige Mütter vorbereitet und für die Realität des Alltags gewappnet. PARTNER Beratungszentrum SIPE www.sipe-vs.ch Leuk: Tel. 027 473 31 38 [email protected] Brig: Tel. 027 923 93 13 [email protected] Departement für Gesundheit, Soziales und Kultur Dienststelle für Gesundheitswesen Ja zum Leben Oberwallis Anlaufstation für Unterstützung von Müttern in Not www.ja-zum-leben-oberwallis.ch SOS werdende Mütter www.sosfuturesmamans.org www.sucht-wallis.ch www.gesundheitsförderungwallis.ch www.vs.ch/gesundheit
© Copyright 2024 ExpyDoc